Die wunderbare Welt der Oper

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    gypsy-tail-wind
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    @clasjaz In Sachen Härtling und sein Gelaber vom „Weltschmerz“-Dichter (das hat Härtling wohl nicht erfunden, aber er springt voll drauf auf) habe ich inzwischen einen kleinen Vorgeschmack, denn ich habe mir die Briefedition besorgt, in der die öffentlichen Briefe und die privaten Zettel publiziert sind (bei der Insel-Ausgabe stieg ich diesbezüglich nicht durch, schlimmstenfalls ist das jetzt halt doppelt, aber ich vermute eher, die Insel-Ausgabe enthält nur die öffentlichen/abgeschickten Briefe) – und die hat Härtling editiert und kommentiert (Nikolaus Lenau: Briefe an Sophie von Löwenthal (1834-1845), München: Kösel, 1968 [Lebensläufe: Biographien, Erinnerungen, Briefe; 15: Nikolaus Lenau, Briefe]).

    Auch noch besorgt habe ich mir ein kleines Heft, das bei der Friedenauer Presse erschienen ist, Lenaus „Notizbuch aus Winnenthal“ – über mehrere Ecken und wohl von fraglicher Authentizität (das Original ist verloren und die nächsten Abschriften kaum noch lesbar oder so) gibt es wieder, was Lenau nach seiner Einlieferung notierte, als er nach wenigen Tagen nach einem Notizheft verlangte (ca. November 1844), es gibt da auch noch ein Gedicht, das Lenau einem Besucher vorgetragen hat, von dem aber keine schriftliche Fassung Lenaus existiert („Eitel nichts!“), das ist der Vorbemerkung beigestellt bzw. an ihrem Ende angefügt. Herausgegeben hat den Band Horst Brandstätter, er erschien 1986.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    #10448667  | PERMALINK

    Anonym
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    Danke, @gypsy-tail-wind – in Gedanken und in Wirklichkeit gar nicht zu vernachlässigen, was jemand nach einer „Einlieferung“ und dann später aufschreiben möchte, zumindest das. Die Frage nach der „Authentizität“ kann dabei von vornherein bedenklich scheinen. Kann, nicht muss. Beinahe hätte ich geschrieben: Besonders, wenn die Zeiten fern sind und sogenannte historische sind. Aber wissen wir, wer wirklich unsere ebenfalls sogenannten Zeitgenossen sind, für die eine nahe Wahrnehmung gegeben sei, eine „Echtheit“, „Authentizität“? Beatrix aus dem Storchenwinkel wird es nicht sein, obwohl wir gegen sie und ihre Mitmäuler sprechen und schreiben, jetzt. Die Frage bleibt immer, wer hat an der Uhr gedreht. Und an den Wörtern. Aber selbst die Verdrehung wäre Symptom, oder nüchterner: Zeichen. Also gewiss von Interesse, bei Lenau, bei Hölderlin, bei Aby Warburg.

    Härtlings „Weltschmerz“-Adaption mag ich gerade nicht nachgehen, also nicht in seinen Texten, für mich habe ich genug Härtling gelesen, er brachte wenig ins offene Nest; obwohl ja etwas daran sein könnte, an einem Schmerz Lenaus gegenüber oder in (s)einer Welt. Was als Weltschmerz benannt wurde, war, wie so oft, bei Jean Paul am Anfang noch halbwegs definiert, aber es ergeht allen Wörtern mit „Welt-“ im Vorspann, vermutlich zu Recht alsbald so, dass man sie hinterfragt und ziemlich eigenartig findet, im besten Fall, wie Heine, zu retten versucht, was zu retten ist. „Weltanschauung“ ist auch so ein Ding, von dem zumindest ich nicht weiß, was das sein soll außer Gerede.

    Ist doch eigenartig, dass ein Wort wie „Weltschmerz“ unter und mit anderen keinen Zu- und Eingang in andere Sprachen gefunden hat. Es ist ein Dachschindelwort, also zudeckend, dichtmachend. Den Bogen könnte man gedanklich viel luftiger spannen, vom Sentimentalischen Schillers, schlicht eine bewusste Differenz zwischen Sein und Sollen bzw. Realität und Idealität, das war das Gefüge oder Gefängnis, in dem er gedacht hat, mit ein paar literarischen Gattungsfragen vermengt zwar, aber das lag damals in der Luft – bis zu Camus‘ „Absurdität“, schlicht die Differenz von Ich und Welt als Differenz von Sprechen und stummer Antwort. Also wird Lenau vielleicht doch auch als Dichter des Absurden benannt werden können. Wie so viele andere im 19. Jahrhundert.

    Nochmals danke für die Ergänzung. Und pardon für meine Abweichung hier im Opernthread.

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    #10466681  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Puccinis „Madama Butterfly“ hörte ich Anfang des Jahres an der Oper hier in Zürich (klick) – diese Einspielung unter Eugene Ormandy aus der Hollywood Bowl vom September 1948 legte ich mir damals zum erstmaligen Hören bereit, aber bis heute ergab sich das bisher nicht. Es gibt davon wohl noch ein paar andere Ausgaben auf zweilichtigen Labeln, in meinem Fall hatte ich Glück und erwischte sogar noch richtige CDs, nicht CD-Rs, wie VAI sie jeweils im Angebot hat, nachdem die CDs weg sind (natürlich macht man sich nicht die Mühe, darauf hinzuweisen).

    Cio-Cio-San – Eleanor Steber
    Lt. B.F. Pinkerton – Jan Peerce
    Sharpless – Richard Bonelli
    Suzuki – Suzanne Carré
    Kate Pinkerton – Martha Larrimore
    The Bonze – Osie Hawkins
    Prince Yamadori – Clifford Harvout

    Hi-Fi muss man natürlich nicht erwarten – live und obendrein ja auch noch open air, 1948, klingt wie von der Bühnenkante oder über dem Orchester mit einem Mikrophon aufgenommen, die Lautstärke der Stimmen variiert wohl mit dem Abstand und der Bewegung auf der Bühne, es gibt ordentlich Bandrauschen, aber man kann das sehr gut anhören. Und Steber ist toll. Im Booklet gibt es einen Auszug aus ihrer Autobiographie (mit Marcia Sloat geschrieben, 1992 erschienen), in der sie über die Aufführungen in der Hollywood Bowl berichtet:

    The performances were set for the first week of September of 1948, and although I had done tremendously exciting outdoor concert performances with Dmitri [Mitropoulos] in both Philadelphia and New York, I had never prepared the opera dramatically. Once again I was involved in something which had to be done in a rush and with little stage preparation.

    If the uncertainty upset my equilibrium, it also stirred up the old juices. On this occasion, as on so many others before and after, the very stresses which upset met seemed to spur me on. Being ready for anything was my stock in trade, and I cherished my reputation for flexibility and teachability in my craft. I soaked up instruction like a sponge, which turned out to be a particularly good thing in this case.

    Sie erwähnt dann, wie sie erfuhr, dass der weisse Kimono, den sie als Brautkostüm zu tragen hatte, einst von Ginger Rogers in „Lady in the Dark“ getragen worden sei. Weiter:

    It’s fortunate for me that I didn’t know that the Hollywood Bowl production was conductor Eugene Ormandy’s operatic baptism of fire. Since it was his first „staged“ opera, it’s hard to know what Ormandy expected. Everyone knew he liked to conduct from memory, but it’s one thing to conduct a symphony orchestra and another to correlate all the components, i.e. singers, staging and scenic adjustments (invisible choruses, and whatnot) of an opera. That Ormandy … live through this frantic initiation to opera may have been due to his skill and derring-do, but also because he was blessed with a saving sense of humour.

    Steber allein reicht natürlich nicht ganz, mich dünkt das aber alles in allem eine gute Aufführung, Jan Peerce ist jedenfalls ebenfalls sehr charaktervoll und Ormandy und das Orchester sind da. Es gibt aus dem Jahr darauf mit Richard Tucker (Met, Max Rudolf) eine offizielle Einspielung, die bei Sony wohl auch auf CD neu aufgelegt wurde, aber nicht mehr ganz leicht zu finden scheint. Löbl/Werba watschen sie bös ab, hier (und auch bei Allmusic) kriegt sie gute Noten:
    http://www.classical.net/music/recs/reviews/s/sny62765a.php
    Als bräuchte ich mehr als das Dutzend bereits vorhandener Einspielungen der Oper …

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    #10476821  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Opernhaus – 09.05.2018
     
    Maria Stuarda
    Tragedia lirica in zwei Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848)
    Libretto von Giuseppe Bardari, nach der gleichnamigen Tragödie von Friedrich Schiller

    Musikalische Leitung Enrique Mazzola
    Inszenierung David Alden
    Bühnenbild und Kostüme Gideon Davey
    Lichtgestaltung Martin Gebhardt
    Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
    Dramaturgie Fabio Dietsche

    Elisabetta I., Königin von England Serena Farnocchia
    Maria Stuarda, Königin von Schottland Diana Damrau
    Roberto, Graf von Leicester Pavol Breslik
    Giorgio Talbot Nicolas Testé
    Lord Guglielmo Cecil Andrzej Filonczyk
    Anna Kennedy Hamida Kristoffersen

    Philharmonia Zürich
    Chor der Oper Zürich

    Statistenverein am Opernhaus Zürich
     
    Diana Damrau in Zürich? Das konnte ich mir nicht entgehen lassen. Vor ein paar Wochen besuchte die Einführungsmatinée, die hier zu jeder neuen Inszenierung an einem Sonntagvormittag jeweils Mitten in der Probephase abgehalten wird. Damrau war dabei, leider gab es jedoch keine Musik, wie ich das bei früheren solchen Matinéen erlebt hatte. Das Gespräch, an dem auch Regisseur David Alden und Dirigent Enrique Mazzola teilnahmen – geleitet wurde es vom Dramaturgen Fabio Dietsche – war allerdings interessant, denn ich weiss nicht viel über die Belcanto-Opern von Donizetti und Bellini. Letzterer tauchte hier die letzten Jahre eher mal auf dem Spielplan auf, wenigstens was Neuproduktionen betrifft, doch die einzige Belcanto-Oper, die ich gehört habe, war die Wiederaufnahme von Doniziettis L’Elisir d’amore mit Nello Santi.

    Die Konstellation mit zwei Sopranistinnen sorgt natürlich für reichlich Spannung und der erste Akt (die heutige kritische Fassung, mit der in Zürich gearbeitet wurde, bietet nur zwei Akte, früher wurde die Oper in drei Akten gespielt) spitzt sich folgerichtig auf die Begegnung der zwei Königinnen zu, die dann eskaliert, was wiederum zur Hinrichtung Maria Stuardas am Ende des zweiten Aktes führt. Die Inszenierung war zurückhaltend, ein grosser Musiktheaterabend war das zwar nicht, aber Bühnenbild, Kostüme, Licht und vor allem die Figurenführung waren allesamt überzeugend. Noch besser war das Orchester, das gerade im italienischen Repertoire regelmässig zu Höchstform aufzulaufen scheint. Mit einem Belcanto-Spezialisten und Fan, wie bei der Einführungsmatinée deutlich geworden war, klappte das denn auch wieder sehr gut. Mazzola übrigens dirigiert ohne die in der Oper oft zu sehenden grossen Gesten – was in diesem Fall keinerlei Unsauberkeiten oder Koordinationsschwierigkeiten auslöste, wie ich es auch schon erlebt habe. Er scheint sehr genau zu wissen, was er erwartet, und er scheint das auch sehr gut kommuniziert zu haben. Die Orchestrierung der Oper ist einmal mehr sehr schön, ich fand sie aber nicht ganz so berückend wie im „Liebestrank“, der mir diesbezüglich enorm gefällt.

    Der erste Akt gehört zunächst Elisabeth und Serena Farnocchia hatte in der Tat einen starken Auftritt, auch das Ensemblemitglied Pavol Breslik in seinem Rollendebut als Leicester war überzeugend. Überhaupt geben in dieser Inszenierung alle Sänger_innen ihr Rollendebut, mit Ausnahme Farnocchias. Der Auftritt von Damrau war dann aber wie ein Weckruf und aus gut wurde phantastisch – was für eine Stimme, was für eine Kontrolle, was für eine Projektionskraft, was für ein Pianissimo! Im Gegensatz zu Farnochia ging sie weder in den anderen Stimmen noch im Orchester unter, egal wie leise sie sang – sehr beeindruckend. Darauf hatte mich meine erste Begegnung mit Damrau in Les Contes d’Hoffmann in München nicht wirklich vorbereitet – die Bayerische Staatsoper ist viel grösser, die Wirkung – ähnlich wie in der Scala – etwas weniger frappant als in der kleineren Oper hier in Zürich (dafür sind beide Häuser klanglich ausgeglichener – doch ich mag es, wenn es bei Verdi oder Puccini auch mal richtig knallt, und das geht in Zürich schon deutlich besser).

    Die Besetzung ist aber überhaupt sehr gut und alles in allem auch recht ausgeglichen. Ich wüsste nicht, wer – ausser Anja Harteros, aber ob man die und Damrau je zusammen auf die Bühne bringen könnte? (an opera lover’s wet dream) – Damrau die Stirn bieten könnte, wenn sie so fabelhaft auftritt wie an dem Abend. Ihr Ehemann Nicolas Testé (er war in München auch dabei) als Vermittler Talbot war gut, noch etwas stärker fand ich wohl – aber das mag an der Bösewicht-Rolle gelegen haben – Andrzej Filonczyk als Lord Cecil, der auf die Hinrichtung Marias drängt. Hamida Kristoffersen hatte als Anna Kennedy nicht viel zu tun, doch war sie in den letzten Szenen bis zur Hinrichtung auf der Bühne sehr präsent und machte ihre Sache – gemeinsam mit dem Chor – ebenfalls sehr gut.
     

     
    Damit ist die Opernsaison für mich fast gelaufen, es steht noch eine hoffentlich sensationelle „Incoronazione di Poppea“ mit einer tollen Besetzung (d’Oustrac, Sabadus, Fuchs, Galou) unter Ottavio Dantone an und dann ist erstmal Pause. Für die kommende Saison habe ich mir vorgenommen, etwas wählerischer zu sein, aber die Vorschau sieht schon mal wieder fein aus, es gibt u.a. „Die Gezeichneten“ unter Jurowski, „Hippolyte et Aricie“ unter Haïm, (mit d’Oustrac, Petit), Dantone macht „La verità in cimento“ (mit Fuchs, Galou), Christie macht „Semele“ (mit Bartoli), Santi die „Lucia di Lammermoor“ (mit Damrau), Luisi macht „La forza del destino“ (mit Harteros) und Young macht die „Elektra“ (mit Herlitzius) – die sind allesamt gesetzt für mich, und wohl auch der „Rosenkavalier“ mit Stoyanova (Marschallin), Stéphany (Octavian) und Devieilhe (Sophie), zudem gibt es Massenets „Manon“, Regula Mühlemann als Susanna in „Le nozze di Figaro“, es gibt „Così fan tutte“ …

    Und dass Riccardo Minasi neu La Scintilla leitet, das hauseigene HIP-Ensemble (das bei Haïm, Christie und Dantone zum Einsatz kommt), und mit ihm vier Konzerte gibt, u.a. eines mit den sechs Brandenburgischen Konzerten und eines mit Julie Fuchs und Delphine Galou, sind natürlich auch tolle Neuigkeiten! Obendrein gibt es Liederabende von Anna Stéphany und Anja Harteros (letztere war diese Saison auch da, aber ich habe sie verpasst – als Tosca wie auch mit ihrem Liederabend) und Konzerte u.a. mit Musik von Penderecki, Roussel, Schreker, Zemlinsky und Ligeti (dessen „Grand macabre“ ebenfalls in einer Neuinszenierung gespielt wird, doch den sah ich gerade in Luzern und das reicht wohl für die nächsten Jahrzehnte, so toll ist die Oper nun wahrlich nicht).

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    #10540569  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Demnächst läuft auf 3sat die neue, anscheinend in fast jeder Hinsich (Orchester, Besetzung, Regie) miserable „Zauberflöte“ aus Salzburg … aber am 11.8. folgt dann die „Salome“, die in der NZZ gerade dickes Lob kriegte – hier die Doppel-Kritik von Eleonore Büning, in der zuerst die „Zauberflöte“ abgewatsch wird:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/salzburger-festspiele-sie-sind-das-liebespaar-des-jahrhunderts-ld.1407394

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    #10545387  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Im Hintergrund läuft die neue „Zauberflöte“ aus Salzburg (ich bin zwei Stunden hintendrein) – hm … die Idee mit dem Erzähler finde ich toll (und Brandauer ist dafür ein Glücksgriff), die Inszenierung kann man wohl insgesamt so machen, ist mir recht Wurst … aber schwerer wiegt, dass das musikalisch tatsächlich sehr disparat ist – da nützen auch eine Christiane Karg oder ein Mauro Peter herzlich wenig, irgendwie passt da einfach nichts so richtig zusammen, nichts nimmt eine fühlbare Form an.

    Auf die „Salome“ bin ich aber sehr gespannt, auch wenn ich wohl erst im September dazukommen werde, die Aufnahme anzuschauen.

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    #10545399  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Auweia, und die Rache-Arie ist ja fast schon schmerzhaft … die Tempi wie überhaupt völlig erratisch und sinnfrei (Constantinos Carydis heisst der Herr am Pult), aber die Intonation, auweia! Ich weiss jetzt nicht, ob das die anscheinend in der Rolle routinierte Albina Shagimuratova ist, oder sonstwer, weil die Ankünderin auf arte was von einer Absage noch am Nachmittag vor der Aufzeichnung sagte. Routine hin oder her, ich glaube so schwach habe ich die Arie noch nie gehört, auch der zweite Teil fing wieder extrem wacklig an (heisst es stimmt wohl ungefähr, aber für sich genommen stimmt vermutlich kein einziger Ton … und das Wackelpudding-Dirigat hilft bei solchen Hochseilakten natürlich auch nicht). Konturen, möchte ich zurufen, Konturen! Durchwursteln ist zwar eine gute alta kakanische Tradition, aber bei einer neuen „Zauberflöte“ in Salzburg reicht das nun wirklich nicht – da war die Bregenzer-Show vor ein paar Jahren doch wesentlich überzeugender.

    Es bleibt aber immerhin die geniale Regie-Idee mit dem Erzähler.

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    #10545525  | PERMALINK

    Anonym
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    Hier in Macerata wird in der Zauberflöte nicht der Wein getrunken, sondern Cannabis geraucht! Dafür ist La Traviata wirklich schön und das weibliche Dirigat ausgesprochen sängerfreundlich.

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    #10553518  | PERMALINK

    speed-turtle

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    gypsy-tail-windDemnächst läuft auf 3sat die neue, anscheinend in fast jeder Hinsich (Orchester, Besetzung, Regie) miserable „Zauberflöte“ aus Salzburg … aber am 11.8. folgt dann die „Salome“, die in der NZZ gerade dickes Lob kriegte – hier die Doppel-Kritik von Eleonore Büning, in der zuerst die „Zauberflöte“ abgewatsch wird: https://www.nzz.ch/feuilleton/salzburger-festspiele-sie-sind-das-liebespaar-des-jahrhunderts-ld.1407394

    Danke @gypsy-tail-wind für den Hinweis auf die Übertragungen!
    War nach der Ankündigung ja zu einer entschiedenen Verteidigung der so verissenen ZAUBERFLÖTE wild entschlossen (ohne zu diesem Zeitpunkt schon etwas davon zu kennen, nur hat Frau Büning in letzter Zeit für meinen Geschmack so oft so gründllich daneben gelegen, dass ich bei allem Respekt vor ihrer früheren Treffsicherheit überzeugt war, sooo schlimm könne es gar nicht gewesen sein).
    Und nun hab ich doch tatsächlich bis halb zwei in der Nacht mit Kopfhörern vor der Glotze gehockt, weil ich von der SALOME einfach nicht los kam, in die ich eigentlich nur mal kurz hatte reinschauen wollen, während die ZAUBERFLÖTE seit zwei Wochen darauf wartet, dass ich sie endlich weiter gucke, um mir ein vollständiges Urteil zu bilden.
    Klarer Punktsieg also schon mal für (den von mir grundsätzlich eher nicht so innig geliebten) Strauss.
    Und das, obwohl ich mich von der TV-Bildregie ein bisschen im Stich gelassen fühlte. Wie sehr der optische Eindruck vom Wechsel der Kameraperspektiven profitieren kann, hatte ich erst kürzlich wieder beim direkten Vergleich der Aufzeichnung mit der zuvor live erlebten Bayreuther LOHENGRIN-Premiere bestaunen dürfen, deren bläulich-zwielichtige Dauerstandbilder ich im Festspielhaus noch gelangweilt bis verärgert zur Kenntnis genommen hatte und die im TV plötzlich viel lebendiger erschien (allerdings akustisch auch die musikalischen Schattenseiten schonungslos offenbarte).
    In der Salzburger Felsenreitschule wäre es angesichts der buchstäblich unüberschaubaren Bühnen-Dimensionen noch viel dringender geboten gewesen, weniger statisch auf Sänger*innen-Großaufnahmen zu setzen, sondern öfter auch mal das entlegenere Parallelgeschehen mit einzufangen, um wenigstens ansatzweise einen Eindruck von der Szenerie und ihrer Entwicklung zu vermitteln. Man wusste oft gar nicht, wer gerade noch so auf der Bühne oder warum der Hintergrund plötzlich blutrot oder nachtfinster war und musste sich aus den gezeigten Puzzleteilen Einiges zusammenreimen, wodurch das Ganze vermutlich noch verrätselter wirkte als ohnehin schon.
    Warum es trotzdem derart fesselte, dass jede mitternächtliche Müdigkeit bis zum frenetischen Schlussapplaus wie weggeblasen war, liegt ganz sicher in allererster Linie an der – man muss es so sagen – Idealbesetzung der Titelpartie mit der in jeder Hinsicht phänomenalen, atemberaubenden, sängerisch und darstellerisch alle Register ziehenden und mit wie naturgegebener Selbstverständlichkeit beherrschenden Litauerin Asmik Grigorian, deren schier unglaubliche Intensität, Präsenz und Präzision bis in den winzigsten Augenaufschlag hinein eine Regie fast überflüssig machte, weil sie im kongenialen Zusammenspiel mit den unter Welser-Möst so klug akzentuiert wie farben- und nuancenreich brillierenden Wiener Philharmonikern sämtliche Facetten dieser vielschichtigen Figur aus sich heraus geradezu umwerfend sinnlich zum Vorschein brachte.
    Hat man je eine derart „komplette“ Salome auf der Bühne gesehen? Die Frage ist ernst gemeint, denn zumindest ich kann mich unter allen, die ich bisher erleben durfte, von Inga Nielsen bis zuletzt (die ebenfalls aus Litauen stammende) Ausrine Stundyte, an keine erinnern.
    Aber Oper ist auch Mannschaftssport, erst eine durchgehend adäquate Ensembleleistung auf Augenhöhe hat das Zeug zu einer wirklichen Sternstunde. Dass das hier weitestgehend gelungen ist, macht aus dem Abend einen bei diesem Stück seltenen Glücksfall, wobei ich Anna Maria Chiuris wahrhaft „furios“ auftrumpfende Herodias vielleicht noch besonders hervorheben sollte.
    Ein wenig enttäuschend blieb für mich einzig John Daszak als Herodes, der im Vergleich sängerisch unsouverän und darstellerisch blass wirkte, anders als der jüngst von mir in der Berliner Neuenfels-Produktion erlebte Gerhard Siegel, ganz zu schweigen natürlich von dem in dieser Partie für mich nach wie vor unübertroffene Maßstäbe setzenden Reiner Goldberg seinerzeit.
    So schrammt der Abend insgesamt denkbar knapp an einem veritablen Wunder vorbei, aber Sternstunde und „seltener Glücksfall“ ist ja auch schon nicht schlecht, und für Asmik Grigorian ein hochverdienter Triumph, der ihre Karriere in ganz neue Bahnen lenken dürfte.
    Nochmals: Danke für den Tipp!

    zuletzt geändert von speed-turtle

    --

    Musik ist nicht was sie ist, sondern was sie den Menschen bedeutet. (Simon Rattle)
    #10553568  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Das feut zu lesen/hören @speed-turtle! Ich habe die „Salome“ noch vor mir – es war einst die erste Oper, von der ich eine Aufnahme gekauft habe, lang bevor ich mich ernsthaft mit klassischer Musik zu befassen anfing. Die Hauptdarstellerin wurde ja fast überall sehr gelobt … schaffe es wohl erst im September, die Aufzeichnung in Ruhe anzuschauen, da ich die kommenden zwei Wochen ziemlich unterwegs bin und auch diese Woche fast jeden Abend irgendwas vor habe.

    Den „Lohengrin“ habe ich verpasst – habe aber auch so viel Kritisches über die Aufführung gehört, dass ich dachte, das sei kein allzu grosser Verlust (ich kenne die Oper noch gar nicht und liess mir u.a. von einem riesigen „Lohengrin“-Fan sagen, mit der Aufführung sollte ich auf keinen Fall einsteigen).

    … und wie Hilde schon sang: „Wie am Strand von Brabant Lohengrin einst gestand / Es ist aus, Elsa Maus, aus.“ :-)

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    #10553574  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

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    Meine Frau drängte auf die Übertragung der Salzburger „Salome“ …. zu Recht denn Asmik Grigorian war superb ….

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #10553684  | PERMALINK

    speed-turtle

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    gypsy-tail-wind — … und wie Hilde schon sang: „Wie am Strand von Brabant Lohengrin einst gestand / Es ist aus, Elsa Maus, aus.“

    So sieht’s nämlich aus. :good:
    Wobei ich den Lohengrin musikalisch auch unheimlich mag, nur ist er inhaltlich natürlich hochproblematisch mit seinem waffenklirrenden National-Pathos einerseits und dem fragwürdigen Frauen-/Geschlechterbild andererseits, weshalb szenische Umsetzungen offenbar schwierig sind und selten gelingen.
    Man muss sich schon sehr weit von gängigen Konventionen entfernen, um da eine halbwegs schlüssige und zeitgemäße Lesart zu finden, wie zuletzt Neuenfels mit seinen Bayreuther Laborraten, aber die eignen sich vermutlich auch kaum als Einstieg.
    Ein richtig guter Tipp fällt mir da jetzt selbst bei längerem Nachdenken nicht ein.
    Falls der besagte Fan einen hat, wäre ich neugierig drauf!

    zuletzt geändert von speed-turtle

    --

    Musik ist nicht was sie ist, sondern was sie den Menschen bedeutet. (Simon Rattle)
    #10554078  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    speed-turtle
    Ein richtig guter Tipp fällt mir da jetzt selbst bei längerem Nachdenken nicht ein.
    Falls der besagte Fan einen hat, wäre ich neugierig drauf!

    Es kam, wenig überraschend, erstmal der Hinweis auf Kempe (EMI) mit Jess Thomas in der Titelrolle … die Einspielung habe ich da, aber das braucht alles Zeit, ich nähere mich Wagner nur sehr widerwillig und behutsam an (gibt es denn irgendein Werk, das nicht auf vielerlei Weise höchst problematisch wäre? ich mag auch das extrem Suggestive seiner Gebrauchsmusik rein intuitiv nicht, obwohl es natürlich, gerade im Theater, durchaus mitreisst … beim „Parsifal“ neulich musste ich ja irgendwann auch meine Fahnen strecken und lief am Ende in halber Trance in die Nacht hinaus).

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    #10592634  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Zürich, Opernhaus – 25.09.2018

    La verità in cimento
    Dramma per musica in drei Akten von Antonio Vivaldi (1678-1741)

    Libretto von Giovanni Palazzi

    Musikalische Leitung Ottavio Dantone
    Inszenierung Jan Philipp Gloger
    Bühnenbild Ben Baur
    Kostüme Karin Jud
    Lichtgestaltung Franck Evin
    Dramaturgie Claus Spahn

    Rosane Anna Devin
    Rustena Liliana Nikiteanu
    Melindo Christophe Dumaux
    Damira Delphine Galou
    Zelim Deniz Uzun
    Mamud Richard Croft

    Orchestra La Scintilla

     

    Mochte gestern spät den Rechner nicht nochmal anwerfen, jetzt bin ich unterwegs und habe kein vernünftiges Schreibgerät mit. Daher nur ein paar Zeilen (äh nein … beim Zugfahren hat man ja Zeit!) zum hocherfreulichen Abend an der Oper Zürich gestern. Es handelte sich um die erste Aufführung der Wiederaufnahme einer Inszenierung von vor ein paar Jahren, zum grösseren Teil mit derselben Besetzung (Julie Fuchs fiel leider aus, aber das war zu erwarten, beim Saisonende im Juli sah es schon danach aus, dass es nicht mehr lange gehen würde mit dem Nachwuchs). Die NZZ berichtete damals über die Premiere:
    https://www.nzz.ch/feuilleton/wie-aufregend-eine-vivaldi-oper-sein-kann-1.18549152

    Die Verlegung der Handlung in eine beliebige Wohlstands- um nicht zu sagen Abzockerfamilie der heutigen Zeit fand ich vollkommen unerheblich, aber sicher besser als wenn die seltsamen Königreiche eibe Rolle gespielt hätten, um deren Besitz bzw. Erbe es im Libretto wohl geht. Dantone und Gloger erklären im Programmheft schlüssig, dass (fast?) jede Vivaldi-Oper einen Plan braucht, viel konzeptionelle Arbeit, bei der eine Spielfassung erst erstellt wird. Dantone erörtert auch, wie er die Partitur jeweils im Hinblick auf die Stimmen der Sängerinnen und Sänger zubereitet – Verzierungen für die Da Capos und so weiter.

    So wurde für die Züricher Aufführung eben der orientalische Rahmen gestrichen, manches gekürzt, das damals gezwungenermassen aufgepfropfte „lieto fine“ (eine Barockoper durfte nicht mit Totschlag und düsterer Stimmung enden) gestrichen. Stattdessen singt der einzige überlebende des Gemetzels, Zelim, eine tieftraurige Arie aus “ L’incoronazione di Dario“.

    Das alles macht noch längst keine vernünftige, nachvollziehbare Handlung daraus (was wiederumbei Barockopern eher erfolgversprechend war denn ein Problem), doch die ergsb sich ganz unabhängig vom Plot aus der Musik selbst. Und aus ihrer Darbietung durch das sehr gute und obendrein sehr ausgeglichene Ensemble. Die Feinabstimmung mit dem Graben musste zunächst noch gefunden werden, das Orchester spielte da und dort etwas zu laut und die relativ niedrigen Bühnenräume schluckten wohl auch einiges.

    Für Julie Fuchs sprang die Irin Anna Devin ein, die ihre Rolle toll verkörperte und sang. Ihre Schwiegermutter in spe sang Ensemblemitglied Liliana Nikiteanu, eine Sängerin, die ich schon öfter in kleineren Rollen gesehen habe, die gestern aber wie alle ihre grossen Auftritte hatte – das auch eine Qualität der Oper: jede der sechs Figuren hat wenigstens eine grossartige, lange Arie zu singen. Counter Christophe Dumaux sang den falschen Erben, seine Stimme ist etwas spitz, nicht besonders Klangschön, aber er sang seine Rolle ebenfalls sehr gut. Seinen Vater sang Richard Croft, der wie Dumaux schon in der Premiere dabei war. Sein Tenor nun hatte all die Wärme und den weichen Wohlklang, die ganze Ruhe, die man sich nur wünschen konnte – quasi als Gegenmoment zur wankelmütigen Figur, die er zu verkörpern hatte.

    Nach der Geburt seiner zwei Söhne – einer von der Mutter, der andere vom Dienstmädchen – vertauscht der Vater (der Abzocker, der seinen Sportwagen besser pflegt als seine Familie) diese, um sein Versprechen ans Dienstmädchen zu erfüllen, ihren Sohn zum Erben zu machen, wo er sie schon nicht heiraten konnte. Die Handlung setzt 25 Jahre später an, als er reinen Tisch machen will und die Dienstmagd, als Intrigantin die eigentliche Spielmacherin, unglücklich über den ihr untergejubelten falschen Sohn, das Glück des leiblichen im Auge ud Sinn, die Eröffnung der Wahrheit mit allen Mitteln zu hintertreiben sucht.

    Diese Rolle nun, sie war wirklich zentral für den Erfolg der ganzen Aufführung – und sie wurde, wie schon bei der Premiere – von der grossartigen Delphine Galou (abseits der Bühne Mme Dantone) mit ihrer feinen Altstimme gesungen – und mit vollem Körpereinsatz auf die Bretter geknallt obendrein, inklusive ironischer Wahnsinnsszene gegen Ende, in der sie die Hausherrin zunächst zu dressieren sucht, dann aber selbst dem Irrsinn anheim fällt – worin die Hausherrin gleich folgt (noch so ein unmöglicher Twist des Plots, den man aber wohl der Inszenierung zuschreiben muss – und das macht ihn auf einer Meta-Ebene, als ironischen Kommentar zum Genre, wiederum super). Davor hatte die Herrin des Hauses nur schlechte Pantomime hingekriegt, sie ist ja quasi nur Puppe, die Fäden zieht ihre Kontrahentin, zumal bis hierhin. Das ist dann auch der Moment, nach dem alles aus dem Ruder läuft, niemand mehr den geringsten Plan zu haben scheint.

    Ihren Sohn nun sang die schönste Überraschung, nämlich die aus Mannheim stammende, über eine wunderbar dunkel timbrierte und voluminöse Mezzostimme verfügende Denis Uzun. Sie war neben Nikiteanu dass zweite Ensemblemitglied der Wiederaufnahme und erhielt am Ende zu recht den grössten Applaus. Ihre Rolle mag dankbar sein: der missratene und ungeliebte (wir wissen weshalb) Emo-Sohn, der sich ritzt und mit nichts als sich selbst beschäftigt ist, am Ende trotzdem und allen Unglücks zum Trotz recht selbstherrlich als einzigeR davonkommt. Der falsche Erbe läuft Amok, wird dabei von seiner geldgeilen und überhaupt geilen (Devin nennt die Figzr auf Instagram eine „naughty minx“) nichtmehr-dochwieder-dochnichtmehr Verlobten erschossen, die sich danach selbst richtet, die ältere Generation hat sich bis dahin schon selbst in den Irrsinn verabschiedet bzw. geht – der Vater – gefesselt und geknebelt auf dem dicken Bürosessel unter. Da singt Uzun dann die eingefügte Arie, ein letzter musikalisch betörendender Moment, bevor der schwarze Vorhang fällt (und mit ihm die Welt?).

    Das war also im Hinblick auf den Gesang wirklich wunderbar – und das auf alten Instrumenten spielende Hausensemble La Scintilla trug unter der fachkundigen Leitung Ottavio Dantones ebenfalls zum Erfolg bei. Laut wird so eine Aufführung nicht, klar. Aber umso eindringlicher war die Wirkung, umso intimer. Der Reichtum an Melodien, die abwechslungsreiche Ausgestaltung, die äusserst lebendige Umsetzung machten die Aufführung für mich zum grossen Erfolg. Der Applaus war lang, obwohl die Ränge nur halb voll waren. Szenenapplaus gab es auch immer wieder, für alle sechs Sängerinnen und Sänger – was ich wohl noch nie erlebt habe. Man kann dem Ensemble für die zwei oder drei noch kommenden Aufführungen jedenfalls nur eine bessere Auslastung wünschen.

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    Luzerner Theater – 26.12.2018
     
    Roméo et Juliette
    Oper in 5 Akten von Charles Gounod (Libretto: Jules Barbier & Michel Carré, nach dem gleichnamigen Drama von William Shakespeare)

    Musikalische Leitung: Alexander Sinan Binder
    Inszenierung: Vincent Huguet
    Bühne: Aurélie Maestre
    Kostüme: Clémence Pernoud
    Licht: Bertrand Couderc
    Dramaturgie: Rebekka Meyer
    Choreinstudierung: Mark Daver

    Regula Mühlemann (Juliette)
    Diego Silva (Roméo)
    Jason Cox (Graf Capulet)
    Vuyani Mlinde (Frère Laurent)
    Bernt Ola Volungholen (Mercutio)
    Abigail Levis (Stéphano)
    Robert Maszl (Tybalt)
    Flurin Caduff (Graf Pâris)
    Sarah Alexandra Hudarew (Gertrude)
    Martin Roth (Grégorio)
    Kihun Koh (Benvolio)

    Chor und Extrachor des LT
    Luzerner Sinfonieorchester

     
    Ein wundervoller musikalischer Ausklang des Jahres gestern im kleinen (und leider ziemlich rachitischen) Luzerner Theater mit der fast schon verlorenen Tochter Regula Mühlemann in der einen Titelrolle, die in den letzten Jahren von Luzern aus die Konzertsäle und Bühnen der Welt erobert hat. Ich kannte Gounods Oper nicht, habe sie auch bewusst nicht im Vorhinein angehört (die zwei Plasson-Einspielungen sind griffbereit und werden wohl demnächst mal angehört). Umso schöner die Überraschung über die sehr feine Musik, die zwar alles in allem recht traditionell daherkommt, aber von einer Farbigkeit ist, die doch immer wieder beeindruckte.

    Die Inszenierung wusste alles in allem durchaus zu gefallen, das jugendliche Liebespaar – flankiert von Roméos Gefährten (besonders toll Abigail Lewis als Stéphano) – stellt sich gegen die satte, dekadente Welt der Alten (Julias äusserst unsympathischer Clan mit Jason Cox als herrischem Anführer). Man denkt so sehr an die „West Side Story“ wie an Shakespeare – und zwischendurch an Alex und seine Droogs aus „A Clockwork Orange“. Regula Mühlemann und ihr Roméo, Diego Silva, passen optisch wie stimmlich perfekt zusammen, ein wahrer Glücksfall, wie man ihn in der Oper ja leider nicht sehr oft zu sehen kriegt.

    Das kleine Luzerner Theater (481 Plätze, Parkett und zwei Balkone mit schmalen Galerien, keine Logen) ist für Gounods üppige Musik nicht weit genug. Wenn ich in zum Haus in Zürich immer wieder erwähne, dass ich es mag, wenn die Musik Verdis von den Wänden und der Decke zurück schallt und es im Raum auch mal knallt und laut werden darf, so kommt der Raum in Luzern spürbar an seine Grenzen. Dennoch kann natürlich nicht drei Stunden lang gedämpft musiziert werden. Die Balance stimmte aber doch ziemlich, am Pult stand gestern (wie bei zahlreichen weiteren Vorstellungen) nicht wie angekündigt Clemens Heil sondern der junge Alexander Sinan Binder, der seine Sache sehr gut machte. Allerdings fiel es den Sängerinnen und Sängern manchmal schwer, den vergleichsweise lauten und kompakten Orchesterwall zu übertönen, ein paar Mal verschluckte das Orchester ein paar Takte von der Bühne.

    Das Highlight der Aufführung war aber eindeutig Regula Mühlemann. Ihre Stimme scheint immer reicher, farbiger zu werden. Ohne sichtliche oder hörbare Anstrengung füllt sie den Raum, ist dabei noch immer von der glockenartigen Reinheit, der Klarheit, mit der sie vor ein paar Jahren auf sich aufmerksam zu machen begann. Eine beeindruckende Performance, die fast schmerzhaft unprätentiös beginnt (man möchte ihr manchmal zurufen, sie solle sich nicht dermassen unter ihrem Wert verkaufen – aber gerade das ist wohl im Operncircus eine ihrer Stärken) und im Verlauf des Stückes immer mehr an Dramatik gewinnt. Ein überaus überzeugender Auftritt.

    Einen Bericht aus kompetenterer Feder (der mich überhaupt zum gestrigen Besuch anspornte) findet man auf dem Blog von Peter Hagmann:
    http://www.peterhagmann.com/?p=1858

    Regula Mühlemann im Dezember 2017 in der Tonhalle-Maag (mit der Capella Gabetta):
    http://forum.rollingstone.de/foren/topic/konzertimpressionen-und-rezensionen/page/5/#post-10342935

    Regula Mühlemann im April 2018 im KKL (mit dem KOB unter Umberto Benedetti Michelangeli):
    http://forum.rollingstone.de/foren/topic/konzertimpressionen-und-rezensionen/page/7/#post-10465419

    Ich überlege gerade, Ende April wieder ins KKL zu fahren, um Mühlemann mit ihrem „Cleopatra“-Programm zu hören, das mir auf CD (Sony, 2017) ausnehmend gut gefällt. Sicher höre ich sie dann zum Saisonende in Zürich wieder, wenn sie die Susanna in „Le nozze di Figaro“ geben wird – ich freue mich schon darauf!

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