Antwort auf: Die wunderbare Welt der Oper

#10666271  | PERMALINK

gypsy-tail-wind
Moderator
Biomasse

Registriert seit: 25.01.2010

Beiträge: 67,000

Luzerner Theater – 26.12.2018
 
Roméo et Juliette
Oper in 5 Akten von Charles Gounod (Libretto: Jules Barbier & Michel Carré, nach dem gleichnamigen Drama von William Shakespeare)

Musikalische Leitung: Alexander Sinan Binder
Inszenierung: Vincent Huguet
Bühne: Aurélie Maestre
Kostüme: Clémence Pernoud
Licht: Bertrand Couderc
Dramaturgie: Rebekka Meyer
Choreinstudierung: Mark Daver

Regula Mühlemann (Juliette)
Diego Silva (Roméo)
Jason Cox (Graf Capulet)
Vuyani Mlinde (Frère Laurent)
Bernt Ola Volungholen (Mercutio)
Abigail Levis (Stéphano)
Robert Maszl (Tybalt)
Flurin Caduff (Graf Pâris)
Sarah Alexandra Hudarew (Gertrude)
Martin Roth (Grégorio)
Kihun Koh (Benvolio)

Chor und Extrachor des LT
Luzerner Sinfonieorchester

 
Ein wundervoller musikalischer Ausklang des Jahres gestern im kleinen (und leider ziemlich rachitischen) Luzerner Theater mit der fast schon verlorenen Tochter Regula Mühlemann in der einen Titelrolle, die in den letzten Jahren von Luzern aus die Konzertsäle und Bühnen der Welt erobert hat. Ich kannte Gounods Oper nicht, habe sie auch bewusst nicht im Vorhinein angehört (die zwei Plasson-Einspielungen sind griffbereit und werden wohl demnächst mal angehört). Umso schöner die Überraschung über die sehr feine Musik, die zwar alles in allem recht traditionell daherkommt, aber von einer Farbigkeit ist, die doch immer wieder beeindruckte.

Die Inszenierung wusste alles in allem durchaus zu gefallen, das jugendliche Liebespaar – flankiert von Roméos Gefährten (besonders toll Abigail Lewis als Stéphano) – stellt sich gegen die satte, dekadente Welt der Alten (Julias äusserst unsympathischer Clan mit Jason Cox als herrischem Anführer). Man denkt so sehr an die „West Side Story“ wie an Shakespeare – und zwischendurch an Alex und seine Droogs aus „A Clockwork Orange“. Regula Mühlemann und ihr Roméo, Diego Silva, passen optisch wie stimmlich perfekt zusammen, ein wahrer Glücksfall, wie man ihn in der Oper ja leider nicht sehr oft zu sehen kriegt.

Das kleine Luzerner Theater (481 Plätze, Parkett und zwei Balkone mit schmalen Galerien, keine Logen) ist für Gounods üppige Musik nicht weit genug. Wenn ich in zum Haus in Zürich immer wieder erwähne, dass ich es mag, wenn die Musik Verdis von den Wänden und der Decke zurück schallt und es im Raum auch mal knallt und laut werden darf, so kommt der Raum in Luzern spürbar an seine Grenzen. Dennoch kann natürlich nicht drei Stunden lang gedämpft musiziert werden. Die Balance stimmte aber doch ziemlich, am Pult stand gestern (wie bei zahlreichen weiteren Vorstellungen) nicht wie angekündigt Clemens Heil sondern der junge Alexander Sinan Binder, der seine Sache sehr gut machte. Allerdings fiel es den Sängerinnen und Sängern manchmal schwer, den vergleichsweise lauten und kompakten Orchesterwall zu übertönen, ein paar Mal verschluckte das Orchester ein paar Takte von der Bühne.

Das Highlight der Aufführung war aber eindeutig Regula Mühlemann. Ihre Stimme scheint immer reicher, farbiger zu werden. Ohne sichtliche oder hörbare Anstrengung füllt sie den Raum, ist dabei noch immer von der glockenartigen Reinheit, der Klarheit, mit der sie vor ein paar Jahren auf sich aufmerksam zu machen begann. Eine beeindruckende Performance, die fast schmerzhaft unprätentiös beginnt (man möchte ihr manchmal zurufen, sie solle sich nicht dermassen unter ihrem Wert verkaufen – aber gerade das ist wohl im Operncircus eine ihrer Stärken) und im Verlauf des Stückes immer mehr an Dramatik gewinnt. Ein überaus überzeugender Auftritt.

Einen Bericht aus kompetenterer Feder (der mich überhaupt zum gestrigen Besuch anspornte) findet man auf dem Blog von Peter Hagmann:
http://www.peterhagmann.com/?p=1858

Regula Mühlemann im Dezember 2017 in der Tonhalle-Maag (mit der Capella Gabetta):
http://forum.rollingstone.de/foren/topic/konzertimpressionen-und-rezensionen/page/5/#post-10342935

Regula Mühlemann im April 2018 im KKL (mit dem KOB unter Umberto Benedetti Michelangeli):
http://forum.rollingstone.de/foren/topic/konzertimpressionen-und-rezensionen/page/7/#post-10465419

Ich überlege gerade, Ende April wieder ins KKL zu fahren, um Mühlemann mit ihrem „Cleopatra“-Programm zu hören, das mir auf CD (Sony, 2017) ausnehmend gut gefällt. Sicher höre ich sie dann zum Saisonende in Zürich wieder, wenn sie die Susanna in „Le nozze di Figaro“ geben wird – ich freue mich schon darauf!

--

"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba