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Pino Minafra – Terronia | Dass etwas später auch Pino Minafra noch ein Album für Enja machen konnte, war nichts als gerecht. „Terronia“ habe ich damals (2005) schon nicht mehr gekauft, das Minafra-Album, das ich sehr mochte, ist „Sudori“ auf Disques Victo (1995 aufgenommen). Für sein selbst produziertes Enja-Album versammelte er sein Sud Ensemble (das von „Sudori“) mit Sandro Satta (as), Carlo Actis Dato (ts, bari, bcl), Laur Rossi (tb), Livio Minafra (p, rhodes, keys), Giovanni Maier (b) und Vincenzo Mazzone (d, perc). Für die letzten zwei Stücke stösst ein Vokalenquartett namens Faraualla dazu: Gabriella Schiavone, Teresa Vallarella, Paola Arnesano und Loredana Perrini bzw. Shannon Anderson, Gabriella Schiavone, Maristella Schiavone und Teresa Vallarella. Und auf dem Closer, dem fast zwanzigminütigen Titelstück, sind dann Faraualla und das Merianda Multijazz Orchestra zu hören, eine voll besetzte Big Band mit zwei weiteren Sängerinnen, Akkordeon und Gitarre in der Rhythmusgruppe – da tauchen ein paar bekannte Namen wie Luca Calabrese oder Robert Ottaviano auf, Lauro Rossi sitzt im Posauensatz und Vincenzo Mazzone ist als zweiter Drummer dabei, dazu kommt Vittorino Curci, der Texte spricht. Der ist schon im Opener, „Canto General“, dabei, und wie der Titel vermuten lässt rezitiert er über dem Sud Ensemble aus Pablo Nerudas gleichnamigem Werk (und spielt hier auch noch Altsaxophon). „Maccaroni“ (von Livio Minafra), „A mia madre“ und „La danza del grillo“ sind die folgenden Stücke mit dem Sud Ensemble. Das erste ein Romp durch verschiedene Teile, wie ihn auch das Italian Instabile Orchestra gerne spielte, das zweite eine nachdenkliche, stetig schreitende Hymne, mit Synthesizer-Streichern vom Sohn. Der ist im folgenden Stück dann am Rhodes (und später auch wieder am Synthesizer) zu hören, während Pino Minafra durchs Megaphon singt oder sprechsingt. „Mediterraneo“ heisst das Stück, in dem Faraualla zum Sud Ensemble stösst, das zweite Stück von Livio Minafra hier. Die Band übernimmt meist eine Begleitrolle für die Sängerinnen. Das ändern sich im Closer, der mit donnernden Drums öffnet, bevor die Bläser mit Fanfaren dazu stossen und die Sängerinnen mit dazu, quasi als eine vierte Section. Das Album ist sowas wie Minafras opus magnum, vermute ich – eine gross angelegte Schau über sein Schaffen. So ganz glücklich bin ich damit nicht, das ist alles irgendwie zu ambitioniert, geht in zu viele Richtungen – auch wenn ich den langen Titeltrack mit den rezitierten Gedichten und dem Gesang wieder ziemlich gut finde.
Minafra begann mit acht, in einem Kirchen-Chor zu singen. Kurz darauf begann er auch, in der Banda von Ruvo di Puuglia (die von „La Banda“ und dem Album im folgenden Post) Trompete zu spielen, schloss dann seine Ausbildung am Konservatorium in Bari ab, das damals von Nino Rota geleitet wurde. Er spielte in Brass Bands, erarbeitete sich Repertoire aus der Renaissance und dem Barock, nähert sich dem Jazz an – und entdeckt die „powerful message of freedom“, die in der afro-amerikanischen Musik steckt, so Curci im Booklet. Dabei mischt er alles, von Dixieland zum Hard Bop, vom Blues zum Free. Statt zwischen Kopf und Herz zu entscheiden, so Curci weiter, habe er sich entschieden, die Auflösung tiefer unten zu suchen: „to the gut level“. Dramatische Musik voller Schatten aber auch blendender Blitze ist das Ergebnis. Erzählende, singende, klagende, jubilierende Musik, die in „Terronia“ als eine Art erzählerische Suite in mehreren Teilen funktioniert, mal lyrisch, dann sarkastisch, mal verspielt und karnevalesk, dann kathartisch, mitreissend – aber Ende aber stets berührend, persönlich, menschlich. Minafra ist an der Trompete ein derart nicht den Glanz suchender Musiker, dass man sich schon mal fragen kann, ob er nicht das falsche Instrument gewählt hat – und doch ist das alles goldrichtig, denn er findet in seinem Schaffen – dem Zusammenbringen der unterschiedlichen Musikformen und -traditionen ebenso wie dem Spielen – eine eigene, sehr persönliche Stimme. Die ist stets auch ein Erkunden der condition humana im Süden Italiens. Oder wie Vittorio Bodini, der in Bari geborene Dichter, dessen Verse im Titelstück zu hören sind, sagte: „Il Sud ci fu padre / e nostra madre l’Europa“.
Aufgenommen wurde „Terronia“ vom 12. bis 14. November 2004 in den Sorriso Studios, das Titelstück im Auditorium Nino Rota des Conservatorio Niccolò Piccinni in Bari.
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