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Daniel Schnyder – Tarantula | Der Leader hier ist das Bindeglied des nächsten Dreierpakets: Daniel Schnyder, Komponist, Arrangeur, Saxophonist, Grenzgänger zwischen Jazz und Klassik, der 1996, als diese CD erschien, schon einen ganzen Haufen Credentials hatte: gespielt mit Hubert Laws, Lew Soloff, Ray Anderson, Kenny Drew Jr., Marvin „Smitty“ Smith oder Victor Lewis, Werke aufgeführt u.a. vom NDR Sinfonieorchester oder dem Tonhalle-Orchester Zürich (er hat Symphonien, Kammermusik, Opern und mehr komponiert – und auf Enja ist er schon an der Seite von Franco Ambrosetti vertreten). „Tarantula“ wurde zwischen 1994 und 1996 im Master Sound Astoria in New York, beim Jazzfestival Schaffhausen und im Radiostudio Zürich aufgenommen, abgesehen von einem Arrangement von Carl Maria von Weber („Samiel“) stammen alle zu hörenden Stücke von Schnyder. Die ersten vier Stücke wurden mit einer Bläserformation aufgenommen: Hubert Laws (fl, picc, alto fl), Daniel Schnyder (ts, ss), Michael Mossman (t, flh), Jim Pugh (tb), John Clark (frh), Dave Taylor (btb) sowie Michael Formanek (b). Der zweite Teil, fünf Stücke, dann mit einem Streichquartett: Alejandro Rutkauskas und Adam Taubitz (v), Akiko Hasegawa oder Jürg Dähler (vla), Daniel Pezzotti (vc) und Schnyder (ts, ss). Im dritten Teil gibt es zwei kürzere Stücke mit dr Radio-Philharmonie Hannover des NDR unter der Leitung von Georg Gruntz mit Schnyder (ts). Den Abschluss machen dann fünf Stücke mit Thomas Chapin (fl), Schnyder (ts, ss), Mossman (t, flh), Pugh (tb), Clark (frh), Taylor (btb), Andy McKee (b) und auf zwei Stücken Bobby Sanabria (cga, perc). Auf der Rückseite des CD-Booklets schreibt Peter Bürli, dass Schnyder nicht einfach jazzy Stücke für klassische Ensembles schreiben oder Third Stream-Traditionen reanimieren würde: „He aims at a genuine synthesis of the two traditions without accepting a reduction of the rhythmical element or a reduction of polyphonic lines.“ Dabei bewege er sich frei zwischen Jazz und Klassik in einem Rahmen, der im weitesten Sinne tonal ist. Das kann man so stehen lassen, dünkt mich – auch dass die Interpreten beim Ausführen der Werke öfter an ihre Grenzen stossen, wie Bürli auch schreibt, kann ich mir beim Hören recht gut vorstellen – das gilt wohl nochmal deutlich stärker für das verlinkte Album mit Ambrosetti, bei dem die Texturen wirklich heftig werden. Hier klingt das meiste einigermassen schlank, durchhörbar, das fehlen von Schlagwerk ist vermutlich ein Zugeständnis aber vielleicht auch eine Erleichterung? Die Widmung an Jobim, „Cool Sweets“, mit Chapin an der Flöte und Bobby Sanabria ist dann aber schon ein Highlight. Dass Schnyder ein ziemlich guter, auf jeden Fall vollkommen souverän aufspielender Saxophonist ist, sollte auch mal noch erwähnt werden. Das ist eine CD, die ich nicht allzu oft hören werde, aber da ich von Schnyder bis zur Enja-Strecke hier wirklich gar nichts da hatte (auch nicht das Ambrosetti-Album), nahm ich sie bei einer Bestellung für Wechselgeld dazu, und das hat sich definitiv gelohnt.
