Enja Records

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    Abdullah Ibrahim – Cape Town Flower | Krankheiten haben den Vorteil, dass man seine Familie sieht … drum hab ich jetzt die drei Ibrahim-CDs auf Enja aus dem Regal meiner Eltern hier, die ich selbst nicht besitze (zwei Sackville-CDs sind auch noch dort, aber ich glaub die hab ich mal kopiert). Alle drei sind bei Tiptoe erschienen, auf den ersten beiden ist zudem auch noch das Ekapa-Logo zu finden. Hier war ich raus, weil nach dem irre guten „Yarona“ einfach nichts mehr auch nur annähernd so gut funktionieren wollte – auch nicht das Konzert im Moods in Zürich im April 2001, vermutlich mit Belden Bullock und Sipho Kunene (der Besetzung auf dem dritten Album unten). Es gibt hier sehr ausführliche Liner Notes von Hans-Jürgen Schaal, die zum Einstieg den Schmelztiegel Kapstadt heraufbeschwören: „The southern gate to Africa, the seaport has proved to be an assembly point for all kinds of musical influences including European chorals, African rhythms, South Indian improvisation, Gospel hymns, carnival tunes, and Islamic ritual music. ‚Music is everywhere in Cape Town,‘ says Dr. Abdullah Ibrahim, the artist formerly known as Dollar Brand.“ – Dass Ibrahims Musik auch etwas Filmisches haben kann finde ich tatsächlich auch. Und vielleicht ist das hier auch eine Art Fortschreibung von „Knysna Blue„? Elf kurze Stücke (nor „Joan – Cape Town Flower“ ist über neun Minuten lang), darunter nur wenige Klassiker („African Marketplace“), aber neben „Joan“ auch noch „Chisa“ vom Album „African River„. „The Call“ war grad auf „African Suite“ zu hören, „The Stride“ in einer Live-Version auf „Yarona“ und wie „Joan“ auch erneut auf dem dritten Album unten. Ibrahim kocht sein Repertoire ein, das war eine Phase der Konsolidierung, in der er nicht mehr gross an Sidemen interessiert zu sein schien (1999 im Duokonzert mit Max Roach in der Zürcher Tonhalle eigentlich auch nicht mehr – schade, aber die jeweiligen Solo-Sets fand ich ziemlich toll). Schaal: „What Ibrahim’s music does to audiences worldwide is like ‚de-programming people,‘ as he once put it. The effect is immediate and puzzling and has been called hypnotic, ecstatic or cathartic. There is a joy in his music that comes out of deep sorrow, similar to those marching tunes they played in New Orleans on their way from the cemetery back to town. While celebrating life, Ibrahim’s music never loses a distinct kind of gravity. It is like one great hymn. The spiritual expression of the creature. The sound of the heart.“ – Das könnte ich nicht so gut in Worte fassen, aber die Gravitas, die grosse Hymne (in der eben alles aus dem ersten Zitat drinsteckt, von den europäischen Kirchenchorälen bis zum Cape-Carnival) … und diese Wirkung der Musik, die einen eben berühren kann wie kaum etwas anderes, die hat Ibrahim sich bewahrt – auch wenn das alles manchmal etwas gar beschaulich wirken man, an den Tagen, an denen ich mich nicht darauf einlassen mag. Mit Marcus McLaurine (b) und George Gray (d) (15. August 1996 bei Rudy Van Gelder) hat Ibrahim hier eine sachdienliche (um sie nicht Sklaven zu nennen) Rhythmusgruppe hinter sich, die nicht ins Geschehen eingreift, selten Eigenleben entwickelt – aber dem Ganzen, wie Schaal es beschreibt, sehr gut zuarbeitet. McLaurine findet in „Maraba Blue“, dem zweitletzten Stück, einen tollen Groove. Der Closer ist dann einem alten Vorbild gewidmet: „Monk in Harlem“.

    Abdullah Ibrahim Trio – Cape Town Revisited | Live im Spier Estate in Cape Town am 13. Dezember 1997 nimmt Ibrahim noch ein Album auf, das der Stadt gewidmet ist. McLaurine und Gray sind auch hier dabei, als Gast auf drei der fünfzehn Stücke ist Feya Faku an der Trompete zu hören. „Tuang Guru“ (auf zu hören auf „Water from an Ancient Well“, „Yarona“ oder jüngst wieder auf „The Balance“) ist etwa eine Hommage an einen Anführer der Malay, Einwanderer aus Bali, Java und Sulawesi, von der Dutch East India Company nach Südafrika verfrachtet, wo sie in der Kap-Provinz lebten, auf die sie sich auch nach der Abschaffung der Sklaverei konzentrierten. Mit ihnen kam nicht zuletzt der Islam nach Südafrika. Auch der Karneval – der auch auf die Malay zurück geht ist wieder vertreten, mit „Cae Town to Congo Square (einer dreiteiligen Suite) und Someday Soon Sweet Samba“. An Klassikern gibt es „Tintinyana“, „Tsakwe – Royal Blue“ und „Soweto“ (die drei mit Faku), aber auch „Song for Sathima“, „The Mountain“, „The Wedding“. Auch ein Stück aus der „African Suite“ fehlt nicht, der Opener „Damara Blue“, und „Eleventh Hour“ ist auch wieder dabei – es findet sich auf allen drei Alben in diesem Post. Live verschmelzen die Stücke ineinander, es gibt zwar oft hörbare Übergänge, aber ohne dass wirklich abgesetzt würde, das ganze dauert eine knappe Stunde. McLaurine ist hier ziemlich präsent, schon in den tollen Carnival-Stücken (#2-4 und 6 der CD) – und die Aufnahme klingt phantastisch, die Bass-Drum kickt förmlich aus den Lautsprechern und der Kontrabass federt in der tiefen Lage durch den Raum. Faku bleibt allerdings ein wenig ein Fremdkörper, der fast schon stört – schwierig, sich in so ein dichtes Gewebe einzufügen. Alles in allem ein feines Heimspiel mit einer echt schönen Atmosphäre. Besser als der Vorgänger oben – aber beide Alben sind eh besser, als ich sie von vor über Jahren erinnert hatte (dieses hier erschien mit etwas Verspätung 2000).

    Abdullah Ibrahim – African Magic | Noch ein Live-Mitschnitt, dieses Mal aus dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin im Rahmen des letzten „Jazz Across the Borders“-Festivals, wo Ibrahim am 13. Juli 2001 mit neuen Begleitern spielte, Belden Bullock (b) und Sipho Kunene (d). Das Album wurde von RadioKultur (SFB/ORB) und SWR mit Enja co-produziert. Peter Pannke beschreibt im Booklet das Konzert – eine Erfahrung, die gar nicht weit von den Sätzen ist, die Schaal in dern Liner Notes zum ersten der drei Alben schreibt, „magic“ halt. Die Setlist ist noch länger, 24 Tracks hat die CD, auch hier alles am Stück, ein Fluss, in dem Ibrahim viele seiner bekannten Stücke anspielt: „Blues for a Hip King“, „District Six“, „Tuang Guru“, „Joan – Cape Town Flower“, „The Stride“, „Thaba Bhosigo“, „The Mountain“, „Duke 88“ (gefolgt von 16 Sekunden „Solitude“), „Eleventh Hour“, ein paar Klassiker („In a Sentimental Mood“ und „Moten Swing“) direkt vor seinem „For Coltrane“, danach am Schluss dann „Whoza Mtwana“ vor „Tzakwe/Royal Blue“ und einer vollen Version des „Blue Bolero“, der davor schon viermal für jeweils ein paar Sekunden angespielt wird, sich als eine Art Leitmotiv durch das Konzert zieht. Das Set dauert um die 55 Minuten und ich kann mir schon sehr gut vorstellen, dass es ein spezielles Erlebnis war, aber sowas lässt sich ja nicht immer auf Tonträger übertragen. Mir gefallen jedenfalls die zwei Kapstadt-Alben oben eher eine Spur besser, die verhaltene Stimmung beim ersten und die tolle Live-Atmosphäre beim zweiten. Aber auch das Konzert aus Berlin bietet einige tolle Momente, nicht zuletzt in den 20 letzten Minuten („For Coltrane“ bis zum langen „Blue Bolero“).

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    Marty Ehrlich / Peter Erskine / Michael Formanek – Relativity | Noch ein Dreierpaket, dieses Mal von Marty Ehrlich, mit einem Album (diesem), das ich grad erst angeschafft habe und den zweien, die meine ersten von ihm als Leader waren. Mal ohne Strickland und ohne Klavier ein Album machen lag eigentlich recht nahe. Ob der Supertrommler Peter Erskine dafür die beste Wahl war, weiss ich nicht so recht – man kannte sich aus der Gruppe von Don Grolnick, mit der auch Formanek ein paar Gigs gespielt hat. Er spielt schon im Opener mehrere Beats übereinander, während Formanek am Bass ein schnelles Riff wiederholt. Das ergibt ein recht dichtes, stabiles aber keineswegs einfaches Fundament für den Leader, der ohne Strickland auch selbst mal zum Tenorsax greift. Zu hören ist er ausserdem am Altsax, der Klarinette und der Querflöte. Die Aufnahme entstand am 23. und 24. Februar 1998 in den Avatar Studios in New York (James Farber).

    Das Resultat ist jedenfalls ein gleichberechtigtes, ziemlich frei agierendes Trio, das vier Stücke von Formanek, drei von Ehrlich, zwei von Erskine sowie „Taglioni“ von Grolnick spielt. Es gibt freie Passagen, aber auch Melodien, Hooks, es gibt Rhythmus- und Tempowechsel, aber auch mal endlos kreisende Grooves („Lucky Life“ von Ehrlich). Und es gibt sehr viel Musik (ca. 65 Minuten). Manches wirkt mir etwas zu kühl, zu kalkuliert, anderes zieht mich schnell in seinen Bann, etwa der einfache Groove von „Jiggle the Handle“ mit dem Leader am Tenorsax, an dem er vornehmlich Groove-Nummern zu spielen scheint.

    Marty Ehrlich – Song | Am 18. Oktober 1999 nahm Ehrlich dann im Sound on Sound Studio in New York (wieder James Farber) auch mal noch ein klassisches Quartettalbum für Enja auf: Uri Caine (p), Michael Formanek (b) und Billy Drummond (d) begleiten den Leader (as, ss, bcl), auf dem Julius Hemphill gewidmeten „Blue Boye’s Blues“ stösst Ray Anderson (tb) als Gast dazu. Neben drei weiteren Ehrlich-Stücken gibt es den Opener „Waltz“ von Robin Holcomb, Bob Dylans „I Pity the Poor Immigrant“ und als Closer Jaki Byards „The Falling Rains of Life“. Was neu ist bei diesen beiden Alben („Relativity“ und „Song“) ist ihre Geschlossenheit: durch den Wegfall der ständig neuen Instrumentenkombinationen (bzw. den zweiten Bläser) und die durchkomponierten, kammermusikalischen Elemente, wirken die Alben mehr aus einem Guss – sind aber deswegen gar nicht unbedingt weniger abenteuerlich und vielschichtig. In „Song“ ist der Titel das Konzept, der Opener setzt den Ton und ist dabei enorm schön anzuhören mit der Bassklarinette und dem folgenden Bass-Solo. „The Price of the Ticket (after James Baldwin)“ ist das erste Original, Ehrlich stellt das Thema im Rubato am Alt vor, sekundiert von Formanek, während Caine ein paar Akkorde legt und Drummond eine balladeske freie Begleitung dazu trommelt. Dann leitet eine Solo-Kadenz vom Sax ins schnelle Tempo über, hinter dem die Rhythmusgruppe sich neu formiert. Eine Woche hatte die Gruppe im Sweet Basil das Material gespielt, bevor es damit ins Studio ging – und so klingt das hier auch wie eine eingespielte Combo. Von Uri Caine bin ich ja sonst nicht so ein Fan, aber hier finde ich ihn sehr gut – zurückhaltend, aber immer wieder mit tollen Farbakzenten. „Blue Boye’s Blues“ steht in der Mitte der sieben Stücke und beginnt sehr frei, ohne festen Beat und mit den beiden Bläsern im Dialog (Anderson und Ehrlich begegneten sich in den Siebzigern bei Braxton erstmals), die mittendrin auch zu zweit zu hören sind, wonach sich für die letzten Minuten dann noch ein Groove ergibt. In „I Pity the Poor Immigrant“ singt Ehrlich am Altsax mit wunderschönem Ton über den Bass von Formanek – und nach dem Opener muss ich hier zum zweiten Mal an das Dylan-Projekt Jewels & Binoculars (mit Michael Moore) denken. Das ist betörend schön – und ein feines Klaviersolo gibt es gegen Ende auch noch. Der Bogen schliesst sich mit Byard und der Bassklarinette. Ein rundum stimmiges, vielleicht etwas verhaltenes Album.

    Marty Ehrlich – The Long View | Ehrlichs letztes Album für Enja ist dann mit einer grossen Besetzung entstanden und enthält erstmals gar keine Fremdkompositionen: „The Long View“ heisst die Suite in sechs Sätzen und einem „Postlude“, die hier zu hören ist. Den leader hören wir an Alt-, Tenor- und Sopransax, Flöge und Bassklarinette, dazu kommen in jedem Satz andere weitere Musiker: mal eine grosse Bläsersection (u.a. mit Eddie Allen, James Zollar, John Clark, Marcus Rojas, J. D. Parran, Ned Rothenberg), mal Mark Feldamn (v) und Erik Friedlander (vc). Wayne Horvitz spielt auf ein paar Stücken Klavier, im Duo mit Ehrlich (Postlude) und im Quartett mit Mark Dresser (b) und Bobby Previte im 4. Satz, einmal auch mit den zwei Streichern und Ray Anderson, da sind dann aber Mark Helias (b) und Pheeroan akLaff (d) dabei. Michael Sarin (d) und Eddie Bobé (perc) gehören anderswo auch zu den Rhyhmusgruppen … das ist ein überaus ambitioniertes Ding, in dem der Leader die meisten Soli spielt (im 6. Satz kriegt Robert DeBellis eins am Sopransax, im 1. bzw. 6. Satz sind zudem Eddie Allen bzw. James Zollar an der Trompete zu hören). Anregen liess Ehrlich sich von den Gemälden von Oliver Jackson, die auf einigen seiner Enja-Alben auf dem Cover zu finden sind. Im Frühling 2000 waren die beiden gleichzeitig für 10 Wochen bei einer residency in Harvard und dabei entstanden sechs Gemälde sowie die sechs Sätze von „The Long View“ – Musik, die schon lange in Planung war und auch davon profitierte, dass Ehrlich Jackson beim Malen beobachten konnte. Das Ergebnis spricht mich etwas weniger an als die zwei recht schnörkellosen obigen Alben – aber es gibt auch hier zahlreiche schöne Momente … und natürlich ist das alles gut gespielt, was bei den Leuten ja kein Wunder ist. Ray Anderson hat im 5. Satz einen grossen Auftritt – und Mark Helias glänzt nicht nur hier am Bass (im ersten und 6. Satz wirkt er als Dirigent, dort und im 4. Satz übernimmt Mark Dresser am Bass).

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    Franco Ambrosetti – European Legacy | Jetzt komme ich zu Alben, die ich teils noch nicht angehört habe („Relativity“ war das erste davon, das hier das zweite). Im Studio von Mina in Lugano aufgenommen am 15. und 16. Juni 2001 mit dem Sohn Gianluca am Sopransax, Dado Moroni am Klavier, François Moutin am Bass und Daniel Humair am Schlagzeug, ist das vielleicht die Art Album, die Ambrosetti am besten kann: eine lockere Session, die gar nicht allzu viel will ausser einfach schöne Musik machen. Ganze vierzehn Stücke, darunter einige sehr kurze, in denen nicht immer die ganze Band zu hören ist: Der tolle Opener „Consolation“ von Kenny Wheeler ist ein Solo für Moroni, in dessen „Leontine“ am Ende Ambrosetti mit Dämpfer dazustösst, später gibt es Quartette oder auch ein Sopransax/Schlagzeug-Duo. Der Fokus liegt wie der Titel verrät auf europäischem Material: es gibt Sütcke von Aznavour, Piaf, Gruntz und all den Ambrosettis (eins von Flavio, zwei von Franco, eins von Gianluca – bisschen mehr zur Famile hier), zwei von Moroni, eins von Humair/Gianluca (das Duo, klar – klingt frei improvisiert), eins von Furio di Castri und als Closer das italienische Kinderlied „Giro Giro Tondo“. Viel braucht es hier auch gar nicht, die Rhythmusgruppe ist erstklassig, Moroni klingt total frisch (und brummt mit), die Kombination von Trompete/Flügelhorn und Sopransax sehr attraktiv. Ein „kleines“ Album wenn man so will, aber ein richtig schönes. „The Wind“ ebenbürtig, vom ersten Eindruck her (was neben „Song“ von Ehrlich zu meinen liebsten Uri Caine-Auftritten zählt).

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    Avin Queen – I Ain’t Looking at You | Auch in jüngerer Zeit gab es bei Enja nochmal klassischen Orgeljazz: das ist das erste von zwei Alben, die Alvin Queen mit seiner Combo für das Label machte, der davor schon 1972 auf „Impact“ dabei war. Aufgenommen wurde es am 9. Juni 2005 im Rosazul Studio in Barcelona mit Terell Stafford (t, flh), Jesse Davis (as), Mike LeDonne (org) und Peter Bernstein (g). Los geht es mit Shirley Scotts „There’s Blues Everywhere“, „Seven Steps to Heaven“ (Victor Feldman/Miles Davis) und „Contemplation“ (McCoy Tyner), dann folgen zwei Stücke von LeDonne, die den Titeln nach beide Shirley Scott gewidmet sein dürften, „Queen’s Beat“ und „Shirley’s Song“, dazwischen das Titelstück des Albums von Jesse Davis. Der letzte Dreierblock sind dann wieder Klassiker: die Ballade „Old Folks“ (ein tolles Davis-Feature), Horace Silvers „Nutville“ und als Closer ein Stück von Don Patterson, „Mellow Soul“. Wie die Wahl der Stücke nahelegt, ist das altmodisch – aber im besten Sinn, die machen einfach ihr Ding, und es gibt keinen Grund, das nicht zu tun, wenn man das so gut kann. Staffords Trompete gefällt mir glaub ich in dem Kontext besser als bei Victor Lewis, Jesse Davis klingt wie immer stark nach Cannonball, passt aber sehr gut zu Stafford. LeDonne spielt eine ziemlich heisse Orgel und Peter Bernstein bildet dazu wiederum einen schönen Gegenpol. Und der Leader? Der ist eh super … ich kann ihn zwar gar nicht recht fassen, aber ich mag sein Spiel immer.

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    Josh Roseman – New Constellations: Live in Vienna | Bin im Party-Segment angekommen mit Josh Rosemans Ska-Album, seiner Hommage an Don Drummond (Skatalites). Zwei von dessen Stücken, „Thoroughfare“ und „Confucious“, standen auf der Setlist, als Roseman seine Band eine Woche lang in Wien dokumentierte, in Joe Zawinul’s Birdland, vom 14. bis 18. Juni 2005. Der Rest des Materials stammt vom Leader sowie von Lennon/McCartney („I Should Have Known Better“, am Ende noch in einem Remix zu hören) und John Holt („I Wanna Be with You“). Los geht es mit dem einzigen Studiotrack mit anderem Line-Up, „Satta Massaganna“ (The Abyssinians) mit Peter Apfelbaum (ts, org, p, synthbass, d), Will Bernard (g) und dem „rude ‚bone choir“ von Natalie Cressman und Jeff Cressman. Im Club von Joe Zawinul waren dann Ambrose Akinmusire (t), Apfelbaum (ts, elec), Barney McAll (p, keys, samp, chucky), Marvin Sewell (g), Jonathan Maron (b) und Justin Brown (d) dabei. Eine Stunde Live-Musik hat Roseman (tb, elec) ausgewählt, der das Album produzierte, auf dem neben dem Enja-Logo auch das von 19 zu finden ist, von wo auch die Katalognummer stammt (NIN-1906-2 – bei Discogs als Enja-Sublabel mit nur wenigen Releases gelistet). „Dubs and direction by Josh Roseman & GoodandEvil“ steht auch noch bei den Credits. Das Ergebnis macht durchaus Spass, schürft aber nicht sehr tief … passt auch grad zum schweisstreibenden, gar nicht so heissen, aber sehr feuchten Wetter hier. Es geht naturgemäss weniger um solistische Einzelleistungen als viel mehr um einen integrierten Bandsound, in dem jeder seinen Part spielt und der meist sehr eng verwoben wirkt. Aber klar hört man zwischendurch auch mal ein paar Tage von Akinmusire, Apfelbaum oder McAll, nicht nur von der Posaune des Leaders.

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    Dusko Goykovich – Samba Tzigane | Für „Samba do mar“ hab ich schon lang einen soft spot, und drum habe ich den Nachfolger auch noch gekauft, „Samba Tzigane“, am 20. und 21. Mai 2006 im Tonstudio Bauer in Ludwigsburg aufgenommen mit Márcio Tubino (fl), Ferenc Snétberger (g), Martin Gjakonovski (b), Jarrod Cagwin (d, perc) sowie auf vier der elf Stücke Céline Rudolph (voc). Drei Stücke stammen von Goykovich, je eins von Rudolph und Tubino (beide mit Rudolph), ein weiteres von Cagwin/Snétberger/Tubino (auch von diesem Trio gespielt), dazu kommen ein paar Klassiker: „Melodia Sentimental“ von Heitor Villa-Lobos/Dora Vasconcelos (mit Rudolph), „Menina Moça“ (Luiz Antonio), „O Grande Amor“ und „Éste seu olhar“ von Jobim und „Samba triste“ von Baden Powell/Billy Blanco (mit Rudolph). Goykovich spielt oft mit Dämpfer, umschmeichelt Rudolphs schöne Stimme, es gibt mehrer Stücke in reduzierter Besetzung zwischendurch und auch als Closer. Auch die Flöte passt super zum weichen Sound dieser Band mit akustischer Gitarre, Kontrabass und oft recht spärlicher Percussion oder sehr leichten Drumss (Cagwin ist da ein echter Alleskönner, live sah ich ihn mal mit Rabih Abou-Khalil, auf Enja ist er aber auch Jazzdrummer auf einem Lieblingsalbum zu hören).

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    Roberto Fonsceca – Zamazu | Die Party hier ist eher melancholisch angehaucht. Ein sehr schönes Album, mit dem ich die Band um dieselbe Zeit herum auch mal live sah. Die Kernband besteht aus dem Leader am Klavier, Omar González am Kontrabass und Ramsés Rodriguez an den Drums. Fast immer sind auch Javier Zalba (cl, ss, as, bari, fl), Emilio del Monte Mata (bgo, cga, guiro usw.) und Emilio del Monte Valdés (timb) dabei, dazu kommen ein paar bekannte und weniger bekannte Gäste, darunter Omara Portuondo, die ein Stück im Duo mit Fonseca singt („Mil Congojas“), auf einem anderen Stück stossen Trompeter Manuel „Guarjiro“ Mirabal und Bassist Orlando „Cachaíto“ López dazu, nochmal woanders Toninho Ferragutti (acc), Vicente Amigo (flamenco g) und Botas Gordas (palmas). Ein Highlight ist „Ishamel“ von Abdullah Ibrahim, für das Fonseca ein Arrangement mit acht Violinen (und Extra-Percussion von Bogham Costa und Carlinhos Brown) geschrieben hat – hier ist zum zweiten Mal Cachaíto am Bass zu hören. Das ist eine Art Update der Alben, die Rubén González für World Circuit aufgenommen hat – es gibt auch ein Stück, das Fonseca mit Ibrahim Ferrer geschrieben hat (mit Gesang von Carlos Manuel Calunga und Pepe Maza). Live ging das ziemlich ab (Zalba, Omar Sanchez am Bass, Rodriguez und del Monte Mata waren dabei, wenn ich das korrekt notiert habe), aber die Melancholie ist dieser Musik nie auszutreiben, was sicher auch mit der sehr präsenten Klarinette von Javier Zalba zu tun hat, der echt gut ist. Aufgenommen wurde das Album 2006 in Havanna (Cuba) und Salvador (Brasilien) und es kam 2007 bei Enja heraus. Vielleicht wäre ein Album mit weniger Gästen und Bewegungen im Line-Up ganz gut? Ich habe Fonseca nie weiterverfolgt, ein Blick durch die späteren Alben auf Discogs lässt mich aber ahnen, dass sie alle recht ähnlich ablaufen (also immer mit ein paar Gästen).

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    Aki Takase – Something Sweet, Something Tender | Meine Neugierde auf die und Wertschätzung der Musik von Aki Takase haben sich im Lauf dieses Enja-Marathons vermehrt, keine Frage! Dieses Album hat sie an vier Tagen im Frühling 2007 im Audio Cue Studio in Berlin (28.-30. Mai und 17. Juni) aufgenommen und gemeinsam mit Werner Aldinger für Enja Weber produziert. Es besteht aus drei Teilen und einer Coda: im ersten und dritten spielt Takase Musik von Thelonious Monk („Crepuscule with Nellie“, „Locomotive“), Carla Bley („Walking Batterie Woman“, „Intermission Music“), Ornette Coleman („The Sphinx“, „Peace“), Eric Dolphy (das Titelstück) sowie Alexander von Schlippenbach („Globe Unity“). Dazwischen gibt es sechs eigene Stücke bzw. freie Improvisationen unter der Überschrift „Something or A.“ (Aki, Alex, …?) und ganz am Ende noch zwei Originals, „Hinter meinem Rücken“ (ein Stück aus der Zusammenarbeit mit Yoko Tawada) und „So Long Mr. T. Shimizu“, ein hymnischer Abgesang auf einen verstorbenen Freund und Jazzförderer. Takase klingt nachdenklicher als auf ihren frühen Solo-Alben, nimmt sich immer wieder viel Zeit, horcht den Tönen nach, lässt sie verklingen, setzt neu an. Diese introspektive Seite kam später auf „Hokusai – Piano Solo“ (Intakt, rec. 2018) zur vollen Blüte. Auf „Something Sweet, Something Tender“ gibt es die Verdichtungen und Beschleunigungen, die wilden Ausbrüche (etwa in „The Sphinx“), es gibt auch das Spiel im Innern des Flügels – aber das alles wirkt auf wunderbar leichte Art gesetzt, ruhig, aber auch bestimmt, klar. Neben „Song for Hope“ ist das hier aus dem Enja-Katalog von Takase, soweit der mir bekannt ist, sehr schnell mein liebstes Album geworden.

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    Alvin Queen – Mighty Long Way | Am 25. und 26. März 2008 wurde die Alvin Queen Band erneut für Enja aufgenommen, dieses Mal im Music Complex in Dobbs Ferry, NY. Das Line-Up ist dasselbe, erweitert um Neil Clark (cga, perc) und auf zwei Stücken um Elias Bailey am Kontrabass. Das Material ist teils ähnlich (zweimal Oscar Peterson, mit dem Queen die Jahre davor bis zu dessen Tod 2007 gespielt hatte, und einmal Horace Silver, mit dem Queen in den Siebzigern lange spielte, dazu zwei Originals von Davis und eins von Queen), teils kommt es aus dem Gospel (zwei Stücke von Joe Pace) oder Soul (eins von Ray Charles). Die Stossrichtung ist tatsächlich etwas moderner, wenn „I Ain’t Looking at You“ den Soul Jazz um 1960 abbildet, sind wir hier wohl irgendwo zwischen 1965 und 1972, je nach Stück. „This recording … is very personal; it is Alvin’s expression of his historical musical roots“ (so Thomas J. Hopkins in den Liner Notes). Nach dem Tod seiner Mutter habe Queen alte, vertraute Gospelmusik gehört (James Cleveland, Shirley Cesar, Swan’s Silvertones usw.) und dabei Joe Pace entdeckt. Mir gefällt glaub ich das erste Album wegen seiner Geschlossenheit etwas besser, aber das zweite ist etwas lebendiger – auch dank Neil Clarke, der natürlich gekonnt all die Stolperfallen umgeht, die Congas im Jazz so oft bedeuten. Und noch eine interessante Beobachtung: der modernere Rahmen lässt Davis manchmal deutlich weniger nach Adderley klingen – etwa in „Cape-Verdean Blues“, dem Silver-Stück, in dem auch Stafford ein wunderbares Solo spielt.

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    Lee Konitz New Quartet – Live at the Village Vanguard | Das „New Quartet“ besteht aus dem Leader und dem Trio Minsarah: Florian Weber (p), Jeff Denson (b) und Ziv Ravitz (d). Nach den „Three Guys“ sind meine anderen zwei Konitz-Erlebnisse mit dieser Formation verbunden (wobei das eine Mal Dan Weiss am Schlagzeug einsprang). Die Alben habe ich noch kaum angehört, weil die Live-Erlebnisse so einprägsam waren. Hier geschieht dasselbe, was ich selbst im Konzert erlebte: die vier dekonstruieren (oder eher: recompose) alte Standards. Beim einen Konzert konnte das Publikum sogar Vorschläge machen, es gibt also nicht nur „Thingin'“, ein paar Originals wie „Subconscious-Lee“ oder „Kary’s Trance“ und die anderen sieben Songs, die Konitz immer spielte („I Remember You“, „Stella By Starlight“), sondern auch Stücke wie „Sky Lark“ und „In Your Own Sweet Way“. Ein Weber-Stück, „Color“, hat sich auch noch eingeschlichen. Los geht es programmatisch mit „Cherokee“ und schon hier ist atemberaubend zu hören, wie frei die vier mit dem Material umspringen, wie sie einander vertrauen und sich auf einander verlassen können. Dass der alte grumpy Konitz sich noch einmal auf so ein Abenteuer einlassen mochte, ist eine wundersam schöne Freude. Weber findet warme Worte im Booklet zur ersten CD, die 2010 erschien: „I would like to thank Lee for opening these doors. This man, so young at heart with his pure intention, his knowledge, him being part of jazz history and present jazz, is a constant inspiration for all of us.“ Davor erläutert Weber am Beispiel von „I Remember You“ und „Kary’s Trance“ (Konitz schrieb sein Thema, das erst am Ende erklingt, über ein altes jüdisches Lied, das Denson hier am gestrichenen Bass spielt), wie der Ablauf funktioniert und streicht nochmal heraus, dass das alles völlig ohne Absprachen passierte. Winckelmann berichtet von den Proben in Konitz‘ Upper Westside-Haus, wie der gesagt habe: „Let’s do this quiz style. We start improvising immediately and give only tiny hints as to the melody we are actually playing on. The first in the audience to recognize the tune should raise his hand and we buy him a drink when he is right!“ Ein Scherz ist das alles jedoch nicht, was die vier bieten schürft tief und die Wandlungen, Verwandlungen, Transformationen, die die Standards durchmachen, sind oft wirklich atemberaubend – gerade weil nichts davon abgesprochen ist und die Dinge sich doch immer wieder fügen, die vier sich finden, auch da, wo sie komplett aus der Form oder den Changes ausbrechen. Im ersten Album neben den vier Originals inkl. „Thingin'“, „Cherokee“ und „I Remember You“ auch „Polka Dots and Moonbeams“, auf dem zweiten, dem reinen Standards-Album, neben „Sky Lark“, „Stella“ und dem Brubeck-Stück auch „The Song Is You“, „Just Friends“ und „I Love You“).

