Antwort auf: Enja Records

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The Enja Band – Live At Sweet Basil | Auch bei Enja gab es in den Neunzigern mal das Bedürfnis, eine Label-All-Star-Band zusammenzustellen – analog zu ähnlichen Formationen bei Blue Note („New Directions“ oder schon Ende der Achtziger die Gruppe Superblue) oder Warner (mit den „Warner Jams“). Enja nahm am 18. und 19. Dezember 1992 live im Sweet Basil (David Baker) seine Gruppe auf, zu der neben dem gerade gepushten Willie Williams (ts/ss) auch Gust William Tsilis (vib/mar), Uri Caine (p), Michael Formanek (b) und Cecil Brooks III (d) gehörten. Tsilis war auch hinter den Kulissen wichtig, hatte die Finger beim Enja-Album von Art Taylor im Spiel, aber auch bei Abraham Burton, dem Kollegen von Williams aus der Taylor-Band (klick). Die Mehrheit der Leute in der Band hatte gerade neue Alben am Star: „Sequestered Days“ (Tsilis), „Extended Animation“ (Formanek) und natürlich „Spirit Willie“ (Williams). Uri Caine wirkte im Januar 1993 beim dritten (mir weiterhin unbekannten) Enja-Album von Tsilis mit und taucht später wieder bei Marty Ehrlich und mehrmals bei Franco Ambrosetti auf, Cecil Brooks III war schon ein paar Jahre davor bei Michele Rosewoman zu hören („Contrast High„), aber sonst soweit ich sehen kann nicht weiter bei Enja zu hören. Doch eine reine Werbeaktion war das nun wirklich nicht, wie die Musik auf der CD zeigt. Tsilis brachte drei Stücke mit, Williams zwei, Caine, Formanek und Brooks je eines – klar ist das ein langes Album … aber es ist auch ein Konzert-Dokument und dazu passt, dass als Liner Notes einfach ein Auszug aus dem Bericht zu lesen ist, den Bill Milkowski damals für Down Beat geschrieben hat.

Der Einstieg ins Programm ist klassich, typischer 90er Junglöwen-Mainstreamjazz mit „The Unnameable“ von Tsilis, der sich ber erst spät ein Solo gönnt. Davor ist Williams an der Reihe und es gibt da und dort kleine „arranger’s touches“. Trotz der dunklen Tönung von Formanek/Brooks klingt das alles recht transparent, Caine setzt hinter den anderen aus oder hält sich zurück, bis er selbst an der Reihe ist. Ein druckvoller Opener, in dem die Band schon mal zeigen kann, wie gut sie aufeinander abgestimmt ist und wie locker Rhythmuswechsel und sowas ablaufen. So ähnlich ist auch Tsilis‘ folgendes Stück, „Purse“, das aber ein wenig nach Monk klingt – und Formanek das erste Solo gibt – und nach dem Tenorsax von Williams ist hier auch Caine toll, bevor Tsilis am Marimba übernimmt, während Brooks die ganze Nummer hindurch mit Besen leise und fein aber doch heftig swingend spielt. „Lorietta“ ist dann ein Latin-Nummer von Williams mit süffigen Changes und dem Komponisten am Sopransax mit strahlendem Ton und singenden Linien.

Der Drummer kriegt in Formaneks „Snalking“ einen langen Spot – einem ziemlich freien Stück, das mit einem freien Tenorsax/Marimba-Duo beginnt. Nach dem tollen Solo von Brooks wird im zweiten Teil eine kantige Nummer daraus, die geordneten Bahnen verläuft. Das folgende Stück von Brooks, „Yvette“, ist dann ein grosses Balladenfeature für Williams am Tenorsax – und es profitiert vom Klangbild der Rhythmusgruppe mit Vibraphon. Caine und Tsilis kommen hier überhaupt sehr gut aneinander vorbei, auch wenn sie beide zugleich spielen. Williams „Clockwork“ hat dann im Thema stellenweise einen gnadenlosen Beat (der in swingenden 4/4 fällt, über denn dann auch soliert wird) und eine oninös klingenden Linie, die auch bei Sonny Clark gut gepasst hätte. Der Komponist spielt dann am Tenorsax das erste Solo, schrammt dabei an ein paar Zitaten vorbei, die Rhythmusgruppe wird dahinter immer dichter und heisser. Tsilis (Vibraphon) und Caine folgen, die Rhythmusgruppe passt ihr Spiel den Solisten an, vor allem Brooks setzt immer wieder Akzente – und Formanek spielt dann ein gutes Solo, in dem er auch Motive und Ideen aus seiner Begleitung davor wieder aufgreigt, Riffs, und Kippfiguren, die er mit melodiösen, manchmal rasend schnellen Passagen verbindet.

Mit Tsilis‘ „The Duke and Mr. Strayhorn“ geht es einmal mehr ruhig weiter. Das Vibraphon fällt in die Melodie des Tenorsaxophons mit ein und umschmückt diese, der Bass gesellt sich stellenweise dazu, während Caine und Brooks den statischen Part übernehmen – zu dem wiederum Formanek auch immer wieder zurück findet. Das ist gut arrangiert bzw. gespielt und ein echt schönes Stück. Drei Minuten lang wird das Thema repetiert, eine meditative Stimmung entsteht, die dann durchbrochen wird, wenn Williams und später Tsilis und Caine sich vom Thema zu entfernen beginnen, der fliessende Balladen-Groove der Begleitung aufbricht, doch Formanek holt die anderen bald wieder zurück und die letzten beiden Minuten bewegen sich wieder nah am Thema. „Form An X“ heisst Caines Beitrag, mit dem das Album schliesst, eine kleine Figur, dann eine Art Orgelpunkt mit Bass-Solo, bevor Caine eine Art Spiritual Jazz-Überleitung (mit Glocken von Brooks) in freiere Gefilde macht. Kürzere Soli wechseln sich später in schnellem Tempo ab: Caine, Williams, Tsilis (Marimba) – aber Formanek ist hier der eigentliche Star, prägt auch hinter den anderen das Geschehen, selbst wenn er einfach nur walkt.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #165: Johnny Dyani (1945–1986) - 9.9., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba