Die Intention von Jazz in der elektronischen Musik

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  • #55319  | PERMALINK

    flint-holloway

    Registriert seit: 05.10.2007

    Beiträge: 9,981

    So. Um was gehts hier und warum der sperrige Titel?

    Erst mal um die Sache besser umreisen zu können worum es mir nicht geht. Langweilge Soundclashes aus belanglosen Downbeattracks mit klischeehaftem Geklimper und einfallslosen Soli wie sie in Massen auf Compilations verbraten werden, welche dann Titel wie „City Lounge“, „Science-Fiction Jazz“ oder „Chill Out Café“ tragen, und schon allein durch seelenlose Bars an expornierten Stellen in den Zentren unserer Großstädte, die ihren Gästen ein Gefühl des Anspruchs vermitteln wollen ohne sie dabei wirklich zu stören, einen reissenden Absatz erfahren.

    Um was soll es dann gehen? Elektronische Musik die mehr bietet als eine plakativen Anstrich von Jazz, sondern deren Kern mehr oder minder im Jazz verwurzelt ist ohne zwangsläufig eine „jazzige“ Soundästhetik übernehmen zu müssen.

    Jetzt wo ich es wahrscheinlich geschafft habe, dass keiner mehr weiss worauf ich eigentlich hinaus will fang ich einfach mal an mit:

    Photek – Modus Operandi (1997)

    5770.jpg

    >>>HIER< << kann man das komplette Album anhören.

    Da das Album teilweise aus schon vorher veröffentlichten Tracks besteht und so über die Gesamte Albumlänge kein Konzept auf der Reihenfolge der Tracks beruhend existiert, gehe ich das ganze mal meinem Anliegen entgegenkommend mit dem Titeltrack „Modus Operandi“ an. Das Stück entspricht eigentlich am wenigsten der Intention des Threads, da es das glatteste Lied der Platte ist, und seine Jazzanteile aus der Soundästhetik und „angenehmen Geklimper“ bestehen. Allerdings immerhin auf hohem Niveau. Das ganze ist sozusagen der Warm Up auf den sperrigeren und kälteren Rest der Platte. Wer nicht so viel Zeit investieren möchte der skipt zu:

    „The Hidden Camera“. Hier gibt es schon ein Paar Ecken mehr und es wird deutlich welcher Typus von Jazzer tief in Photek schlummert: der Drummer. Noch ist das ganze sehr Loopbasierend, aber schon innerhalb der Drumloops spürt man das Bemühen die rhythmischen Begebenheiten eines improvisierten vom Gefühl geleiteten Schlagzeugspiels zu reproduzieren.

    Diese macht sich Photek in „K.J.Z.“ zu nutze. Hier sampled er Jazz-Drum-Solos, zerschneidet sie und setzt sie neu zusammen um damit ein fliessendes Ganzes zu kreieren. Diese Technik verwendet er auf dem Album nur bei diesem Stück. Auf Grund der natürlich klingenden Drums kann man sich das ganze schön als live eingespielt und sich vom Gefühl des Moments leiten lassend vorstellen.

    Diese Ästhtik des live eingespielten übernimmt er dann zum Teil in „Minotaur“. Nach dem düsteren Intro aus verzerrten Synths und metallisch klingenden Stabs hören wir allerdings deutlich dass er sich von gesampleten Loops abgewand hat und etwas unnatürlicher klingende Drumsounds aneinander reiht. Aber wie an der Maschine geplant klingt das nicht, sondern auch wieder als ob er im jeweiligen Moment improvisiert und so eine lange Kette variierender Drumpatterns erzeugt. Bei diesem Track sind wir schon in wesentlich kälteren dunkleren Gefielden angelangt, welche sich (wie bisher von mir verheimlicht) Drum and Bass schimpfen.

    Der Synth vom Beginn begleitet uns hinüber in den nächsten Track „Aleph 1“, welcher insgesamt etwas geradliniger dafür aber wunderschön verträumt ist (wenn man die teils scharf klingenden Sounds als passend empfinden vermag). Gerade dieser scharf klingende Synthesizer spielt sozusagen gegen die Drums an und ähnelt somit der polyrhythmischen Gegenläufigkeit welche ein häufiges Merkmal im Jazz ist. Einer meiner liebsten Tracks auf dem Album.

    Der nächste Titel „124“ variiert Themen aus „Aleph 1“ auf halber Geschwindigkeit. Entspannen oder skippen ist angesagt.

    Die Tendenz der unnatürlichen Drumsounds aus „Minotaur“ wird in „Smoke Rings“ und „Trans 7“ fortgesetzt. Hier geht es dann schon etwas mehr in die Richtung von Source Direct (ein DnB Produzenten Duo) mit ihren minimalen und düsteren Experimenten an der damals zum grossen Teil Basslineverwobbelten und Kindermelodieverpillten DnB Szene vorbei.

    Absolut erwähnenswert ist noch „The Fifth Column“. Ich sage nur Japan 14. Jahrhundert. Den Rest hört selbst.

    „Axiom“ als übriggebliebener Track ist dann noch etwas für alle die bisher etwas mit dem Album anfangen konnten. Jazzeinflüsse sind hier kaum erkennbar.

    Insgesamt ein sehr reduziertes aber wahnsinnig atmosphärisch und einnehmendes Album, welches sich über die Jahre langsam aber sicher in meine Alben Top Ten geschlichen hat. Geduld lohnt sich hier.

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    #6710539  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 4,877

    Flint HollowaySo. Um was gehts hier und warum der sperrige Titel?

    Erst mal um die Sache besser umreisen zu können worum es mir nicht geht. Langweilge Soundclashes aus belanglosen Downbeattracks mit klischeehaftem Geklimper und einfallslosen Soli wie sie in Massen auf Compilations verbraten werden, welche dann Titel wie „City Lounge“, „Science-Fiction Jazz“ oder „Chill Out Café“ tragen, und schon allein durch seelenlose Bars an expornierten Stellen in den Zentren unserer Großstädte, die ihren Gästen ein Gefühl des Anspruchs vermitteln wollen ohne sie dabei wirklich zu stören, einen reissenden Absatz erfahren.

    Um was soll es dann gehen? Elektronische Musik die mehr bietet als eine plakativen Anstrich von Jazz, sondern deren Kern mehr oder minder im Jazz verwurzelt ist ohne zwangsläufig eine „jazzige“ Soundästhetik übernehmen zu müssen.

    Jetzt wo ich es wahrscheinlich geschafft habe, dass keiner mehr weiss worauf ich eigentlich hinaus will fang ich einfach mal an mit:

    Photek – Modus Operandi (1997)

    Insgesamt ein sehr reduziertes aber wahnsinnig atmosphärisch und einnehmendes Album, welches sich über die Jahre langsam aber sicher in meine Alben Top Ten geschlichen hat. Geduld lohnt sich hier.

    Bravo!

    Sehr schön geschrieben und die feine Beschreibung der einzelnen Tracks verstehe ich als Einladung zu einem außergewöhnlichen Hörerlebnis. Die Ausschnitte, die ich über den Link höre, versetzen mich schon mal in freudige Erwartung.

    Du hast Recht: Es ist der flexible Umgang mit den Samples, Loops und den Drumpatterns, der diese Musik in jazzige Bewegung versetzt und sie geschmeidig und spontan erscheinen lässt. Dieses Stück mit den gesampelten/geloopten Drumsoli und der Bassbegleitung ist klasse. Das klingt tatsächlich fast wie eine live Duo-Performance. Insgesamt umschifft Photek das Klischee der vorprogrammierten, monotonen Schnellfeuerbeats im DnB sehr geschickt. Genau die Sequenzerklischees und Drumloops, die man erwartet, gibt eben gerade nicht. Bei Photek bewegt sich das dauernd und bleibt unkalkulierbar. Es gibt in seinen Drums immer wieder diese Akzentverschiebungen, Betonungen und Verzögerungen, die Spannung erzeugen und dem ganzen Leben einhauchen. Die Sensiblilität für den Klang des Fender Rhodes (oder so) und vor allem des akustischen Basses, der ja auch ganz prominent vorgestellt wird, ist auch schön. Wo nimmt man den Klang des Basses sonst noch so deutlich wahr, wie in diesem eigentlich ja eher ungewöhnlichem Kontext der elektronischen Musik?

    Die Möglichkeiten der Elektronik scheinen mir hier wie ein Durchlauferhitzer für die Jazzelemente zu funktionieren, oder umgekehrt, die jazzige Herangehensweise haucht der „kalten“ Elektronik Leben ein. So etwas wie eine Honigpumpe in der Welt der digitalen Musik. Wunderbar!

    Das fällt mir mit natürlich wieder mal sofort Squarepusher ein, der dreht die Elektronik mit Hilfe von Jazz auf links. Außerdem NOCTURNES, FALSE DAWNS & BREAKDOWNS von Andrew Pekler, auch wenn das jeweils noch mal andere Herangehensweisen sind. Und Das Chicago Underground Quartet / Trio / Duo, wenngleich die aus einer anderen Richtung zu kommen scheinen.

    Friedrich.

    --

    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
    #6710541  | PERMALINK

    flatted-fifth
    Moderator

    Registriert seit: 02.09.2003

    Beiträge: 6,027

    Flint HollowayUm was soll es dann gehen? Elektronische Musik die mehr bietet als eine plakativen Anstrich von Jazz, sondern deren Kern mehr oder minder im Jazz verwurzelt ist ohne zwangsläufig eine „jazzige“ Soundästhetik übernehmen zu müssen.

    Ich war ja im vergangenen Jahr sehr begeistert vom Debütalbum des kanadischen Trios Cobblestone Jazz, die hier Techno selbst zum Jazz verwandeln. Ganz allgemein gesprochen sind im Techno allerdings ja selbst immer wieder Jazzreferenzen zu finden, so dass die Symbiose zwischen den beiden oberflächlich betrachtet völlig unterschiedlichen Musikrichtungen eigentlich nur logisch sein muss (siehe z.B. Juan Atkins‘ „Info World“). Streng musikhistorisch gesehen haben Jazz und Techno sogar beide die gleichen Wurzeln (Blues)…

    In der nicht tanzmotivierten elektronischen Musik ist Bugge Wesseltoft einer meiner Lieblinge (Anspieltipp: „Somewhere In Between“). Der Pianist steht dabei für eine ganze norwegische Szene (Nils Petter Molvaer, Arve Henriksen, Eivind Aarset, Morten Qvenild, …) , die sehr intelligent und behutsam mit der Elektronik im Jazz experimentiert. Ich weiß nicht, ob ich mit dieser Art von Musik Deinen Threadanspruch erfüllen kann, aber ich finde, sie verdient hier durchaus eine Erwähnung…

    --

    You can't fool the flat man!
    #6710543  | PERMALINK

    flint-holloway

    Registriert seit: 05.10.2007

    Beiträge: 9,981

    Banana Joe Ich weiß nicht, ob ich mit dieser Art von Musik Deinen Threadanspruch erfüllen kann, aber ich finde, sie verdient hier durchaus eine Erwähnung…

    das war als kampfansage zu verstehen gegen die jeder gegenhalten kann wenn er damit nicht einverstanden ist. also immer her damit. von bugge wesseltoft kenn ich nur „try“ mit sidsel endresen genauer, welches ich aber sehr toll finde. mit cobblestone jazz wollte ich mich eh schon länger mal befassen, da ich riesiger fan der mathew jonson soloproduktionen bin.

    @friedrich:

    viel spass mit modus operandi. und fühl dich frei auch mal was über das hello everything album von squarepusher zu schreiben. mit dem bin ich noch nicht so recht warm geworden. vielleicht hilft da der blick von aussen. :-)

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    #6710545  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    Flint Holloway

    @friedrich:

    viel spass mit modus operandi. und fühl dich frei auch mal was über das hello everything album von squarepusher zu schreiben. mit dem bin ich noch nicht so recht warm geworden. vielleicht hilft da der blick von aussen. :-)

    Hallo Flint,

    MODUS OPERANDI ist inzwischen eingetroffen. Habe gerade nicht so viel Zeit, darüber zu schreiben. Nur kurz: Vieles gefällt mir sehr gut. Ein kleiner Schwachpunkt ist vielleicht, dass die Platte bereits vorher veröffentlichtes Material recyclet und auch dieses manchmal nur variiert. Da wiederholen sich die Themen schon mal und nach wiederholtem Hören skipt man ganz gerne mal zum nächsten Stück. Insgesamt finde ich Deine Beschreibung der Platte sehr gut. Könnte ich nicht besser. Aber später mehr dazu.

    Zu Squarepusher schreibe ich gerne noch was. Ich denke mit HELLO EVERYTHING habe ich mir aber ausgerechnet die falsche Platte zum Thema Jazz + Elektronik ausgesucht (auch wenn sie mir sehr gut gefällt). Wahrscheinlich wären BURNING N TREE (aus dem gleichen Jahr wie MODUS, glaube ich und auf eine ganz ähnliche Weise eine vermischung von D n B und Jazz, aber dichter) oder MUSIC IS ROTTED die besseren Ansatzpunkte. Auch dazu später.

    Bis dann,

    Friedrich.

    --

    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
    #6710547  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    Spät antworte ich, aber ich antworte.

    Ich wollte noch was zu BURNINGN’N TREE von Squarepusher alias Tom Jenkinson schreiben.

    MODUS OPERANDI und BURNINGN’N TREE haben einige Gemeinsamkeiten: Beide kamen 1997 heraus, beide bestehen aus bereits auf Singles etc. veröffentlichten Material, beide dürften wir im Genre Drum ’n‘ Bass einsortieren, beide sind aber auch gleichzeitig untypisch für das Genre. Auch BNT ist keine über 70:00 durchgehend gute Platte, will sagen, es gibt durchaus ein paar Hänger, vermutlich B-Seiten oder auch ein paar vorher – möglicherweise aus gutem Grunde – unveröffentlichte Stücke. Das finde ich aber bei so einer Sammlung von sonst nirgendwo mehr erhältlicher Musik völlig okay. Das ist wie eine Jazz-Reissue mit allerlei Alternate Takes usw. Mit Hilfe der Programmierfunktion des CD-Spielers lässt sich daraus je nach eigenem Geschmack eine wirklich brillante Platte machen.

    Ich habe nicht die geringste Ahnung welche Bedeutung der Titel hat. Die Titel der einzelnen Stücke auf der CD sind auf dem Cover nicht vermerkt, im Internet findet man sie hingegen. Ich weiß nicht, ob ich die Musik so gut beschreiben kann, wie Du MODUS OPERANDI beschrieben hast, möchte es aber doch exemplarisch anhand von 2 Stücken versuchen. Man verzeihe mir Ungenauigkeiten.

    CENTRAL LINE ist das erste Stück auf BNT. Als Intro hören wir ein Bass-Riff aus ein paar auf dem Fender Rhodes (oder – was wahrscheinlicher ist – einer digitalen Imitation) gespielten Akkorden, das wiederholt durch einen harten Schlag auf Bassdrum und Hi Hat (oder so) akzentuiert wird, alle zwei Takte, wenn ich das richtig höre. Dann geht es in Media Res: Ein rasender, programmierter D’n’B-Beat fährt ab, ein bundloser E-Bass hakt sich ein, das Fender Rhodes Riff wird ständig wiederholt und variiiert, und ab geht die Post. Ein mit der rechten Hand gespieltes Fender-Riff löst das Bass-Riff ab und entwickelt sich zu einem jazzigen Solo. Die einzelne Stimmen setzen mal ein und aus, werden variiert, mal treten die Drums eine Schritt zurück, ein Bass-Solo tritt in den Vordergrund. Am Ende findet sich wieder alles zusammen und dann ist schlagartig Schluss. Ein rasanter Einstieg, der keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, was uns auf BNT noch erwartet.

    Das zehnte Stück EVISCERATE VERSION ist zunächst mal ein rasend schnelles, gelooptes Drumbreak, ich vermute, dass Tom Jenkinson das selbst gespielt und nicht programmiert hat und es dann durch den Sampler gejagt hat. Es klingt leicht unregelmäßig, mit kleinen Akzentverschiebungen. Der besondere Reiz liegt aber darin, wie Jenkinson das loopt: Es hört sich so an, als lasse er das Break einfach laufen und drückt immer wieder spontan auf die Repeat-Taste, so das es springt, aber eben nicht genau regelmäßig, sondern mal etwas früher, mal etwas später. Dadurch gibt es kleine rhythmische Verschiebungen, kleine Sprünge, winzige Pausen, die das nervös und dynamisch klingen lassen. Das Ding läuft nicht geradeaus, sondern schlägt Haken. Der Hersteller des Samplers würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, denn so ist das in der Betriebsanleitung bestimmt nicht vorgesehen, aber Jenkinson erzielt genau damit einen tollen Effekt. Das geht eine knappe Minute so, dann bricht es völlig unvermittelt ab. Stattdessen hören wir einen eigenartigen, weich modellierten, langsam pulsierenden Synthie-Klang, irgendwo zwischen Sun Ra, Silver Surfer und Raumschiff Orion. Der Komplementärkontrast zu dem Drumloop. Nach einer Weile werden die Drums wieder eingeblendet, ein paar Pekussionseffekte kommen hinzu, ein Basssolo, die Drums setzen wieder aus, bis schließlich Drums und Raumschiff Orion parallel laufen. Der Kontrast hat einen sehr schönen und hypnotischen Effekt. Einerseits die hypernervösen Drums, andererseits der weich gleitende Synthie-Klang. Man kann garnicht sagen, ob das Stück schnell ist oder langsam, hektisch oder ruhig. Am Ende ist man jedenfalls völlig benebelt.