    Lee Konitz – Standards Live: At the Village Vanguard | Die Aufnahmen entstanden am 31. März und 1. April im Village Vanguard, Jim Anderson agierte als Tonmeister. Im Booklet des ersten Albums gibt es zahlreiche Fotos (Hanayo Takai) und Texte von Weber und Winckelmann. Album Nummer zwei wurde 2014 nachgereicht, die Aufmachung ist einfacher, ein paar kleine Fotos und ein weiterer kurzer Text von Winckelmann. Das ist ein Fall, in dem ich wahnsinnig gern eine kleine Box mit allen Sets/Stücken der zwei Abende hätte. Immerhin bringen die zwei CDs fast zwei Stunden Musik zusammen. Das eine „lange“ – 75-80 Minuten Set – , wie er es zumindest beim letzten Auftritt in Zürich spielte, konnte Konitz sich im Vanguard nicht erlauben, aber vielleicht gab es auch nur vier Sets à 35-40 Minuten und dann ist hier doch fast alles drauf, wer weiss … dennoch: eine komplette Ausgabe in Reihenfolge und mit Konitz‘ Ansagen wäre schön! Das sind auf jeden Fall wundersame, tolle Mitschnitte, die nochmal ein anderes Level erreichen als das Studioalbum „Deep Lee„.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    Angelika Niescier / Thomas Morgan / Tyshawn Sorey – Quite Simply | Dieses Trio entstand aus zwei separaten Begegnungen der Saxophonistin, die die Gelegenheit nutze, als sie 2008 in Moers „improviser in residence“ war, die beiden Musiker aus den USA einzuladen. Im Juli 2010 ist dann im Systems Two in Brooklyn das Album entstanden, ihr zweites für Enja. Wenn ich sie hiermit kennengelernt hätte, hätte ich keine Widerstände zu überwinden gehabt (was etwas mit dem enormen Energielevel bzw. Druck zu tun hat, den sie live aufbaut oder unter dem sie zu stehen scheint – inzwischen komme ich damit ja ganz gut klar, aber das braucht ein paar Anläufe/Konzerte). Ein fein verästeltes, ziemlich kollektiv agierendes Trio, das offene, ziemlich freie Soundscapes errichtet, zerklüftet, repetitiv, mal ordentlich wuchtig mit dem Saxophon eng ins Trio eingewoben, dabei auch immer wieder als Begleitinstrument agierend, doch dann erhebt es sich mit zarten Linien. Niesciers Ton klingt dabei ziemlich schlank und fein gestaltet. Dass die einzigen beiden Stücke, die nicht von ihr stammen, von Ornette Coleman („Congeniality“) und Anthony Braxton („69-0“) stammen, passt gut ins Bild. Das ganze Album ist vielleicht etwas verhalten, aber da brauche ich nach diesem zweiten oder dritten Durchlauf bestimmt nochmal zwei oder dreimal so viele, um das zu greifen zu kriegen.

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    Trio M – The Guest House | Noch ein Trio, wieder eine Frau und zwei Männer, dieses Mal Myra Melford am Klavier, Drew Gress am Kontrabass und Matt Wilson am Schlagzeug. Im Opener geht es gleich zur Sache, Gress‘ trockener Bass und der Beat, den Wilson auf um seine Snare herum aufbaut, sind sehr funky. Darüber legt Melford versponnene Linien, die immer mehr zu kreisen beginnen, sich überschlagen, in Cluster ausbrechen, die Wilson wiederum auffängt. Der hat vier der Stücke mitgebracht zu den Sessions im Firehouse 12 in New Haven, CT, am 13. und 14. Juni 2011, Melford und Dresser je drei. Das ganze hat einen guten Flow, Funk und Free sind die Eckpunkte, es gibt aber auch lyrische Passagen, Melford schwebt frei über den Grooves oder stürzt sich in sie hinein und arbeitet sich durch sie hindurch. Manches wirkt eher skizziert, anderes (Dressers „Kind of Nine“) fast wie ein behutsam ausgearbeiteter Popsong. Gefällt mir sehr gut, dieses Trio … und dass ich grad die ersten zwei Alben ihres Trios („Jump“ und „Now & Now“) aus dem Briefkasten holte, freut mich ebenfalls; wie Marty Ehrlich – mit dem sie auch ein Duo-Album machte, das ebenfalls kürzlich eingetrudelt ist – eine Musiker, die ich schon länger mal vertiefen wollte).

    PS: ich hatte hier schon mal drüber geschrieben … neuer Tag, neues Glück, allmählich werden meine Kreise um Melford enger und ich verstehe besser :-)

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    Franco Ambrosetti – Cycladic Moods | Das Allbum lag schon eine ganze Weile auf dem Geri Allen-Stapel, läuft jetzt zum allerersten Mal. Aufgenommen hat es Martin Pearson im Hard Studio in Winterthur am 28. Juni 2911, mit dabei sind neben dem Leader (t, flh) und seinem Sohn Gianluca (ss, carbophone – das Ding ist im Booklet zu sehen) auch der Schweizer Bassist Heiri Känzig (b) sowie drei Amerikaner*innen: Abraham Burton (ts), Geri Allen (p) und Nasheet Waits (d). Eine ziemlich schwergewichtige Band also, in die sich die Ambrosettis ganz gut einfügen – beide klingen fokussiert und kommen mit der Wucht der Rhythmusgruppe gut zurecht (bei Känzig bestehen da eh keine Zweifel). „Instant Correlation“ heisst der Opener aus der Feder des Leaders, gefolgt von seiner vierteiligen „Cycladic Suite“ mit den Sätzen „Mystic Dawn“, „Agean Waves“, „Seven Bofors“ und „Where the Sun Never Sets“. Danach folgen vier weitere Stücke: „In Real Time“ von Geri Allen, „Mirobop“ von Miroslav Vitous (mit über 21 Minuten das mit Abstn längste Stück hier, die Suite dauert nur um die 17 Minuten), „Blues for My Friends“ von Gianluca Ambrosetti (hier kommt das carbophone zum Einsatz, es klingt ein wenig wie ein Tenorsax mit Varitone-Zusatz, aber mit etwas dumpfen, wenig dynamischen Fagott-Timbre) und als Closer das wunderschöne „Peace“ von Horace Silver als kurzes Duo (Flügelhorn nehme ich an) mit Geri Allen. Allen kriegt überhaupt erfreulich viel Raum hier und gefällt mir sehr gut, ihr Spiel klingt auch in der Begleitung sehr frisch und offen. Die ganze Rhythmusgruppe ist super, Waits mit sich ständig verschiebenden, rollenden Beats, Känzig mit seinem wendigen, federnden und doch total geerdeten Bass. Burton finde ich als hired gun nicht immer überzeugend, er klingt manchmal schon arg nach Coltrane, aber sein Auftritt strahlt doch eine recht grosse Souveränität aus.

    Franco Ambrosetti – After The Rain | Das Album von 2015, aufgenommen vom 31. Mai bis zum 2. Juni 2014 in den Powerplay Studios in Maur in der Nähe von Zürich, hat @vorgarten vor einer Weile schon beschrieben:

    vorgartenMOVIES ist das ambrosetti-album, das filtgen vorstellt, AFTER THE RAIN ging wohl eher unter, aber ambrosetti bleibt so oder so für mich ein rätsel – die all star bands, die feuilletonistischen konzepte (hier geht es um den einfluss von john coltrane auf musiker seiner generation – es gibt auch zwei coltrane-kompositionen, die originalkompositionen aber könnte von ihm kaum weiter weg sein), die relativ glanzlose eigene stimme… ich hab das hier blind gehört, wusste nur, dass es ein ambrosetti-album ist. osby hab ich erkannt, bei carrington hatte ich eine leise vermutung, der pianist gefiel mir ausgesprochen gut (überhaupt das pianotrio im kern ist hier das, was spaß macht), aber ambrosetti selbst kam mir fast schludrig vor, und noch schlimmer fand ich das sopransax, der permanent den höhepunkt sucht, aber es weder technisch noch emotional hinbekommt – das ist dann wohl ein sohn? einen teil davon kann man wohl „charmant“ nennen, einen anderen wirklich hochklassig – aber die ressourcen muss man erstmal haben, um das zusammenzubringen…

    Auch das höre ich gerade zum ersten Mal – es war bei mir vor fast zwei Jahren mal ein „Beifang“ bei einer Discogs-Bestellung. Die Besetzung ist wieder luxuriös, dieses Mal kommt auch der Bassist aus den USA, dafür der Pianist aus Europa: Franco Ambrosetti (flh), Gianluca Ambrosetti (ss), Greg Osby (as), Dado Moroni (p), Buster Williams (b), Terri Lyne Carrington (d). Die Band funktioniert komplett anders – und packt mich sehr viel weniger. Das hat weniger mit dem Wechsel am Klavier zu tun als mit der Funktionsweise der Rhythmusgruppe. Williams und Carrington wirken viel statischer und sehr viel konventioneller. Dass Osby und Moroni ganz gute Soli beitragen (und durchaus auch Williams, gleich im Opener), nützt da irgendwie nicht so viel, das funktioniert einfach nicht recht. Den Sohn finde ich hier auch schwächer, der Vater wirkt manchmal tatsächlich ein wenig desinteressiert, das Konzept ziemlich beliebig umgesetzt – und so zieht sich die Stunde ziemlich in die Länge.

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    Michel Godard / Dave Bargeron – TubaTubaTu | Begegnet sind sich die beiden tanzenden Elefanten bei den Aufnahmen zu „Cactus of Knowledge“ von Rabih Abou-Khalil, mit dem Godard oft spielt. Auch beim einen Mal vor ca. 18 Jahren, als ich die Band live sah, Biondini war dabei, den ich auch beim einen Konzert der George Gruntz Concert Jazz Band erlebte (in der Liste am Schluss fehlt: „Bestes griechisches Profil: Luciano Biondini“), wo er ein gemeinsames Feature mit Dave Bargeron (btb) hatte – den tanzenden Elefanten an der Tuba gab damals noch Howard Johnson – schöne Erinnerungen! Auch das hier ist natürlich Party-Musik, es gibt Bebop und Jazz-Klassiker und es gibt europäische Tänze aller Art – auch welche, die nach Südamerika ausgewandert sind, wie den „Choro Loco“, in dem Biondini am Akkordeon besonders glänzen darf (es ist auch sein kompositorischer Beitrag hier). Das Material stammt wechselweise von den beiden Leadern, nur „Sweet Georgia Brown“ wird als „trad.“ angegeben – solche Fehler bezüglich Komponisten gibt es bei Enja irritierenderweise ja immer mal wieder. Zur „Chiacona“ („Chiancona“, noch ein irritierender Fehler) gibt es noch das dreiminütige „Ciacona Intro“, das wohl von Biondini improvisiert wurde. Auch der „Passamezzo“ ist eine hier wiederbelebte Tanz-Form aus der Renaissance. Bargeron kontert mit dem „G-Dance“. Auf „Old Town“ spielt er Sackbutt, den Vorgänger der Posaune, während Godard natürlich den Serpent dabei hat, seinerseits Vorgänger der Tuba („Murmure“). Ein paar Male sind die beiden auch im Duo zu hören. „Sweet Georgia Brown“ ist eine Hommage an Slam Stewart, der bei seinen Bass-Soli stets mitbrummte – Bargeron tut das auch, summt in die Tuba hinein beim Spielen. Massgeblich am Erfolg des Albums beteiligt ist Kenwood Dennard, der an dern Drums alles drauf hat, was hier gefragt ist, Tanzgrooves vom späten Mittelalter bis zum New Orleans-Funk („Owww“).

    Das erste Album der beiden (mit Joe Barbato statt Biondini) entstand 2001 im Loft in Köln in Zusammenarbeit mit dem WDR … ich habe nur dieses zweite und auch erst seit gestern – bei einer Discogs-Bestellung bei einem Schweizer Anbieter mitgenommen, und schon beim ersten Hören viel Freude daran. Aufgenommen wurde das Album in den Topaz Studios in Köln am 7. und 8. Mai sowie 1. Juli 2003, produziert hat Werner Aldinger für Enja Weber. Von Godard hat sich mit den Jahren einiges hier angesammelt (zu den „Castel del Monte“-Alben komme ich später vielleicht noch, die erschienen natürlich bei Winckelmann, womit hier gleich noch ein Musiker it, der auf beiden Zweigen aktiv war), vor allem aus den Grenzregionen zwischen Alter Musik und Improvisation – das hier ist nochmal eine ganz andere Facette … von der ich zwar wusste, aber sie nie gehört hatte.

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    Cecil Taylor – Live in Ruvo di Puglia 2000 | Ich hatte ja erst dank der Nachfrage von @stardog begriffen (danke!), dass das hier nicht eine Umverpackung des Sets mit dem Italian Instabile Orchestra ist sondern tatsächlich das zum Konzert am 10. September dazugehörige Solo-Set, auch aus Ruvo di Puglia, wo das Instabile Orchestra mit dem gemeinsamen Auftritt mit Cecil Taylor sein zehnjähriges Bestehen feierte. Das läuft jetzt zum ersten Mal und haut mich ziemlich weg! 42 Minuten dauert das Set, keine Unterbrüche, einfach nur Taylor am Klavier, manchmal mit etwas Gegrunze, nach knapp 27 Minuten unterbricht er für eine Rezitation und wie es tönt einen Tanz, 2 oder 3 Minuten, dann wechselt er zurück ans Klavier (und im Hintergrund fängt ein Baby zu schreien an – ich nehme an, das ist ein Open-Air-Mitschnitt, das Klavier klingt etwas dünn), bis er am Ende zum Klavier zu chanten anfängt (und ich mich frage, ob er das Baby war?). Ein phantastisches Konzertdokument auf jeden Fall, das ich bald wieder anhören werde!

    Cecil Taylor & Italian Instabile Orchestra – The Owner of the River Bank | Das Set mit dem Italian Instabile Orchestra dauert eine Stunde und wurde für die CD in sieben Tracks geteilt. Bei den Proben habe Taylor statt Noten ein A3-Blatt mit einer Art Landschaft mitgebracht, „densely filled right up to the paper’s edge with symbols, words and graphic shapes, all done in pencil“. Was das alles heissen sollte, wurde auch im Lauf der Proben nicht viel klarer. Einzelne Fragmente werden erörtert, Taylor hört dabei nur zu, derweil die Streicher in einen anderen Raum geschickt werden, in dem Taylor auch immer wieder vorbeischaut. Er fängt an, mehr Material auszuarbeiten, Hornist Martin Mayes, der 1988 dabei war, als Taylor in Berlin sein European Orchestra aufstellte, übersetzt – in allen Bedeutungen des Wortes, hilft den anderen, die kryptischen Kommentare Taylors zu verstehen. Nach mehreren Stunden Probe fasst er zusammen: „Basically, he suggests that Taylor ‚throws out short phrases and leaves it up to the group to decide how to put them together‘, and that for Taylor ‚the most important aspect of the music is in the sound itself.‘ The wind players try to work their way through the first nineteen bars. Taylor explains that each musician should decide for himself whether to play the chords starting from the top or from the bottom. Various musicians propose the idea of leaving the phrases open rather than playing them straight through from beginning to end. The drummers now join in, even though Taylor has not explicitly requested them to do so.“ Taylor streut mal ein Glissando am Klavier ein, hört aber grundsätzlich nur zu und geht immer wieder zu einzelnen Musikern, um ihnen („in a low, polite voice“) kleine Details zu erklären, die ihm vorschweben. „An atmosphere of uncertainty frequently prevails and at times this can appear to an outside observer as something rather surreal or comic. But Taylor ignores this and begins to dictate a melody. It is impossible to tell at first where it is supposed to go or whether it is indeed perhaps material for a new section. […] By the end of the first day’s rehearsal, the musicians begin to realise that what initially looked like an overall chart might perhaps be just one section.“ So ein paar Auszüge aus Marcello Lorrais Liner Notes, die ausführlich die Probearbeit schildern, Taylors Vorgehensweise – und seine abendliche Bemerkung zu den Musikern: „[they] can play“.

    Interesse an einem klaren Produkt hat Taylor dabei nicht, er will nicht vorwegnehmen, wie das Ergebnis herauskommen wird. Er setzt einen Prozess in Gang, der ein allmähliches Wachstum auslöst, Reaktionen der Musiker auf seinen Input einbezieht – das alles als Basis für eine spontane Komposition, die in Etappen entsteht, die auch seinen Umgang mit Zeit vermittelt, den Musikern eine Idee von den Konzepten gibt, die als Grundlage für ihr Spiel dienen. Dabei zieht er die Musiker in die Entscheidungsfindung mit ein, auch wenn manchmal bei den Proben deutlich wurde, so Lorrai, dass „certain musical utterances and attitudes are not exactly those that Taylor would have preferred to have heard and to have seen“. Die Arbeitsmethode, so Lorrai, sei auch eine Art Rite de passage, ein Initiationsritus, verankert in der afro-amerikanischen Kultur. Taylor zwang die Musiker quasi dazu, sich von allen Klischees zu befreien, sich selbst neu zu betrachten, zu hinterfragen, was es für sie bedeutet, Musik abseits der Konventionen zu machen. Für die Gruppe, die das in ihrem Selbstverständnis stets tat, sicherlich eine Herausforderung. 2002 kam es beim Banlieues Bleus Festival in Paris, 2003 beim Festival in Sant’Anna Arresi auf Sardinien zu weiteren Begegnungen. Und 2003 erschien bei Enja auch die CD, die die erste Begegnung dokumentiert. Ich finde das vor dem Hintergrund des gerade gelesenen Probeberichts gerade sehr faszinierend: die allmählichen Entwicklungen, plötzlichen Ausbrüche, die Variabilität des gebotenen, der unglaubliche Reichtum an Klängen, wie diese sich stat weiterverwandeln, eine Art kontinuierliche Morphologie entsteht, immer wieder mit neuen Kombinationen, neuen Überlagerungen und Verschiebungen, wie Strukturen aufbrechen, dann wieder aufgebaut werden, sich im vierten Teil plötzlich alles für eine Klavierpassage öffnet – zwei Klaviere, glaube ich, aber bei Taylor ist man sich da ja echt nie sicher … im fünften Teil beginnen dann einige, über einem dichten Teppich auch Klavier, Schlagwerk und tiefem Holz, zu chanten – und irgendwann hört man aus den später gesprochenen Worten auch den Namen des aufgeführten Werkes heraus: „The Owner fo the River Bank“.

    Mit dabei sind neben Cecil Taylor (p): Carlo Actis Dato (bcl), Luca Calabrese (t), Daniele Cavallanti (ts), Eugenio Colombo (fl, sopranino), Paolo Damiani (vc), Renato Geremia (v), Giovanni Maier (b), Alberto Mandarini (t), Martin Mayes (frh), Guido Mazzon (t), Vincenzo Mazzone (d, timp), Umberto Petrin (p), Lauro Rossi (tb), Giancarlo Schiaffini (tb), Mario Schiano (as, ss), Tiziano Tononi (d, perc), Sebi Tramontana (tb) und Gianluigi Trovesi (as) – wobei auf den Fotos im Booklet Actis Dato mit einem Barisax zu sehen ist, nicht mit einer Bassklarinette – zu hören ist das Barisax auch … vielleicht stimmen die Angaben bei den Saxophonen nicht ganz genau. Und dass ausgerechnet Pino Minafra (t) fehlt, der aus Ruvo stammt und vermutlich die Konzerte organisiert hatte, glaube ich auch nicht (bin mir auch ziemlich sicher, dass er auf der Doppelseite mit den Band-Fotos der dritte von links neben Geremia und Damiani ist – einige Musiker scheinen auf allen Fotos zu fehlen). Wieder so ein Fall mit schludrigen Angaben halt. Auch das Set mit der Band stammt vom 10. September – „during the second of two concerts given to celebrate the first ten years of the Italian Instabile Orchestra as part of the Talos Festival in Ruvo di Puglia (South Italy)“ steht im Booklet. Ob Taylor davor oder danach solo spielte, weiss ich nicht, ebensowenig wie, ob das IIO auch allein spielte – beim ersten Konzert, am Vortag oder am Nachmittag desselben Tages?

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