Enja Records

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    gypsy-tail-wind
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    vorgarten
    danke für deine eindrücke. ich finde es schwierig, darauf zu reagieren – ob und warum da etwas für einen persönlich besser oder schlechter funktioniert, ist ja schwer diskutierbar. am ende finde ich melford, ihre kompositionen und bandprojekte, wohl gar nicht so außergewöhnlich. von der anlage ist das oft auf reibung und spannung angelegt, worin die individualistischen musiker*innen dann ihren eigenen weg des umgangs finden, das finde ich spannend zu hören. melford selbst kann ja rasend schnell umschalten von attacke zu impressionistischem nachklang, dann gibt es die ganzen leute mit dem schönen sound, miles, ellman, auch dayna stephend passt da rein. dann die von dir erwähnte spannung zwischen tightem arrangement und lockerem ausspiel. wenn da die balance stimmt, und man nie weiß, wohin es im nächsten moment ausschwingt, höre ich das mit großer faszination.

    Das ist wieder eins dieser nach Monaten vorgefundenen „loose ends“, wo ich damals wohl dachte: ist doch klar, brauch ich nicht zu reagieren, wir sind hier ja im regen Austausch … und dann schläft der Faden ein (war ja auch das allerletzte Album damals bei mir) und im Nachhinein denke ich: wie unhöflich, dass ich nicht reagiert habe @vorgarten! Das Melford-Album kommt hoffentlich bald in den Player, denn Myra Melford ist neben Marty Ehrlich eins der Vertiefungsprojekte, die seit letztem Jahr geplant sind.

    Um doch noch zu reagieren: klar ist es schwierig, auf solche individuellen Eindrücke zu reagieren – und mein Post zu „Tomorrowland“ ist ja v.a. das: ein Hör-Erfahrungsbericht. Aber wenn Du Deine eigenen Eindrücke bzw. Deine Wahrnehmung dagegen stellst, finde ich das dennoch sehr befruchtend und interessant!

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #166: First Visit: Live-Dokumente aus dem Archiv von ezz-thetics/Hat Hut Records - 14.10., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    gypsy-tail-wind
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    Niels-Henning Ørsted Pedersen / Philip Catherine – Art of the Duo | Das Album von Philip Catherine und NHOP wurde am 10. Februar 1991 im Jazzclub Chorus in Lausanne vom zweiten Kanal des Westschweizer Radios mitgeschnitten (RSR Espace 2 damals, Yvan Ischer ist der Mann dahinter, immer noch aktiv, ich sah ihn vor nicht allzu langem, als er im Moods Jubiläumskonzert der „Swiss Radio Days“-Reihe von TCB mit Dado Moroni und Marc Copland ansagte). Nicht ganz eine Stunde im lockeren Rahmen mit ein paar Standards („My Foolish Heart“, „Stella by Starlight“, „All the Things You Are“, „I Should Care“) und ein paar Originals (zweimal Catherine, einmal NHOP, als Closer ein Medley mit je einem Stück). Catherine verzichtet auf Effekte und spielt eine schnörkellose Jazzgitarre, mit weichem, sehr feinem und obertonreichen Ton, er singt förmlich die Melodien (besonders schön in „My Foolish Heart“ oder „I Should Care“), Pedersen ist immer zur Stelle, mal zurückhaltend, mal drängend und aktiv – und er sorgt mit seiner Präsenz und Umsichtigkeit dafür, dass ein Schlagzeuger wirklich nicht fehlt. Catherine spielt aber längst nicht nur Melodien, er begleitet sich auch ganz klassisch selbst (etwa in seinem eigenen „Janet“, das in über elf Minuten durch verschiedene Teile und Stimmungen geht) und setzt soweit ich das als Gitarrenlaie beurteilen kann das Instrument recht umfassend ein – auch wenn die singenden Linien das sind, was sich mir am Ende einprägt. Das ist bisher kein Lieblingsalbum und wird es auch nie, wie ich mich kenne – aber eigentlich ist das Musik, die wirklich immer geht.

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    #12537549  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Die Art of the Duo-Reihe war wohl ein Kind von Horst Weber, das dann bei Peter Weissmüller Unterschlupf fand … ich habe gar nie versucht, alle zusammenzutragen, komme auf folgende (wenn ein Titel dahintersteht ist das der Zusatz zu „Art of the Duo“):

    teil 1 / enja

    **enja 2044 – Walter Norris / George Mraz – Drifting
    *enja 2048 – Dollar Brand / Johnny Dyani – Good News from Africa
    *enja 3031 – Tommy Flanagan / George Mraz – Ballads & Blues
    **enja 3035 – Walter Norris / Adagar Pege – Synchronicity
    *enja 3067 – Walter Norris / Adagar Pege – Winter Rose
    *enja 5003/4 – Yosuke Yamashita / Hozan Yamamoto – Bolero
    **enja 5011 – Clark Terry / Red Mitchell – To Duke and Basie
    enja 5059 – Albert Mangelsdorff / Lee Konitz
    **enja 5075 – Maria João / Aki Takase – Looking for Love: Live at the Leverkusen Jazz Festival
    *enja 6042 – Clark Terry / Red Mitchell – Jive at Five
    *enja 7007 – Archie Shepp / Richard Davis – Body and Soul
    **enja 7023 – Philip Catherine / Niels-Henning Ørsted Pedersen – Spanish Nights
    enja 7033 – John Tchicai / Vitold Rek – Satisfaction
    enja 7039 – Aki Takase / David Murray – Blue Monk
    enja 8016 – Niels-Henning Orsted Pederson / Philip Catherine
    enja 8008 – Art of the Duo Vol. 1
    **enja 9109 – Aki Takase / Rudi Mahall – Duet for Eric Dolphy
    **enja 9141 – Archie Shepp / Mal Waldron – Left Alone Revisited

    *) von Enja nachträglich der Reihe zugerechnet (Liste auf der Hülle der Catherine/NHOP-CD)
    **) von mir ergänzt (vermutlich Winckelmann-Titel, die Weber nicht berücksichtigte?)

    Auf der Compilation (8008) sind auch Duo-Tracks von anderen Alben, die nicht alle gänzlich im Duo eingespielt wurden sowie von anderen Duo-Alben, die nicht mit dem „Art of the Duo“-Titel versehen wurden (die stehen oben auch drin) – Details inkl. Links zu den ursprünglichen Alben:
    https://www.discogs.com/release/8328093-Various-Art-Of-The-Duo-Vol-1

    teil 2 / tutu

    tutu 888 106 – Mal Waldron / Jim Pepper
    tutu 888 116 – Gunther Klatt & Aki Takase Play Ballads of Duke Ellington
    tutu 888 132 – Jack De Salvo / Arthur Lipner – Liquide Stones
    tutu 888 144 – Uli Lenz / Nomakosazana – Trouble In Paradise
    tutu 888 168 – Enver Izmailov / Geoff Warren – Dancing Over The Moon
    tutu 888 178 – Badal Roy / Amit Chatterjee – Endless Radiance
    tutu 888 184 – Gunther Klatt / Tizian – Live in Mexico City
    tutu 888 186 – Mal Waldron / Nicolas Simion – The Big Rochade
    tutu 888 198 – Nomakosazana / Uli Lenz – Tenderness
    tutu 888 206 – Ed Schuller / Mack Goldsbury – Savignyplatz
    tutu 888 226 – François Jeanneau / Uli Lenz – Walking in the Wind
    tutu 888 238 – Uli Lenz / Ed Schuller – Is There a Life After Bradley’s?
    tutu 888 242 – François Jeanneau / Uli Lenz – Les Danses De Vulcain
    tutu 888 246 – Geoff Goodman / Fjoralba Turku – At The Middle

    Ich ergänze hier gerne!

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #166: First Visit: Live-Dokumente aus dem Archiv von ezz-thetics/Hat Hut Records - 14.10., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    gypsy-tail-wind
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    The Enja Band – Live At Sweet Basil | Auch bei Enja gab es in den Neunzigern mal das Bedürfnis, eine Label-All-Star-Band zusammenzustellen – analog zu ähnlichen Formationen bei Blue Note („New Directions“ oder schon Ende der Achtziger die Gruppe Superblue) oder Warner (mit den „Warner Jams“). Enja nahm am 18. und 19. Dezember 1992 live im Sweet Basil (David Baker) seine Gruppe auf, zu der neben dem gerade gepushten Willie Williams (ts/ss) auch Gust William Tsilis (vib/mar), Uri Caine (p), Michael Formanek (b) und Cecil Brooks III (d) gehörten. Tsilis war auch hinter den Kulissen wichtig, hatte die Finger beim Enja-Album von Art Taylor im Spiel, aber auch bei Abraham Burton, dem Kollegen von Williams aus der Taylor-Band (klick). Die Mehrheit der Leute in der Band hatte gerade neue Alben am Star: „Sequestered Days“ (Tsilis), „Extended Animation“ (Formanek) und natürlich „Spirit Willie“ (Williams). Uri Caine wirkte im Januar 1993 beim dritten (mir weiterhin unbekannten) Enja-Album von Tsilis mit und taucht später wieder bei Marty Ehrlich und mehrmals bei Franco Ambrosetti auf, Cecil Brooks III war schon ein paar Jahre davor bei Michele Rosewoman zu hören („Contrast High„), aber sonst soweit ich sehen kann nicht weiter bei Enja zu hören. Doch eine reine Werbeaktion war das nun wirklich nicht, wie die Musik auf der CD zeigt. Tsilis brachte drei Stücke mit, Williams zwei, Caine, Formanek und Brooks je eines – klar ist das ein langes Album … aber es ist auch ein Konzert-Dokument und dazu passt, dass als Liner Notes einfach ein Auszug aus dem Bericht zu lesen ist, den Bill Milkowski damals für Down Beat geschrieben hat.

    Der Einstieg ins Programm ist klassich, typischer 90er Junglöwen-Mainstreamjazz mit „The Unnameable“ von Tsilis, der sich ber erst spät ein Solo gönnt. Davor ist Williams an der Reihe und es gibt da und dort kleine „arranger’s touches“. Trotz der dunklen Tönung von Formanek/Brooks klingt das alles recht transparent, Caine setzt hinter den anderen aus oder hält sich zurück, bis er selbst an der Reihe ist. Ein druckvoller Opener, in dem die Band schon mal zeigen kann, wie gut sie aufeinander abgestimmt ist und wie locker Rhythmuswechsel und sowas ablaufen. So ähnlich ist auch Tsilis‘ folgendes Stück, „Purse“, das aber ein wenig nach Monk klingt – und Formanek das erste Solo gibt – und nach dem Tenorsax von Williams ist hier auch Caine toll, bevor Tsilis am Marimba übernimmt, während Brooks die ganze Nummer hindurch mit Besen leise und fein aber doch heftig swingend spielt. „Lorietta“ ist dann ein Latin-Nummer von Williams mit süffigen Changes und dem Komponisten am Sopransax mit strahlendem Ton und singenden Linien.

    Der Drummer kriegt in Formaneks „Snalking“ einen langen Spot – einem ziemlich freien Stück, das mit einem freien Tenorsax/Marimba-Duo beginnt. Nach dem tollen Solo von Brooks wird im zweiten Teil eine kantige Nummer daraus, die geordneten Bahnen verläuft. Das folgende Stück von Brooks, „Yvette“, ist dann ein grosses Balladenfeature für Williams am Tenorsax – und es profitiert vom Klangbild der Rhythmusgruppe mit Vibraphon. Caine und Tsilis kommen hier überhaupt sehr gut aneinander vorbei, auch wenn sie beide zugleich spielen. Williams „Clockwork“ hat dann im Thema stellenweise einen gnadenlosen Beat (der in swingenden 4/4 fällt, über denn dann auch soliert wird) und eine oninös klingenden Linie, die auch bei Sonny Clark gut gepasst hätte. Der Komponist spielt dann am Tenorsax das erste Solo, schrammt dabei an ein paar Zitaten vorbei, die Rhythmusgruppe wird dahinter immer dichter und heisser. Tsilis (Vibraphon) und Caine folgen, die Rhythmusgruppe passt ihr Spiel den Solisten an, vor allem Brooks setzt immer wieder Akzente – und Formanek spielt dann ein gutes Solo, in dem er auch Motive und Ideen aus seiner Begleitung davor wieder aufgreigt, Riffs, und Kippfiguren, die er mit melodiösen, manchmal rasend schnellen Passagen verbindet.

    Mit Tsilis‘ „The Duke and Mr. Strayhorn“ geht es einmal mehr ruhig weiter. Das Vibraphon fällt in die Melodie des Tenorsaxophons mit ein und umschmückt diese, der Bass gesellt sich stellenweise dazu, während Caine und Brooks den statischen Part übernehmen – zu dem wiederum Formanek auch immer wieder zurück findet. Das ist gut arrangiert bzw. gespielt und ein echt schönes Stück. Drei Minuten lang wird das Thema repetiert, eine meditative Stimmung entsteht, die dann durchbrochen wird, wenn Williams und später Tsilis und Caine sich vom Thema zu entfernen beginnen, der fliessende Balladen-Groove der Begleitung aufbricht, doch Formanek holt die anderen bald wieder zurück und die letzten beiden Minuten bewegen sich wieder nah am Thema. „Form An X“ heisst Caines Beitrag, mit dem das Album schliesst, eine kleine Figur, dann eine Art Orgelpunkt mit Bass-Solo, bevor Caine eine Art Spiritual Jazz-Überleitung (mit Glocken von Brooks) in freiere Gefilde macht. Kürzere Soli wechseln sich später in schnellem Tempo ab: Caine, Williams, Tsilis (Marimba) – aber Formanek ist hier der eigentliche Star, prägt auch hinter den anderen das Geschehen, selbst wenn er einfach nur walkt.

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    #12537641  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Willie Williams – WW3 | Willie Williams ist auf seinem letzten Enja-Album, aufgenommen von Mike Marciano im Systems Two Studio in Brooklyn am 28. September 1993 im Trio mit Scott Colley (b) und Harold Summey Jr. (d) zu hören. Ein paar Leute halfen mit, damit dieses Trio zustande kam: Sänger Vincent Lewis hatte die Idee, Freund (und Liner Notes-Autor beim ersten Album) Russ Musto „crystallized on the concept“. Williams schreibt im Booklet (bzw. wird von T.S. Monk in den Liner Notes zitiert, ganz klar ist das nicht), dass sich das Album aus der Arbeit mit Monk ergeben habe und das Trio „a natural unit“ sei. Colley und er gehörten zur Combo von Monk und bei der International Drum Competition vom Thelonious Monk Institute sah er Summey spielen, der den Wettbewerb gewann: „We had an incredible time on stage and we hooked up immediately.“ – Dankensworte richtet Williams u.a. an die Musiker an Odean Pope, Tyler Mitchell (den Bassisten der Band von Art Taylor), Clifford Jordan („for inspiration“) und Gust Tsilis. Monk schreibt dann, wie er Williams in der Band von Jordan entdeckt hätte, später mit Taylor’s Wailers wieder gehört habe. „I thought he was a monster and realized he is one of the most important players around today.“

    Das Trio muss dankenswerterweise nur 56, nicht 74 Minuten, durchhalten … es sind neben der an zweitletzten Stelle platzierten dreiteiligen, fast 13minütigen Titelsuite („Armageddon“, „The Choice Is Yours“, „Babylon Falls“ – „WW3“ stehe allerdings nicht für den dritten Weltkrieg sondern für sein drittes Album, schreibt Williams) acht Stücke zu hören. Der Opener „Out for a Walk“ stammt von Pope, das folgende „Frozen Sun“ von Colley, in „The Third Time Is a Charm“, seinem ersten Original, einem Walzer, spielt Williams dann Sopransax – und scheint den Titel direkt in die Tat umzusetzen. Von Tyler Mitchell stammt dann „Takin‘ It with Me“, mit dem Leader nochmal am Sopransax aber für einmal im schnellen Tempo. Dann folgen zwei Klassiker, die Ballade „La Mesha“ von Kenny Dorham, in der Williams und Colley über Besen-Wirbeln in den Dialog treten, bevor Williams eine kurze Improvisation spielt – nicht einmal vier Minuten dauert das Stück und bietet doch eine ganze Welt. Der zweite Klassiker ist Jackie McLeans „Dr. Jackle“, in rasendem Tempo, wobei Williams stets souverän und fast schon gelassen wirkt – ein wenig erinnert er hier durchaus an Sonny Rollins. Auch das Solo von Summey ist souverän – ein wenig wirkt so ein Stück aber schon auch, als wolle die jüngere Generation hier ihre Fähigkeiten beweisen. Entspannt danach Summeys Beitrag „You Can If You Try“ mit Williams am Sopransax und einer Art Calypso-Beat – und einem guten Solo von Colley. Dann folgen Armageddon und der Fall Babylons – Multiphonics vom Leader ganz allein, dann ein Rubato-Begleitung von Summey und Colley dazu, das Tenorsax kreist um ein paar Motive und Melodien, wird dann wieder freier und endet den ersten Teil (nehme ich an) wieder mit Multiphonics, bevor im zweiten Teil das Sopransax zum Einsatz kommt, zunächst auch im Rubato, dann in einem schnellen Beat, der zwischen Dreier und Vierer zu changieren scheint. Ein Bass-Solo folgt vor dem dritten Teil, für den Williams wieder ans Tenorsax wechselt – ein kleines Riff-Tune, aber auch weitere freie Passagen und fliessende Übergänge in andere Teile – oft gibt es mit eher Puls als feste Time … und ich bedauere ein wenig, dass das Trio nicht mehr solche freien oder zumindest abenteuerlicheren Stücke gespielt hat. Der Closer „One Thousand Years of Peace“ stammt auch von Williams – und ist wieder konventioneller, ein swingendes Stück im 4/4 mit bluesigen Anklängen, das von den Changes her an einen Bebop-Klassiker angelehnt klingt, auf den ich gerade nicht komme.

    Das ist wirklich ein tolles Trio – und Williams‘ Enja-Alben brauchen sich vor denen vom Taylor’s Wailers Kollegen Abraham Burton nicht verstecken (das McLean-Cover hier verrät auch einen gemeinsamen Bezugspunkt), auch wenn Burtons Spiel nochmal anders brennt und eine Qualität hat, die mir bei Williams fehlt.

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    gypsy-tail-wind
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    Hamiett Bluiett – Walkni‘ & Talkin‘ | Eigentlich auch „um Enja herum“, denn 1996, als diese CD erschien, hatte Tutu sich vom grossen Schwesterlabel längst gelöst. Das Konzert vom 22. April 1991 wurde vom Schweizer Radio im Theater Basel (im Foyer, nehme ich an – im Booklet steht „Foyes“, rätselhaft oder einfach ein Tippfehler) mitgeschnitten – vermutlich im Rahmen des Jazzfestivals Basel. Bluiett spielt eine knappe Stunde solo – Baritonsaxophon natürlich, aber auch mal kurz Flöte („Talkin‘ to Myself“) oder Altklarinette („Back Yard Sonata“). Das ist ein Hochseilakt, vor allem weil er nicht zufrieden ist damit, seinen unglaublichen Sound auszukosten und zu grooven, sondern weil er ganz einfach alles spielt, was möglich und denkbar ist – eine Art allumfassende Musik, von den tiefsten Tönen des Instruments bis hoch ins Falsett, von einfachsten Motiven bis zu Tönen, die förmlich in Sturzbächen auf uns einbrechen, von festen Strukturen bis hin zur völligen Auflösung, von wuchtig und resonant bis zu Tönen, die sich im Raum fast verlieren. Der Raum spielt hier die grosse Nebenrolle, denn wie Aparjita Koch in ihren Liner Notes schreibt, war es aufgrund dessen Beschaffenheit (so sieht das Foyer aus, kein guter Ort für Musik) nicht möglich, eine direkte Aufnahme von Bluiett zu machen – sie konnten nur die „hall amplification“ verwenden (da werden auch Einführungen und sowas veranstaltet, es gibt also Lautsprecher und irgendwo ein Mischpult). Und man hört manchmal, wie Bluiett sich im Raum bewegt, man hört, wie der Raum zurückstrahlt und hallt. Und das gibt dieser Solo-Aufnahme einen besonderen Touch – man kann sich gut vorstellen, mittendrin zu sitzen. Das Album ist ein ehrliches Selbstgespräch („Talkin‘ to Myself“), ein Ausloten eines Raumes, der weit über das Foyer hinausgeht, ein Echoraum („Full Deep & Mellow“), ein Hallraum, in dem der Künstler auch sein Selbst offenlegt („A View From My Mind’s Eye“) – vielleicht ist das wirklich eine Art Ritual, ein Ausloten nicht nur von Klängen sondern von Traditionen, von der Marching Band und New Orleans („Traditional New Orleans Tune“) über den Tanz und den alten Blues („Foot Stompin‘ Blues“) bis zu Mingus, Dolphy und der Avantgarde. Eine Beschwörung der Ahnen der Great Black Music – „Ballad for My People.

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    Bobby Watson – Advance | Die Art von Album, wie Willie Williams sie machte, gab es auch schon fast zehn Jahre davor – und ich habe mich hier von der Katalognummer meiner CD irreführen lassen, denn 9075 ist bloss eine neue Nummer für das CD-Reissue von 1997 (kam bei Enja manchmal vor, in der Regel blieben die Katalognummern aber). Das Album von Bobby Watson kam schon 1985 mit der Nummer 4082 heraus und präsentiert den Dreissigjähren (kurz vorm 31. Geburtstag) im Konzert beim 2. Internationalen Jazz Workshop in Tübingen mit Jim McNeely, Todd Coolman und Adam Nussbaum (und Birger Solbruck an Congas auf einem Stück). Watson hatte da schon mehrere Jahre mit den Jazz Messengers hinter sich (1981 war er weitergezogen, 1977, im Jahr nach seiner Ankunft aus Kansas City, war er zum Mitglied und musikalischen Leiter der Band geworden). Zwischen Charlie Parker, Cannonball Adderley und Jackie McLean (der letzte Altsaxophonist, der Mitglied der Messengers war) fand er seinen Stil und gehört zu den Vorboten des konservativen Jazz-Revivals, das von seinem Blakey-Kollegen der letzten Jahre (1980/81) Wynton Marsalis angeführt werden sollte. Vielleicht heisst das Album ja eigentlich „Advance Bop“? Würde jedenfalls passen, denn das ist es, was hier passiert: eine Fortschreibung der Bebop-Linie (und so gesehen ist der Vergleich mit Williams doch nicht ganz passend, denn der setzt etwas später an bzw. bezieht spätere Einflüsse mit ein), was auch für Watson selbst gilt, der das Vokabular von Parker und seinen Nachfolgern pflegt und anreichert – teilweise wie mich dünkt eher mit stilistischen Mitteln von Parkers Vorgängern: verzogene Töne („bent“ sagt man), Glissandi und sowas … da denke ich eher an Hodges, Carter usw. denn an McLean. So gut das gemacht ist, finde ich es gerade – nach Bluiett, aber auch nach Williams – ein klein wenig vorhersehbar. Das Publikum bejubelt allerdings jedes Solo – und die sind auch alle gut gestaltet, auch die von Jim McNeely, und natürlich agiert auch die Rhythmusgruppe souverän.

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    Oliver Jones – Just 88 | Oliver Jones war schon Ende Fünfzig, als er sein zweites Solo-Album einspielte – zehn Jahre nach dem ersten und elf nach seinem späten Debüt. Bei einer Session in den Ultrasonic Studios in New Orleans im Oktober 1992 entstand der grössere Teil von „Just 88“, für das er besser vorbereitet und mit mehr Selbstvertrauen zur Sache gegangen sei, als beim Vorgänger. „For this recording, I have picked some of my favourite standards that I have wanted to record for some time, as well as a few tunes of my own.“ – Die drei eigenen Stücke nahm er allerdings in den Tempo Studios in Montréal im Februar 1993 auf. Das Album erschien im selben Jahr in Kanada bei Justin Time und vermutlich ein Jahr später (sagt die CD, Discogs sagt 1993) bei Enja in Deutschland. Ich kriege Jones, den ich in diesem Faden schon mal vorgestellt habe, nicht wirklich zu fassen (das Album lief die Tage schon und auch vor einiger Zeit bereits ein paar Male) – ich kann gerade bei diesem Solo-Album nur schwer mögliche Referenzen nennen … es sind andere quasi zeitlose Leute wie Tommy Flanagan oder Hank Jones, wobei in der Reichheit der Klangfarben die beiden (natürlich nicht verwandten) Joneses näher beieinander höre als Flanagan. „My Old Flame“ in der Mitte des Albums gefällt mir ausgezeichnet, andere Highlights. In seinem eigenen „Dizzy-Nest“ kommen die karibischen Wurzeln ein wenig zum Vorschein – und direkt danach geht es weiter nach Brasilien mit dem Bossa-Klassiker „How Innsensitive“ – das ist ein sehr schönes Segment mittendrin im Album, das dann in das ruhige „After All These Years“ von Jones mündet, das letzte seiner Originals (das erste ist „Blues for Laurentian ‚U'“ am Ende des ersten Drittels).

    Zwischen den ganzen Klassikern – noch nicht erwähnt habe ich: „It Could Happen to You“, „Willow Weep for Me“, „But Not for Me“, „You Stepped Out of a Dream, „I’m Getting Sentimental Over You“ und „How Hight the Moon“, eine wirklich schöne Auswahl! – gibt es eine Rarität, die mir gar nichts sagt: „Passing Thought“, das zweitletzte Stück mit dem Credit „Bell/Kenyatta“. In der ACE Repertory (BMI/ASCAP) Datenbank finde ich ein solches Stück, komponiert von Aaron Bell, getextet von Carla A. Huston. Bell, der einstige Ellington-Bassist (Fans von modernem Jazz von „Ellington with Coltrane“ bekannt), hat wohl tatsächlich für ein paar Theaterstücke Musik geschrieben, sagt Wikipedia, und ich finde zudem eine Konzertkritik von Thomas Cunniffe von letztem Herbst, in dem er das Stück „Passing Thoughts“, einen „medium blues by Aaron Bell“ (mit Link auf die Wiki-Seite) bei einem Auftritt von Ken Peplowski erwähnt. Ein Medium Blues ist das mit fast acht Minuten (nicht 7:22 wei im Booklet steht) wirklich – und zusammen mit dem folgenden „How High the Moon“ ein exzellenter Abschluss dieses schönen Albums.


    P.S.: noch ein Album von Oliver Jones, das Enja aber nicht übernommen hat: From Lush to Lively

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    Glenn Ferris Trio – Face Lift | Das dritte Enja-Album des Glenn Ferris Trio hatte ich hier schon vorgestellt, in der Zwischenzeit kam noch Nr. 2 dazu, aufgenommen am 29. Juni 1995 im Studio Daniel Deshays, Chatillon, Paris und von Horst Weber herausgebracht. Kammerjazz mit der Posaune des Leaders, dem Cello von Vincent Segal und dem Kontrabass von Bruno Rousselet. Schon im Opener „Memories“ vom Leader machen die drei klar, dass sie Swing und Groove beherrschen, riffen eng verzahnt durch unterschiedliche Teile, die Posaune wird phasenweise ziemlich vokal, klingt oft so perfekt intoniert wie eine Ventilposaune – ist es zumindest vom Foto aus dem Cover geschlossen ja eindeutig nicht, sondern einfach ein technisch enorm versierter Musiker. Ferris hat selbst die Liner Notes geschrieben, auch um die Fragen nach dem „Why and How“ des speziell besetzten Trios zu beantworten, die ihm immer wieder gestellt würden. Er möge halt die zwei Instrumente Cello und Kontrabass schon lange, ihre holzigen Timbres und so – „I think wood when I sing trombone“. Über Segal sagt er: „I really appreciate his sense of rhythm and nuance and his ability to transpose the technique and language coming from the classical european tradition to the music of african cultures, south american cultures and jazz.“ – Im Gegensatz zu den Worten über Rousselet („solid sense of tempo, of swing, his deep jazz feeling, the generous sound of his double bass“) liegen in den Sätzen über Segal wirklich Schlüssel zum besseren Verständnis dieses Trios, das eben nicht nur Jazz mit etwas klassischem Einschlag (wie man ihn von Modern Jazz Quartet oder einigen Experimenten aus West Coast Jazz oder Third Stream kennt) sondern verbinden Grooves und Stimmungen, Texturen und Rhythmen aus anderen Musiken mit denen des Jazz. Afrikanische Anleihen kann ich tatsächlich oft heraushören … es gibt aber auch rein jazzige Stücke wie den tollen „Blues Nouk“, in dem das Cello gekonnt eine dritte Stimme zwischen den Lead der Posaune und die Linien des Basses einpflegt. Ferris listet auch noch die „Sieben Aphorismen des Glenn Ferris Trio“ auf und die Essenz davon ist, dass die drei Instrumente zu einem Sound verschmelzen sollen; dass die Musik voll von „dynamics, nuance and space“ ist; dass Melodie, Harmonie und Rhythmus von den dreien geteilt wird; dass das Repertoire die eigenen Erfahrungen und Einflüsse transzendieren soll, wobei „feeling as our foundation“ fungiere und ein Gleichgewicht zwischen Soli und Geschriebenem hergestellt werde … und: „That the essence of this synthesis, take its breath from the jazz syntax.“ – Das beschriebt das Trio tatsächlich sehr gut, finde ich. Weil der Fokus nicht allein auf den Improvisationen liegt und die drei so eng vernetzt agieren, sind viele Stücke kurz gehalten, von den zehn hier stammen acht von Ferris selbst (für „When the Night Turns Into Day“ hat Jeffery Smith – eine meiner Entdeckungen aus unserer Vocal-Jazz-Strecke – einen Text geschrieben und das Stück auf seinem Verve-Album mit dem Trio von Shirley Horn aufgenommen, bloss einige Tage vor der Ferris-Version, nämlich vom 9.-11. Juni 1995 im Studio Acousti in Paris). Die zwei Fremdkompositionen sind „Spring Can Really Hang You Up the Most“ (mit einer tollen neuen Gegenmelodie vom Cello) und „Creole Blues“ von Duke Ellington (ein Auszug aus der „Creole Rhapsody“).

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #166: First Visit: Live-Dokumente aus dem Archiv von ezz-thetics/Hat Hut Records - 14.10., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12538085  | PERMALINK

    vorgarten

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    danke für die posts! ich kenne tatsächlich nichts davon, auch viele protagonst*innen kaum dem namen nach.

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    #12538093  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Benny Waters – Birdland Birthday: Live at 95 | Benny Waters lebte von 1902 bis 1998 und war bis ins hohe Alter aktiv – wie der Titel verrät, dokumentierte Enja ihn an seinem 95. Geburtstag (und den zwei folgenden Abenden) live im Birdland in New York. Das war ein eher ungewöhnlicher Move für das Label, erst recht für die Winkelmann-Schiene, obendrein mit Phil Schaap als Autor der Liner Notes … eins der vielen One-Offs beim Label. Und eins der wenigen Orgeljazz-Alben mit Mike LeDonne (auch am Klavier), dazu Howard Alden bzw. auf einem Stück („Misty“) Steve Blailock an der Gitarre und eine Rhythmusgruppe, die den Veteranen bestens bettet: Earl May am Bass und Ed Locke am Schlagzeug. Waters spielt Altsaxophon und singt auf „Everybody Loves My Baby“. Los geht es mit einem lebendigen Groove und „Exactly Like Me“ mit kurzen Phrasen des Leaders, die sich erst mit der Zeit zu einem kohärenten Solo zusammensetzen, in der Jump-Tradition irgendwo zwischen Rhythm & Blues und Swing. Später gibt es Soli von LeDonne, May (gut!) und Alden, bevor Waters nochmal spielt und Locke auch ein paar Takte kriegt. Waters‘ „Blues Amore“ schlägt dann ein langsameres Tempo an und Alden spielt ein sehr schönes Solo. Beim Spiel des Leaders denke ich eher an Tab Smith oder (wie gestern bei Watson da und dort) an Earl Bostic denn an Benny Carter, Johnny Hodges oder gar Charlie Parker, der Funk kommt aus New Orleans, nicht von Cannonball Adderley – aber die Wurzeln sind ja auch bei Parker oder Adderley immer klar … und der moderne Jazz ist wohl auch an Waters nicht ganz spurlos vorbeigegangen, an den anderen Mitwirkenden erst recht nicht, und so ist das ein durchaus attraktiver Mix und eins dieser Alben, wo allerlei stilistische Einflüsse in einen weiten, offenen „Mainstream“ fliessen – setzt so gesehen auch ganz gut bei Oliver Jones an, wo es dasselbe Ergebnis mit deutlich modernerem Einschlag gibt.

    Es folgt die Gesangsnummer, LeDonne am Klavier, die Band rifft, Waters macht den Louis Jordan – aber mit angemessen brüchig gewordener Stimme. Bald lässt er den Text weg und scattet sich der Melodie entlang, bevor er zum Sax greift. Soli von Alden und Eights mit Locke folgen … und dann geht es mit „Besame Mucho“ weiter, die Rhythmusgruppe im Flow und Waters nicht mehr jumpend sondern mit cremigem Ton und fliessender Phrasierung. Sein Ton ist überhaupt toll, er gestaltet ihn mit kleinen Aufrauhungen, einem Flattern da, etwas Vibrato dort. LeDonne folgt am Klavier, während Alden/May/Locke den Latin-Groove durchziehen (30 oder 40 Jahre früher wären sie für die Soli in einen swingenden 4/4 gewechselt). Waters gestaltet dann sein Solo in enger Abstimmung mit der Rhythmusgruppe – ich vermute, manches ist hier vorgeformt, toll ist es trotzdem. Auch toll ist, wie die Band sich den jeweiligen Solisten ständig etwas anpasst, hinter Alden Druck rausnimmt, leiser wird, damit dessen schöner Ton zur Geltung kommt. Und dann ist nochmal Waters an der Reihe, der eine Lücke für May lässt – Waters sucht nicht nach dem grossen Solo sondern setzt sich einfach auf die tolle Band drauf und prägt das alles mit seinem Charisma, seinem Ton, seinem Flow.

    In der Mitte des Programms steht sein Original „I Cried Because I Love You“, von Schaap im Booklet herausgestrichen als eins von Waters‘ damals neuen Stücken – LeDonne ist zurück an der Orgel, und klar: das ist eine Ballade mit einer catchy Melodie und dem Leader wieder mit singendem Ton. Das ist wirklich ein Highlight – und das Stück gehört bis auf ein kurzes Orgelsolo ganz dem Leader. Mit „Callin‘ the Cats“ sind wir wieder im Jump-Blues-Gebiet, bevor mit „I’m in the Mood for Love“, mit 11 Minuten mit Abstand die längste Nummer hier, nochmal eine grossartige Ballade mit Platz für alle geboten wird. Die Themenpräsentation von Waters ist hier wieder eine Masterclass in nuanciertem Spiel. LeDonne (immer an der Orgel ausser in den beiden erwähnten Stücken) spielt ein schönes Solo, bevor Waters an der Reihe ist und noch ein Glanzlicht setzt und später, zwischen den Gitarren- und Bass-Spots, weitere Soli spielt, bevor er das Stück mit einer bestechenden Solo-Kadenz abschliesst – durch solche Abläufe werden in manchen Stücken die strikten Thema-Soli-Thema-Abläufe aufgebrochen, was mir sehr gut gefällt. Zwei kurze Stücke machen den Abschluss: ein letztes Original des Leaders (wie alle ausser den Klassikern) mit dem sprechenden Titel „Jungle Blues“ – LeDonne nochmal am Klavier, der Afro-Groove mitreissend, das letzte Solo von Alden überzeugend – sowie „Misty“ von Erroll Garner mit Schlussansage von Waters, dem anderen Gitarristen Steve Blailock und LeDonne wieder an der Orgel.

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    #12538103  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Nicolas Simion Quartet – Oriental Gates • Live In Vienna, Porgy & Bess | Noch ein Neuzugang, wieder Tutu aus der Nach-Enja-Zeit und ein Ersthörgang heute Morgen. Der Leader hat Tenor-, Sopransaxophon und Bassklarinette dabei, Ed Schuller und Victor Jones brauchen nicht vorgestellt werden, am Klavier sitzt am 4. April 1996 im Porgy & Bess in Wien Mircea Tiberian, ein Landsmann, der kurzfristig angeheuert wurde, als sich für Simion nach einer Tour mit Mal Waldron, Schuller und Jones die Möglichkeit ergab, mit der Rhythmusgruppe weitere Gigs zu spielen. Dieses Mal natürlich mit Simions eigenen Konzert und seiner Musik – abgesehen von Ornette Colemans „Blues Connotation“ sind sechs Originals zu hören, vier davon über 10 Minuten lang, die CD dauert fast fünf Viertelstunden.

    Simion war in den Achtzigern aus Transsylvanien nach Wien gekommen – ein Flüchtling im späten Kalten Krieg, der in Wien, bei Jam-Sessions im Porgy & Bess zum ersten Mal Schulter an Schulter mit den Grossen spielte: Art Farmer, Leo Wright, Jim Pepper. Wien ist auch der „melting pot“, wo die Grooves aus dem Balkan auf die westliche Musik treffen. Mit dem kurzen, catchy „Bartók Goes New Orleans“ geht das Album los, Lewis spielt einen sehr tollen, fein ausgestalteten Beat dazu und der Groove ist mitreissend. Ruhiger geht es dann mit „An Evening in Thessaloniki – At the Oriental Gate“ los, einem neuen Stück, das wohl damals noch zwei Titel hatte. Hymnisches Sax über wenigen Akkorden und Orgelpunkten vom Bass – da steckt natürlich auch der klassische Coltrane drin. Und noch viel mehr.

    Die Musik dieses Quartetts bewegt sich jenseits aller Klischees – und ist wirklich eine gute, nötige Ergänzung zu den Aufnahmen mit Mal Waldron. Vielleicht ist das World Music (oder man hätte es, wie Wiessmüller im Booklet schreibt, ein Jahrzehnt früher so genannt), aber das Fundament von allem ist der Jazz, auch wenn Simions Stücke – mal direkt, mal eher vom Geist – auf Folklore aus seiner Heimat basieren. Die Stücke werden von unregelmässigen Metren und Rhythmuswechseln geprägt, durch die Tiberian dem schlafwandlerisch sicher folgt, während Schuller/Lewis nie einen Beat verpassen. Das Saxophon wird zur Stimme des Barden, manchmal auch zum Generalbass dieser stets spontanen und doch an Formen gebundener Musik. Simion schwebt über und durch die anderen hindurch, sticht aber auch tief in den Groove hinab – etwa in „Dear Arnold“, Schönberg gewidmet: „I just took a twelve note row of his and made a song, grooving between them…“ (Simion in den Liner Notes von Peter Wiessmüller). In der Ballade „Bird Talk“ spielt er Sopransaxophon und das wird stellenweise fast etwas pastoral. Im „Slovakian Folk Song“, dem letzten Stück vor dem Closer von Ornette Coleman, ist der Leader dann auch noch an der Bassklarinette zu hören.

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    gypsy-tail-wind
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    James Emery Septet – Spectral Domains | Auf das zweite Enja-Album von James Emery kam ich zufällig, als ich nach den Enja-Alben von Marty Ehrlich suchte und da noch etwas weiterschaute. Ehrlich ist an Flöte, Alt- und Sopransax dabei (und schon auf Emerys erstem Enja-Album zu hören, das ich aber noch nicht kenne). Auch zum Septett gehören Chris Speed an Klarinette und Tenorsax, Mark Feldman an der Violine, Michael Formanek am Bass, Gerry Hemingway am Schlagzeug, Kevin Norton an Vibraphon, Marimba, Timpani, Gongs und kleiner Percussion, und natürlich der Leader an der akustischen Gitarre. Ted Panken hat sehr ausführliche Liner Notes geschrieben, in denen er Emery dem „Post-Jazz“ zuordnet: „That’s my term for music that could not exist were its practitioners not thoroughly immersed in jazz vocabulary. They incorporate the jazz experience as bedrock for reflection and elaboration upon a wide spectrum of source material, weaving together diverse strains in a manner that transcends idiomatic genre.“

    Emery nutzt die Palette an Klängen, die seine Sidemen mit ihren vielen Instrumenten zu bieten hat. Komponiert hat er die Musik 1995/96 mit einem Guggenheim Fellowship Grant im Rücken, aufgenommen wurde sie am 17. und 18. September 1997 sowie am 26. Februar 1998 im Systems Two in Brooklyn von Joe Marciano. Manche Stücke hier knüpfen gar nicht so schlecht an das Quartett von Simion an, etwa Emerys eigenwilliges Arrangement von „Far Wells, Mill Valley“, einem der speziellsten Stücke von Charles Mingus, das hier ein wenig nach verschwundenem Schtetl klingt. Neben Mingus stehen auch Thelonious Monk – eine Quartett-Version von „Trinkle Tinkle“ (ts/g/d/mar) – und Ornette Coleman – „Kathelin Gray“ im Duo mit Speed an der Klarinette – auf dem Menü, in „Sound Action Seven“, dem viertelstündigen zweitletzten Stück, dirigiert Mark Helias das Septett.

    Die Einflüsse auf Emerys Musik sind so zahlreich wie unterschiedlich: Charlie Parker, Monk, Bud Powell oder Dizzy Gillespie spielten früh eine Rolle, Bill DeArango machte ihn mit Lester Young vertraut, später tauchte er in die Musik von Coltrane, Miles Davis, Ornette Coleman und Cecil Taylor ein, entdeckte Roscoe Mitchell, Anthony Braxton und der AACM ebenso wie Bartók, Boulez und die zweite Wiener Schule (Berg, Schönberg und Webern). Als er 1973 nach New York kam, nahm er Unterricht bei Leroy Jenkins, der ihm eine Wohnung über seiner eigenen verschaffte. Emery kriegte als das Revolutionary Ensemble aus der Nähe mit, spielte bald mit Kalaparusha, lehrte im Creative Music Studio von Karl Berger, stiess zum Human Arts Ensemble von Bobo Shaw mit Joseph Bowie, Luther Thomas und John Lindberg … und gründete 1977 mit Lindberg das String Trio of New York, zunächst mit Billy Bang an der Violine.

    All das und mehr fliesst in die Stücke ein, die Emerys Septett hier spielt. Cut-and-Paste-Techniken, die Überlagerung unterschiedlicher Motive, wechselnde Metren und Rhythmen, ständig changierende Klangfarben, Kontrapunkt … und immer alles mit Improvisation verwoben: „I’m fascinated by the interstices of composition and improvisation, where the identities start to blur and improvised sections take on a composed aspect, as well as written material taking on an improvised cast so it isn’t rigid and doesn’t sound like somebody’s reading it – removing the music from the paper, so to speak“ – so äussert sich Emery zum ersten Stück auf dem Album, aber die Sätze kann man wohl generell für seine Vorgehensweise gelten lassen. Neben den erwähnten Duos und Quartetten mit Speed (der im Monk-Stück ein starkes Solo spielt) gibt es mit „Cosmology“ auch ein Solo für den Leader – eine Demonstration seines Könnens an der klassischen Gitarre. „Sound Action Seven“, das längste Stück, sei zu Teilen traditionell, zu anderen graphisch notiert oder in Worten erläutert, angelehnt an die Praxis von AACM-Vertretern wie Braxton oder Wadada Leo Smith.

    Ich brauche ein paar Momente, um in dieses Album reinzufinden, doch spätestens bei Mingus (dem dritten Stück nach den zwei Teilen von „Red Spaces in a Blue Field“) hat mich die Musik. Die stets wechselnden Instrumentierungen und Klangfarben, die immer wieder aus den Ensembles ausbrechenden Improvisationen, die individuellen Stimmen auch in den komponierten Passagen … das obsiegt über die stellenweise schon etwas trockene, komplexe Musik.

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    gypsy-tail-wind
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    Dusko Goykovich – In My Dreams | Ein fürchterliches Cover wurde diesem Album verpasst, das ein Jahr vor „Deep in a Dream“ von Charlie Mariano im selben Studio (Studio 44, Monster, NL) mit derselben Rhythmusgruppe entstanden ist: Bob Degen (p), Isla Eckinger (b) und Jarrod Cagwin (d). Das Konzept ist auch mehr oder weniger dasselbe: der Leader singt am Instrument Balladen, es gibt ein paar schnellere Stücke dazwsichen und eine exzellente Rhythmusgruppe, die dafür sorgt, dass auch bei über 50 Minuten keine Langweile aufkommt. Hier sind die Standards klar in der Unterzahl: es gibt mitten im Album zweimal Hoagy Carmichael („Skylark“ und „One Morning in May“) und den „Sequoia Song“ von Bob Degen, dazu sechs Originals von Goykovich, mit dessen Titelsong das Album beginnt. Er spielt schon hier mit Dämpfer, tut das auch im mittelschnellen folgenden „St. Germain des Pres“ wieder – und wenn er hier ins Solo einsteigt, scheinen seine Phrasen ganz direkt von Miles Davis zu stammen (in seinem Solo in „Introduction“ zitiert er auch eine Phrase von Sonny Clark – vermutlich die Vorlage für sein Stück). Das ist alles super elegant, super kompetent, da und dort geht es auch darüber hinaus, etwa in Bob Degens Stück, wo der den Solo-Spot kriegt, oder in „Skylark“, wieder mit einem hervorragenden Beitrag von Degen. Zur Sternstunde, wie das Mariano-Album für mich eine ist, wird das Album für mich leider nicht.

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    gypsy-tail-wind
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    Dhafer Youssef – Electric Sufi | Zu diesem Album gibt es bei mir eine Geschichte. In der Zeit, als ich gerade vom Gymnasium an die Uni wechselte und noch keinen Nebenjob hatte, konnten ein paar Leute um meine Schwester herum regelmässig nach Konzerten Flyer verteilen. Das war nicht gut bezahlt, aber wir hatten eh eine Bahnkarte und abends nicht viel vor. Und wenn die Konzerte nicht voll waren und wir Interesse hatten, durften wir kostenlos rein. So hörte ich in der Zeit u.a. Brad Mehldau oder Kenny Barron/Mulgrew Miller im KKL in Luzern, Martial Solal/Johnny Griffin/NHOP in der Zürcher Tonhalle, Charles Lloyd, Ahmad Jamal mit George Coleman, Annette Peacock oder Shirly Horn beim jazznojazz … alle, ohne dafür zu bezahlen, was ich mir eh nicht hätte leisten können oder wollen damals. Am 8. November 2001 machte die Enja-Sause zum 30. Geburtstags des Labels in der Tonhalle Halt – und meine Schwester hatte da wohl keine Zeit … es gab Freikarten und meine Mutter kam mit, die mir dann ein paar Wochen später die CD zu Weihnachten schenkte. Nach dem tollen Konzert des Maria Schneider Orchestra im grossen Saal folgte ein spätes Konzert mit Dhafer Youssef in der kleinen Tonhalle, das sich bei mir noch mehr eingebrannt hatte. Oud und Gesang vom Leader, Trompeten mit etwas Elektronik von Markus Stockhausen, ein tiefer, funky Kontrabass von Dieter Ilg und eins der tollsten Sets, die ich bis dahin je von einem Drummer erlebt hatte vom Lokalmatador (aber lägnst Wahl-New-Yorker) Jojo Mayer. Im abgedunkelten Raum enwtickelte das Konzert einen unglaublichen Sog – das grenze am Ende an die Ekstase.

    Auf dem Enja-Album, das im November und Dezember 2000 in den Fifth House Studios in Brooklyn, im Loft in Köln und im on-the-fly in Paris aufgenommen wurde, übernehmen Mino Cinelu und Will Calhoun die Drums (beide auch Percussion, Cinelu zudem „sound effects, Calhoun auch Loops), zusätzlich sind Wolfgang Muthspiel (g), Doug Wimbish (elb) und Deepak Ram (bansuri) dabei und Rodericke Packe steuert „ambient sounds“ bei, aus denen die Band bisweilen auftaucht. Stockhausen spielt Tropmete, Flügelhorn, Piccolo-Trompete und Vierteltontrompete. Die Line-Ups wechseln ständig, Trompete und Gitarre machen auch mal Pause, die Bansuri sowieso. Im Titeltrack kriegen wir Youssef, Ram und Muthspiel mit der Living Colour-Rhythmusgruppe zu hören, anderswo stösst noch Dieter Ilg dazu (mit oder ohne Trompete und Gitarre, ohne Bansuri), es gibt Duos (Youssefs Gesang mit Muthspiel, Youssef mit den ambient sounds, Youssefs Oud mit der Bansuri), ein Trio (Youssef, Muthspiel, Cinelu) und einige Tracks mit Ilg und Cinelu, auch einen mit Ilg und Calhoun – das ist „Nouba“, in dem auch Stockhausen und Muthspiel zu hören sind und der, abgesehen von der Gitarre, meiner Konzerterinnerung wohl am nächsten kommt. Calhoun ist auch anderswo sehr toll, Cinelu hat andere Qualitäten als scharfe Präzision und bringt die auch hervorragend ein. Er kombiniert z.B. Trommeln mit Teilen eines Drum-Kits und bringt seine übliche riesige Palette an Sounds ein. Der Gesang von Youssef – in der hohen Lage, ohne Worte – ist auf dem Album stellenweise fast so eindringlich wie ich ihn damals im Konzert empfunden habe.

    Wie es dazu kam, dass dieses Album bei Enja entstand oder landete, kann ich nicht genau nachvollziehen. Geschrieben hat alles Youssef (zwei Stücke unter Mitwirkung von Muthspiel, darunter ihr Duo), aufgenommen haben Peter Karl (Brooklyn), Christian Heck (Köln) und Steve Arguëlles (Paris), der auch den Mix anfertigte. Als Produzent fungiert Youssef selbst, Arguëlles als Co-Produzent der Pariser Aufnahmen, die allerdings nicht ausgewiesen sind. Ich weiss auch gar nicht, ob nicht allenfalls etwas (Wimbish/Calhoun?) nur via Overdubs dazu gekommen ist – fände ich angesichts der äusserst organisch wirkenden Musik zwar verblüffend, aber Leute mit diesen Skills kriegen das natürlich hin.

    Vom Vorab-Artikel der NZZ, den ich im Rahmen der Suche nach dem richtigen Datum gerade finde, kann man ohne Abo zwar nur den ersten Absatz lesen, aber den zitiere ich hier gleich mal, da er ein Kurzportrait von Matthias Winckelmann enthält:

    Winckelmann sieht aus wie der Jazzfan aus dem Bilderbuch: Mit Bart, schräg aufgesetzter Brille und einem pfiffigen Ausdruck in den Augen empfing er uns in den Räumlichkeiten seiner Schweizer Vertriebsfirma in Zürich. Und er ist ein Jazzfan mit Leib und Seele: «Im Tonträgermarkt besitzt der Jazz einen Marktanteil von 2%, die klassische Musik 5%, und der Rest ist Schrott!», verkündet er im Brustton der Überzeugung. Der 1941 in Berlin geborene und in Frankfurt aufgewachsene Musikliebhaber studierte in München Volkswirtschaft und Soziologie und interessierte sich zunächst für die Arbeit im Entwicklungsdienst. Bald entdeckte er, dass die damit verbundene bürokratische Welt seine Sache nicht ist, und erinnerte sich an den Rat seines Vaters: «Wenn du etwas im Kopf hast, das dich existenziell berührt – mach das, ohne Rücksicht auf Geld und Ruhm.»

    Ich muss mich mal um den ganzen Artikel bemühen …

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