    Diese beiden Stücke könnte man exemplarisch für BNT stehen lassen. Alles sehr dicht gestrickt, sehr eng verzahnt, jeder Ton hängt straff eingespannt zwischen den anderen, aufgelockert durch die jazzigen Soli und gezielt eingesetzten Brüche und Pausen, die aber ganz wesentlich sind: Immer eng auf das musikalische Geschehen bezogen, kontrastierend und daraus Spannung aufbauend. Einerseits die durchprogrammierten Elemente, andererseits als Kontrast dazu die improvisierten Soli. Sehr klar strukturiert, nicht nur vertikal (also im Verhältnis der verschiedenen Stimmen) sondern auch horizontal (in der Zeit). Es gibt Schichten und aufeinanderfolgende Teile, die klar unterscheidbar sind, das klingt geplant, aber nie zwanghaft, sondern mit einem feinen Gespür für Spannung und Dynamik.

    Eine Art Power-Trio aus Fender, Bass und Drums, allerdings in einer Person, daher absolut perfekt auf einander eingespielt. Die beste Platte, die Herbie Hancock, Jaco Pastorius und Billy Cobham nie gemacht haben

    Ich kenne noch ein paar andere Platten von Squarepusher. Die poppige HARD NORMAL DADDY, die sehr jazzige aber auch sehr faserige MUISIC IS ROTTED ONE NOTE, und HELLO EVERYTHING. Die sind alle gut, loten das auf BNT vorgestellte Spektrum aus und erweitern dies, mal jazziger mal poppiger, im Fall von HELLO auch viel komplexer, vom Klang her reicher aber auch weniger klar. BNT ist sehr redutiert und transparent.

    Viel Text, ich weiß, und alles nur über zwei Stücke elektronischer Popmusik. Aber so höre ich das und so fasziniert mich das.

    Friedrich

    --

    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
    #6710549  | PERMALINK

    flint-holloway

    Registriert seit: 05.10.2007

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    schöne ausführung @friedrich, welche mich gleich mal dazu bringt nach jetzt mindestens 2 jahren pause das album wieder mal durchzuhören.

    für alle die die beiden besprochenen stücke nicht kennen:

    Squarepusher – Central Line
    Squarepusher – Eviscerate (Version)

    Friedrich
    Das zehnte Stück EVISCERATE VERSION ist zunächst mal ein rasend schnelles, gelooptes Drumbreak, ich vermute, dass Tom Jenkinson das selbst gespielt und nicht programmiert hat und es dann durch den Sampler gejagt hat.

    das müsste allerdings, mit fast 100 prozentiger sicherheit, der soulpride-loop sein. aus James Brown – Soul Pride (ab ca. 3:23)

    bei Central Line wird übrigens wieder einmal der amen-break verwurstet über den es [SIZE=“2″][B][U]hier eine wahnsinnig interessante kurz-dokumentation zu hören gibt.

    --

    #6710551  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 4,877

    Flint Hollowayschöne ausführung @friedrich, welche mich gleich mal dazu bringt nach jetzt mindestens 2 jahren pause das album wieder mal durchzuhören.

    Hallo und besten Dank. Vom kompletten Durchhören von BNT würde ich abraten. Gut 40 Minuten davon sind berauschend, dann wird’s betäubend und danach kommt der Kater. Meine Short Version sind folgende Stücke: 1 / 3 / 5 / 2 / 9 / 4 / 10 / 12 / 7. In dieser Reihenfolge. Kommt vielleicht manch einem etwas bescheuert vor, die Stücke neu zu sequenzen, aber für meinen Gebrauch habe ich mir dadurch aus einem nur schwer zu konnsumierenden Sammelsurium eine perfekte Platte gemacht.

    Flint Hollowaydas müsste allerdings, mit fast 100 prozentiger sicherheit, der soulpride-loop sein. aus James Brown – Soul Pride (ab ca. 3:23)

    bei Central Line wird übrigens wieder einmal der amen-break verwurstet über den es [SIZE=“2″][B][U]hier eine wahnsinnig interessante kurz-dokumentation zu hören gibt.

