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Sachi Hayasaka & Stir Up! – 2.26 | Am 26. Februar 1992 wird im Buddy in Tokyo dieses Album mitgeschnitten, auf dem Rückcover mit dem Titelzusatz „featuring Yosuke Yamashita“. Die Band der Sopran- und Altsaxophonistin Sachi Hayasaka besteht aus Tatsuya Sato (ts), Toshiki Nagata (b), Ken Tsunoda (d) und Tomohiro Yahiro (perc) und beschwört auch ohne den Gast schon Stürme herauf. Die Leaderin eher mit sattem Ton und Melodien, Sato mit freien Einlagen, sich überschlagendem Ton und dem ganzen Free-Vokabular. Die Rhythmen haben dabei oft etwas von den marching bands von Hayasakas Anfängen (siehe unten), scheuen sich auch nicht vor einer gewissen Monotonie. Oft klingt das eher wie das Italian Instabile Orchestra oder die Truppen von Breuker und Mengelberg aus den Niederlanden denn nach US-Vorbildern. Nach Hayasakas marching band Opener „Bubble Net Feeding“ gibt es „Heso“ (Nagata) mit Yamashita, dann folgen drei sehr lange Stücke (zweimal 14 und 17 Minuten) der Leaderin, in denen die Musik stärker aufbricht, so beginnt „Children Children“ mit einer Flöte (fehlt im Line-Up, aber auf dem Foto im Booklet sieht man bei Hayasakas intrumenten auch eine kleine Holzflöte liegen) und Percussion, die etwas nach Mbira klingt. Erst nach ein paar Minuten steigen Piano und Bass mit einem Riff ein, die Drums kommen dazu, dann das Altsax mit einem Themenkürzel, das schliesslich mit dem Tenorsax im Unisono weiterentwickelt wird, bevor Hayasaka zum Solo ansetzt. Die Gruppe spielt eine Mischung aus in und out, mit der an diesem Punkt offensichtlichen rhythmischen Flexibilität (auch ungrade Metren dabei), den immer noch oft fröhlich wirkenden, treibenden Drums und den dunklen Schattierungen der Saxophone, dem tiefen Bass, finde ich das sehr attraktiv. „“Yellow Monk“ beginnt mit dem Altsax und Gongs/Glocken – und mündet in einer simultanen as/ss-Passage der Leaderin … oder phrasieren sie und Sato echt so perfekt gemeinsam? Dann steigen Bass und Piano ein, setzen einen Groove, der von inzwischen viel Percussion und allmählich auch den Drums ausgeschmückt wird. Das ist catchy – und bleibt ziemlich eigenwillig. Sato spielt dann ein Solo, das mit kleinen Kürzeln beginnt und sich zunehmend verdichtet, in der Entwicklung vielleicht ein wenig an Sonny Rollins erinnernd. Später wird’s bluesig, das Tempo steigt an für das Piano-Solo – leider ist Yamashita auf dem ganzen Album eine Spur zu leise aufgenommen, aber er fügt sich super ein, mit oft kargen Begleitungen und seinen so typischen irren Verdichtungen in den Soli – aber gut dosiert, ohne die Band zu übernehmen oder alles zu usurpieren. „2.26“ beginnt dann als eine Art unterbrochene Hymne, doch bricht auch wieder auf, Klaviersolo mit disruptivem Arco-Bass, Verdichtungen, die auch wieder aufbrechen, um in eine Art Pas-de-Deux vom Altsax mit dem Bass zu münden, punktiert von der Drum-Section (inkl. die 88 gestimmten), bevor die ganze Band nochmal aufläuft und über einem Trommelbeat einen gemeinsamen Tanz aufführt, in dem auch Sato am Tenorsax nochmal zu hören ist. Dann gibt es einen kurzen Closer, Tom Waits‘ „Take Care of All My Children“, als Gospel-Hymne dargeboten und mit Band-Intros in der Mitte. Ein trotz seiner Länge (67 Minuten) sehr kurzweiliges Set, finde ich!
Im Booklet berichtet Hayasaka über ihre erste Begegnung mit den Saxophon: die Brass Band an der Junior High, wo sie Flöte spielen wollte, ein paar Monate später sparte sie für den Rest ihrer Kindheit, um ein Sopransax zu kaufen; die erste Begegnung mit den Jazz: ein*er ihrer Freund*innen gab ihr „My Favorite Things“ zum anhören, schon im College war ihr klar, dass sie Musikerin werden wollte, nach dem Abschluss debütierte sie mit ihrer eigenen Gruppe im Pit Inn, Vorbilder waren Wayne Shorter, Steve Grosssman, Joe Henderson; die erste Begegnung mit eigener Musik: sieben Jahre nach ihrem Debut ergab sich die Gelegenheit, mit Yamashita zu spielen, mit dem Fujikawa Yoshiaki Eastasia Orchestra, mit Hans Reichel auf einer Europa-Tour, und so lernte sie den Free Jazz kennen und „I started to think seriously about my own music“, die auch unter dem Einfluss von Ornette Coleman und Thelonious Monk stehe; über ihr Frausein: sie vertritt die Meinung, dass es um persönliche Ausdrucksformen geht, unabhängig von Gender; die Bedeutung von 226: am 26. Februar hat Hayasaka Geburtstag (den 32., als das Album aufgenommen wurde), in Japan ist das Datum aber auch bekannt, weil an diesem Tag im Jahr 1936 ein Putschversuch stattfand. Zudem ist es auch der Geburtstag von Tsunoda (1964) und des Gastes Yamashita (1942); und zuletzt über die Zukunft: so lange sie die Energie dazu habe, wolle sie möglichst viel spielen, in Japan und ausserhalb, so viele andere Künstler*innen wie möglich treffen und weiterhin gute Musik machen.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaHighlights von Rolling-Stone.deWelches Equipment verwenden eigentlich…Pink Floyd?
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WerbungAkio Sasajima – Humpty Dumpty | Das nächste Album scheint genaugenommen ein Reissue zu sein? Aufgenommen im August 1988 im Universal Recording Studio in Chicago und von Sasajima selbst produziert, erschein es 1990 auf dem Label BRC in den USA (unten) und erst 1993 bei Enja (in den USA, 1994 dann auch in Japan). Gitarrist Akio Sasajima hatte 1988 schon ein Album bei Muse mit Joe Henderson, der auch hier dabei ist. Dazu kommen Renee Rosnes (p), Kelly Sill (b) und Joel Spencer (d) – und der Leader spielt oft etwas die zweite (oder fünfte) Geige hier, zumal Henderson in Form ist und Rosnes ziemlich aktiv ins Geschehen eingreift und auch starke Soli beisteuert – so gleich im Opener und Titelstück von Chick Corea. So ist es eine gute Idee, dass der Leader in Horace Silvers „Peace“ ein Solo-Intro spielt – er kriegt hier aber eh mehr Raum und weiss den auch zu nutzen. Danch folgen die Originals, drei an der Zahl und mit präsenterer Gitarre, bevor als Closer – ohne Henderson – der Klassiker „Alone Together“ zu hören ist. Doch davor gibt es noch einen Störfaktor: Das Album ist an sich klassisch aufgebaut, zweimal drei mittellange Stücke – doch der mittlere der B-Seite bringt einen Bruch mit dem akustischen Jazz: hier kommen Dave Gordon (synth), Thomas Kini (elb) und Marline Alden (voc) dazu (auf der ersten Ausgabe fand sich das Stück, „Seven Souls“, in der Mitte der ersten Seite, die Reihenfolge wurde komplett umgestellt) und es gibt eine Art elektrische Smooth-Jazz-Ballade (inkl. Henderson, ich glaub nur Sill setzt aus), bevor das Album mit dem erwähnten Standard schliesst – im Quartett, mit starkem Pianosolo.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaMarty Ehrlich – Can You Hear a Motion? | Album Nummer vier, und Nummer drei im Quartett mit Stan Strickland. Dieser spielt Flöte und Tenorsax, Ehrlich Klarinette, Alt- und Sopransax – keine Verwechslungsgefahr also. Michael Formanek ist der neue Mann am Bass, am Schlagzeug sitzt wie schon bei „Pliant Plaint“ und „The Traveller’s Tale“ Bobby Previte. Aufgenommen wurde das Album am 22. und 23. September 1993 von James Farber im Skyline Studio in New York (live to two track), produziert hat Ehrlich selbst, von dem bis auf Jaki Byards „Ode to Charlie Parker“ und Ornette Colemans „Comme il faut“ auch alle Stücke stammen. Der Opener „The Black Cat“ ist nach der Mütze benannt, die Widmungsträger John Carter stets auf dem Kopf trug. Carter ist auch „Rading the River gewidmet: „My musical involvement with John, as a member of his octet, has been one of the most challenging and rewarding of my life“, schreibt Ehrlich in seinen Liner Notes. „He was passionate about his music being rich in historical continuity while sounding new in ways that are revelatory. In this current period of jazz when originality, always difficult, is rarely even attempted, John’s musical vision stands in high relief.“ Klarinette und Tenorsax – die in diesen Händen ausserordentlich gut zusammenklingen! – spielen Katze und Maus in „The Black Hat“, das wirkt wie immer bei Ehrlich sehr offen und doch irgendwie strukturiert. Dieses dichte Zusammenspiel, der Wechsel von auskomponierten und freien Passagen, der lyrische Charakter der Musik – das alles ist von den Vorgängern vertraut und funktioniert auch hier hervorragend. Was Ehrlich über Carter schreibt, scheint mir durchaus eine Art Credo zu sein, das er hier auch selbst umzusetzen versucht. Ziemlich erfolgreich, würde ich sagen. Es gibt weitere Widmungen (das hymnisch-marschierende „North Star“ für den im Januar 1993 verstorbenen Richter am Supreme Court, Thurgood Marshall, mit starkem Bass-Solo von Formanek, und „One for Robin“ für Robin Holcomb mit trägem Swing und sich umschlängelnden Saxophonlinien) und dann die zwei ebenfalls sprechenden Cover: an Ornette Coleman kommt kein Avantgarde-Saxophonist vorbei, das Stück „Comme il faut“ sei „another complexly simple or simply complex, otherwise perfect melody“, das Ehrlich zuerst zwanzig Jahre früher von Strickland gehört habe und das sie im Konzert oft als Duett spielen würden. Byards Hommage an Charlie Parker, eingespielt mit Eric Dolphy und Booker Little, lebt massgeblich vom Beitrag des Trompeters. Byard habe das Trompetensolo im Gespräch als „about the most beautiful he ever heard“ beschrieben – und Ehrlich hat Passagen aus dem Trompetensolo ins Arrangement eingearbeitet, das hier für Flöte, Klarinette und Kontrabass eingerichtet ist. Dazu kommen der jubilierende Set-Opener „The Welcome“ (hier an zweiter Stelle nach „The Black Hat“) und das leicht gespenstisch wirkende, vermutlich vollständig auskomponierte „Pictures in a Glass House“, von den zwei Saxophonen und gestrichenem Bass vorgestellt.
Marty Ehrlich – New York Child | Und weiter geht’s! Ehrlich (as, ss, cl, bcl), Strickland (ts), Michael Cain (p), Formanek (b) und Bill Stewart (d) sind dabei, als am 24. und 25. Februar 1995 das nächste Enja-Album entsteht – wieder live to two track von James Farber aufgenommen, dieses Mal im Sears Sound Studio in New York. Die Besetzung mit Strickland und Klavier vereint quasi die drei Quartettalben mit dem einen bisherigen Quintettalbum, „Side by Side„, wo allerdings das Line-Up komplett anders ist und es als zweites Horn eine Posaune gibt. Auch hier gibt es tolle Arrangements, neben viel Improvisation auch (nahezu) Auskomponiertes – in dem sich Ehrlich aber auch wiederum an der Improvisation orientiert. Das Album öffnet mit dem Titelstück, in dem Stewart einen federnden Beat spielt, der zunächst nach Latin klingt, hinter Stricklands erstem Solo dann zunehmend zum Funk wird. Die Fremdbeiträge hier stammen von Julius Hemphill („Georgia Blue“, das Feature Sextett, das Hemphill Ehrlich überliess, als er nicht mehr selbst spielen konnte – Ehrlich spielt es mit der Rhythmusgruppe in der mittleren und oberen der Bassklarinette) und der Closer „Turn Again“ von Jerome Harris, mit dem Ehrlich seit der gemeinsamen Zeit in Boston befreundet ist. Ehrlich kehrt aber auch zu eigenen alten Tunes zurück, z.B. „Generosity“ vom Debutalbum (das von noch früher, von einem Quartett mit Harris, stammt), das er mit der tollen Rhythmusgruppe hier nochmal machen wollte, nachdem es auf dem Debut im kargen Trio zu finden it. Es gibt auch hier wieder ein paar Klarinetten/Tenor-Stücke und in den Liner Notes (Bob Blumenthal) erklärt Ehrlich, wieso das mit Strickland so gut klingt: „Stan gets that subtone sound on tenor sax that fits right into what the clarinet does“. as längste Stück des Albums, „Tell Me This“, ist eins der Highlights, Formaneks Bass ist hier zentral und die Saxophone klingen, als spielten sie ein kontinuierliches Solo. „Prelude“ ist eine – sehr melodische – freie Improvisation von Ehrlich (as) und Cain. In „Untitled“ greift Ehrlich zum einzigen Mal hier zum Sopransax – zwei Saxophonlinien über einer dritten, die von Klavier und Bass kommt, und ein toller Beitrag von Strickland.
