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love and sorrow (1993/96)
ganze vier tage nahm sich das quartett (mit hicks, aber hopkins/muhammad statt drummond/cyrille) in new yorker sound on sound studio zeit, um material für zwei alben aufzunehmen. FOR AUNT LOUISE kenne ich noch nicht, es sollte morgen bei mir eintreffen, hat vor allem originale im angebot, LOVE AND SORROW ist dagegen nah an den thiele-projekten: balladen-standards, oft gehört: „you’d be so nice to come home to“, „old folks“, „a flower is a lovely thing“ und „you don’t know what love is“, dazu zwei jüngere stücke, die mit vergleichbaren akkordschemen arbeiten.
ganz anders als bei den thiele-projekten: der sound ist großartig, nichts wirkt gehetzt, und muhammad baut eine untergründige spannung auf, die subtile räume öffnet, vor allem für hicks. diesmal kommen doch alte meister ins spiel, allein in den themenvorstellungen hört man jeden speicheltropfen, murray sucht nicht die schnelle explosion, es dauert bis zum vierten stück, bevor er mal kurz im falsett landet. aus den 90ern kenne ich wenige standard-interpretationen, die so eng an den originalen bleiben und dabei so viel neues entdecken lassen. die schattige atmosphäre des strayhorn-songs zum beispiel, die innere dramatik, den zug, den die stücke quasi aus sich selbst entwickeln. muhammad betont oft ungewöhnlich auf 2 und 4 und tut so, als würde er in jedem chorus eine schraube andrehen. „forever i love you“ ist eine eigenartige wahl, ein stück des trompeters tex allen, das kleine figuren durch die changes führt, und vom quartett so durchdacht gespielt wird, als hätten sie es seit 20 jahren im repertoire. aber auch murrays eigener „sorrow song“ macht etwas sehr ungewöhnliches mit den standardstrukturen – ein merkwürdiger b-teil (da kippt alles ins dur?), dann eine spiritual-schraube am ende, sprungbrett für zwei meisterhafte soli von murray und hicks (überhaupt: sie sind die einzigen solisten hier, vor allem hopkins hält sich außerordentlich zurück).
ich hatte mir das album damals als nachfolger von „fast life“ gekauft und wollte mit sicherheit keine standards hören, aber es ist mir trotzdem nahe gekommen und heute finde ich es überragend.
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WerbungIch docke munter weiter an, hoffe das ist ok!
vorgarten
david murray big band, conducted by lawrence „butch“ morris (1991)
ich bin bei der aktualisierung dieser besonderen zusammenarbeit 13 jahre später, morris dirigiert „nur“ noch, „let the music take you“ hat plötzlich text und wird von andy bey gesungen, und neben dirigenten und gaststars wie bey stehen da 18 musiker im raum. davon interessiert mich besonders der junge mann unter morris‘ ellbogen, und graham haynes bekommt auch das erste trompetensolo, das mich gestern schon komplett umgehauen hat (und auch dabei dachte ich an bunky green). haynes war ein enger freund von morris und hat das dirigieren von ihm gelernt, außerdem war er damals in der big band von hamiet bluiett, da lag der sprung ins murray-ensemble nah. mir gefällt das album sehr, sonelius smith ist der neue pianist, tani tabbal passt auch perfekt, insgesamt sind die voicings spannender, farbiger, oft erinnern sie mich in lockerheit, zwischenzeitlich heiligem ernst und gravitätischem tempo an das sun ra arkestra.
wer da alles außerdem noch dabei ist, kann einen schon ein wenig nervös machen: hugh ragin natürlich, frank lacy UND craig harris (à propos arkestra), john purcell UND don byron, vincent chancey UND bob stewart, fred hopkins, ein rapper, ein meisterpfeifer, ein veteran (james spaulding). anfang der 1990er eine big band aufzunehmen, findet murray in den liner notes selbst ein bisschen schräg, in zeiten von rappern und djs. aber rapper hat er ja auch dabei, und der dj ist butch morris.
Das höre ich gerade zum allerersten Mal … zwei Tage Anfang März im Clinton Recording Studio in New York mit Jim Anderson und Kazunori Sugiyama als Murray Co-Produzent, ein schon erwähntes exquisites Line-Up … und unterm Strich vielleicht den bis dahin besten Arrangements für grosse und grössere (aka Octet) Bands bei Murray? Ausdifferenziert sind die Beiträge von Murray und Butch Morris nicht, aber im Opener bzw. vermutlich in der ganzen öffnenden Trilogie, die die erst Hälfte des erneut überlangen Albums einnimmt, war wohl Murray zuständig, wie seinen Liner Notes entnommen werden kann. „Paul Gonzalves“ (sic) heisst der Opener und die Basis dafür ist eine Transkription des unsterblichen Solos vom 1956er Newport Jazz Festival, die Andrew White angefertigt hat, Murray hat das dann arrangiert, hat sich dafür erstmal mit Ellingtons Arrangement befasst und sich dann von diesem gelöst und eigene Wege gefunden. Das ist ganz gut gelungen, finde ich, und ich bin verblüfft, wie sehr sich dieses Gonsalves-Solo bzw. wie viele Passagen aus dem Solo sich bei mir festgehakt haben. Weiter geht es dann mit dem langsamen Satz, „Lester“, bevor „Ben“ den Abschluss macht. Solo-IDs gibt es nur selten, aber in „Lester“ sind Smith, Ragin und Murray zu hören – und die strahlende Trompete von Ragin bildet einen schönen Kontrast zum ersten Solo, das ja von Graham Haynes zu stammen scheint (gewiss nicht von Ragin, aber ich kenne Rasul Siddik und James Zollar, die anderen beiden Trompeter der Band, viel zu schlecht, um mir da völlig sicher zu sein – und Haynes halt auch nicht gut genug). In „Ben“ gibt es einen Solo-Reigen, in dem es unter anderem ein schwertöniges Altsax-Solo von James Spaulding gibt – und Tani Tabbal einen ziemlich tollen Job macht. Weder er noch Ragin, Harris oder Lacy brachten de Fun-bag mit zur Session, worüber ich echt nicht unglücklich bin – aber Spass macht das Album dennoch ziemlich viel!
Die zweite Hälfte besteht dann auf fünf meist etwas kürzeren Stücken, darunter Craig Harris‘ „Love Joy“ – Murray ist nicht nur hier in irrer Form! – und die erwähnten Vocal- und Rap-Features, und hier erwähnt Murray auch, dass Morris bei den Aufnahmen auch seine „conductions“ einsetzte, die Band also spontan auf Anweisungen zu reagieren hatte, wenn das auskomponierte und -arrangierte Material durch war: „I hope his efforts will be recognized in the future of large ensemble recordings, because he controls the fine line between written music and improvised music. It is amazing to see how he mixes these two approaches into something that is not intended but generates a certain emotional response from a listener or a player. He hits that mark through osmosis or maybe a timely wave of the baton“ (Murray in den Liner Notes). Vor den Aufnahmen spielte die Band eine Woche im Condon’s in New York und das macht wohl auch den Unterschied zum Album mit Pierre Dorge aus, denke ich: das klingt zwar super entspannt aber doch sehr gut abgestimmt, eingespielt. Zugleich klingt das nach der ersten Hälfte des Albums freier – die McCall-Hommage sogar sehr frei, anderes eher frei in der Spielhaltung, auch wenn es Changes, Vamps und Grooves gibt. Und in Murrays „Istanbul“ packt er die inzwischen fast vergessene Bassklarinette wieder mal auf. Es geht unbegleitet los, dann stossen andere Bläser für eine zunächst leise, aber dichter werdende Begleitung dazu: gehaltene Töne, langsame Linien, zwischen die sich immer mehr weitere Stimme drängen, immer bewegter, Schnörkel, mäandernd, aber die eigenwillige Stimmung bleibt – ich denke wieder ein wenig an den surrealistischen Mingus, aber das hat schon einen anderen, einen eigenen Charakter.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
David Murray Quartet – Long Goodbye (A Tribute To Don Pullen)das ist jetzt ein paar Jahre in der Zukunft für euch, 1996, ein gutes Jahr nach Pullens Tod… das b/dr Team Debriano/JT Lewis ist das selbe wie auf Pullens letztem Album Sacred Common Ground, Lewis spielt aber auch mit Pullen und Murray auf Shakill II… Lewis sagte mir wenig, aber der hat krasse credits, Lou Reed, Sting, Tina Turner, Whitney Houston, you name it… Klavier spielt DD Jackson, offenbar ein Protege von Pullen, ich fand ihn zB auf Creole auch schon so super, hier ist er ziemlich perfekt, hat ein paar wahnsinnig tolle Soli… die meisten Kompositionen sind tatsächlich von Pullen… wie immer ist mir eine Stunde eigentlich zu lang für ein Album… die Tracks, auf denen die Band in eher langsamem Tempo mit Spanish Tinge die Spannung hält und Murray auf seine Ausbrüche verzichtet find ich wahnsinnig stark, das sind die ersten zwei Tracks und der letzte… die anderen Tracks haben gute Momente, sehr gute Momente, oft von Jackson, und Falsetto-Eruptionen von Murray, die ich dort nicht gebraucht hätte… aber jeder trauert auf seine Weise, da darf man sich nicht beschweren
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.Das Pullen-Album liegt – wie die Big Band oben – zwar schon eine Weile (irgendwann in der Pandemie glaub ich) auf einem der Stapel, aber lief noch gar nie, während „Love and Sorrow“ glaub ich mein erstes Leader-Album von Murray, ca. zweite Hälfte der 90er … da hatte ich keine klaren Erwartungen und fand’s von Beginn weg super. Aber weil der Katalog so überbordend war (damals gab’s in den Läden hier noch zwei Dutzend Murray-Alben, alle hochpreisig … bei den „Alten“, z.B. Ella oder Ellington, gab’s jeweils für die „Chronological Classics“ noch ein separates Fach). „Love and Sorrow“ zog ich aus einer Kiste mit hinuntergesetzten CDs, vermutlich sowas wie 10 oder 12 statt 35 oder sogar 38 (das war die Decke, Klassik-CDs im Hochpreis-Segment kosteten 38, Jazz in der Regel 33 oder 35) … DIW-Alben leistete ich mir damals sonst nie – ich guckte gar nicht nach ihnen, weil ich fast zwei Coltrane-, Miles- oder Mingus-CDs für dasselbe Geld kaufen konnte und gut haushalten musste … drum hatte ich bei Murray (oder auch Ulmer) einiges nachzuholen in den letzten Jahren. Auf meinem Murray-Stapel liegen noch ca. zwei Dutzend weitere Alben, darunter ein paar, die seit 15 oder 20 nicht mehr liefen und ein paar wie „Big Band“, die ich bei Gelegenheit kaufte und noch gar nie angehört habe. Ich freue mich jedenfalls auf die Fortsetzung und überhaupt über diese Thread hier!
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David Murray Quartet – Long Goodbye (A Tribute To Don Pullen)
das ist jetzt ein paar Jahre in der Zukunft für euch, 1996, ein gutes Jahr nach Pullens Tod… das b/dr Team Debriano/JT Lewis ist das selbe wie auf Pullens letztem Album Sacred Common Ground, Lewis spielt aber auch mit Pullen und Murray auf Shakill II… Lewis sagte mir wenig, aber der hat krasse credits, Lou Reed, Sting, Tina Turner, Whitney Houston, you name it… Klavier spielt DD Jackson, offenbar ein Protege von Pullen, ich fand ihn zB auf Creole auch schon so super, hier ist er ziemlich perfekt, hat ein paar wahnsinnig tolle Soli… die meisten Kompositionen sind tatsächlich von Pullen… wie immer ist mir eine Stunde eigentlich zu lang für ein Album… die Tracks, auf denen die Band in eher langsamem Tempo mit Spanish Tinge die Spannung hält und Murray auf seine Ausbrüche verzichtet find ich wahnsinnig stark, das sind die ersten zwei Tracks und der letzte… die anderen Tracks haben gute Momente, sehr gute Momente, oft von Jackson, und Falsetto-Eruptionen von Murray, die ich dort nicht gebraucht hätte… aber jeder trauert auf seine Weise, da darf man sich nicht beschwerendas album habe ich beim pullen/adams-marathon entdeckt und im dortigen thread auch kurz beschrieben. ich fand es sehr stark, und es war mit ein grund dafür, dass ich gemerkt habe, dass ich mit murray noch nicht fertig bin bzw. dass es da noch einiges zu entdecken gibt.
j.t. lewis war der originaldrummer von living colour und hat mit brandon ross und melvin gibbs zusammen die band harriet tubman, da gibt es z.b. auch aufnahmen mit wadada leo smith. ich kenne ihn vor allem aus der ecke.
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ah, danke fürs Rüberkopieren und die Erklärung zu Lewis! Wirklich ein tolles Album… Love and Sorrow lief am Vormittag immer mal wieder bei der Arbeit, leider von einer Serie von Terminen unterbruchen… jetzt bin ich hier:
David Murray and Balogh Kálmán featuring Kovács Ferenc – Gipsy Cimbalon BandWas schenkt man dem, der schon alles hat? Anfang der 2000er Jahre musste David Murray der Tatsache ins Auge blicken, dass er eigentlich jedes Album, das man von ihm hätte erwarten können, bereits dutzendfach eingespielt hatte, dazu eine lange Liste an weniger erwartbaren Alben… aber noch keins mit einer ungarischen Zigeunerband… Diese Lücke versucht er mit „Gipsy Cimbalon Band“ zu schliessen. Oder so. Die Idee ist jedenfalls gar nicht so abwegig, wie sie erstmal scheint, Trauermärsche, monotone Grooves mit „Spanish Tinge“ liegen Murray schliesslich, und die traditionelle Rhythmusgruppe mit Schlagzeug und Klavier fehlt einem erst, wenn man drauf achtet… die Band ist um das „Cimbalon“ die ungarische Zither aufgebaut, mit der man Drones spielen kann, Rhythmen, aber bei Bedarf tatsächlich auch sowas wie ein Klavier emulieren kann – ein ziemlich cooles Instrument, wenn man mich fragt… daneben besteht die Band aus zwei Geigern, einem Gitarristen und einem Bassisten… Wirklich clever war es, den Trompeter Kovács Ferenc als zweiten Stargast und Jazzsolist zu bemühen… der Name wird im Verkauf nicht viel gezogen haben… Aber Kovács ist jemand, der sich sowohl im Klezmer und in der Gipsymusik auskennt als auch im Jazz – immerhin war er ab den 70ern ein vielbeschäftigter Trompeter in der osteuropäischen Dixieland-Szene. So kann er vermitteln und hat ein Gefühl dafür wie die verschiedenen Erwartungen zusammengehen können und wie die Rolle eines Jazzsolisten in so einer Band aussehen kann. Dazu gibt seine Präsenz Murray jemanden, an dem er sich abarbeiten kann, und den er übertreffen muss…
Was wirklich interessant ist, ist, wie niedrig der Jazzanteil auf dem Album in irgendeiner Weise ist, gerade weil man bewusst auf die übliche Jazzrhythmusgruppe verzichtet hat… die Musik ist auch eine Spur elegischer als man vielleicht erwarten könnte. Die Grundidee, dass ungarische Gipsymusik irgendwo zwischen Klezmer und Django Reinhardt angesiedelt ist, ist erstmal nicht falsch – aber hier wird nur sehr vereinzelt zum Tanz aufgspielt, viele Momente sind eher ruhig. Wer mich wirklich beeindruckt ist Ferenc Kovács, der das in irgendeiner Weise alles zusammenhält und sich überhaupt nicht schlecht macht neben Murray und natürlich viel mehr kann als Dixieland… das ist so eine Platte, die auch zwischen den mediterranen Alben auf Enja nicht gross aufgefallen wäre, nicht unfassbar super, aber sicher besser als erwartet.
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.vorgarten
david murray james newton quintet (1991)
heute reicht die zeit nur für ein album, das ich tatsächlich noch nie gehört habe. sieht auf dem papier gut aus, ich kann es mit dem frühen newton/murray-album immer noch nicht vergleichen, aber hier jedenfalls fliegt ziemlich viel aus- und durcheinander. murray scheint irgendwie schlecht vorbereitet, hat eher sketches als kompositionen dabei, hicks und cyrille füllen auf, die beiden von newton sprechen scheinbar eine andere sprache. murray kompensiert mit schmerzgrenzenstreifenden ausbrüchen in eher gemäßigtem setting, hicks ist rätselhaft zurückhaltend, cyrille hat keinen rechten punch, und billy hart darf nur beim ersten, ruhigen stück ran. ich könnte mir vorstellen, dass andere hier die klangfarben- und dynamikvariationen durchaus schätzen, aber ich rätsel die ganze zeit, wer hier auf der bremse steht. kritik auf hohem niveau, aber ich verstehe beim 1991er-output schon, warum man das zuviel finden kann – würde in diesem jahr nicht auch noch mein absolutes lieblings-murray-album eingespielt…
Das läuft heute bei mir auch zum ersten Mal. Hart und Cyrille dabei zu haben ist ja schon ziemlich toll – schade, dass Hart nur einmal zu hören ist, denke der hätte bei dieser Musik Potential gehabt. Auf mich wirkt das alles ein wenig verschroben mit der matt-glänzenden Flöte, den zurückhaltend agierenden Begleitern … aber wenn Murray in Cyrilles „Moon Over Sand II“ – nur im Trio von den Co-Leadern und dem Drummer gespielt – zur Bassklarinette greift und quasi Teil der Begleitung hinter der Flöte wird, in der Cyrille einen leisen aber unwiderstehlichen Groove trommelt, ist das schon phantastisch. Und wenn dann die Rollen getauscht werden, die Flöte rifft, die Bassklarinette zur Solo-Stimme wird, ohne sich ganz aus dem Geflecht zu lösen … das hat fast was von Third Stream – Jimmy Giuffres Kammerjazz ca. Capitol ist da sehr ganz nah, und der experimentelle Mingus auch nicht weit. Danach geht es mit dem gleichen Trio mit Murray am Sax und „Muhammad Ali“ krawallig weiter, also wolle man sich also gewiss keine Blösse geben und quasi als Kammerjazzer abgestempelt werden. Kreischendes Tenorsax, stampfende Free-Drums, überblasene Flöte, in die gleichzeitig gesungen wird. „Inbetwinxt“ von Newton bringt dann das Klavier und Bass zurück, wieder eine Ballade, in der das Tenorsax und die Flöte aber von Anfang an zusammen spielen – und doch Welten auseinander klingen. Hier geht die Post dann schon ziemlich ab – vor allem fängt mir aber die permanent dunkle Tönung der Musik zu gefallen an. Hicks und Hopkins tragen zu dieser ebenso bei wie Cyrille – und mit der Flöte, die ich wie erwähnt auch irgendwie matt höre (was überhaupt keine Kritik ist!) ergeben sich faszinierende Chiaroscuro-Effekte. Nach einem passenden Piano-Intermezzo ist Murray als letzter an der Reihe – das Stück dauert über 12 Minuten, ist das längste und der Mittelpunkt des nicht mehr so überlagen Albums – und setzt ein Glanzlicht, ohne die Atmosphäre zu durchbrechen. „Akhenaten“ ist dann ein Flöten/Tenorsax-Duo, den beiden Co-Leadern gemeinsam zugeschrieben und sehr frei: überblasenes Tenorsax, sich überstürzende Flötenläufe, Multiphonics von beiden Instrumente, Gestotter als Unterbrechung der dichten Linien. Mit dem boppigen „Blues in the Pocket“ von Hicks gibt es nach all diesen Experimenten einen swingenden Ruhepunkt. Murray setzt direkt aus dem Unisono-Thema zum Solo an, Hicks klingt erstmals so, wie man ihn sonst kennt, die Rhythmusgruppe treibt das alles solide an – aber das ist dann auch ein klein wenig langweilig, trotz des Schlagzeugsolos von Cyrille, der auf dem Album schon sehr prägnant aufspielt. Mit dem zweiten richtig langen Stück, Murrays „Doni’s Song“, schliesst das Album dann. Eine hymnische Ballade, in der die Flöte als zweite Stimme ins Thema eingebunden wird. Murray soliert gleich wieder als erster und formt eins dieser Soli, das so beeindruckend souverän wirkt, jede Phrase, ja jeder Ton einzeln geformt. Nach dem Flötensolo, das einen recht schweren Stand hat, fällt das Trio für Hicks ins doppelte Tempo, aber bleibt weiterhin irgendwie verhalten.
Wenn wir die 1991er-Alben irgendwie sortieren wollen, wäre das vielleicht Murrays (und natürlich oder sogar vornehmlich James Newtons) „New York Noir“, um Ran Blakes Lieblingswort zu borgen, denn an dessen Musik erinnert mich hier die Atmosphäre ein wenig. Aufgenommen wurde das album am 19. und 20. August 1991 im Sound on Sound in New York.
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ballads for bass clarinet (1991)
das gleiche quartett wie auf FAST LIFE, in den beiden vortagen aufgenommen, wie ich gerade lerne (und in den 2 tagen danach das quintet mit bradford, burrell und blackwell), DIW konnte offenbar nicht genug bekommen.
also ist hier der einstieg von muhammad als drummer, es gibt auch direkt ein sehr cooles duett. ansonsten ist das alles zurückhaltender als FAST LIFE, was einerseits an der bassklarinette liegen könnte, oder am nötigen warmspielen, oder am fehlenden jungen löwen, jedenfalls nicht am behaupteten balladenprogramm, denn davon gibt es streng genommen hier keine einzige! nach zwei midtempo-walzern kommen zwei blues (u.a. „chazz“ von wilber morris von LUCKY FOUR, das andere ist ein shuffle), das percussion-duett, am ende fängt etwas als ballade an, wird dann aber in double time übersetzt – egal. sehr elegant klingt das alles, sprudelt nicht über, hicks schimmert noch mehr durch (das klavier klingt besser als manche jarrett-aufnahme auf ecm), und die bassklarinette murmelt, swingt anders, kiekst zwischendurch und hat weniger körper. ein weiteres sehr schönes album.
p.s. 1993 herausgekommen, deshalb (?) ohne cover art von ming.
Das ist dann ein Album, das mir schon länger aber eher oberflächlich vertraut ist. So ganz geklickt hat es bisher nicht, tut es auch heute nicht. Murray an der Bassklarinette ging ja in der Zeit unmittelbar davor (also 1990 oder so, bei Murray müsste man das ja in Wochen zählen, nicht in Jahren) fast vergessen – hier kriegt sie ein ganzes Album, das wie vorgarten schreibt trotz des Titels gar kein Balladenalbum ist. Los geht es mit zwei Walzern, die Präsenz von Muhammad finde ich schon ziemlich gut – er spielt anders, altmodischer, flächiger vielleicht, aber nicht weniger aufregend als die jüngeren Drummer (Cyrille zähle ich da nicht mit dazu, aber Tabbal, Lewis, Peterson und Aaron Scott auf dem Album mit Tyner). Hicks spielt auch hier ein paar exquisite Soli, weniger zupackend und zweihändig als ich ihn im Gedächtnis abgespeichert hatte – sein Solo in „New Life“ ist fast schon delikat in der Gestaltung der Klangfarben, der Dynamik. Ray Drummond am Bass sorgt für eine weitere dunkle Note – neben der Bassklarinette – und so fügt sich das als konventionellerer und schlüssiger Nachbar ganz gut an das Album mit Newton an. Wilber Morris ist mit „Chazz“ als Komponist wieder vertreten – und hier kann Muhammad seine Spezialität einbringen, einen fetten Backbeat mit feinem Shuffle. Da zeigt sich schon das beträchtliche Potential dieses neuen Line-Ups. Die Mitte des Albums ist eh stark, auch Murrays „Portrait of a Blackwoman“ (Mae Francis Owens gewidmet – weiss man, wer das ist?) ist stark. Dann folgt das kurze Duo mit Muhammad, bevor am Ende Kunle Mwanga wieder mal als Komponist vertreten ist, mit dem vielleicht balladesksten Stück hier, „Elegy for Fannie Lou“. Ein etwas verhaltenes Album ist das, aber ein in sich geschlossenes, total stimmiges.
Ich habe übrigens gerade keine Lust auf das Duo mit Aki Takase auf Enja, das ich übersprungen habe. Das Album von Teresa Brewer lief neulich und gefiel mir ziemlich gut. „In Concert“ mit Dave Burrell fehlt mir (12. Oktober), „Black and Black“ hab ich bloss übersehen, das hole ich nach (7. Oktober) – hier bin ich am 14./15. Oktober, „Fast Life“ folgte am 16./17. und „Death of a Sideman“ am 18./19. Oktober. Dann gibt es eine lange Pause (wir rechnen inzwischen nicht mehr in Wochen sondern in Stunden), bis am 3. November „Real Deal“, das Duo-Album mit Milford Graves, folgt.
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david murray quartet +1, fast life (1991)
auf jeden fall mein liebstes murray-album überhaupt, und das schon so lange, dass ich gar nicht mehr genau erklären kann, warum
new yorker straßenszenen in altrosa. für die jazzkritik war wahrscheinlich das wichtigste thema, dass murray hier für zwei stücke mit branford marsalis zusammenspielt, der sich ja generell nicht an klare fronten hielt (er ist das „+1“ hier). also clash der traditionalisten unterschiedlicher ausprägung, aber sie einigen sich hier auf eine entspannte bossa und ein wildes free-blowing piece, also keinen ellington. und branford hatte ein jahr zuvor selbst sein wildestes (mein liebstes) album herausgebracht, CRAZY PEOPLE MUSIC, war also ohnehin im späten coltrane angelangt. 4 stücke sind aber im quartett, und generell wichtiger als der gaststar ist idris muhammad als neuer drummer, der eine neue laszivität ins gefüge einbringt, aber auch über wuchtige effekte verfügt.
die bossa macht den anfang, interessanterweise von dave burrell komponiert, ein bisschen eine schrumpfform des „song for my father“, mit interessanten akkorden (die für mich nicht nach brasilien deuten, eher nach afrokuba). im vergleich zu branford fällt auf, wie schwer, groß und gewaltig der sound von murray ist. sie spielen zwei schlüssige soli, sehr unterschiedlich, branford mit sauberen ketten, murray mit vielen modulationen, und nach einem zurückhaltend-eleganten hicks-solo liefern sie sich noch ein kleines, freundliches battle – das allerdings aus dem stand heraus schon ziemliche hitze erzeugt.
mit noch mehr latin geht es weiter, „calle strella“ von einem wayne francis (keine ahnung, wer das ist) ist ein calypso, und hier kommt direkt eines von zwei mastersoli von murray, der sich reinwühlt, abhebt, perfekte dramaturgie, irrlichternder ausbruch auf wenigen takten – und die band schimmert elegant und gleichzeitig auch ein bisschen rumpelig dazu, komplett unironisch, aber streetwise (wie muhammad auf diesem album hier latin grooves spielt, ist unfassbar cool).
„fast life“, ein simples murray-thema (geschrieben für das octet oder die big band, ich weiß nicht mehr), wird dann zum battleground für murray und marsalis, aber auch für hicks, der fast widerwillig, aber mit immer größerer leidenschaft, auf seine alte far-out-techniken zurückgreift, wie um branford zu sagen: ist ja ganz schön, dass du deinen kenny kirkland hast, hier hat er gelernt. das ist ein wilder ritt, bei dem sich die beiden sparrignspartner nichts schenken und marsalis schön sein eigenes abdriften befeuert.
der gast verabschiedet sich unters sauerstoffzelt, das quartett atmet durch mit dem eleganten midtempo-swinger „luminous“, von john hicks‘ frau, der flötistin elise wood, geschrieben: viele changes, entspannte anlage, würde murray sich nicht wieder reinwühlen, bis es schmerzt, und das ding auf über 10 minuten streckt.
dann wird es wirklich überirdisch. murray hat „intuitively“, das quasikubanische schlaflied aus dem duokonzert mit dave burrell mitgebracht (burrell hat es mit seiner frau monika larsson zusammen geschrieben, interessant wie hier die frauen hinter den musikern sichtbar werden) – und muhammad erfindet einen unfassbaren groove dazu, ganz simpel, eigentlich hiphop, ghost notes, gegen die latin-anlage, um dann im ersten solo auf eine ridebeckenbegleitung auf 1 und 3 umzusteigen und den starren beat immer mehr zu synkopieren. das ist eine masterclass in cool. murray und hicks spielen den ganzen schmelz aus, ohne ironie, ohne dekonstruktion, da ist hicks sehr anders als burrell. höhepunkt ist die coda von murray, die alles rausholt, was schön ist am kitsch.
der höhepunkt dann zum schluss. das schon auf MORNING SONG vorgestellte „off season“, hier sehr schnell ohne den AB-rhythmuswechsel, in einem großen dramatischen flow immer stärkerer intensivierung. fängt ganz zart an, 6 töne vom bass, zaghaftes einsteigen von klavier und schlagzeug, das schöne einfache thema, dann das beste murray-solo aller zeiten, jeder chorus eine steigerung, bis zum nicht mehr nachvollziehbaren höhepunkt. danach (mein lieblingsmoment) tanzt die rhythm section ein paar takte zur erholung und hicks kriegt nochmal den gleichen bogen hin. was da an handwerk, tradition, eingespieltheit und arbeit hintersteckt, hat micht immer denken lassen: sowas kriegt man wirklich nur im jazz.
wahnsinnsband, hicks und muhammad kennen sich natürlich, sie haben sanders begleitet, kennen jeden trick der intensitätserzeugung, aber auch drummond fügt sich toll ein, tanzt, macht plötzlich druck, antizipiert jeden muhammad-effekt. den schluss bringt murray unbegleitet nach hause, bevor die band nochmal kakophonisch einsteigt und dann abbricht. der raum ist elektrifiziert, alles hallt nach, ich brauche jedesmal mindestens eine minute, um wieder zurückzukommen.
Das läuft gerade wieder – und ich habe keine Ahnung, warum das nicht sofort geklickt hat, als ich das vor einigen Jahren in die Hände gekriegt habe (leider weiss ich nicht mehr wann, schätze es dürfte um die zwölf Jahre her sein). Schon der Opener ist wahnsinnig toll – an Tagen drei und vier (am fünften und sechsten war die neue Band leider nicht mehr dabei) der Marathon-Sessions ist die Band warmgespielt und klingt so kompakt und abgestimmt wie die vom Januar 1988 – nur nochmal etwas besser … oder einfach noch packender.
Wahnsinnig schöne Stimmung, die dunkle Grundierung ist immer noch da, aber das ist kein „Noir“ mehr sondern ein sehr farbenfrohes Programm – die Latin-Grooves wurden schon erwähnt, Muhammad ist wirklich wahnsinnig toll darin! Drummond am Bass ist der Dunkelpunkt, Hicks bringt eine impressionistisch-bunte Farbpalette mit, die er in wahnsinnig tollen Soli ausbreitet – nicht flashy aber total gekonnt und aus einem offensichtlich gut gefüllten Erfahrungsschatz schöpfend. Und Murray taucht aus der Band auf und gleitet hoch in den Himmel und tief in die Erde. Hier hat er seine Form wieder, die in den Monaten davor manchmal nur durchgeschimmert ist, dünkt mich. Auf „Fast Life“ passt wieder alles: phantastische Band, interessantes Material, superbe Umsetzung durch alle Beteiligten.
Den Gast hätte es eigentlich gar nicht gebraucht, aber es gelingt Marsalis durchaus, eigene Akzente zu setzen, vor allem im Titelstück.
Bei meiner CD ist das Cover übrigens ein ganzes Stück heller und ich hätte eher „lachsfarben“ als „altrosa“ gesagt – eher so wie hier auf YT, aber noch etwas heller:
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death of a sideman (1991)
eine suite, von bobby bradford zum tod des langjährigen (seit 1965) musikalischen partners john carter komponiert, mit dem murray ja auch im clarinet summit gespielt hat. das quartet hier besteht eigentlich aus murray, bradford, hopkins und blackwell (mit dem bradford noch länger zusammen gespielt hat, in der frühen ornette-band, vor cherry), allerdings ist bei zwei stücken und einem zweittake auch noch dave burrell wieder dabei, in den ich mich nach drei akkorden sofort wieder verliebe. bradford ist großartig hier, das projekt angemessen bitter (er konnte nach der todesnachricht carter nur noch am armengrab besuchen und fragte sich, ob sich das leben eines künstlers eigentlich lohnt, wenn es darauf hinausläuft), das spiel aber oft übersprudelnd und jubilierend – toll, wie murray sich in die coleman-quartett-sprache einfügt, über den kickenden grooves von hopkins & blackwell, der ja leider auch nicht mehr viel zeit hatte. mit burrell wird das alles dann zur getragenen grabmusik, mit kleinem irrlichternden zwinkern. zum ersten mal gehört.
An Tag 5 und 6 kommt eine andere Band zusammen: ein bestens vertrauter Bassist (und der passende Gast am Piano), ein Drummer, der auch schon bei Murray aufgetaucht ist – vor allem aber ein Trompeter bzw. um genau zu sein ein Kornettist, bei dem bei mir immer die Gefahr besteht, dass er mit seinem so betörend zarten Spiel alles in den Schatten stellt, was sich um ihn herum tut (ähnlich Harry Beckett, der ja bei Murray – wenngleich eher zufällig – auch mal auftauchte). Er spielt im Opener seiner Suite für John Carter, seinen wichtigsten musikalischen Partner, das erste Solo – und ist auch hier gleich wahnsinnig berührend. Für meine Ohren gibt es wenige so auratische Stimmen. Hier ist Burrell am Klavier dabei, auf den letzten beiden der acht Teile dann auch wieder. Der Kontrast durch die andere Rhythmusgruppe ist aufschlussreich: Hopkins ist ähnlich dunkel aber nicht ganz so tieftönig, spielt mehr in die Höhe, spielt überhaupt mehr Töne. Blackwell ist kleinteiliger, legt nicht diese lasziv gewobenen Teppiche aus sondern tanzt quasi in steter Bewegung elegant durch die Musik hindurch – auch wenn das, wie im Opener, ein Begräbnismarsch ist. Die beiden Bläser vermischen sich wahninnig schön, auch im Duostück „The Gates of Hell“ – und Murray in der Form, in der er gerade ist, lässt sich natürlich von Bradford nicht einschüchtern und setzt selbst ein Glanzlicht am anderen. „Waiting for Thelonious“ ist sowieso ein grosses Highlight, Murray liefert hier wieder so eine Traditions-Summa – ein Meisterstück in ein paar wenigen Minuten … wie er in den letzten Phrasen das Tempo verschleppt ist atemberaubend, ganz alte Schule. Im Quartettsegment kann man mit Bradford und Blackwell da und dort durchaus das Coleman Quartet heraushören – das ist luftig-transparente Musik, die aber zugleich total geerdet ist und in sich ruht.
Hier bin ich übrigens nicht sicher, ob ich das Album schon mal angehört habe, oder ob es wie „Big Band“ ein paar Post weiter oben nicht einfach ein paar Jahre da ist, aber noch gar nie in den Player wanderte. So toll, wie ich es gerade finde, glaube ich eher, dass ich es gerade zum ersten Mal anhöre – sonst könnte ich mich doch daran erinnern!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbavorgarten
black & black (1991)
zwei 1991er sessions habe ich noch, beide für bob thieles red-baron-label, der dort einen neuen sidekick installiert hat (als arrangeur und komponist), den veteranen glenn osser, in den 1910ern geboren, songwriter, orchestrierer, mit bigband- und tv-hintergrund. er hat hier mit thiele zusammen zwei ganz hübsche songs geschrieben, eine pseudo-bossa mit jazzharmonik, und eine ballade auf blues-basis. dazu kommen zu beginn noch ein pseudo-calypso mit jazzharmonik und ein simples bluesriff von anderen komponisten. die zusammengestellte band hat es in sich, auf diesen vier stücken ist sie ein quartett, und murray kommt nach jones, blackwell, higgins, graves, murray mit einem weiteren veteranen zusammen, nämlich roy haynes (rashied ali kommt ja irgendwann auch noch).
das ist eine gepflegte mainstream-musik der heißeren sorte, und man kann lange darüber nachdenken, warum sie nie zu irgendwelchen höhepunkten findet oder finden will. für murray sind haynes, santi debriano und kirk lightsey irgendwie zu busy im engen korsett der vorlagen. man versteht gleich, warum das mit idris muhammad z.b. besser funktioniert. lightsey mag ich eh nicht so gern, der macht zu viel und nichts davon ist wirklich interessant, er kann sein inside-playing nie so dramatisieren wir z.b. hicks, ihm fehlt aber auch so ein frischer gedanke wie z.b. einfach mal innezuhalten und raum zu geben. nur in der ballade gelingt ihm etwas, und er fährt sie auch in fast epischer breite nach hause.
dann aber kommt stück nummer fünf, marcus belgrave kommt dazu, und alles fällt in die richtige spur: freie improvisation, hellwache begleitung, roy haynes knippst seinen berühmten freien swing an, selbst lightsey denkt um die ecke. natürlich wollte thiele kein album nur mit solchen spontanen momenten haben – aber ich bin heilfroh, dass das am ende noch kommt.
Ich blende ein paar Tage zurück, zum ersten Album aus dem Oktober 1991, und das hörte ich neulich schon mal im direkten Kontext des „Special Quartet“ und dabei finde ich die Personalie am Schlagzeug enorm aufschlussreich: Roy Haynes geht hier in die Vollen … vielleicht so, wie es Tyner im anderen Quartett tut. Mit Lightsey und Debriano wird das zumindest im Opener wirklich sehr geschäftig, aber ich höre das etwas positiver, als gemeinsame Gruppenmusik, in der nicht Murray explodiert sondern alle vier gemeinsam etwas auszuloten scheinen, und das wird auch anderswo sehr intensiv. Der Closer mit Belgrave ist aber auch für meine Ohren das grosse Glanzlicht – das ist ein Musiker, den ich irgendwie nicht zu fassen kriege … hier aber sofort bedaure, dass er nicht auf dem ganzen Album mitspielen konnte oder durfte.
In den mittelschnellen und einfachen Stücken – „Duke’s Place“ und „Black and Black“ – legt sich die Hektik und Haynes treibt die Band vergleichsweise wuchtig vor sich her … um hinter Lightsey in eine leichtere Gangart zu wechseln. Alte Schule halt: jedem Solisten das zu geben, was passt, aber dennoch nicht den grossen Bogen aus den Augen verlieren.
Ich finde das Album unterm Strich ganz gut – auch wenn das Klavier wieder ziemlich arg an aufnahmetechnisch erzeugtem Körpermangel (zuwenig Mitten und Bässe) leidet. Und das Album höre ich zum zweiten Mal, nach dem ersten Hörgang vor zwei oder drei Wochen – beide Male in digitaler Behelfsausgabe, was wohl schon reichen wird in diesem Fall.
PS: Haynes kam ja genau genommen noch vor Graves an die Reihe (7. Oktober vs. 3. Novmeber). Dass Rashied Ali noch folgt, hatte ich gar nicht mehr auf dem Schirm („Body and Soul“ hatte ich allerdings einzeln, bevor die drei Boxen erschienen sind – aber so richtig geklickt hatte das damals nie, bin aufs Wiederhören gespannt).
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du warst ja damals nicht mit deinem uteil allein, FAST LIFE hat – soweit ich weiß – keine euphorischen kritiken bekommen und ist auch nicht allzu bekannt. das kann daran gelegen haben, dass DIW-cds damals nicht mehr von columbia in den usa vertrieben wurden, aber mich würde generell mal interessieren, welche murray-alben zu dieser zeit eigentlich erfolgreich waren.
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„Damals“ heisst bei mir aber 2010 oder sowas … die Columbia-vertriebenen DIW-Alben habe ich im Laden nicht mehr erlebt (oder auch die waren viel zu teuer, wenn mal eine davon im Laden stand … in den ersten Jahren meines Jazzhörens hab ich halt wirklich v.a. den Hard Bop bis zur aufkeimenden Avantgarde nach vorn und bis zum Bebop nach hinten verfolgt, und das sprengte schon ständig das Budget).
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david murray & milford graves, real deal (1991)
noch was aus 1991 und aus der ming-periode, und wieder was völlig anderes und alles andere als harmlos. die beiden hatten in den 80ern schon miteiannder gearbeitet, der großartige dokuemtarfilm SPEAKING IN TONGUES dokumentiert das kennenlernen und die gemeinsame praxis (mit tollen thesen von beiden, u.a. der von murray, dass afroamerikanische menschen deswegen so oft herzprobleme haben, weil die westafrikanischen drum-patterns aud 2 und 4 dem herzrhythmus entgegenlaufen, wenn ich mich richtig erinnere – „minderheitenstress“ war damals noch kein thema). jetzt, 1991, nutzt der gut etablierte saxofonist, der im jahr 10 plus x leaderalben aufnehmen kann, seine stellung, um einen veteranen einzuladen, der zu dieser zeit kaum mehr zum aufnehmen kommt.
graves, mit seinem ganzheitlichen spielkonzept, bringt tatsächlich eine ganze welt mit, auf der sich murray ein bisschen mitbewegt und die er manchmal auch ein wenig antreibt. das zusammenspiel ist wach und existenziell, murrays neue lust auf dramatik und entwicklung passt gut zu diesen polyrhythmischen angeboten – da wird nichts verpulvert, es mäandert nichts, kein faden geht verloren, alles setzt sich an seinen platz. es ist allein sonisch ein großes vergnügen zu hören, wie diese große apparatur von graves in schwingung kommt. eine erstbegegnung, und ich bin mal wieder einmal sehr beeindruckt.
Das ist bei mir nun keine Erstbegegnung – und ein wirklich tolles Album! Ich glaube, das war nach dem „New York Art Quartet“ (das mir zu früh in die Hände gefallen ist, als dass ich es gleich verstanden hätte) aber meine Erstbegegnung mit Milford Graves. Graves‘ Spiel ist atmend, schwungvoll, hochdynamisch … und ziemlich trommellastig grundiert, obwohl er ständig alles spielt, oft mit gefühlt zehn Händen und Armen. Dass Graves ziemlich viel afrikanisches Elemente in sein Spiel integriert hat, ist eine Binsensweisheit (Howard Mandel spricht in seinen Liner Notes die ganze Breite an: „He has studied North Indian tabla music, practiced hand-drumming, absorbed Nigerian, Ghanaian and Cuban rhythm systems, developed a tonal-rhythm theory, employed music as a psychological therapy and contributed to the contemporary abstraction of the beat.“ [ich hab zwei Tippfehler stillschweigend korririgert, war mir bisher gar nie aufgefallen, das DIW diesbezüglich Probleme hatte]) – und wenn Murray Murray in „Under & Over“ an der Bassklarinette rifft, klingt auch er für einmal völlig anders. Er geht nicht nur hier sondern auch sonst immer mal wieder wirklich eher mit – und dennoch wirkt das total auf Augenhöhe. Es zeugt auch von Respekt, den Anderen mal machen oder gar das Steuer übernehmen zu lassen – das ist ja nichts, was Murray allzu oft tut oder bis hierhin getan hat (die Begegnung mit Bobby Bradford hörte ich gerade aber auch sehr auf Augenhöhe, was definitiv auch mit der Wahl der Sidemen zu tun hat – James Newton wurde halt einfach zur Murray-Band dazugenommen und das funktioniert schon deutlich weniger gut).
Howard Mandel erzählt in den Liner Notes, dass das Duo zwei Abende im New Music Café in Manhattan gespielt habe, bevor es ins Studio ging (Power Station, Jim Anderson – exzellenter Klang in der Tat, und darin wieder ein Kontrast zur letzten Thiele-Produktion … war der schon halb taub um die Zeit herum?) und listet all die Schlagzeuger auf, mit denen Murray bis dahin gespielt und aufgenommen hat: Ed Blackwell, Steve McCall, Philip Wilson, Joe Chambers, Dennis Charles, Andrew Cyrille, Jack DeJohnette, Roy Haynes, Billy Higgins, Elvin Jones, Sunny Murray, Ronald Shannon Jackson, Cornell Rochester, Ralph Peterson Jr., Marvin „Smitty“ Smith und Tani Tabbal. Das ist schon eine ziemlich beeindruckende Liste. Sonst fokussiert er mehr auf Graves, der einem breiten Publikum vermutlich deutlich weniger bekannt war und ist. Es führte mit ihm auch ein Gespräch und da sagt der Schlagzeuger unter anderem Folgendes: „You don’t have to scream all night like in the ’60s when people flooded out a lot of energy all the time. If Albert Ayler was alive today, he’d play differently than he did then. David was responsive to me. I’d start things off, and he’d create a melody. I’d leave spaces for him, and he’d fill them in. He relates to whatever situation he’s in. Doing so, he brought out a different person in me.“ Mandel schliesst seinen Text passend: „This is the real deal. The music remains here and now.“
(Gestern abend geschrieben, abzuschicken vergessen, zum Glück den Browser nicht geschlossen!)
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Schlagwörter: David Murray, Tenorsax
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