    Respekt vor soviel Fachwissen und feinem Gehör. Hätte ich nicht gedacht. James Brown ist ja auch einer meiner Favoriten

    Es ist ja letztendlich fast egal, ob selbst gespielt oder gesamplet. Den Amen-Break kenne ich natürlich. Die Doku dazu ist auch super. Squarepusher setzt den Break so gut wie unverändert ein. Das ist so, als wäre der Break eine Grundzutat für ein Rezept oder die Basis eines Industrieprodukts (Gummi für Reifen, Zement für Beton oder Gelantine für Gummibärchen ;-)). Das Tolle ist eigentlich das Fender Solo, das er darüber spielt, und wie er das Stück strukturiert. Ich find’s super.

    Lieber Gruß,

    Friedrich

    --

    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
    #6710553  | PERMALINK

    kingberzerk

    Registriert seit: 10.03.2008

    Beiträge: 2,068

    Tilman Ehrhorn zum Beispiel ist ein sehr guter Jazz-Saxophonist, hat aber mit „Task“ (Mille Plateaux) und vor allem mit „Heading for the Open Spaces“ (Resopal Schallware) eine Möglichkeit demonstriert, in der Elektronica eine Musik zu veröffentlichen, die so überhaupt nichts mit Jazz zu tun hat außer mit den Voicings und einigen etwas abstrakteren Kriterien. Bei seinen Arbeiten, insbesodere bei der Resopal-Veröffentlichung, fällt sein bemerkenswert musikalisches Ohr auf.

    Gerade ein Album von J Dilla gehört, und was mir mißfällt ist das Vertrauen in das repetitive Element, dem Bausteinprinzip der Anwendungen wie Logic folgend. Tracks dieser Leute riskieren auf diese Weise, zuweilen ins Naive abzugleiten. Ist erst einmal eine Textur geschaffen, begnügen sich viele Elektronika-Leute bereits damit, was manchmal schade ist.

    --

    Tout en haut d'une forteresse, offerte aux vents les plus clairs, totalement soumise au soleil, aveuglée par la lumière et jamais dans les coins d'ombre, j'écoute.
    #6710555  | PERMALINK

    flint-holloway

    Registriert seit: 05.10.2007

    Beiträge: 9,981

    FriedrichHallo und besten Dank. Vom kompletten Durchhören von BNT würde ich abraten. Gut 40 Minuten davon sind berauschend, dann wird’s betäubend und danach kommt der Kater. Meine Short Version sind folgende Stücke: 1 / 3 / 5 / 2 / 9 / 4 / 10 / 12 / 7. In dieser Reihenfolge. Kommt vielleicht manch einem etwas bescheuert vor, die Stücke neu zu sequenzen, aber für meinen Gebrauch habe ich mir dadurch aus einem nur schwer zu konnsumierenden Sammelsurium eine perfekte Platte gemacht.

    bin schon gerade bei track 8 angelangt. der bei einer short version bei mir unter keinen umständen fehlen dürfte. soweit ich mich erinnere track 11 auch nicht (das ist doch der relativ langsame mit den extremen filler-effekten? ich werds gleich hören). no. 7 als last one ist aber eine definitiv gute idee. und die reihenfolge von tracks verändere ich auch auf so manchem album. gibt nur relativ wenige bei denen ich das niemals machen würde.

    Friedrich
    Respekt vor soviel Fachwissen und feinem Gehör. Hätte ich nicht gedacht. James Brown ist ja auch einer meiner Favoriten

    Es ist ja letztendlich fast egal, ob selbst gespielt oder gesamplet. Den Amen-Break kenne ich natürlich. Die Doku dazu ist auch super. Squarepusher setzt den Break so gut wie unverändert ein. Das ist so, als wäre der Break eine Grundzutat für ein Rezept oder die Basis eines Industrieprodukts (Gummi für Reifen, Zement für Beton oder Gelantine für Gummibärchen ;-)). Das Tolle ist eigentlich das Fender Solo, das er darüber spielt, und wie er das Stück strukturiert. Ich find’s super.

    mein steckenpferd war über lange jahre der drum’n’bass (und ist es jetzt eigentlich immer noch, wenn auch nicht mehr so extrem). dort gibt es 7 – 8 drumloops die immer wieder dran glauben müssen. der soulpride ist einer davon und von daher ist das dann nicht mehr so schwer zu erkennen.

    mag auch das solo bei dem stück und anderen auf dem album (insbesonder tr. 7). keines davon wirkt aufgesetzt und nach einem stupidem schema f eingebaut wie es bei vielen nu-jazz oder downbeat sachen der fall ist. sondern irgendwie wie aus der masse der drums „herausgeboren“.

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    #6710557  | PERMALINK

    flint-holloway

    Registriert seit: 05.10.2007

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    kingberzerkTilman Ehrhorn zum Beispiel ist ein sehr guter Jazz-Saxophonist, hat aber mit „Task“ (Mille Plateaux) und vor allem mit „Heading for the Open Spaces“ (Resopal Schallware) eine Möglichkeit demonstriert, in der Elektronica eine Musik zu veröffentlichen, die so überhaupt nichts mit Jazz zu tun hat außer mit den Voicings und einigen etwas abstrakteren Kriterien. Bei seinen Arbeiten, insbesodere bei der Resopal-Veröffentlichung, fällt sein bemerkenswert musikalisches Ohr auf.

    das Task album ist bei last.fm in voller länge zu hören habe ich gerade bemerkt. gleich mal für später gebookmarked.

    --

    #6710559  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    kingberzerkTilman Ehrhorn zum Beispiel ist ein sehr guter Jazz-Saxophonist, hat aber mit „Task“ (Mille Plateaux) und vor allem mit „Heading for the Open Spaces“ (Resopal Schallware) eine Möglichkeit demonstriert, in der Elektronica eine Musik zu veröffentlichen, die so überhaupt nichts mit Jazz zu tun hat außer mit den Voicings und einigen etwas abstrakteren Kriterien. Bei seinen Arbeiten, insbesodere bei der Resopal-Veröffentlichung, fällt sein bemerkenswert musikalisches Ohr auf.

    Gerade ein Album von J Dilla gehört, und was mir mißfällt ist das Vertrauen in das repetitive Element, dem Bausteinprinzip der Anwendungen wie Logic folgend. Tracks dieser Leute riskieren auf diese Weise, zuweilen ins Naive abzugleiten. Ist erst einmal eine Textur geschaffen, begnügen sich viele Elektronika-Leute bereits damit, was manchmal schade ist.

    Klingt alles interessant und wird bei Gelegenheit mal angehört. Das Label Mille Plateaux gibt es aber gar nicht mehr, oder?

    Ich bin kein Musiker und kenne mich mit dem verwendeten Instrumentarium nicht aus. Ich gehe mal davon aus, dass LOGIC eine Software ist. Was hat es damit auf sich? Welches Album von J Dilla meinst Du?

    Friedrich

    --

    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
    #6710561  | PERMALINK

    kingberzerk

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    @ Friedrich, Flint: „Heading for the Open Spaces“ finde ich weitaus gelungener als „Task“, die Tracks klingen organischer, was ich in diesem Fall ansprechener finde. Hab sie als CD und als LP – PN genügt. „Heading“ lebt von mikroskopisch zusammengefrickelten Klicks, die Ehrhorn zu einer anziehenden Textur verbindet. Sympathisches Album.

    Nun hat die Musik aber nichts mit Jazz zu tun, sondern ist Elektronika von einem Jazz-Musiker, und ich habe sie erwähnt, weil ich manchmal finde, etwas mehr Musikalität würde den Künstlern manchmal besser anstehen.

    @ Friedrich: Stimmt, Logic ist eine Software, mit der man am Rechner heute das tun kann, wozu man früher ein Tonstudio brauchte, das ungefähr so viel kostete wie ein halbes Haus. Es gibt auch andere, aber die Funktionsweise ist weitestgehend ähnlich. Du hast für jede Spur eine Timeline und kannst entsprechend aufnehmen und modulieren – und zum Beispiel Elemente von sagen wir mal fünf Sekunden Dauer kopieren und wie Dominosteine aneinanderfügen. Das verführt natürlich zu einer Kompositionsweise, in der das repetitive Element nicht nur stilprägend ist, sondern manchmal auch dazu führt, dass sonst nicht viel passiert. Heute zum Beispiel habe ich ein Album von Kojak gehört, bei der die Hälfte der Tracks dadurch uninteressant wurden, auch wenn viele schöne Ideen dabei sind („Every Room On Every Floor“). Aber ich stand ja auch nicht auf der Tanzfläche.

    Das Album von J Dilla ist übrigens ist die Ruff Draft Instrumentals EP (kein Wunder), und ich bin mir sicher, dass er es noch besser kann. Positivbeispiele (repetitiv und interessant zugleich) sind für mich Pan-Pot, Lazy Fat People, Moritz v. Oswald (danke B Joe) und Kode 9, aber natürlich auch noch viele andere.

    Mille Plateaux gibt’s nicht mehr, stimmt. Hab auch nicht so viel von denen. Sonst noch „Les étoiles des filles mortes“ von Alec Empire und irgendwas von DJ Spooky. Das Label überlebte den Zusammenbruch des EFA-Vertriebs auch nicht mehr. Aber Resopal Schallware hat zum Beispiel einen weltweiten Vertrieb.

    --

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    #6710563  | PERMALINK

    friedrich

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    Bevor einem hier die Ohren einschlafen:

    Ich möchte folgende Platte ins Spiel bringen:

    Andrew Pekler: NOCTURNES, FALSE DAWNS & BREAKDOWNS (~scape, 2004)

    Näheres hier: ~scape

    Ich habe gerade keine Zeit, ausführlich darüber zu schreiben. Genaueres später. Nur ein bisschen was vorweg: Gesamplet, aber nicht zwangsläufig repetetiv; ohne Beat, aber subtil groovend; elektronisch produziert und vermutlich sehr ausgetüftelt, aber organisch und fließend klingend; konzeptionell, aber sehr athmosphärisch.

    Vielleicht kennt ja jemand die Platte.

    Von mir später mehr dazu.

    F.

    --

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    #6710565  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    Wird höchste Zeit, dass hier wieder ein bisschen Luft eingeblasen wird.

    Ich versuche mich mal an einer spontanen Beschreibung von NOCTURNES, FALSE DAWNS & BREAKDOWNS von Andrew Pekler. Das ist allerdings nicht leicht, denn NFDB umschifft sämtliche üblichen Klischees gängiger Electronica und entzieht sich damit auch weitgehend den gängigen Begriffen der Beschreibung. Ich habe bis heute nicht verstanden, was Andrew Pekler da überhaupt macht. Klingt irgendwie wie IN A SILENT WAY von Miles Davis, ganz frühe Weather Report oder die frühen elektrischen Versuche von Herbie Hancock, ist von der Stimmung aber auch wie Cool Jazz, will meinen: ASENCEUR POUR L’ECHAFFAUD oder Gil Evans, also durchaus weich, harmonisch raffiniert und klanglich geschicht. Dennoch haben wir es mit elektronischer Musik zu tun. Und das hören wir auch. AP scheint all dies genommen, es elektronisch prozessiert und anders wieder zusammengesetzt zu haben. Das klingt pulsierend, auf kleiner Flamme brodelnd, fragmentiert und doch gleitend, die Musik erscheint wie geknetet und modelliert. Man hört den Klang eines Kontrabasses, eines E-Pianos, eines Saxophons, eines Drumsets. Keine Ahnung, ob AP das gesamplet oder selbst gespielt hat. Er zerlegt das alles in seine Bestandteile, und fügt diese anders wieder zusammen.

    Ich weiß, das NFDB Elektronische Musik ist. Das Großartige ist aber, das NFDB die Genregrenzen ignoriert und mittels der Elektronik in andere Bereiche vorstößt. Ich beschrieb es schon im vorigen Post: Keine repetetiven Beats, keine wiedererkennbaren Samples. Stattdessen organisch klingende Sounds und Strukturen. „Fuzzy Logic“ wäre noch untertrieben. Es geht hier nicht nur um die digitalen „0 oder 1″. Es geht hier nicht einmal um “ Null komma Fünf“ oder “ Sieben drei Viertel“, es geht um eine Art von Unbestimmbarkeit und ständiger Veränderung die wir aus dem Jazz kennen (damit sind wir wieder beim Thema!), aber mit Mitteln der Elektronik, wodurch eine ganz neue Qualität erreicht wird.

    Klingt in diesen Worten zunächst einmal alles recht analytisch, und es klingt auch so, als sei NFDB ein intellektuelles Konstrukt. Aber das ist es eben nicht nur. NFDB ist wirklich schön, geheimnisvoll, auch verträumt, ziemlich unheimlich, hält sich – dem Titel entsprechend – in den atmosphärischen Zwischenbereichen von hell und dunkel auf, bleibt uneindeutig und sinnlich und wird dadurch faszinierend.

    Bester Gruß,

    F.

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    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
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