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Sachi Hayasaka & Stir Up! – 2.26 | Am 26. Februar 1992 wird im Buddy in Tokyo dieses Album mitgeschnitten, auf dem Rückcover mit dem Titelzusatz „featuring Yosuke Yamashita“. Die Band der Sopran- und Altsaxophonistin Sachi Hayasaka besteht aus Tatsuya Sato (ts), Toshiki Nagata (b), Ken Tsunoda (d) und Tomohiro Yahiro (perc) und beschwört auch ohne den Gast schon Stürme herauf. Die Leaderin eher mit sattem Ton und Melodien, Sato mit freien Einlagen, sich überschlagendem Ton und dem ganzen Free-Vokabular. Die Rhythmen haben dabei oft etwas von den marching bands von Hayasakas Anfängen (siehe unten), scheuen sich auch nicht vor einer gewissen Monotonie. Oft klingt das eher wie das Italian Instabile Orchestra oder die Truppen von Breuker und Mengelberg aus den Niederlanden denn nach US-Vorbildern. Nach Hayasakas marching band Opener „Bubble Net Feeding“ gibt es „Heso“ (Nagata) mit Yamashita, dann folgen drei sehr lange Stücke (zweimal 14 und 17 Minuten) der Leaderin, in denen die Musik stärker aufbricht, so beginnt „Children Children“ mit einer Flöte (fehlt im Line-Up, aber auf dem Foto im Booklet sieht man bei Hayasakas intrumenten auch eine kleine Holzflöte liegen) und Percussion, die etwas nach Mbira klingt. Erst nach ein paar Minuten steigen Piano und Bass mit einem Riff ein, die Drums kommen dazu, dann das Altsax mit einem Themenkürzel, das schliesslich mit dem Tenorsax im Unisono weiterentwickelt wird, bevor Hayasaka zum Solo ansetzt. Die Gruppe spielt eine Mischung aus in und out, mit der an diesem Punkt offensichtlichen rhythmischen Flexibilität (auch ungrade Metren dabei), den immer noch oft fröhlich wirkenden, treibenden Drums und den dunklen Schattierungen der Saxophone, dem tiefen Bass, finde ich das sehr attraktiv. „“Yellow Monk“ beginnt mit dem Altsax und Gongs/Glocken – und mündet in einer simultanen as/ss-Passage der Leaderin … oder phrasieren sie und Sato echt so perfekt gemeinsam? Dann steigen Bass und Piano ein, setzen einen Groove, der von inzwischen viel Percussion und allmählich auch den Drums ausgeschmückt wird. Das ist catchy – und bleibt ziemlich eigenwillig. Sato spielt dann ein Solo, das mit kleinen Kürzeln beginnt und sich zunehmend verdichtet, in der Entwicklung vielleicht ein wenig an Sonny Rollins erinnernd. Später wird’s bluesig, das Tempo steigt an für das Piano-Solo – leider ist Yamashita auf dem ganzen Album eine Spur zu leise aufgenommen, aber er fügt sich super ein, mit oft kargen Begleitungen und seinen so typischen irren Verdichtungen in den Soli – aber gut dosiert, ohne die Band zu übernehmen oder alles zu usurpieren. „2.26“ beginnt dann als eine Art unterbrochene Hymne, doch bricht auch wieder auf, Klaviersolo mit disruptivem Arco-Bass, Verdichtungen, die auch wieder aufbrechen, um in eine Art Pas-de-Deux vom Altsax mit dem Bass zu münden, punktiert von der Drum-Section (inkl. die 88 gestimmten), bevor die ganze Band nochmal aufläuft und über einem Trommelbeat einen gemeinsamen Tanz aufführt, in dem auch Sato am Tenorsax nochmal zu hören ist. Dann gibt es einen kurzen Closer, Tom Waits‘ „Take Care of All My Children“, als Gospel-Hymne dargeboten und mit Band-Intros in der Mitte. Ein trotz seiner Länge (67 Minuten) sehr kurzweiliges Set, finde ich!
Im Booklet berichtet Hayasaka über ihre erste Begegnung mit den Saxophon: die Brass Band an der Junior High, wo sie Flöte spielen wollte, ein paar Monate später sparte sie für den Rest ihrer Kindheit, um ein Sopransax zu kaufen; die erste Begegnung mit den Jazz: ein*er ihrer Freund*innen gab ihr „My Favorite Things“ zum anhören, schon im College war ihr klar, dass sie Musikerin werden wollte, nach dem Abschluss debütierte sie mit ihrer eigenen Gruppe im Pit Inn, Vorbilder waren Wayne Shorter, Steve Grosssman, Joe Henderson; die erste Begegnung mit eigener Musik: sieben Jahre nach ihrem Debut ergab sich die Gelegenheit, mit Yamashita zu spielen, mit dem Fujikawa Yoshiaki Eastasia Orchestra, mit Hans Reichel auf einer Europa-Tour, und so lernte sie den Free Jazz kennen und „I started to think seriously about my own music“, die auch unter dem Einfluss von Ornette Coleman und Thelonious Monk stehe; über ihr Frausein: sie vertritt die Meinung, dass es um persönliche Ausdrucksformen geht, unabhängig von Gender; die Bedeutung von 226: am 26. Februar hat Hayasaka Geburtstag (den 32., als das Album aufgenommen wurde), in Japan ist das Datum aber auch bekannt, weil an diesem Tag im Jahr 1936 ein Putschversuch stattfand. Zudem ist es auch der Geburtstag von Tsunoda (1964) und des Gastes Yamashita (1942); und zuletzt über die Zukunft: so lange sie die Energie dazu habe, wolle sie möglichst viel spielen, in Japan und ausserhalb, so viele andere Künstler*innen wie möglich treffen und weiterhin gute Musik machen.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba