Antwort auf: Enja Records

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gypsy-tail-wind
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Hamiett Bluiett – Walkni‘ & Talkin‘ | Eigentlich auch „um Enja herum“, denn 1996, als diese CD erschien, hatte Tutu sich vom grossen Schwesterlabel längst gelöst. Das Konzert vom 22. April 1991 wurde vom Schweizer Radio im Theater Basel (im Foyer, nehme ich an – im Booklet steht „Foyes“, rätselhaft oder einfach ein Tippfehler) mitgeschnitten – vermutlich im Rahmen des Jazzfestivals Basel. Bluiett spielt eine knappe Stunde solo – Baritonsaxophon natürlich, aber auch mal kurz Flöte („Talkin‘ to Myself“) oder Altklarinette („Back Yard Sonata“). Das ist ein Hochseilakt, vor allem weil er nicht zufrieden ist damit, seinen unglaublichen Sound auszukosten und zu grooven, sondern weil er ganz einfach alles spielt, was möglich und denkbar ist – eine Art allumfassende Musik, von den tiefsten Tönen des Instruments bis hoch ins Falsett, von einfachsten Motiven bis zu Tönen, die förmlich in Sturzbächen auf uns einbrechen, von festen Strukturen bis hin zur völligen Auflösung, von wuchtig und resonant bis zu Tönen, die sich im Raum fast verlieren. Der Raum spielt hier die grosse Nebenrolle, denn wie Aparjita Koch in ihren Liner Notes schreibt, war es aufgrund dessen Beschaffenheit (so sieht das Foyer aus, kein guter Ort für Musik) nicht möglich, eine direkte Aufnahme von Bluiett zu machen – sie konnten nur die „hall amplification“ verwenden (da werden auch Einführungen und sowas veranstaltet, es gibt also Lautsprecher und irgendwo ein Mischpult). Und man hört manchmal, wie Bluiett sich im Raum bewegt, man hört, wie der Raum zurückstrahlt und hallt. Und das gibt dieser Solo-Aufnahme einen besonderen Touch – man kann sich gut vorstellen, mittendrin zu sitzen. Das Album ist ein ehrliches Selbstgespräch („Talkin‘ to Myself“), ein Ausloten eines Raumes, der weit über das Foyer hinausgeht, ein Echoraum („Full Deep & Mellow“), ein Hallraum, in dem der Künstler auch sein Selbst offenlegt („A View From My Mind’s Eye“) – vielleicht ist das wirklich eine Art Ritual, ein Ausloten nicht nur von Klängen sondern von Traditionen, von der Marching Band und New Orleans („Traditional New Orleans Tune“) über den Tanz und den alten Blues („Foot Stompin‘ Blues“) bis zu Mingus, Dolphy und der Avantgarde. Eine Beschwörung der Ahnen der Great Black Music – „Ballad for My People.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #166: First Visit: Live-Dokumente aus dem Archiv von ezz-thetics/Hat Hut Records - 14.10., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba