Antwort auf: Enja Records

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Cecil Taylor – Live in Ruvo di Puglia 2000 | Ich hatte ja erst dank der Nachfrage von @stardog begriffen (danke!), dass das hier nicht eine Umverpackung des Sets mit dem Italian Instabile Orchestra ist sondern tatsächlich das zum Konzert am 10. September dazugehörige Solo-Set, auch aus Ruvo di Puglia, wo das Instabile Orchestra mit dem gemeinsamen Auftritt mit Cecil Taylor sein zehnjähriges Bestehen feierte. Das läuft jetzt zum ersten Mal und haut mich ziemlich weg! 42 Minuten dauert das Set, keine Unterbrüche, einfach nur Taylor am Klavier, manchmal mit etwas Gegrunze, nach knapp 27 Minuten unterbricht er für eine Rezitation und wie es tönt einen Tanz, 2 oder 3 Minuten, dann wechselt er zurück ans Klavier (und im Hintergrund fängt ein Baby zu schreien an – ich nehme an, das ist ein Open-Air-Mitschnitt, das Klavier klingt etwas dünn), bis er am Ende zum Klavier zu chanten anfängt (und ich mich frage, ob er das Baby war?). Ein phantastisches Konzertdokument auf jeden Fall, das ich bald wieder anhören werde!

Cecil Taylor & Italian Instabile Orchestra – The Owner of the River Bank | Das Set mit dem Italian Instabile Orchestra dauert eine Stunde und wurde für die CD in sieben Tracks geteilt. Bei den Proben habe Taylor statt Noten ein A3-Blatt mit einer Art Landschaft mitgebracht, „densely filled right up to the paper’s edge with symbols, words and graphic shapes, all done in pencil“. Was das alles heissen sollte, wurde auch im Lauf der Proben nicht viel klarer. Einzelne Fragmente werden erörtert, Taylor hört dabei nur zu, derweil die Streicher in einen anderen Raum geschickt werden, in dem Taylor auch immer wieder vorbeischaut. Er fängt an, mehr Material auszuarbeiten, Hornist Martin Mayes, der 1988 dabei war, als Taylor in Berlin sein European Orchestra aufstellte, übersetzt – in allen Bedeutungen des Wortes, hilft den anderen, die kryptischen Kommentare Taylors zu verstehen. Nach mehreren Stunden Probe fasst er zusammen: „Basically, he suggests that Taylor ‚throws out short phrases and leaves it up to the group to decide how to put them together‘, and that for Taylor ‚the most important aspect of the music is in the sound itself.‘ The wind players try to work their way through the first nineteen bars. Taylor explains that each musician should decide for himself whether to play the chords starting from the top or from the bottom. Various musicians propose the idea of leaving the phrases open rather than playing them straight through from beginning to end. The drummers now join in, even though Taylor has not explicitly requested them to do so.“ Taylor streut mal ein Glissando am Klavier ein, hört aber grundsätzlich nur zu und geht immer wieder zu einzelnen Musikern, um ihnen („in a low, polite voice“) kleine Details zu erklären, die ihm vorschweben. „An atmosphere of uncertainty frequently prevails and at times this can appear to an outside observer as something rather surreal or comic. But Taylor ignores this and begins to dictate a melody. It is impossible to tell at first where it is supposed to go or whether it is indeed perhaps material for a new section. […] By the end of the first day’s rehearsal, the musicians begin to realise that what initially looked like an overall chart might perhaps be just one section.“ So ein paar Auszüge aus Marcello Lorrais Liner Notes, die ausführlich die Probearbeit schildern, Taylors Vorgehensweise – und seine abendliche Bemerkung zu den Musikern: „[they] can play“.

Interesse an einem klaren Produkt hat Taylor dabei nicht, er will nicht vorwegnehmen, wie das Ergebnis herauskommen wird. Er setzt einen Prozess in Gang, der ein allmähliches Wachstum auslöst, Reaktionen der Musiker auf seinen Input einbezieht – das alles als Basis für eine spontane Komposition, die in Etappen entsteht, die auch seinen Umgang mit Zeit vermittelt, den Musikern eine Idee von den Konzepten gibt, die als Grundlage für ihr Spiel dienen. Dabei zieht er die Musiker in die Entscheidungsfindung mit ein, auch wenn manchmal bei den Proben deutlich wurde, so Lorrai, dass „certain musical utterances and attitudes are not exactly those that Taylor would have preferred to have heard and to have seen“. Die Arbeitsmethode, so Lorrai, sei auch eine Art Rite de passage, ein Initiationsritus, verankert in der afro-amerikanischen Kultur. Taylor zwang die Musiker quasi dazu, sich von allen Klischees zu befreien, sich selbst neu zu betrachten, zu hinterfragen, was es für sie bedeutet, Musik abseits der Konventionen zu machen. Für die Gruppe, die das in ihrem Selbstverständnis stets tat, sicherlich eine Herausforderung. 2002 kam es beim Banlieues Bleus Festival in Paris, 2003 beim Festival in Sant’Anna Arresi auf Sardinien zu weiteren Begegnungen. Und 2003 erschien bei Enja auch die CD, die die erste Begegnung dokumentiert. Ich finde das vor dem Hintergrund des gerade gelesenen Probeberichts gerade sehr faszinierend: die allmählichen Entwicklungen, plötzlichen Ausbrüche, die Variabilität des gebotenen, der unglaubliche Reichtum an Klängen, wie diese sich stat weiterverwandeln, eine Art kontinuierliche Morphologie entsteht, immer wieder mit neuen Kombinationen, neuen Überlagerungen und Verschiebungen, wie Strukturen aufbrechen, dann wieder aufgebaut werden, sich im vierten Teil plötzlich alles für eine Klavierpassage öffnet – zwei Klaviere, glaube ich, aber bei Taylor ist man sich da ja echt nie sicher … im fünften Teil beginnen dann einige, über einem dichten Teppich auch Klavier, Schlagwerk und tiefem Holz, zu chanten – und irgendwann hört man aus den später gesprochenen Worten auch den Namen des aufgeführten Werkes heraus: „The Owner fo the River Bank“.

Mit dabei sind neben Cecil Taylor (p): Carlo Actis Dato (bcl), Luca Calabrese (t), Daniele Cavallanti (ts), Eugenio Colombo (fl, sopranino), Paolo Damiani (vc), Renato Geremia (v), Giovanni Maier (b), Alberto Mandarini (t), Martin Mayes (frh), Guido Mazzon (t), Vincenzo Mazzone (d, timp), Umberto Petrin (p), Lauro Rossi (tb), Giancarlo Schiaffini (tb), Mario Schiano (as, ss), Tiziano Tononi (d, perc), Sebi Tramontana (tb) und Gianluigi Trovesi (as) – wobei auf den Fotos im Booklet Actis Dato mit einem Barisax zu sehen ist, nicht mit einer Bassklarinette – zu hören ist das Barisax auch … vielleicht stimmen die Angaben bei den Saxophonen nicht ganz genau. Und dass ausgerechnet Pino Minafra (t) fehlt, der aus Ruvo stammt und vermutlich die Konzerte organisiert hatte, glaube ich auch nicht (bin mir auch ziemlich sicher, dass er auf der Doppelseite mit den Band-Fotos der dritte von links neben Geremia und Damiani ist – einige Musiker scheinen auf allen Fotos zu fehlen). Wieder so ein Fall mit schludrigen Angaben halt. Auch das Set mit der Band stammt vom 10. September – „during the second of two concerts given to celebrate the first ten years of the Italian Instabile Orchestra as part of the Talos Festival in Ruvo di Puglia (South Italy)“ steht im Booklet. Ob Taylor davor oder danach solo spielte, weiss ich nicht, ebensowenig wie, ob das IIO auch allein spielte – beim ersten Konzert, am Vortag oder am Nachmittag desselben Tages?

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