Antwort auf: Enja Records

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Nicolas Simion Quartet – Oriental Gates • Live In Vienna, Porgy & Bess | Noch ein Neuzugang, wieder Tutu aus der Nach-Enja-Zeit und ein Ersthörgang heute Morgen. Der Leader hat Tenor-, Sopransaxophon und Bassklarinette dabei, Ed Schuller und Victor Jones brauchen nicht vorgestellt werden, am Klavier sitzt am 4. April 1996 im Porgy & Bess in Wien Mircea Tiberian, ein Landsmann, der kurzfristig angeheuert wurde, als sich für Simion nach einer Tour mit Mal Waldron, Schuller und Jones die Möglichkeit ergab, mit der Rhythmusgruppe weitere Gigs zu spielen. Dieses Mal natürlich mit Simions eigenen Konzert und seiner Musik – abgesehen von Ornette Colemans „Blues Connotation“ sind sechs Originals zu hören, vier davon über 10 Minuten lang, die CD dauert fast fünf Viertelstunden.

Simion war in den Achtzigern aus Transsylvanien nach Wien gekommen – ein Flüchtling im späten Kalten Krieg, der in Wien, bei Jam-Sessions im Porgy & Bess zum ersten Mal Schulter an Schulter mit den Grossen spielte: Art Farmer, Leo Wright, Jim Pepper. Wien ist auch der „melting pot“, wo die Grooves aus dem Balkan auf die westliche Musik treffen. Mit dem kurzen, catchy „Bartók Goes New Orleans“ geht das Album los, Lewis spielt einen sehr tollen, fein ausgestalteten Beat dazu und der Groove ist mitreissend. Ruhiger geht es dann mit „An Evening in Thessaloniki – At the Oriental Gate“ los, einem neuen Stück, das wohl damals noch zwei Titel hatte. Hymnisches Sax über wenigen Akkorden und Orgelpunkten vom Bass – da steckt natürlich auch der klassische Coltrane drin. Und noch viel mehr.

Die Musik dieses Quartetts bewegt sich jenseits aller Klischees – und ist wirklich eine gute, nötige Ergänzung zu den Aufnahmen mit Mal Waldron. Vielleicht ist das World Music (oder man hätte es, wie Wiessmüller im Booklet schreibt, ein Jahrzehnt früher so genannt), aber das Fundament von allem ist der Jazz, auch wenn Simions Stücke – mal direkt, mal eher vom Geist – auf Folklore aus seiner Heimat basieren. Die Stücke werden von unregelmässigen Metren und Rhythmuswechseln geprägt, durch die Tiberian dem schlafwandlerisch sicher folgt, während Schuller/Lewis nie einen Beat verpassen. Das Saxophon wird zur Stimme des Barden, manchmal auch zum Generalbass dieser stets spontanen und doch an Formen gebundener Musik. Simion schwebt über und durch die anderen hindurch, sticht aber auch tief in den Groove hinab – etwa in „Dear Arnold“, Schönberg gewidmet: „I just took a twelve note row of his and made a song, grooving between them…“ (Simion in den Liner Notes von Peter Wiessmüller). In der Ballade „Bird Talk“ spielt er Sopransaxophon und das wird stellenweise fast etwas pastoral. Im „Slovakian Folk Song“, dem letzten Stück vor dem Closer von Ornette Coleman, ist der Leader dann auch noch an der Bassklarinette zu hören.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #166: First Visit: Live-Dokumente aus dem Archiv von ezz-thetics/Hat Hut Records - 14.10., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba