Antwort auf: Enja Records

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Myra Melford – Snowy Egret | Ein wundersames Album einer Band, in der ich bewusst zum ersten Mal Ron Miles begegnet bin. Er spielt hier Kornett, die Leaderin Klavier und Melodica, dazu kommen Liberty Ellman an der Gitarre (eine eingesteckte akustische, nehme ich an), Stomu Takeishi an der Bassgitarre (ebenfalls eine eingesteckte akustische, in dem Fall ist das sicher) und Tyshawn Sorey am Schlagzeug. Die Aufnahme ist im Dezember 2013 im Stadiumred in New York entstanden, Hans Wendl hat sie produziert, 2014 ist sie bei Enja/yellowbird erschienen. Verrückt, dass das schon zehn Jahre her ist! Der Bandname kam zufällig zustande, als die Band 2012 Jazz Gallery in New York zum ersten Mal spielte und die Person, die sie ankündigen sollte, nach dem Namen fragte. Die Nacht davor hätte sie von einem wunderschönen weissen Reiher geträumt, der in einen Teich getaucht und später verwandelt in eine menschliche Gestalt mit weissen Flügeln, eine Art Vogelfrau, wieder daraus hervorgeschossen kam. Inspiriert zur Musik des Album wurde Melford von der Trilogie „Memoria del fuego“ des uruguayischen Schriftstellers Eduardo Galeano, beim Schreiben der Stücke seien ihr Performances mit projizierten Bildern und Verkörperungen der Figuren in Tanz und Rezitation vorgeschwebt. Das multimediale Projekt hiess „Language of Dreams“, die CD ist eine rein instrumentale Version des Materials, „and the music, so beautifully played by this ensemble, certainly stands on its own“. Im November 2016 trat die Gruppe beim Jazzfest Berlin auf (mit ziemlich platten Visuals von David Szlasa) – da war ich zwar dabei, aber leider sehr müde. Ein zweites Album auf Firehouse12 folgte 2017 auch noch. Das ist wundersam leichte und doch sehr tiefsinnige Musik. Rhythmisch komplex, mit sich überlagernden Patterns, Basslicks, Melodien – sehr komplexe, präzise Musik, die aber auch viele Freiräume zu lassen scheint. Die Aussage von Bill Frisell über Ron Miles („He makes everybody sound better“, klick) trifft sicherlich auch hier zu. Als einziger Bläser ist Miles nicht etwa der meistgehörte Solist sondern so integraler Bestandteil des Quintetts wie alle anderen. Sorey wirft sein ganzes Gewicht auf die Waagschale, und dennoch tänzelt das ständig. Takeishis Bassgitarre gibt dem ganzen eine nokturne, dunkle Schattierung – und in wenigen Minuten entstehen hier ganze Welten. Ich bin von diesem Album, das die letzten Wochen immer wieder lief, einmal mehr begeistert, tauche ein in die zehn Stücke, die Melford komponiert hat, ohne genau zu verstehen, die das alles funktioniert. Oder anders: ich glaube es zu fühlen, kann es aber nicht besser in Worte fassen, als ich es hier gerade versuche.

(Bisschen fies, dass ich hier nicht einfach an einen Post von @vorgarten andocken kann, der Melford glaub ich generell besser zu fassen kriegt als das bisher bei mir der Fall ist.)

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