Lee Konitz – Strings for Holiday: A Tribute to Billie Holiday | Eine grössere Entdeckung ist gewiss diese Hommage an Billie Holiday. Matthias Winckelmann war schon früh ein Fan von Lee Konitz – und Konitz ein Fan von Billie Holiday, die einst auch mal Einstieg, als er einen Gig in einem Club auf Long Island hatte, wie den Liner Notes (Patrick W. Hinely) zu entnehmen ist. Das Album ist ein Dank für die Inspiration – und für Konitz auch mit einem Lernprozess verbunden, „especially in terms of vibrato, something he has long been noted for not using. Several weeks of intensely studying the Holiday/Young recorded canon opened his ears to her vibrato in new ways, as well as to what he calls the challenge ‚as a horn player, to be able to play a melody the way a singer would sing it, with the lyrics in mind.'“ In seinen Noten für diese Aufnahmen habe Konitz tatsächlich auch die Lyrics gehabt. Daniel Schnyder hat die Streicher-Parts für das Album arrangiert (und produziert), dabei Zitate aus Soli von Lester Young verwendet: „There are tunes on top of tunes in there“. Zur Band, die am 18. und 19. März 1996 im Chung King Studio in New York (Jim Anderson) einfand, gehören: Mark Feldman (v), Cenovia Cummins (v), Jill Jaffe (vla), Ronald Lawrence (vcl), Erik Friedlander (vc), Daniel Pezzotti (vc), Michael Formanek (b), Matt Wilson (d) und natürlich Lee Konitz (as). Die Setlist besteht aus Holiday-Evergreens wie „The Man I Love“, „God Bless the Child“, „Lover Man“, „Good Morning Heartache“, „For Heaven’s Sake“ oder „For All We Know“ – und das Ergebnis ist richtig gut geworden. Konitz klingt phantastisch (mit leichtem Vibrato und schwerem Ton), die Streicherarrangements sind sehr unkonventionell, in stetiger Bewegung und klanglich ziemlich reich, oft schön anzuhören, manchmal auch etwas beunruhigend oder gespenstisch – dem Sujet also vollkommen angemessen. Dazu kommt mit Formanek/Wilson eine diskret agierende aber total präsente Rhythmusgruppe. Keine Ahnung, warum ich dieses Album so viele Jahre vollkommen ignoriert habe.
Abdullah Ibrahim – African Suite (For Trio and String Orchestra) | Noch ein Album, das ich seit Erscheinen 1998 ignoriert hatte – nochmal von Schnyder arrangiert, dieses Mal für das Trio von Abdullah Ibrahim (p) mit Belden Bullock (b) und George Gray (d). Dazu kommen zwanzig Streicher aus dem European Union Youth Orchestra (EUYO), das in den ersten fast 20 Jahren nach seiner Gründung 1976 von Claudio Abbado geleitet wurde (zehn Violinen, je vier Bratschen und Celli, zwei Bässe). Die Aufnahme entstand vom 12. bis 16. November 1997 in der Abbatiale de Payerne in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Radio. Schnyder hat arrangiert, geleitet und produziert. Die Bemerkung „Concept by Matthias Winckelmann“ verweist darauf, dass die Idee dahinter vom Enja-Produzenten stammt, „who had always been sensing chamber musical and orchestral colors in Abdullah Ibrahim’s music“, wie Schnyder in den Liner Notes schreibt. Die Herausforderung ergab sich daraus, dass das Material oft nur fragmentarisch notiert war und unterschiedliche Aufnahmen aus 25 Jahren herbeigezogen wurden. Schnyder merkt auch lakonisch an, dass mehrere frühere Versuche wegen dieser Hürden gescheitert seien. In mehreren Sessions mit Ibrahim wurde das Material kondensiert, das am Ende in die „African Suite“ aufgenommen wurde – da tauchen neben den Klassikern „Ishmael“, „Tsakwe“, „The Wedding“, „Tintinyana“ und „The Mountain of the Night“ auch weniger bekannte oder weniger oft aufgenommene Stücke wie „Mindif“, „Barakaat“ und „Damara Blue“ auf. Mittendrin gibt es mit „Blanton“ ein kurzes Orchesterstück ohne Ibrahim, gefolgt von einem Klaviersolo über „Aspen“. Auch hier sind die Streicher-Arrangements ziemlich reichhaltig – aber etwas weniger bewegt als bei Konitz – und eine gute Ergänzung zum Piano des Leaders, das aber stets im Zentrum steht. Die Rhythmusgruppe agiert leicht und lebendig, auch wenn sie zu schweben scheint zupackender als die bei Konitz. So ist das hier zugleich melodieseliger und schwergewichtiger – und keineswegs so seicht, wie ich befürchtet und das Album daher all die Jahre nie angehört hatte. Eine späte, aber schöne Entdeckung.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba