Antwort auf: Enja Records

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Abdullah Ibrahim – Cape Town Flower | Krankheiten haben den Vorteil, dass man seine Familie sieht … drum hab ich jetzt die drei Ibrahim-CDs auf Enja aus dem Regal meiner Eltern hier, die ich selbst nicht besitze (zwei Sackville-CDs sind auch noch dort, aber ich glaub die hab ich mal kopiert). Alle drei sind bei Tiptoe erschienen, auf den ersten beiden ist zudem auch noch das Ekapa-Logo zu finden. Hier war ich raus, weil nach dem irre guten „Yarona“ einfach nichts mehr auch nur annähernd so gut funktionieren wollte – auch nicht das Konzert im Moods in Zürich im April 2001, vermutlich mit Belden Bullock und Sipho Kunene (der Besetzung auf dem dritten Album unten). Es gibt hier sehr ausführliche Liner Notes von Hans-Jürgen Schaal, die zum Einstieg den Schmelztiegel Kapstadt heraufbeschwören: „The southern gate to Africa, the seaport has proved to be an assembly point for all kinds of musical influences including European chorals, African rhythms, South Indian improvisation, Gospel hymns, carnival tunes, and Islamic ritual music. ‚Music is everywhere in Cape Town,‘ says Dr. Abdullah Ibrahim, the artist formerly known as Dollar Brand.“ – Dass Ibrahims Musik auch etwas Filmisches haben kann finde ich tatsächlich auch. Und vielleicht ist das hier auch eine Art Fortschreibung von „Knysna Blue„? Elf kurze Stücke (nor „Joan – Cape Town Flower“ ist über neun Minuten lang), darunter nur wenige Klassiker („African Marketplace“), aber neben „Joan“ auch noch „Chisa“ vom Album „African River„. „The Call“ war grad auf „African Suite“ zu hören, „The Stride“ in einer Live-Version auf „Yarona“ und wie „Joan“ auch erneut auf dem dritten Album unten. Ibrahim kocht sein Repertoire ein, das war eine Phase der Konsolidierung, in der er nicht mehr gross an Sidemen interessiert zu sein schien (1999 im Duokonzert mit Max Roach in der Zürcher Tonhalle eigentlich auch nicht mehr – schade, aber die jeweiligen Solo-Sets fand ich ziemlich toll). Schaal: „What Ibrahim’s music does to audiences worldwide is like ‚de-programming people,‘ as he once put it. The effect is immediate and puzzling and has been called hypnotic, ecstatic or cathartic. There is a joy in his music that comes out of deep sorrow, similar to those marching tunes they played in New Orleans on their way from the cemetery back to town. While celebrating life, Ibrahim’s music never loses a distinct kind of gravity. It is like one great hymn. The spiritual expression of the creature. The sound of the heart.“ – Das könnte ich nicht so gut in Worte fassen, aber die Gravitas, die grosse Hymne (in der eben alles aus dem ersten Zitat drinsteckt, von den europäischen Kirchenchorälen bis zum Cape-Carnival) … und diese Wirkung der Musik, die einen eben berühren kann wie kaum etwas anderes, die hat Ibrahim sich bewahrt – auch wenn das alles manchmal etwas gar beschaulich wirken man, an den Tagen, an denen ich mich nicht darauf einlassen mag. Mit Marcus McLaurine (b) und George Gray (d) (15. August 1996 bei Rudy Van Gelder) hat Ibrahim hier eine sachdienliche (um sie nicht Sklaven zu nennen) Rhythmusgruppe hinter sich, die nicht ins Geschehen eingreift, selten Eigenleben entwickelt – aber dem Ganzen, wie Schaal es beschreibt, sehr gut zuarbeitet. McLaurine findet in „Maraba Blue“, dem zweitletzten Stück, einen tollen Groove. Der Closer ist dann einem alten Vorbild gewidmet: „Monk in Harlem“.

Abdullah Ibrahim Trio – Cape Town Revisited | Live im Spier Estate in Cape Town am 13. Dezember 1997 nimmt Ibrahim noch ein Album auf, das der Stadt gewidmet ist. McLaurine und Gray sind auch hier dabei, als Gast auf drei der fünfzehn Stücke ist Feya Faku an der Trompete zu hören. „Tuang Guru“ (auf zu hören auf „Water from an Ancient Well“, „Yarona“ oder jüngst wieder auf „The Balance“) ist etwa eine Hommage an einen Anführer der Malay, Einwanderer aus Bali, Java und Sulawesi, von der Dutch East India Company nach Südafrika verfrachtet, wo sie in der Kap-Provinz lebten, auf die sie sich auch nach der Abschaffung der Sklaverei konzentrierten. Mit ihnen kam nicht zuletzt der Islam nach Südafrika. Auch der Karneval – der auch auf die Malay zurück geht ist wieder vertreten, mit „Cae Town to Congo Square (einer dreiteiligen Suite) und Someday Soon Sweet Samba“. An Klassikern gibt es „Tintinyana“, „Tsakwe – Royal Blue“ und „Soweto“ (die drei mit Faku), aber auch „Song for Sathima“, „The Mountain“, „The Wedding“. Auch ein Stück aus der „African Suite“ fehlt nicht, der Opener „Damara Blue“, und „Eleventh Hour“ ist auch wieder dabei – es findet sich auf allen drei Alben in diesem Post. Live verschmelzen die Stücke ineinander, es gibt zwar oft hörbare Übergänge, aber ohne dass wirklich abgesetzt würde, das ganze dauert eine knappe Stunde. McLaurine ist hier ziemlich präsent, schon in den tollen Carnival-Stücken (#2-4 und 6 der CD) – und die Aufnahme klingt phantastisch, die Bass-Drum kickt förmlich aus den Lautsprechern und der Kontrabass federt in der tiefen Lage durch den Raum. Faku bleibt allerdings ein wenig ein Fremdkörper, der fast schon stört – schwierig, sich in so ein dichtes Gewebe einzufügen. Alles in allem ein feines Heimspiel mit einer echt schönen Atmosphäre. Besser als der Vorgänger oben – aber beide Alben sind eh besser, als ich sie von vor über Jahren erinnert hatte (dieses hier erschien mit etwas Verspätung 2000).

Abdullah Ibrahim – African Magic | Noch ein Live-Mitschnitt, dieses Mal aus dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin im Rahmen des letzten „Jazz Across the Borders“-Festivals, wo Ibrahim am 13. Juli 2001 mit neuen Begleitern spielte, Belden Bullock (b) und Sipho Kunene (d). Das Album wurde von RadioKultur (SFB/ORB) und SWR mit Enja co-produziert. Peter Pannke beschreibt im Booklet das Konzert – eine Erfahrung, die gar nicht weit von den Sätzen ist, die Schaal in dern Liner Notes zum ersten der drei Alben schreibt, „magic“ halt. Die Setlist ist noch länger, 24 Tracks hat die CD, auch hier alles am Stück, ein Fluss, in dem Ibrahim viele seiner bekannten Stücke anspielt: „Blues for a Hip King“, „District Six“, „Tuang Guru“, „Joan – Cape Town Flower“, „The Stride“, „Thaba Bhosigo“, „The Mountain“, „Duke 88“ (gefolgt von 16 Sekunden „Solitude“), „Eleventh Hour“, ein paar Klassiker („In a Sentimental Mood“ und „Moten Swing“) direkt vor seinem „For Coltrane“, danach am Schluss dann „Whoza Mtwana“ vor „Tzakwe/Royal Blue“ und einer vollen Version des „Blue Bolero“, der davor schon viermal für jeweils ein paar Sekunden angespielt wird, sich als eine Art Leitmotiv durch das Konzert zieht. Das Set dauert um die 55 Minuten und ich kann mir schon sehr gut vorstellen, dass es ein spezielles Erlebnis war, aber sowas lässt sich ja nicht immer auf Tonträger übertragen. Mir gefallen jedenfalls die zwei Kapstadt-Alben oben eher eine Spur besser, die verhaltene Stimmung beim ersten und die tolle Live-Atmosphäre beim zweiten. Aber auch das Konzert aus Berlin bietet einige tolle Momente, nicht zuletzt in den 20 letzten Minuten („For Coltrane“ bis zum langen „Blue Bolero“).

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