Antwort auf: Die wunderbare Welt der Oper

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Zürich, Opernhaus – 09.05.2018
 
Maria Stuarda
Tragedia lirica in zwei Akten von Gaetano Donizetti (1797-1848)
Libretto von Giuseppe Bardari, nach der gleichnamigen Tragödie von Friedrich Schiller

Musikalische Leitung Enrique Mazzola
Inszenierung David Alden
Bühnenbild und Kostüme Gideon Davey
Lichtgestaltung Martin Gebhardt
Choreinstudierung Ernst Raffelsberger
Dramaturgie Fabio Dietsche

Elisabetta I., Königin von England Serena Farnocchia
Maria Stuarda, Königin von Schottland Diana Damrau
Roberto, Graf von Leicester Pavol Breslik
Giorgio Talbot Nicolas Testé
Lord Guglielmo Cecil Andrzej Filonczyk
Anna Kennedy Hamida Kristoffersen

Philharmonia Zürich
Chor der Oper Zürich

Statistenverein am Opernhaus Zürich
 
Diana Damrau in Zürich? Das konnte ich mir nicht entgehen lassen. Vor ein paar Wochen besuchte die Einführungsmatinée, die hier zu jeder neuen Inszenierung an einem Sonntagvormittag jeweils Mitten in der Probephase abgehalten wird. Damrau war dabei, leider gab es jedoch keine Musik, wie ich das bei früheren solchen Matinéen erlebt hatte. Das Gespräch, an dem auch Regisseur David Alden und Dirigent Enrique Mazzola teilnahmen – geleitet wurde es vom Dramaturgen Fabio Dietsche – war allerdings interessant, denn ich weiss nicht viel über die Belcanto-Opern von Donizetti und Bellini. Letzterer tauchte hier die letzten Jahre eher mal auf dem Spielplan auf, wenigstens was Neuproduktionen betrifft, doch die einzige Belcanto-Oper, die ich gehört habe, war die Wiederaufnahme von Doniziettis L’Elisir d’amore mit Nello Santi.

Die Konstellation mit zwei Sopranistinnen sorgt natürlich für reichlich Spannung und der erste Akt (die heutige kritische Fassung, mit der in Zürich gearbeitet wurde, bietet nur zwei Akte, früher wurde die Oper in drei Akten gespielt) spitzt sich folgerichtig auf die Begegnung der zwei Königinnen zu, die dann eskaliert, was wiederum zur Hinrichtung Maria Stuardas am Ende des zweiten Aktes führt. Die Inszenierung war zurückhaltend, ein grosser Musiktheaterabend war das zwar nicht, aber Bühnenbild, Kostüme, Licht und vor allem die Figurenführung waren allesamt überzeugend. Noch besser war das Orchester, das gerade im italienischen Repertoire regelmässig zu Höchstform aufzulaufen scheint. Mit einem Belcanto-Spezialisten und Fan, wie bei der Einführungsmatinée deutlich geworden war, klappte das denn auch wieder sehr gut. Mazzola übrigens dirigiert ohne die in der Oper oft zu sehenden grossen Gesten – was in diesem Fall keinerlei Unsauberkeiten oder Koordinationsschwierigkeiten auslöste, wie ich es auch schon erlebt habe. Er scheint sehr genau zu wissen, was er erwartet, und er scheint das auch sehr gut kommuniziert zu haben. Die Orchestrierung der Oper ist einmal mehr sehr schön, ich fand sie aber nicht ganz so berückend wie im „Liebestrank“, der mir diesbezüglich enorm gefällt.

Der erste Akt gehört zunächst Elisabeth und Serena Farnocchia hatte in der Tat einen starken Auftritt, auch das Ensemblemitglied Pavol Breslik in seinem Rollendebut als Leicester war überzeugend. Überhaupt geben in dieser Inszenierung alle Sänger_innen ihr Rollendebut, mit Ausnahme Farnocchias. Der Auftritt von Damrau war dann aber wie ein Weckruf und aus gut wurde phantastisch – was für eine Stimme, was für eine Kontrolle, was für eine Projektionskraft, was für ein Pianissimo! Im Gegensatz zu Farnochia ging sie weder in den anderen Stimmen noch im Orchester unter, egal wie leise sie sang – sehr beeindruckend. Darauf hatte mich meine erste Begegnung mit Damrau in Les Contes d’Hoffmann in München nicht wirklich vorbereitet – die Bayerische Staatsoper ist viel grösser, die Wirkung – ähnlich wie in der Scala – etwas weniger frappant als in der kleineren Oper hier in Zürich (dafür sind beide Häuser klanglich ausgeglichener – doch ich mag es, wenn es bei Verdi oder Puccini auch mal richtig knallt, und das geht in Zürich schon deutlich besser).

Die Besetzung ist aber überhaupt sehr gut und alles in allem auch recht ausgeglichen. Ich wüsste nicht, wer – ausser Anja Harteros, aber ob man die und Damrau je zusammen auf die Bühne bringen könnte? (an opera lover’s wet dream) – Damrau die Stirn bieten könnte, wenn sie so fabelhaft auftritt wie an dem Abend. Ihr Ehemann Nicolas Testé (er war in München auch dabei) als Vermittler Talbot war gut, noch etwas stärker fand ich wohl – aber das mag an der Bösewicht-Rolle gelegen haben – Andrzej Filonczyk als Lord Cecil, der auf die Hinrichtung Marias drängt. Hamida Kristoffersen hatte als Anna Kennedy nicht viel zu tun, doch war sie in den letzten Szenen bis zur Hinrichtung auf der Bühne sehr präsent und machte ihre Sache – gemeinsam mit dem Chor – ebenfalls sehr gut.
 

 
Damit ist die Opernsaison für mich fast gelaufen, es steht noch eine hoffentlich sensationelle „Incoronazione di Poppea“ mit einer tollen Besetzung (d’Oustrac, Sabadus, Fuchs, Galou) unter Ottavio Dantone an und dann ist erstmal Pause. Für die kommende Saison habe ich mir vorgenommen, etwas wählerischer zu sein, aber die Vorschau sieht schon mal wieder fein aus, es gibt u.a. „Die Gezeichneten“ unter Jurowski, „Hippolyte et Aricie“ unter Haïm, (mit d’Oustrac, Petit), Dantone macht „La verità in cimento“ (mit Fuchs, Galou), Christie macht „Semele“ (mit Bartoli), Santi die „Lucia di Lammermoor“ (mit Damrau), Luisi macht „La forza del destino“ (mit Harteros) und Young macht die „Elektra“ (mit Herlitzius) – die sind allesamt gesetzt für mich, und wohl auch der „Rosenkavalier“ mit Stoyanova (Marschallin), Stéphany (Octavian) und Devieilhe (Sophie), zudem gibt es Massenets „Manon“, Regula Mühlemann als Susanna in „Le nozze di Figaro“, es gibt „Così fan tutte“ …

Und dass Riccardo Minasi neu La Scintilla leitet, das hauseigene HIP-Ensemble (das bei Haïm, Christie und Dantone zum Einsatz kommt), und mit ihm vier Konzerte gibt, u.a. eines mit den sechs Brandenburgischen Konzerten und eines mit Julie Fuchs und Delphine Galou, sind natürlich auch tolle Neuigkeiten! Obendrein gibt es Liederabende von Anna Stéphany und Anja Harteros (letztere war diese Saison auch da, aber ich habe sie verpasst – als Tosca wie auch mit ihrem Liederabend) und Konzerte u.a. mit Musik von Penderecki, Roussel, Schreker, Zemlinsky und Ligeti (dessen „Grand macabre“ ebenfalls in einer Neuinszenierung gespielt wird, doch den sah ich gerade in Luzern und das reicht wohl für die nächsten Jahrzehnte, so toll ist die Oper nun wahrlich nicht).

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