Marty Ehrlich ist unterm Strich vielleicht meine grosse Entdeckung hier, wenn auch eine mit Ankündigung (seine Musik zu erkunden war ein lange gehegter Plan). Ich höre mich hier immer wieder fest, wiederhole einzelne Stücke (das von Byard!) … und habe die letzten Wochen/Monate auch ein halbes Dutzend weitere Alben gekauft, die nicht auf Enja erschienen sind (Muse, Palmetto, New World, Omnitone, Songlines), und bin darauf gespannt, diese zu entdecken! Und auf dem (kleinen, zum Glück) Enja-Nachbereitungs-Stapel liegt auch das Album, das einen Auftritt mit Ray Anderson in Willisau dokumentiert (schon länger hier, aber lange nicht angehört).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaElvin Jones – It Don’t Mean a Thing | Ich habe zwischen den zwei Ehrlich-Alben dieses letzte von Elvin Jones für Enja übersprungen. @lotterlotta hat sich hier begeistert dazu geäussert. Aufgenommen wurde das Album am 18. und 19. Oktober 1993 im Systems Two Studio in Brooklyn von Mike Marciano. Die Band besteht aus wenigen neuen Gesichtern im Vergleich zu den Vorgängern: Delfayo Marsalis bringt mit seiner Posaune eine neue Klangfarbe hinzu, Veteran Cecil McBee übernimmt am Bass und ein paar Male taucht der Sänger Kevin Mahogany auf. Nicholas Payton (t), Sonny Fortune (ts, fl) und Willie Pickens (p) sind einmal mehr dabei. Es geht stark los mit Monks „Green Chimneys“, gefolgt von Keiko Jones‘ Arrangement des Traditionals „A Lullaby of Itsugo Village“ (Fortune an der Flöte, zunächst nur mit Pickens), Titelstück von Ellington und Strayhorns „Lush Life“ mit Mahogany (und Payton, die anderen Bläser pausieren). Gene Pera hat Arrangements beigesteuert – und vielleicht macht das den Unterschied zu den Vorgängern aus, denn das Album klingt tatsächlich geschlossener, stimmiger, wirkt weniger wie eine lockere Jam-Session. Im Titelstück gibt es zum Beispiel ein neues Riff, viel Raum für McBee und Pickens … und nicht den erwarteten Bläser-Solo-Reigen. In der Mitte steht mit „Zenzo’s Spirit“ ein erstes Original von Keiko Jones, in dem Fortune (fl), Payton und Marsalis alle mit Soli zu hören sind. Das folgende Balladenmedley, „A Flower Is a Lovesome Thing“ (Strayhorn) und „Ask Me Now“ (Monk), gehört ganz Willie Pickens am Klavier, teils solo, teils mit feiner Begleitung von McBee und Jones (und klar: die Aufnahme klingt halt schon viel besser als die zwei Vorgänger-Alben aus dem RVG-Studio – besonders das Klavier!). In seinem eigenen schnellen „Bopsy“ hat Mahogany dann als Scat-Sänger seinen zweiten Auftritt, mit kurzen Soli Marsalis, Fortune (ts), Payton und Pickens zwischendrin. Keiko Jones ist dann nochmal mit „Fatima’s Waltz“ als Komponistin vertreten, wie der Name verrät ein Stück im 3/4 mit einem schönen ersten Solo von Payton, dem Pickens, Marsalis und der Leader folgen. Als Closer kriegen wir Sam Cookes „A Change Is Gonna Come“, von einem Posaunen/Drumroll-Riff angekündigt, bevor Fortune am Tenorsax in bester Gospeltradition übernimmt, mit singenden Linien, sich überschlagendem, kratzigen Ton – in der Tat grossartig!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaAki Takase – Clapping Music | 1993 war Takase längst in Berlin und vermutlich auch ziemlich etabliert. So ein Trio, mit Reggie Workman und Sunny Murray, scheint dennoch ein grösseres Ereignis gewesen zu sein, wie den Liner Notes zu entnehmen ist. Das Album von Barbara Rüger und Horst Weber produziert, Enja Weber gemeinsam mit dem DeutschlandRadio Berlin. Es präsentiert Aufnahmen aus dem A-Trane vom 5. und 6. Juni 1993. der Opener, Takases Titelstück, ist ein ziemlich toller Romp, warm, jubilierend, groovend, auch wenn Murray mit seinem unkonventionellen Spiel alles gegen den Strich bürstet. Das tut er auch im folgenden „Shima Shoka“ wieder (Titelstück eines früheren Takase-Albums), wo es dauert, bis die Pianistin mitten aus den Zerklüftungen einen Groove zieht, minimal, karg, ähnlich kantig wie die Drums. In Schlippenbachs „Points“ werden keine Grooves angesteuert, die Musik atmet frei, Workman spielt stellenweise arco – bisher setzt er allgemein wenig Akzente, verschwindet etwas zwischen den Drums und dem Klavier. Nahtlos geht es mit „Do You Know What It Means to Miss New Orleans“ weiter plötzlich etabliert sich ein konventioneller Beat, Workman legt den Teppich aus, Murray fällt in einen seltsamen aber funktionierenden Swing, während Takase sich in Richtung Stride aufmacht. Zwei Mingus-Kompositionen folgen, zuerst ein zerklüfteter „Boogie Stop Shuffle“, in dem irre Fliehkräfte am Werk sind und die drei dennoch als Trio zusammenfinden – und irgendwie dann in „Pussycat Dues“ rüberfinden, wieder im langsamen Tempo und mit stetigem Beat. Dieses mittlere Drittel („Miss“ bis „Dues“) ist schon sehr faszinierend – auch sehr viel dunkler als das erste Drittel, und Workman ist hier auch voll dabei. Das letzte Drittel öffnet mit „Ants“ von Takashi Kako, dann folgen zwei Monk-Stücke, „Reflections“ und „Oska-T“ – der Weg führt von wilden Clustern über eine zunächst als Piano-Solo gespielte freie Ballade (die noch kurz „Blue Monk“ streift, wenn die Drums einsteigen) in den kantigen Ruckel-Groove des Closers, wieder mit dem ganzen Trio, vor allem aber mit einem ziemlich irren Klaviersolo. Ein ziemlich starkes und sehr vielschichtiges Set.
Wayne Krantz – 2 Drink Minimum | Das Album erwähnte ich gestern schon, es ist Krantz‘ drittes für Enja, erschien in den USA zeitgleich (1995) auch im Selbstverlag. Live in der 55 Bar in New York (die vermutlich mit „2 Drink Minimum“-Policy unterwegs war) spielt das Trio mit Lincoln Goines (elb) und Zach Danziger (d) acht Stücke von Krantz, zwischen etwas über eineinhalb und neun Minuten lang und auch ordentlich betitelt. Aufgenommen wurde das Album „with a pair of stereo mini-mics direct to DAT“ von Marc Bobrowsky zwischen Februar und April 1995 und es ist „dedicated to the audience“. Die Aufmachung ist minimal, erinnert ein wenig an Greg Osbys späteres Faux-Bootleg auf Blue Note. Das ist für meine Ohren ein Album wie aus einem Guss, das Trio super eng verwoben, gemeinsam in Grooves versinkend. Hi-Fi ist das nicht, aber ich mag den dreckigen, unmittelbaren Sound, in dem die obere Lage des Basses manchmal verschluckt wird und die Drums etwas dumpf klingen. Ein Dokument, bei dem man tatsächlich denkt, im vermutlich ziemlich kleinen Club dabei zu sein. Und da ich das Album in Neunzigern mal kannte eine echt schöne Wiederentdeckung.
Odean Pope Trio – Ninety-Six | Das Trio von Trios endet mit Odean Pope (ts), Tyrone Brown (b) und Mickey Roker (d), aufgenommen am 2. und 3. Oktober 1995 in den Morningstar Studios, Spring House, PA. Als Produzent agiert Werner Aldinger für Weber. Es gibt elf meist kürzere Stücke, der Opener „Gone Now“ stammt von Brown, dem Balladenhighlight „For All We Know“ wird eine „Overture“ von Irving Berlin/Pope vorangestellt, später hören wir noch „Coltrane Time“ von John Coltrane (im Duo mit Roker), dazu kommen sieben Pope-Tunes. Der Opener im 5/4-Takt setzt gleich den Ton: ein beckenlastiger Beat von Roker, eine repetitive Kippfigur vom Bass und darüber das Saxophon von Pope, schnörkellos, sonor, voluminös. Das ganze ist total trocken, gefällt mir sehr gut – entwickelt aber auf Dauer schon eine gewisse Eintönigkeit (vielleicht dem Krantz-Album darin nicht unähnlich). In den besten Momenten entstehen schroffe, offene Landschaften. Und manchmal ein hypnotischer Groove, etwa in „WL“, dem längsten Stück, das mich auch ganz kurz mal an „Africa – Tears and Laughter“ erinnert.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaDaniel Schnyder – Tarantula | Der Leader hier ist das Bindeglied des nächsten Dreierpakets: Daniel Schnyder, Komponist, Arrangeur, Saxophonist, Grenzgänger zwischen Jazz und Klassik, der 1996, als diese CD erschien, schon einen ganzen Haufen Credentials hatte: gespielt mit Hubert Laws, Lew Soloff, Ray Anderson, Kenny Drew Jr., Marvin „Smitty“ Smith oder Victor Lewis, Werke aufgeführt u.a. vom NDR Sinfonieorchester oder dem Tonhalle-Orchester Zürich (er hat Symphonien, Kammermusik, Opern und mehr komponiert – und auf Enja ist er schon an der Seite von Franco Ambrosetti vertreten). „Tarantula“ wurde zwischen 1994 und 1996 im Master Sound Astoria in New York, beim Jazzfestival Schaffhausen und im Radiostudio Zürich aufgenommen, abgesehen von einem Arrangement von Carl Maria von Weber („Samiel“) stammen alle zu hörenden Stücke von Schnyder. Die ersten vier Stücke wurden mit einer Bläserformation aufgenommen: Hubert Laws (fl, picc, alto fl), Daniel Schnyder (ts, ss), Michael Mossman (t, flh), Jim Pugh (tb), John Clark (frh), Dave Taylor (btb) sowie Michael Formanek (b). Der zweite Teil, fünf Stücke, dann mit einem Streichquartett: Alejandro Rutkauskas und Adam Taubitz (v), Akiko Hasegawa oder Jürg Dähler (vla), Daniel Pezzotti (vc) und Schnyder (ts, ss). Im dritten Teil gibt es zwei kürzere Stücke mit dr Radio-Philharmonie Hannover des NDR unter der Leitung von Georg Gruntz mit Schnyder (ts). Den Abschluss machen dann fünf Stücke mit Thomas Chapin (fl), Schnyder (ts, ss), Mossman (t, flh), Pugh (tb), Clark (frh), Taylor (btb), Andy McKee (b) und auf zwei Stücken Bobby Sanabria (cga, perc). Auf der Rückseite des CD-Booklets schreibt Peter Bürli, dass Schnyder nicht einfach jazzy Stücke für klassische Ensembles schreiben oder Third Stream-Traditionen reanimieren würde: „He aims at a genuine synthesis of the two traditions without accepting a reduction of the rhythmical element or a reduction of polyphonic lines.“ Dabei bewege er sich frei zwischen Jazz und Klassik in einem Rahmen, der im weitesten Sinne tonal ist. Das kann man so stehen lassen, dünkt mich – auch dass die Interpreten beim Ausführen der Werke öfter an ihre Grenzen stossen, wie Bürli auch schreibt, kann ich mir beim Hören recht gut vorstellen – das gilt wohl nochmal deutlich stärker für das verlinkte Album mit Ambrosetti, bei dem die Texturen wirklich heftig werden. Hier klingt das meiste einigermassen schlank, durchhörbar, das fehlen von Schlagwerk ist vermutlich ein Zugeständnis aber vielleicht auch eine Erleichterung? Die Widmung an Jobim, „Cool Sweets“, mit Chapin an der Flöte und Bobby Sanabria ist dann aber schon ein Highlight. Dass Schnyder ein ziemlich guter, auf jeden Fall vollkommen souverän aufspielender Saxophonist ist, sollte auch mal noch erwähnt werden. Das ist eine CD, die ich nicht allzu oft hören werde, aber da ich von Schnyder bis zur Enja-Strecke hier wirklich gar nichts da hatte (auch nicht das Ambrosetti-Album), nahm ich sie bei einer Bestellung für Wechselgeld dazu, und das hat sich definitiv gelohnt.
Lee Konitz – Strings for Holiday: A Tribute to Billie Holiday | Eine grössere Entdeckung ist gewiss diese Hommage an Billie Holiday. Matthias Winckelmann war schon früh ein Fan von Lee Konitz – und Konitz ein Fan von Billie Holiday, die einst auch mal Einstieg, als er einen Gig in einem Club auf Long Island hatte, wie den Liner Notes (Patrick W. Hinely) zu entnehmen ist. Das Album ist ein Dank für die Inspiration – und für Konitz auch mit einem Lernprozess verbunden, „especially in terms of vibrato, something he has long been noted for not using. Several weeks of intensely studying the Holiday/Young recorded canon opened his ears to her vibrato in new ways, as well as to what he calls the challenge ‚as a horn player, to be able to play a melody the way a singer would sing it, with the lyrics in mind.'“ In seinen Noten für diese Aufnahmen habe Konitz tatsächlich auch die Lyrics gehabt. Daniel Schnyder hat die Streicher-Parts für das Album arrangiert (und produziert), dabei Zitate aus Soli von Lester Young verwendet: „There are tunes on top of tunes in there“. Zur Band, die am 18. und 19. März 1996 im Chung King Studio in New York (Jim Anderson) einfand, gehören: Mark Feldman (v), Cenovia Cummins (v), Jill Jaffe (vla), Ronald Lawrence (vcl), Erik Friedlander (vc), Daniel Pezzotti (vc), Michael Formanek (b), Matt Wilson (d) und natürlich Lee Konitz (as). Die Setlist besteht aus Holiday-Evergreens wie „The Man I Love“, „God Bless the Child“, „Lover Man“, „Good Morning Heartache“, „For Heaven’s Sake“ oder „For All We Know“ – und das Ergebnis ist richtig gut geworden. Konitz klingt phantastisch (mit leichtem Vibrato und schwerem Ton), die Streicherarrangements sind sehr unkonventionell, in stetiger Bewegung und klanglich ziemlich reich, oft schön anzuhören, manchmal auch etwas beunruhigend oder gespenstisch – dem Sujet also vollkommen angemessen. Dazu kommt mit Formanek/Wilson eine diskret agierende aber total präsente Rhythmusgruppe. Keine Ahnung, warum ich dieses Album so viele Jahre vollkommen ignoriert habe.
Abdullah Ibrahim – African Suite (For Trio and String Orchestra) | Noch ein Album, das ich seit Erscheinen 1998 ignoriert hatte – nochmal von Schnyder arrangiert, dieses Mal für das Trio von Abdullah Ibrahim (p) mit Belden Bullock (b) und George Gray (d). Dazu kommen zwanzig Streicher aus dem European Union Youth Orchestra (EUYO), das in den ersten fast 20 Jahren nach seiner Gründung 1976 von Claudio Abbado geleitet wurde (zehn Violinen, je vier Bratschen und Celli, zwei Bässe). Die Aufnahme entstand vom 12. bis 16. November 1997 in der Abbatiale de Payerne in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Radio. Schnyder hat arrangiert, geleitet und produziert. Die Bemerkung „Concept by Matthias Winckelmann“ verweist darauf, dass die Idee dahinter vom Enja-Produzenten stammt, „who had always been sensing chamber musical and orchestral colors in Abdullah Ibrahim’s music“, wie Schnyder in den Liner Notes schreibt. Die Herausforderung ergab sich daraus, dass das Material oft nur fragmentarisch notiert war und unterschiedliche Aufnahmen aus 25 Jahren herbeigezogen wurden. Schnyder merkt auch lakonisch an, dass mehrere frühere Versuche wegen dieser Hürden gescheitert seien. In mehreren Sessions mit Ibrahim wurde das Material kondensiert, das am Ende in die „African Suite“ aufgenommen wurde – da tauchen neben den Klassikern „Ishmael“, „Tsakwe“, „The Wedding“, „Tintinyana“ und „The Mountain of the Night“ auch weniger bekannte oder weniger oft aufgenommene Stücke wie „Mindif“, „Barakaat“ und „Damara Blue“ auf. Mittendrin gibt es mit „Blanton“ ein kurzes Orchesterstück ohne Ibrahim, gefolgt von einem Klaviersolo über „Aspen“. Auch hier sind die Streicher-Arrangements ziemlich reichhaltig – aber etwas weniger bewegt als bei Konitz – und eine gute Ergänzung zum Piano des Leaders, das aber stets im Zentrum steht. Die Rhythmusgruppe agiert leicht und lebendig, auch wenn sie zu schweben scheint zupackender als die bei Konitz. So ist das hier zugleich melodieseliger und schwergewichtiger – und keineswegs so seicht, wie ich befürchtet und das Album daher all die Jahre nie angehört hatte. Eine späte, aber schöne Entdeckung.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy-tail-wind Elvin Jones – It Don’t Mean a Thing | Ich habe zwischen den zwei Ehrlich-Alben dieses letzte von Elvin Jones für Enja übersprungen. @lotterlotta hat sich hier begeistert dazu geäussert. Aufgenommen wurde das Album am 18. und 19. Oktober 1993 im Systems Two Studio in Brooklyn von Mike Marciano. Die Band besteht aus wenigen neuen Gesichtern im Vergleich zu den Vorgängern: Delfayo Marsalis bringt mit seiner Posaune eine neue Klangfarbe hinzu, Veteran Cecil McBee übernimmt am Bass und ein paar Male taucht der Sänger Kevin Mahogany auf. Nicholas Payton (t), Sonny Fortune (ts, fl) und Willie Pickens (p) sind einmal mehr dabei. Es geht stark los mit Monks „Green Chimneys“, gefolgt von Keiko Jones‘ Arrangement des Traditionals „A Lullaby of Itsugo Village“ (Fortune an der Flöte, zunächst nur mit Pickens), Titelstück von Ellington und Strayhorns „Lush Life“ mit Mahogany (und Payton, die anderen Bläser pausieren). Gene Pera hat Arrangements beigesteuert – und vielleicht macht das den Unterschied zu den Vorgängern aus, denn das Album klingt tatsächlich geschlossener, stimmiger, wirkt weniger wie eine lockere Jam-Session. Im Titelstück gibt es zum Beispiel ein neues Riff, viel Raum für McBee und Pickens … und nicht den erwarteten Bläser-Solo-Reigen. In der Mitte steht mit „Zenzo’s Spirit“ ein erstes Original von Keiko Jones, in dem Fortune (fl), Payton und Marsalis alle mit Soli zu hören sind. Das folgende Balladenmedley, „A Flower Is a Lovesome Thing“ (Strayhorn) und „Ask Me Now“ (Monk), gehört ganz Willie Pickens am Klavier, teils solo, teils mit feiner Begleitung von McBee und Jones (und klar: die Aufnahme klingt halt schon viel besser als die zwei Vorgänger-Alben aus dem RVG-Studio – besonders das Klavier!). In seinem eigenen schnellen „Bopsy“ hat Mahogany dann als Scat-Sänger seinen zweiten Auftritt, mit kurzen Soli Marsalis, Fortune (ts), Payton und Pickens zwischendrin. Keiko Jones ist dann nochmal mit „Fatima’s Waltz“ als Komponistin vertreten, wie der Name verrät ein Stück im 3/4 mit einem schönen ersten Solo von Payton, dem Pickens, Marsalis und der Leader folgen. Als Closer kriegen wir Sam Cookes „A Change Is Gonna Come“, von einem Posaunen/Drumroll-Riff angekündigt, bevor Fortune am Tenorsax in bester Gospeltradition übernimmt, mit singenden Linien, sich überschlagendem, kratzigen Ton – in der Tat grossartig!
….das freut mich sehr, dass es dir gefällt, auf vinyl eindeutig eins der besten enja alben überhaupt, nahezu perfekt!
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Hat Zappa und Bob Marley noch live erlebt!schön, dass es hier noch weitergeht. da war jetzt einiges dabei, was mich auch noch interessieren würde (friedman & allen, dan rose, strings for holiday, clapping music), ein paar sachen sind allerdings mit frühen enttäuschungen verbunden – das war nicht das, was ich hören wollte, als ich mit jazz anfing. vor allem AFRICAN SUITE und das elvin-jones-album, das ihr hier beide so mögt…
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vorgarten
schön, dass es hier noch weitergeht. da war jetzt einiges dabei, was mich auch noch interessieren würde (friedman & allen, dan rose, strings for holiday, clapping music), ein paar sachen sind allerdings mit frühen enttäuschungen verbunden – das war nicht das, was ich hören wollte, als ich mit jazz anfing. vor allem AFRICAN SUITE und das elvin-jones-album, das ihr hier beide so mögt…Ich würd bei „It Don’t Mean a Thing“ nicht „so mögt“ sagen … von diesen Enja-Alben kommt für meine Ohren keines an die Blue Note-Alben heran. In Sternen ausgedrückt kriegen „In Europe“ und „It Don’t Mean a Thing“ wohl knapp 4, die anderen drei („When I Was at Aso-Mountain“ hörte ich ja früher schon) einen halben weniger (oder auch einen ganzen weniger, keine Ahnung). Sind überall schöne Sachen dabei, aber mir geht’s da wie Dir mit „In Europe“: so richtige Alben sind das irgendwie nicht … allerdings finde ich das gerade bei „In Europe“ kein Problem, und dann eben bei „It Don’t Mean a Thing“ auch ein ganzes Stück weniger (und „Aso-Mountain“ kann man das nicht vorwerfen, das ist ja ein Quartett mit Fortune, McBee und dem japanischen featured Pianisten Takehisa Tanaka – das fesselt mich einfach nicht recht).
Bei der „African Suite“ bin ich froh, dass ich das erst mit dem gelassenen Ü40-Selbst entdeckt hab … hätte ich früher bestimmt auch enttäuscht weggelegt (vermutlich hab ich die bei meinen Eltern auch mal angespielt und abgebrochen – aber ich hab null Erinnerung daran). Heute finde ich das ziemlich schön und vom Konzept her wirklich gut umgesetzt. Etwas ereignisarm vielleicht, aber das kann man bei 90% des Ibrahim-Outputs seit 30 Jahren oder so sagen (drum find ich auch „Yarona“ immer noch so überraschend, da sind keine Rhythmussklaven dabei sondern das Trio wächst zusammen und funktioniert als Einheit … und das führt dazu, dass auch der Leader über sich hinauswächst … sonst ist wohl Solo sein Format in all den Jahren, und das ist dann halt von der Tagesform abhängig … einschränkend zu der Behauptung aber noch die Anmerkung, dass ich das späte Ekaya-Album auf Gearbox dann halt auch wieder als grosse Überraschung empfand … ganz anders als ein Live-Gig vor inzwischen wohl auch 20 Jahren, der echt müde war).
„Clapping Music“ finde ich echt spannend, da gibt es viel Reibung, manchmal verpufft alles, andere Male wird sie produktiv genutzt und es entsteht etwas.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaVictor Lewis – Eeeyyess! | Vom Line-Up her sieht das nach Mainstream aus: Terell Stafford (t, flh), Seamus Blake (ts, ss), Stephen Scott (p), Ed Howard (b), Victor Lewis (d, voc) und auf fünf der neun Stücke Don Alias (perc). Doch es gibt schon im groovenden Opener eine erste Irritation: Applaus zum Einstieg (es handelt sich um ein Studio-Album), und dann packt Blake sein Equipment aus, wie er es damals auch bei den Bloomdaddies genutzt hat (dazu gehört u.a. ein Wah-Wah-Pedal, um den Ton des Saxophons zu verfremden). Mit der Ballade „Vulnerability“ geht es dann klassisch weiter, gedämpfte Trompete, starkes Pianosolo von Scott – und Lewis wie erwartet mit einer wachen, variablen Begleitung (doch auch hier – mit dem Tenor – verfremdet Blake in seinem Solo seinen Ton wieder, legt eine Echo-Spur dazu). Schon in seiner Zeit bei Woody Shaw hat Lewis komponiert. Er swingt einerseits auf ungewöhnliche Art, ist zugleich aber immer tief in der Musik drin, ein „denkender“ Drummer, wenn man so will. Mitten im Album sind James Williams‘ „Alter Ego“ (der Onkel von Tony Reedus, s.o., und Jazzmessengers-Pianist) und direkt danach Stephen Scotts „No More Misunderstandings“ platziert, die anderen sieben Stücke stammen von Lewis. Sehr schön ist z.B. die Stimmung in der sehr langsamen Ballade „Buttercups“, in der die Bläser gemeinsam spielen, Blake über der Trompete zu einem kurzen Solo ansetzt. Das Material wurde im Visiones (vgl. Gust William Tsilis und Abraham Burton anderswo in dem Thread), im Sweet Basil und auf einer Tour durch Italien aufgeführt und eingeschliffen. Aufgenommen hat Joe Marciano am 21. und 22. Juli 1996 im Systems Two in Brooklyn. Die Band klingt gut, Stafford mit schlankem, schönem Ton, der manchmal eine sehr attraktive fahle Version von Freddie Hubbards Härte wirkt. Blake ist souverän, ein Alleskönner, damals schon seit mehreren Jahren der Saxophonist von Lewis. Seine elektronischen Verfremdungen setzt er recht gekonnt ein, finde ich, aber so wirklich nötig sind sie wohl doch nicht. Stephen Scott ist ein Pianist, den ich bisher nie wirklich beachtet habe – das sollte ich auch mal ändern, glaube ich … auch sein Stück hier ist toll (ein Enja-Album von ihm liegt als Beifang da und kommt auch heute noch in den Player). So richtig zündet das nicht, aber es gibt immer wieder starke Momente, vor allem in den langsamen Stücken („Vulnerability“, „Buttercups“, „No More Misunderstandings“, „Here’s to … You Babe“ mit gesprochenem Text von Lewis).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaGlenn Ferris Trio – Refugees | Nach Marty Cook und Ray Anderson und vor Josh Roseman, Nils Wogram ist Glenn Ferris (Don Ellis, Frank Zappa, George Duke, Billy Cobham, Mal Waldron, Steve Lacy, Henri Texier, Brotherhood of Breath usw. usf.) der wichtigste Posaunist bei Enja – in Anzahl Alben gemessen vielleicht überhaupt der wichtigste (er ist auch auf einer ganzen Reihe von Alben des Schweizer Trompeters Peter Schärli dabei … kenn ich überhaupt nicht). Dass bei mir „Refugees“ steht, ist eher ein Zufall, ein halbwegs gezielter Beifang bei Enja-Bestellung. Nach „Flesh and Stone“ (1994) und „Face Lift“ (1996) ist es das dritte im Trio mit Vincent Segal (vc) und Bruno Rousselet (b), aufgenommen vor geladenem Publikum am 27. April 1997 im Centre Culturel La Clef in Paris (produziert von Ferris und Aldinger, beim Weber-Zweig erschienen). Es einen bekannten Standard („My Heart Stood Still“), ein weniger bekanntes Ellington-Stück („Reflections in D“) und ein äusserst charmantes von Aznavour („Qui?“, erinnert in den Changes etwas an „Autumn Leaves“) sowie fünf Ferris-Kompositionen, Ferris hat auch alles arrangiert. Zum Titelstück und der Hommage „Lawrence Brown – Master of Sound“ hat Ferris auch Lyrics geschrieben, die im Booklet neben knappen Kommentaren zu den Stücken abgedruckt sind. Ferris ist ein beeindruckender Musiker, der sein Instrument wirklich beherrscht – vielleicht kann man ihn von heute aus irgendwo zwischen Mangelsdorff und Wogram verorten? Das aber unfair, denn er seht wirklich auf seinen eigenen Beinen und macht sein Ding, mit schönem rundem Ton, gelegentlichen Multiphonics usw. Für Abwechslung ist insofern gesorgt, als dass die beiden Streicher auch mal ihre Bögen hervorholen, zum Beispiel im Intro des echt schönen Ellington-Stückes. Und auch Grooves muss man nicht vermissen – etwa das Titelstück, in dem das Cello und der Bass gegenläufige Rhythmen zu spielen scheinen. Klanglich ist das Trio schon super, die Posaune fügt sich oft nahtlos in die Begleitung ein, wenn das Cello oder der Bass übernimmt, das verwebt sich sehr schön. Aber auf Dauer ist es doch ein wenig eintönig.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaStephen Scott – Vision Quest | Der Posterboy kriegt ein Flipcover … und nimmt nach für Alben (inkl. „Parker’s Mood“) für Verve sein sechstes und wie es scheint bis heute letztes Album für Enja auf (das hier ist wohl aktuell sein Gig), im Trio mit Ron Carter und Victor Lewis sowie den Congas usw. von Steve Kroon, der schon dem verspielten Opener „Like a Child at Play“ (von der zweijährigen Nichte inspiriert) einen Latin-Touch verleiht. Mit Irving Berlins „Cheek to Cheek“, Wayne Shorters „Virgo“, „‚Round Midnight“, „Where Is the Love“ (Flack/Hathaway, komponiert von Ralph MacDonald/William Salter – im Booklet hier steht „Slater“) sind unterschiedlichste Klassiker zu hören, dazwischen drei Interludes und neben dem Opener am Ende des Albums noch drei ausgewachsene Tunes von Scott. Im ersten, „Yum“, wechselt Scott an Keyboards, ich glaube zwei, eins mit etwas seltsamem, dünnem Sound und daneben für die Begleitung dann noch ein weiteres, das altmodischer klingt, wie ein Rhodes oder ein Wurlitzer? Am Ende soliert er dann doch wieder am Piano, begleitet sich aber weiter am einen Keyboard. Das zweite, „A Work in Progress“ beginnt über einen kubanisch anmutenden Bass-Groove und entwickelt sich zu einem sehr tollen Jam. In „Da’at“ kommt dann eine synthetische Orgel zum Einsatz, die eine Art Reggae-Beat unters Piano legt. Abgesehen davon, dass ich die Keyboards gegen Ende eher nicht gebraucht hàtte, ist das alles kurzweilig, oft ziemlich zupackend aber mit einem schönen weichen Klaviersound gespielt, mit perlenden Läufen dazwischen, die auch mal den Einfluss von Wynton Kelly zu verraten scheinen. Das hat alles einen echt schönen Touch, Lewis‘ recht hoch gestimmte Drums tragen zur gefühlten Leichtigkeit bei, Carters Bass ist der Gegenpol, sehr beweglich aber meist in der Tiefe bleibend. Scott findet eigene Voicings für „Round Midnight“, wirkt oft zugleich tänzerisch leicht aber auch tief in der Musik vergraben und damit ziemlich heavy. Aufgenommen wurde das Album von Joe Marciano am 4. März 1998 im Systems Two in Brooklyn. In den Verdankungen lesen wir nicht nur die Namen von Lucille und Sonny Rollins und dessen Band (Lewis Nash, Bob Cranshaw, Clifton Anderson), Sathima Bea Benjamin (Scott hat mit ihr aufgenommen, aber nicht für Enja), sondern auch die von Terell Stafford (s.o. Victor Lewis) und auch die der Pianisten Gil Coggins und Brooks Kerr.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaZollsound 4 feat. Lee Konitz – Open Hearts | Ich habe nie nachgeschaut, wie oft Künstler nach dem Bruch zwischen Weber und Winckelmann für beide Zweige aufnahmen, aber mich dünkt eher selten. Lee Konitz ist so ein Fall, und auch dieses Album habe ich über all die Jahre nie angehört. Konitz stösst als Gast zum Trio von Thomas Zoller (bari) mit Carlo Mombelli (elb) und Bill Elgart (d, perc), das einen recht dunklen aber sehr transparenten Sound pflegt, geprägt von der bundlosen Bassgitarre des Südafrikanischen Bassisten. Zoller hat neun der Stücke komponiert, dazu kommt noch Johnny Mandels „I Want to Live“, die Aufnahme entstand am 17. und 18. November 1998 im Tonstudio Ulrich Kraus in Walchstadt in Bayern, Werner Aldinger hat produziert. Das ist in ihrer Dunkelheit, mit meist eher gemächlichen Tempi etwas verhaltene, aber wahnsinnig schöne Musik – und einmal mehr ein Rahmen, in den Konitz sich echt gut einfügt. Der Leader erweist sich als guter Musiker, der die Fäden von Konitz nahtlos aufgreift und weiterspinnt – in der Linie von Mulligan und dem alten Cool Jazz, aber nicht zuletzt dank der Bassgitarre mit anderem Klanggewand, manchmal auch mit endlos kreisenden Grooves, während Elgart, tänzerisch ein reduziertes Instrumentarium bedienend, oft die Besen einsetzend, vielleicht gar nicht so weit vom Mulligan-Quartett mit Chico Hamilton weg ist. Das Material ist auch ziemlich gut, auf jeden Fall auf die vier zugeschnitten und abwechslungsreich – und das Ergebnis klingt wie eine echte Band, überhaupt nicht wie ein Ensemble, das einen Stargast begleitet. Auf jeden Fall auch das eine Entdeckung, wenngleich nicht eine ganz so schöne wie das Holiday-Album.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaAbsolute Ensemble / Kristjan Järvi – Absolution | Mit diesem Ensemble, 1993 von Järvi in New York gegründet, nahmen Abdullah Ibrahim und Daniel Schnyder (und das NDR Sinfonieorchester) die 2001 veröffentlichte „African Symphony“ auf, ein zweites Orchesteralbum, in das Ibrahims Trio eingebaut wurde. Ich kenne es nicht, aber die Neugierde obsiegte neulich, als ich bei einer kleinen Enja-Bestellung auch dieses Album dazunehmen konnte. Zu hören sind neben „subZero“, dem dreisätzigen Konzert für Bassposaune von Daniel Schnyder, Stücke von Charles Coleman, Jimi Hendrix („Purple Haze“ als Closer, arrangiert von Schnyder mit Denman Maroney am präparierten Klavier), Matt Hershkowitz („Serial Blues“, eine Art Klavierkonzert mit dem Komponisten am Klavier) Shafer Mahoney, Denman Maroney und Lepo Sumera (das viertelstündige „Play for 10“ mit dem Untertitel „Canone terribile, alla diavola“). Das Absolute Ensemble besteht aus zehn Bläsern, Piano (Hershkowitz), zwei Schlagzeugern und einem Streichquintett (v/v/vla/vc/b – am Bass Matt Fieldes, ein mit allen Wassern gewaschener Sessionmusiker, der hier auch mal am E-Bass zu hören ist), als Gäste wirken mit: Dave Taylor (btb) glänzt im Konzert von Schnyder und der schon erwähnte Maroney neben dem Hendrix-Stück noch in seinem eigenen „Par 3“ dabei. Daniel Schnyder wählte zusammen mit Järvi die Musik aus und produzierte das Album, das im September 1999 von einem Toningenieur des Schweizer Radios im Clinton Studio in New York aufgenommen wurde. Es gibt hier viel rasante, virtuose Musik irgendwo zwischen Jazz und Neuer Musik, auch mal mit Anklängen an Vorgänger wie z.B. die Groupe des Six, George Antheil oder auch mal George Adams, dünkt mich. Das ist alles Gebiet, auf dem ich mich gar nicht gut auskenne, aber das Album macht Spass!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbadanke für die vielen schönen Texte… African Suite hör ich tatsächlich recht oft, aber nicht so sehr als Jazzalbum, eher als eine Art Soundtrack… das Konitz Album mag ich auch gerne… wegen Zoller hab ich mich gefragt, woher ich den Namen kannte… von den beiden Die Konferenz Alben mit Günther Klatt, auf denen Zoller alles arrangiert hat
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Schlagwörter: Enja Records, Tiptoe, Tutu Records, yellowbird
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