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love and sorrow (1993/96)
ganze vier tage nahm sich das quartett (mit hicks, aber hopkins/muhammad statt drummond/cyrille) in new yorker sound on sound studio zeit, um material für zwei alben aufzunehmen. FOR AUNT LOUISE kenne ich noch nicht, es sollte morgen bei mir eintreffen, hat vor allem originale im angebot, LOVE AND SORROW ist dagegen nah an den thiele-projekten: balladen-standards, oft gehört: „you’d be so nice to come home to“, „old folks“, „a flower is a lovely thing“ und „you don’t know what love is“, dazu zwei jüngere stücke, die mit vergleichbaren akkordschemen arbeiten.
ganz anders als bei den thiele-projekten: der sound ist großartig, nichts wirkt gehetzt, und muhammad baut eine untergründige spannung auf, die subtile räume öffnet, vor allem für hicks. diesmal kommen doch alte meister ins spiel, allein in den themenvorstellungen hört man jeden speicheltropfen, murray sucht nicht die schnelle explosion, es dauert bis zum vierten stück, bevor er mal kurz im falsett landet. aus den 90ern kenne ich wenige standard-interpretationen, die so eng an den originalen bleiben und dabei so viel neues entdecken lassen. die schattige atmosphäre des strayhorn-songs zum beispiel, die innere dramatik, den zug, den die stücke quasi aus sich selbst entwickeln. muhammad betont oft ungewöhnlich auf 2 und 4 und tut so, als würde er in jedem chorus eine schraube andrehen. „forever i love you“ ist eine eigenartige wahl, ein stück des trompeters tex allen, das kleine figuren durch die changes führt, und vom quartett so durchdacht gespielt wird, als hätten sie es seit 20 jahren im repertoire. aber auch murrays eigener „sorrow song“ macht etwas sehr ungewöhnliches mit den standardstrukturen – ein merkwürdiger b-teil (da kippt alles ins dur?), dann eine spiritual-schraube am ende, sprungbrett für zwei meisterhafte soli von murray und hicks (überhaupt: sie sind die einzigen solisten hier, vor allem hopkins hält sich außerordentlich zurück).
ich hatte mir das album damals als nachfolger von „fast life“ gekauft und wollte mit sicherheit keine standards hören, aber es ist mir trotzdem nahe gekommen und heute finde ich es überragend.
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