Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › Enja Records
-
AutorBeiträge
-
gypsy-tail-windJa, sicher weit weg vom Original … aber dann eben doch nicht, weil es Miles ja irgendwie gelingt, das „Feeling“ der alten Aufnahme in die Gegenwart hinüberzuholen. Ich weiss zwar genau, was Du mit „spröde“ und dem Zuzwinkern meinst – beides liegt auf der Hand, scheint mir aber weit weg. Zuzwinkern muss sich da nämlich keiner, weil das alles innermusikalisch abläuft, die könnten vermutlich in einem Kreis mit dem Rücken zueinander sitzen (…)
So ähnlich hatte ich ja den Bill Frisell-Trio Auftritt dieses Jahr in Berlin erlebt. Die standen regungslos auf der Bühne rum und schienen im stillen gegenseitigen Einverständnis miteinander zu spielen und hatten ihre Freude daran. Sehr subtil, aber auch etwas introviertiert. „Still“ liest sich eigenartig im Zusammenhang mit Musik, oder? Aber irgendwie war es so. Das Publikum reagierte begeistert aber mir fehlte dabei etwas.
--
„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)Highlights von Rolling-Stone.deOh, du Hässliche! Die 25 schrecklichsten Weihnachtsalben-Cover
Legendäre Konzerte: The Concert For Bangladesh 1971
„Kevin allein zu Haus“: Ein Familienfilm ohne Familie
The Beatles: Wie die Aufnahmen zu „Let It Be“ zum Fiasko wurden
Taylor Swift: Alle 274 Songs im Ranking
Stephen King: Die besten Bücher – Plätze 10-01
WerbungJa, das stimmt – und beim Duo Frisell/Morgan erging es mir ja auch ein wenig so.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaLa Banda | Mediterrane Musik mit Jazz verschmelzen? Das passiert besonders in Italien seit 25 Jahren oder so immer mal wieder. Und Matthias Winckelmann hat einige der entsprechenden Alben bei Enja herausgebracht. Die Banda Cittá Ruvo di Puglia, der Heimatstadt von Pino Minafra, ist hier gemeinsam mit ein paar Jazzmusikern zu hören, die auch eigene Stücke mitgebracht haben. Doch die 33 Holz- und Blechbläser und drei Schlagzeuger (inkl. Vincenzo Mazzone, der auch zum Italian Instabile Orchestra gehört – Frauen tun offenbar keine mit, die drei Nicolas sind allesamt Männer) sind auf der ersten CD zunächst mal allein zu hören mit acht Krachern aus Opern von Verdi, Bellini, Puccini, Rossini und zum Einstieg dem „Toreador“ aus Bizets Carmen. Es Gibt „La donna é moblie“, „Nessun dorma, „E lucevan le stelle“ usw., die Gesangsparts übernehmen Leonardo Lozuppone und Vincenzo Bucci (Flügelhorn in Es), Giuseppe Luzio (Sopran-Flügelhorn), Salvatore Barile (Tenor-Flügelhorn) und Nicola Valenzano (Bariton-Flügelhorn), geleitet wird die Banda von Michele di Puppo. Das ist Blasmuik mit dem gewissen Etwas, wie ich sie durchaus schätzen kann (was für teutonische Blasmusik überhaupt nicht gilt, die nur Nichtse hat, keine Etwasse – hab ich leider selbst erlitten).
Auf der zweiten CD gibt es dann nur vier Stücke. Zum Einstieg „Una serenata“ von und mit der Sängerin Lucilla Galeazzi, dann drei sehr lange Stücke: „Tra la folla, mora, mormora“ von Michel Godard und Jean-Louis Matinier, die neben Galeazzi und Willem Breuker (Sopransax) auch als Solisten zu hören sind (Tuba bzw. Akkordeon). Dann folgt „Time Is an Empty Bottle of Wine“ von Breuker mit Pino Minafra (Trompete und Megaphon), Gianluigi Trovesi (Bassklarinette), Matinier, Godard und Breuker, und zum Abschluss „Sacra Romana Rota“, ein Bruno Tommaso-Arrangement auf der Grundlage von Stücken von Nino Rota, mit Minafra, Trovesi (Klarinette und Altsax), Matinier und Godard. Breuker leitet die Band in seinem Stück, sonst übernimmt Tommaso den Job. Aufgenommen wurde das Projekt am 19. Oktober bei der SWF Jazz Session an den Donaueschinger Musiktagen, Achim Hebgen hat das alles produziert, die Stücke auf der zweiten CD sind Auftragswerke der Jazzredaktion des damaligen Südwestfunks.
Im Booklet schreibt Minafra über die Schwierigkeiten der italienischen Kulturwelt (die seither noch grösser geworden sind), aber auch über die Rolle der Banda-Formationen, deren Verdienst es früher war, Musik – auch Symphonien, Opern – in die ärmsten und abgelegensten Gegenden des Landes zu tragen – in schwierigen Zeiten ohne Radio, Fernsehen oder Massenmedien. In Mittel- und Süditalien, wo es nur wenige Theater und Opernhäuser gab, verbreiteten die bande quasi die Musik des „bel canto“, die Oper, und entwickelten dabei einen ganz eigenen Sound. Eine weitere Funktion war früher, dass viele Bläser, die später in den wichtigen klassischen Orchestern spielten, ihr Handwerk zunächst in einer Banda erlernten. Die Violinen wurden durch Klarinetten ersetzt, die Stimmen durch die verschiedenen Flügelhörner. Das ist also Blasmusik ohne militärischen Hintergrund, wie es sie auch im Süden Frankreichs oder in Spanien gibt – davon kenne ich allerdings nichts. Vermutlich kann man in „Sketches of Spain“ Echos spanischer Stierkampf-Bandas hören, zumindest schreibt Achim Hebgen das in seinen Liner Notes im Booklet; in Frankreich, so sagt er, seien die Grenzen zur Militärmusik sehr fliessend. Was wir hier zu hören kriegen, ist also keine Weiterentwicklung der Musik von Militärorchestern, wie es sie rund um die Welt als Relikt des Kolonialismus noch immer gibt und wie sie oft eigenwillige Klänge entwickelt haben, ihre eigenen regionalen Musikpraktiken mit der einstigen Kolonialherrenmusik vermählt haben. Anders nochmal das Stück von Breuker, in dem dessen eigene Musik reinspielt, also Vaudeville/Circus auf anarchische Weise. (In unseren Breiten spielt man halt zumeist immer noch diese steife Militärblasmusik – versucht sie natürlich aufzulockern, aber da fehlt fast immer jeglicher Schmäh, von Humor gar nicht erst zu reden.)
Es gibt auch auf der zweiten CD keine Jazz-Rhythmusgruppe (Tommaso spielt auch keinen Kontrabass, er dirigiert nur), also auch keine Versuche, diese Musik im herkömmlichen Sinn zum „swingen“ zu bringen. Grooven kann das natürlich trotzdem, nicht zuletzt dank der Tuba von Michel Godard, die auch mal etwas rifft – dazu kommt aber immer wieder der tatsächlich symphonisch reiche Sound der Banda, auch hinter den Improvisationen, die auch als eine Art mehrsätzige Konzert-Formen daherkommen (schnell-langsam-schnell hat sich seit der Romantik herausgeschält, und so kann man das durchaus auch hier hören). Wenn die Tanzformen durchdrücken, die Pauken und Becken einsteigen, die Tubas stampfen, die Posaunen fetzen, die Klarinetten Girlanden dazu spielen, kann, grenzt das alles auch mal ans Anarchische. Ich höre das Doppel-Album nur selten, aber es ist seit kurz nach Erscheinen (1997) da und so soll es auch sein.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaMichel Godard – Castel del Monte: D’ali e d’oro | Das Castel del Monte wurde im 13. Jahrhundert von Friedrich II. in Apulien errichtet. Wozu ist bis heute wohl nicht geklärt: Es diente nicht der Jagd, es gibt keine Küche, um Empfänge zu veranstalten, keine Befestigungsanlagen … dafür gibt es eine perfekte oktagonale Struktur mit acht Türmen in den Ecken, die wiederum von vielen Unregelmässigkeiten und Abweichungen von perfekter Symmetrie durchbrochen wird. Michel Godard besuchte den Ort im September 1997 mit Achim Hebgen, der hier mit dem Tubisten zusammen als Produzent agierte. Pino Minafra öffnete wie so oft die Türen und er schreibt im Booklet wiederum: „For a long time I wanted to give ’sound‘ to one of the most mysterious places of my region: Castel del Monte where silence and mystery have reigned for centuries.“ Vor Ort zeigte sich: „As envisioned the acoustics were superb“ (Godard). Die Aufnahme fanden zumeist im Hof unter freiem Himmel statt, vom 15. bis 17. September 1997, als es schon recht kühl war und der Wind berücksichtigt oder miteinbezogen werden musste. Erschienen ist „Castel del Monte“ erst im Jahr 2000. Sechzehn Stücke für acht Musiker*innen hat Godard komponiert, arrangiert oder ausgewählt, darunter auch Traditionals und ein paar Stücke von Mitmusiker*innen. Natürlich sind es insgesamt acht, die aber die alle zusammen zu hören sind. Es gibt ein Solo von Lucilla Galeazzzi (Gesang), Duos von Linda Bsiri (Gesang und Tromba Marina) und Jean-Louis Matinier (Akkordeon), Michel Godard (Tuba, Serpent) und Pierre Favre (Schlagzeug und Percussion), Pino Minafra (Trompete) und Godard, Bsiri und Galeazzi, ein Tri omit Gianluigi Trovesi (Altsax, Klarinette, Bassklarinette), Matinier und Godard, dazu Quartette, Quintette, und je einmal ein Sextett und in der öffnenden Ciaconna (Godard) ein Septett – da ist dann auch Renaud Garcia-Fons am Kontrabass zu hören. Das ganze hat einen tollen Flow, es gibt Folkloristisches und Tänzerisches („La Muntanella“, Trovesis „C’era una strega, c’era una fata“, Geleazzis Tarantella „Ah! Vita bella“), Sakrales oder an sakrale Formen angelehntes (Bsiri/Minafras „Preghiera“, ein Magnificat), und sehr freie Stücke. In Galeazzis „Una serenata“ wird eine Art Bolero-Groove aufgebaut, über dem Matinier sein Akkordeon orientalisch klingen lässt und Garcia-Fons im Flageolett in irre hohe Lagen vorstösst.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaFranco Ambrosetti – Grazie Italia | Das hätte ich besser vor ein paar Tagen mit den anderen Ambrosetti-Alben aus den Nullern einsortiert, denn dass hier italienische Chansons den Ausgangspunkt bilden, macht daraus keins dieser Alben, in denen mediterrane Musiktraditionen und Jazz zusammenfinden. Das ist straighter Jazz, einfach werden statt Tin Pan Alley Songs halt welche von Domenico Modugno („Volare“, „Vecchi Frack“), Armando Trovaioli („Roma non fá la stupida“) oder Lucio Dalla („Caruso“) gespielt. Elf Stücke wurden im Mai 1999 in den GSU Studios in Lugano (das ist wohl das von Mina, wo auch „European Legacy“ entstand, wenigstens ein Song aus ihrem Repertoire ist auch dabei, aber da bin ich alles andere als sattelfest). Der Closer gehört fast allein Dado Moroni („Che cosa c’è“ von Gino Paoli), erst am Schluss steigt Ambrosetti noch kurz ein (was im Booklet vergessen ging). Davor gibt es Stücke im Quartett mit Antonio Faraò oder Moroni (p), Furio di Castri (b) und Alfredo Golino (d) und grössere Bestzungen mit Gianluca Ambrosetti (ss), Maurizio Giammarco (ts, ss) und manchmal auch noch Gabriele Comeglio (as), bei denen meist Roberto Gatto am Schlagzeug sitzt. Enrico Rava schaut auf „Tintarella di Luna“ (Moroni an der Orgel, Faraò am Klavier), „Le tue mani“ und „Caruso“ vorbei. Und dann ist da noch „E la chiamamo estate“ von Bruno Martino (auch aus dem Repertoire von Mina), auf dem der Grossvater vorbeischaut, Flavio Ambrosetti am Tenorsax, à la gedämpfter Coltrane aus der „Ballads“-Phase, sehr schön begleitet von Dado Moroni am Klavier. Am Ende tauchen dann noch Sohn Franco und Enkel Gianluca kurz auf. Gianluca spielt, wo er auftaucht, halbwegs adäquat mit, aber so richtig gut finde ich ihn nicht, das wird auch durch die soliden Beiträge von Maurizio Giammarco deutlich. Und Faraò ist definitiv der stromlinienförmigere der zwei Pianisten. Der Leader spielt auf dem Album etwa hälftig Trompete und Flügelhorn. Alles in allem ist das aber durchaus eins der Alben, die ich zu den weniger bemühten und drum besser gelingenden zählen mag.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaGianluigi Trovesi – Round About a Midsummer’s Dream | Das Mittelmeer-Segment geht weiter mit einem alten Lieblingsalbum … wobei ich damals einen 20 oder 30 Minuten längeren Radiomitschnitt (Willisau?) des Programms nochmal ein ganzes Stück lieber mochte als die wieder in Zusammenarbeit mit dem SWR (Achim Hebgen) entstandene, vom 5. bis 8. Juli 1999 bei einer SWR Jazz Session im Tollhaus in Karlsruhe sowie im UKO Studio 1 in Baden-Baden eingespielte CD. Die Musik stammt grossteils von Trovesi, es gibt ein kurzes Vivaldi-Fragment und Charakterstücke von Sideman: das Folk-Trio hat seine Charaktere selbst komponiert: solo geben Percussionist Carlo Rizzo den „Puck“ (die gelegentlichen Sprechgesang-Passagen kommen auch von Rizzo), Bassist Renaud Garcia-Fons den „Oberon“ und Akkordeonist Jean-Louis Matinier den „Bottom“. Los geht es zunächst mit dem Barock-Trio in einem Renaissance-Stück, „L’infanta arcibizarra“ von Andrea Falconieri: Stefano Montanari und Stefania Trovesi an Violinen und Paolo Ballanti am Violoncello. Dazu kommt das moderne Jazztrio: Gianluigi Trovesi (Piccolo-Klarinette, Bassklarinette, Altsax), Paolo Manzolini (Gitarre) und Fulvio Maras (Drums, Percussion). Eingebettet in das Nonett ist auch eine Trio-Formation, die der junge Trovesi oft beim Tanz hörte: Klarintte, Gitarre und Akkordeon. Etwas über eine Stunde dauert die CD, das Material ist lose an Shakespeare’s Vorlage angelehnt, es gibt Auftritte und die drei Trios repräsentieren teils unterschiedliche Szenen oder Gruppen, das tolle Percussion-Solo „Puck“ dient aber z.B. auch einfach als Einleitung zum folgenden „Orobop“, einen Schlaflied für Titania, in dem viele schreckliche Tiere ihren Auftritt haben, was wie der Titel verrät mit Bebop-Anleihen ausgedrückt wird („orobi“ ist auch eine alte Bezeichnung für die Einwohner*innen von Bergamo). Anderswo gibt es Tänze, etwa eine neapolitanische „Villanella“, aus der dann das Bass-Solo „Oberon“ ins nächste Stück überleitet, oder das „Adagietto bergomasco“, ein Rhythm & Blues-Stück, in dem Oberon und Puck ihre Zauberstücke vorführen. „Bottom“, das Akkordeon-Solo, leitet dann in den Closer über, eine „Canzonetta“, einen polyphonischen Tanz aus Norditalien (wo Trovesi herkommt), der auch im England des 17. Jahrhunderts populär war.
Trovesi findet seinen Schlüssel, um europäischen Jazz zu spielen, in den eigene Wurzeln eingespeist werden, in der Renaissance – in den ähnlichen Harmonien, die für Jazz-Improvisation so gut geeignet sind, aber auch in den Rhythmen der verschiedenen Tänze. In „C’era una strega“ (auch auf „Castel del Monte“ zu hören, s.o.) spielt das Jazztrio (cl/g/d) im Dialog mit den anderen beiden Trios, es gibt klassischen Jazzgitarre, eine Klarinette mit jazztypischem „cry“, sich stetig wandelnde Backgrounds (Bruno Tommaso hat die Variationen der Streicher beigetragen, Stefano Montanari die Violinkadenzen am Anfang und Ende). Wenn es bei Shakespeare um Musik und ihre magischen Kräfte geht, ist das natürlich eine perfekte Vorlage. Bottom fragt im fünften Akt: „Will it please you to see the epilogue or to hear a bergamask dance between two of our company?“ – Gemeint ist damit tatsächlich der norditaliensiche Volkstanz, der in der Gegend um Bergamo Mitte des sechzehnten Jahrhunderts entstanden ist, und der eine einfache harmonische Struktur hatte: I-IV-V-I, über die eine Gitarre improvisierte – kommt bekannt vor? Trovesi überträgt das alles in seine Suite, in der Musik von faszinierender Buntheit und grossem harmonischen, rhythmischen und melodischen Reichtum erklingt – und erweist sich auch einmal mehr als wahnsinnig toller Klarinettist, ebenso wie als mitreissender Altsaxophonist. Vielleicht ist zum Abschluss noch ein Ellington-Vergleich gestattet? So reichhaltig kommt mir Trovesis Musik hier nämlich tatsächlich vor. Ein Lieblingsalbum ist das schon lange nicht mehr, aber es macht mir auch in den letzten Jahren beim gelegentliche Wiederhören jedes Mal Freude.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaGianluigi Trovesi – Dedalo | Um den Dreh herum war Trovesi sehr aktiv, neben dem Oktett-Album auf ECM („Fugace“) gab es auch bei Enja noch ein zweites Album, dieses mal mit der WDR Big Band unter Trovesis Leitung. Es sei dies – obwohl er 15 Jahre mit der RAI Big Band und natürlich mit dem Italian Instabile Orchestra spielte, das erste Album, auf er dem seine Musik für klassische Big Band (5-4-5 plus Rhythmusgruppe inkl. Gitarre) arrangiert habe. Neben Trovesi (as, alto cl, bcl) sind Markus Stockhaus (t, flh), Tom Rainey (d) und Fulvio Maras (perc) als Gäste dabei, aus der WDR Big Band hören wir vor allem Frank Chastenier (p), Paul Shigihara (g) immer wieder, dazu auch John Goldsby (b) und einige der Bläser, z.B. John Marshall (t), Dave Horler (tb), Heiner Wiberny (as), Olivier Peters (ts, fl) und Rolf Römer (bcl). Lucas Schmid spielt die Bassposaune und die manchmal sehr prominente Tuba. „Hercab“ gibt es als Opener und in einer Live-Version als Closer (vom 2001er Moers Festival), von „Herbop“ ist zuerst ein kurzes Fragment und dann eine ausgewachsene, fast 13 Minuten lange Version zu hören, vom „Dance for a King“ (Eric Dolphy gewidmet) drei kurze Fragmente. Dazwischen gibt es Trovesi-Klassiker wie „Scotch“ und „From G to G“ – vom gleichnamigen Album stammen die meisten Stücke hier. Eine Art Luxus-Karriereschau mit hervorragender Band und guten Arrangements, bei denen fast immer Corrado Guarino mitgewirkt hat, bei „Dance fo the East No. 2“ auch noch Fulvio Maras, der zudem allein „Herbop (Fragment)“ und den „Dance for a Hip King“ arrangierte. Was mir hier sehr gefällt, neben Spiel und Musik des Leaders, ist wie Tom Rainey mit fein geklöppeltem Spiel eine Big Band antreibt, ohne je in die üblichen Big Band Schlagzeug-Klischees zu fallen. Markus Stockhausens Virtuosität (er spiet auch Piccolo-Trompete) ist oft schlicht atemberaubend, wird mir aber manchmal etwas zu viel. Was mir weniger gefällt, ist die Gitarre von Shigihara, die besonders in seinen zwei Soli etwas dünn und ziemlich gequält klingt – der Kontrast zur schön klingenden Jazzgitarre von Paolo Manzolini (auf „Midsummer’s Dream“) könnte kaum grösser sein. Das Titelstück, an zweitletzter Stelle, ist für mich dann hier eine Art Antiklima: hypervirtuoser Stockhausen und Shigihara, während der Leader, der das vielleicht noch hätte retten können, gar nicht zu hören ist. Das Album ist übrigens eine Neuanschaffung – grad so, wie die ECM-Strecke hier mich endlich zum Kauf von „Fugace“ bewegt hatte (oder hatte ich das zufällig schon etwas früher … ich weiss es nicht mehr) – damals, vor 20-25 Jahren, hörte ich von all diesen Formationen Radio-Mitschnitte der jeweiligen Programme und gab mein Geld lieber für andere Aufnahmen aus („Midsummer’s Dream“ war eine Ausnahme).
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaMichel Godard – Castel del Monte II: Pietre di luce | Vom 18. bis 21. April 2001 war Michel Godard zurück im Castel del Monte in Apulien, erneut zusammen mit Achim Hebgen vom SWR. Doch dieses Mal war nicht nur die SWR-Jazzredaktion sondern auch die SWR-Redaktion „Alte Musik“ involviert. Schon im Opener, dem „Princess Song“ von Godard, zeigt sich das: eine Laute, eine Fidel („vieille“) und eine Blockflöte sind zu hören, nebst einem Vokalensemble. Die Band ist ansonsten wieder ähnlich besetzt, aber mit anderen Leuten: Godard spielt wie üblich Tuba und Serpent, Sängerin Linda Bsiri ist erneut dabei, Klarinette und Percussion übernehmen jetzt Gabriele Mirabassi (zu dem komme ich gleich auch noch) und Marie Ange Petit, statt dem Kontrabass gibt es das Cello von Vincent Courtois. Die Instrumentalisten auf den alten Instrumenten gehören zum Ensemble Calixtinus, geleitet von Gianni De Gennaro (Stimme und Fidel). Zu acht sind sie, Massimo La Zazzera spielt nur Blockflöten, Nicola Nesta, der Lautenist, singt auch, wie die anderen fünf Mitglieder des Ensembles (es gibt hohe Tenöre und Alti, keine Frauenstimme ausser Bsiri). Aufgenommen wurde in kühlen Aprilnächten, nachdem Instrumente ordentlich aufgewärmt waren, im Raum Friedrich des II. Wie beim ersten Album ist zu hören, wie die Klänge die Mauern hochsteigen, es herrscht eine wunderschöne Atmosphäre – und Musik, die mir seitdem ich vor inzwischen fast eineinhalb Jahrzehnten damit angefangen habe, klassische (auch alte) Musik zu erkunden, viel näher geworden ist, als dass sie es 2002 war, als die CD erschien und ich sie – auf Basis meiner Wertschätzung für das erste Album – schnell kaufte. Mit dem Chor – das liegt nahe – gibt es auch hier wieder sakrale Musik („Psalmodia Serpent“, ein „Magnificat“, eine „Cantiga de Santa Maria“, eine „Psalmodia Clarinet“ und ein „Kyrie“) neben neuen Liedern von Godard und Bsiri („Pietre di luce“, „Penthés(il)ée“, „Il manto Porpora“). „Tintinabulum“ von Godard/Petit spielt wohl Arvo Pärt an. Es gibt keine eigentlichen Liner Notes, die Hinweise geben würden, Godards kurzer Text schliesst mit folgenden Worten: „To live the unique experience of a creation of which everybody possesses a secret piece which will be revealed. Not all is written. Music.“ – Den mittleren der drei Sätze darf man wohl wörtlich auf die CD übertragen, es gibt zwischendurch sehr spontan wirkende und auch eindeutig frei improvisierte Passagen. Ich finde das Album beim mehrmaligen Wiederhöen dieser Tage enorm faszinierend – Voraussetzung dafür ist, keine Angst vor Crossover-Projekten zu haben und auch Neugierde für alte Musik (der Chorgesang hielt mich früher eher vom Genuss ab) mitzubringen. Was hier an Klangfarben zu hören ist, finde ich wirklich faszinierend und enorm facettenreich.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaGabriele Mirabassi – Latakia Blend | Nicht mit Gitarre und Akkordeon sondern mit Tuba und Akkordeon spielt Klarinettist Gabriele Mirabassi hier zum Tanz auf. Gabriele Mirabassi (cl), Luciano Biondini (acc) und Michel Godard (tuba) nahmen das Album vom 1. bis 3. Februar 2002 im Studio La Buisonne in Pernes-les-Fontaines in Frankreich auf, produziert hat Matthias Winckelmann – das Enja-Intermezzo von Achim Hebgen ist wohl wieder vorbei. Rabih Abou-Khalil (zu dem komme ich dann in der Coda, jetzt mach ich erst mal den Endspurt fertig) hat lange Liner Notes geschrieben, in denen er eine Art Märchen erzählt mit drei Protagonisten namens Gabriele, Godardini und Biondinus, dabei weit ausholend und auf den Handel verweisend, der im Zeitalter der Umayyaden (7./8. Jh.) zwischen der im heutigen Syrien gelegenen Stadt Latakia und dem italienischen Perugia (der Heimatstadt Mirabassis) florierte, nicht unerwähnt lassend, dass Mirabassi Zigaretten raucht, in denen Latakia-Tabak steckt. Musikalisch ist das für meine Ohren ein wunderbares Album, vielleicht etwas zupackender und weniger meloman als die Alben, die Mirabassi für Egea gemacht hat (ich kenne davon ein halbes Dutzend, aber zugegeben keins nach „Canto di Ebano di Gabriele Mirabassi“, das 2006 aufgenommen worden ist). Das Akkordeon funktioniert als eine Art Kitt zwischen der eleganten Klarinette und der Tuba, die oft ebenfalls Linien spielt, nicht bloss repetitive Begleitungsmotive. Das Material ist ein recht bunter Mix, der sich auch vor Billy Strayhorn („Isfahan“) verneigt, aber mehrheitlich von Mirabassi komponiert wurde. Von Godard ist eine „Passacaille“ zu hören, von Mirabassis Kollegen Pixinguinha ein Stück, zudem das Traditional „Gorizia“, vom Leader arrangiert. Das alles bewegt sich zwischen Jazz und Folk, guckt kurz in Brasilien vorbei oder bei der alten Musik, wirkt aber sehr geschlossen und stimmig.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaDanke fürs weiter- und weiterschreiben, es liest sich alles sehr spannend… und in der Tat, damals vor 20, 25 Jahren kam dieses Zeug ständig im Radio, gerade Trovesi hat mir immer Spass gemacht, aber ein Album hätt ich mir nicht gekauft, gerade weil das Radio so voll davon war…
--
.Pino Minafra – Terronia | Dass etwas später auch Pino Minafra noch ein Album für Enja machen konnte, war nichts als gerecht. „Terronia“ habe ich damals (2005) schon nicht mehr gekauft, das Minafra-Album, das ich sehr mochte, ist „Sudori“ auf Disques Victo (1995 aufgenommen). Für sein selbst produziertes Enja-Album versammelte er sein Sud Ensemble (das von „Sudori“) mit Sandro Satta (as), Carlo Actis Dato (ts, bari, bcl), Laur Rossi (tb), Livio Minafra (p, rhodes, keys), Giovanni Maier (b) und Vincenzo Mazzone (d, perc). Für die letzten zwei Stücke stösst ein Vokalenquartett namens Faraualla dazu: Gabriella Schiavone, Teresa Vallarella, Paola Arnesano und Loredana Perrini bzw. Shannon Anderson, Gabriella Schiavone, Maristella Schiavone und Teresa Vallarella. Und auf dem Closer, dem fast zwanzigminütigen Titelstück, sind dann Faraualla und das Merianda Multijazz Orchestra zu hören, eine voll besetzte Big Band mit zwei weiteren Sängerinnen, Akkordeon und Gitarre in der Rhythmusgruppe – da tauchen ein paar bekannte Namen wie Luca Calabrese oder Robert Ottaviano auf, Lauro Rossi sitzt im Posauensatz und Vincenzo Mazzone ist als zweiter Drummer dabei, dazu kommt Vittorino Curci, der Texte spricht. Der ist schon im Opener, „Canto General“, dabei, und wie der Titel vermuten lässt rezitiert er über dem Sud Ensemble aus Pablo Nerudas gleichnamigem Werk (und spielt hier auch noch Altsaxophon). „Maccaroni“ (von Livio Minafra), „A mia madre“ und „La danza del grillo“ sind die folgenden Stücke mit dem Sud Ensemble. Das erste ein Romp durch verschiedene Teile, wie ihn auch das Italian Instabile Orchestra gerne spielte, das zweite eine nachdenkliche, stetig schreitende Hymne, mit Synthesizer-Streichern vom Sohn. Der ist im folgenden Stück dann am Rhodes (und später auch wieder am Synthesizer) zu hören, während Pino Minafra durchs Megaphon singt oder sprechsingt. „Mediterraneo“ heisst das Stück, in dem Faraualla zum Sud Ensemble stösst, das zweite Stück von Livio Minafra hier. Die Band übernimmt meist eine Begleitrolle für die Sängerinnen. Das ändern sich im Closer, der mit donnernden Drums öffnet, bevor die Bläser mit Fanfaren dazu stossen und die Sängerinnen mit dazu, quasi als eine vierte Section. Das Album ist sowas wie Minafras opus magnum, vermute ich – eine gross angelegte Schau über sein Schaffen. So ganz glücklich bin ich damit nicht, das ist alles irgendwie zu ambitioniert, geht in zu viele Richtungen – auch wenn ich den langen Titeltrack mit den rezitierten Gedichten und dem Gesang wieder ziemlich gut finde.
Minafra begann mit acht, in einem Kirchen-Chor zu singen. Kurz darauf begann er auch, in der Banda von Ruvo di Puuglia (die von „La Banda“ und dem Album im folgenden Post) Trompete zu spielen, schloss dann seine Ausbildung am Konservatorium in Bari ab, das damals von Nino Rota geleitet wurde. Er spielte in Brass Bands, erarbeitete sich Repertoire aus der Renaissance und dem Barock, nähert sich dem Jazz an – und entdeckt die „powerful message of freedom“, die in der afro-amerikanischen Musik steckt, so Curci im Booklet. Dabei mischt er alles, von Dixieland zum Hard Bop, vom Blues zum Free. Statt zwischen Kopf und Herz zu entscheiden, so Curci weiter, habe er sich entschieden, die Auflösung tiefer unten zu suchen: „to the gut level“. Dramatische Musik voller Schatten aber auch blendender Blitze ist das Ergebnis. Erzählende, singende, klagende, jubilierende Musik, die in „Terronia“ als eine Art erzählerische Suite in mehreren Teilen funktioniert, mal lyrisch, dann sarkastisch, mal verspielt und karnevalesk, dann kathartisch, mitreissend – aber Ende aber stets berührend, persönlich, menschlich. Minafra ist an der Trompete ein derart nicht den Glanz suchender Musiker, dass man sich schon mal fragen kann, ob er nicht das falsche Instrument gewählt hat – und doch ist das alles goldrichtig, denn er findet in seinem Schaffen – dem Zusammenbringen der unterschiedlichen Musikformen und -traditionen ebenso wie dem Spielen – eine eigene, sehr persönliche Stimme. Die ist stets auch ein Erkunden der condition humana im Süden Italiens. Oder wie Vittorio Bodini, der in Bari geborene Dichter, dessen Verse im Titelstück zu hören sind, sagte: „Il Sud ci fu padre / e nostra madre l’Europa“.
Aufgenommen wurde „Terronia“ vom 12. bis 14. November 2004 in den Sorriso Studios, das Titelstück im Auditorium Nino Rota des Conservatorio Niccolò Piccinni in Bari.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaredbeansandriceDanke fürs weiter- und weiterschreiben, es liest sich alles sehr spannend… und in der Tat, damals vor 20, 25 Jahren kam dieses Zeug ständig im Radio, gerade Trovesi hat mir immer Spass gemacht, aber ein Album hätt ich mir nicht gekauft, gerade weil das Radio so voll davon war…
Danke für’s Lesen – ist einsam geworden hier, aber das hab ich nicht anders erwartet. Noch 1 + 2 Alben und dann eine Abou-Khalil-Coda, vor der ich aber erst mal etwas Pause machen werde.
Zu den mediterranen Alben gehört im weiteren Sinn auf jeden Fall auch „Rivers of Happiness“ von Ekrem & Gypsy Groovz, das ich aber schon vor einer Weile gehört habe.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaLa Banda – Musica Sacra della Settimana Santa | Das letzte Album aus der Mittelmeer-Ecke, das ich habe, ist dieses hier, der Zweitling der Banda di Ruvo di Puglia aus dem Jahr 2010. Die CD dokumentiert eine konzertante Rekonstruktion der Musik, die in der Karwoche gespielt wird, aufgeführt am 19. Juni 2009 beim Festival de Saint-Denis in der dortigen Basilika und von Radio France mitgeschnitten. Pino Minafra ist natürlich auch hier dabei (als einer von zwei Sopran-Flügelhornisten). Und Vincenzo Mazzone reiht sich unter die drei Schlagzeuger. Luigi Cirenei (1881-1947, er studierte u.a. bei Pietro Mascagni) und die Brüder Antonio (1896-1988, er lernte u.a. bei Francesco Cilea) und Alessandro Amenduni (1904-2002) haben die Musik komponiert, die hier aufgeführt wird – Musik die seit den Zwanzigerjahren aufgeführt wird. Nach dem öffnenden „Requiescat in pace“ (der eine Beitrag von Cirenei) erklingt eine Art Begräbnismarsch, „Giorno di dolore“ (Alessandro Amenduni) – doch eigentlich ist das alles Musik für sehr langsames Marschieren – wenn bei Prozessionen stundenlang Statuen oder Kreuze durch die kleinen Städte getragen werden. Die im Booklet knapp umrissenen Rituale und Bräuche, die besonders in Süditalien bis in die Gegenwart hinein nach alter Sitte begangen werden, sind mir reichlich fremd, und so ist das Album für einen agnostischen Protestanten auch eine Art ethnographische Reise. Musikalisch geht mir das allerdings oft nah – näher auch als die leichtgewichtigen Adaptionen von Opernarien auf dem ersten Album. Die Verschränkung der Solo-Stimmen (auch hier wieder Flügelhörner in vier Lagen (kleines in Es, Sopran in B, Tenor in B un Baritone auch in B) mit den Ensembles ist oft wahnsinnig schön, da schlängelt sich auch mal eine Baritonstimme unter den Blech- und Klarinettenchorälen hindurch. Eine Konzert-Reproduktion dieser Musik ist vielleicht irgendwie falsch – aber andererseits natürlich auch die einzige Art, wie sie halbwegs adäquat dokumentiert werden kann (die SWF-Aufnahmen vom ersten Album klingen besser, hier hingen wohl einfach ein paar Mikrophone in der halligen Kirhce herum … das gibt einen warmen, schönen, aber nicht sehr differenzierten Mischklang).
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaMyra Melford – Snowy Egret | Ein wundersames Album einer Band, in der ich bewusst zum ersten Mal Ron Miles begegnet bin. Er spielt hier Kornett, die Leaderin Klavier und Melodica, dazu kommen Liberty Ellman an der Gitarre (eine eingesteckte akustische, nehme ich an), Stomu Takeishi an der Bassgitarre (ebenfalls eine eingesteckte akustische, in dem Fall ist das sicher) und Tyshawn Sorey am Schlagzeug. Die Aufnahme ist im Dezember 2013 im Stadiumred in New York entstanden, Hans Wendl hat sie produziert, 2014 ist sie bei Enja/yellowbird erschienen. Verrückt, dass das schon zehn Jahre her ist! Der Bandname kam zufällig zustande, als die Band 2012 Jazz Gallery in New York zum ersten Mal spielte und die Person, die sie ankündigen sollte, nach dem Namen fragte. Die Nacht davor hätte sie von einem wunderschönen weissen Reiher geträumt, der in einen Teich getaucht und später verwandelt in eine menschliche Gestalt mit weissen Flügeln, eine Art Vogelfrau, wieder daraus hervorgeschossen kam. Inspiriert zur Musik des Album wurde Melford von der Trilogie „Memoria del fuego“ des uruguayischen Schriftstellers Eduardo Galeano, beim Schreiben der Stücke seien ihr Performances mit projizierten Bildern und Verkörperungen der Figuren in Tanz und Rezitation vorgeschwebt. Das multimediale Projekt hiess „Language of Dreams“, die CD ist eine rein instrumentale Version des Materials, „and the music, so beautifully played by this ensemble, certainly stands on its own“. Im November 2016 trat die Gruppe beim Jazzfest Berlin auf (mit ziemlich platten Visuals von David Szlasa) – da war ich zwar dabei, aber leider sehr müde. Ein zweites Album auf Firehouse12 folgte 2017 auch noch. Das ist wundersam leichte und doch sehr tiefsinnige Musik. Rhythmisch komplex, mit sich überlagernden Patterns, Basslicks, Melodien – sehr komplexe, präzise Musik, die aber auch viele Freiräume zu lassen scheint. Die Aussage von Bill Frisell über Ron Miles („He makes everybody sound better“, klick) trifft sicherlich auch hier zu. Als einziger Bläser ist Miles nicht etwa der meistgehörte Solist sondern so integraler Bestandteil des Quintetts wie alle anderen. Sorey wirft sein ganzes Gewicht auf die Waagschale, und dennoch tänzelt das ständig. Takeishis Bassgitarre gibt dem ganzen eine nokturne, dunkle Schattierung – und in wenigen Minuten entstehen hier ganze Welten. Ich bin von diesem Album, das die letzten Wochen immer wieder lief, einmal mehr begeistert, tauche ein in die zehn Stücke, die Melford komponiert hat, ohne genau zu verstehen, die das alles funktioniert. Oder anders: ich glaube es zu fühlen, kann es aber nicht besser in Worte fassen, als ich es hier gerade versuche.
(Bisschen fies, dass ich hier nicht einfach an einen Post von @vorgarten andocken kann, der Melford glaub ich generell besser zu fassen kriegt als das bisher bei mir der Fall ist.)
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbavorgarten
lux quartet, tomorrowland (2024)
heute erschienen, enja brandaktuell. ähnliches instrumentarium wie auf THE MAGICIAN, nur dass dayna stephens nicht nur altsax, sondern auch tenor und sopran spielt. auch das eine super band, wie ich live überprüfen konnte. von allen gibt es kompositionen, die eine schöne balance halten zwischen komplizierten head arrangements und catchy swingern (die aber immer einen twist haben), melfords material wahrscheinlich das komplexeste, oft mit anspielungen auf bildende kunst (cy twombly erwähnte sie beim konzert), während co-leaderin allison miller (sessionmusikerin, kennt man vielleicht aus bands von dr. lonnie smith oder marty ehrlich) eher die ‚jazzigeren‘ aspekte dieser musik verkörpert. immer wieder toll, wenn das freigeistige durcheinander zwischendurch zusammenfließt, aber das ist ohnehin der fokus: eine schwitzende band, die an mehr spaß hat als an der umsetzung von material. ziemlich weit vorne für 2024, finde ich: konzept und playing ausbalanciert, weibliches leadership, perfekter akustischer quartettsound, in härte, reibungsfähigkeit und melancholischer schönheit sehr newyorkerisch.
aufgenommen im februar 2023 in new york (sear sound, chris allen), produziert von melford und miller, von werner aldinger auf enja yellowbird veröffentlicht.
Lux Quartet – Tomorrowland | Da bin ich dann mal so frei und docke für die letzet Runde an … im direkten Vergleich finde ich das gerade sehr erhellend, weil das völlig anders funktioniert aber dennoch auch wieder sehr tight ist. Allison Miller pflegt einen recht lockeren, oft leichten Stil, setzt gerne die Besen ein. Scott Colley glänzt immer wieder (und müsste in der halben Diskussion, die hier um Larry Grenadier und Thomas Morgan läuft, schon auch berücksichtigt werden, nicht?), hat in diesem Rahmen aber auch viel Freiraum, den er nicht mit aberwitziger Virtuosität sondern resonantem Bassspiel, gerne in der tiefen Lage, füllt. Melford am Klavier kommt immer mal wieder richtig in Fahrt und spielt rasante, dichte Soli. Das alles gefällt mir sehr gut. Etwas weniger gut klappt mein Zugang zum Spiel von Dayna Stephens. Auch er ist durchaus band-dienlich unterwegs, aber so einen Extra-Glanz wie bei Ron Miles sucht man vergeblich (okay, bei wem denn nicht … Miles ist bzw. war da wohl wirklich ein sehr spezieller Fall). Manchmal ist das sehr frei, dann wieder super tight, manchmal wirkt es auch etwas gar locker im Studio dahergejamt. Fesseln kann mich das Album bisher nur teils, obwohl es mich durchaus anspricht. Ein weiterer Faktor neben Stephens könnte im Material liegen. Ich finde gerade die komplizierten Melford-Tunes, die in frei wirkende Soli und kommunikativ durchaus ereignisreiche Ensembles führen, wohl am besten, weil sie die Band am meisten anzuregen scheinen – und weil sie Strukturen aufbrechen: im letzten von ihnen, „Dried Print on Cardboard“, mündet eine längere ts/p Duo-Passage in ein Klaviersolo, zu dem Colley und dann auch Miller dazustossen und dem freien Klavier eine längere Zeit freie Begleitung zu kommen lassen, bevor sie in einen Groove fallen, während Melford frei weiterspielt. Solche Reibungen machen schon viel Spass. Hintenraus wird das Album für meine Ohren eh stärker, auch der Closer und Titeltrack, Scott Colleys kompositorischer Beitrag, führt das Quartett in Gefilde, die ich ziemlich ergiebig finde.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 (Teil 1) - 19.12.2024 – 20:00; #159: Martial Solal (1927–2024) – 21.1., 22:00; #160: 11.2., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba -
Schlagwörter: Enja Records, Tiptoe, Tutu Records, yellowbird
Du musst angemeldet sein, um auf dieses Thema antworten zu können.