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vorgarten
david murray james newton quintet (1991)
heute reicht die zeit nur für ein album, das ich tatsächlich noch nie gehört habe. sieht auf dem papier gut aus, ich kann es mit dem frühen newton/murray-album immer noch nicht vergleichen, aber hier jedenfalls fliegt ziemlich viel aus- und durcheinander. murray scheint irgendwie schlecht vorbereitet, hat eher sketches als kompositionen dabei, hicks und cyrille füllen auf, die beiden von newton sprechen scheinbar eine andere sprache. murray kompensiert mit schmerzgrenzenstreifenden ausbrüchen in eher gemäßigtem setting, hicks ist rätselhaft zurückhaltend, cyrille hat keinen rechten punch, und billy hart darf nur beim ersten, ruhigen stück ran. ich könnte mir vorstellen, dass andere hier die klangfarben- und dynamikvariationen durchaus schätzen, aber ich rätsel die ganze zeit, wer hier auf der bremse steht. kritik auf hohem niveau, aber ich verstehe beim 1991er-output schon, warum man das zuviel finden kann – würde in diesem jahr nicht auch noch mein absolutes lieblings-murray-album eingespielt…
Das läuft heute bei mir auch zum ersten Mal. Hart und Cyrille dabei zu haben ist ja schon ziemlich toll – schade, dass Hart nur einmal zu hören ist, denke der hätte bei dieser Musik Potential gehabt. Auf mich wirkt das alles ein wenig verschroben mit der matt-glänzenden Flöte, den zurückhaltend agierenden Begleitern … aber wenn Murray in Cyrilles „Moon Over Sand II“ – nur im Trio von den Co-Leadern und dem Drummer gespielt – zur Bassklarinette greift und quasi Teil der Begleitung hinter der Flöte wird, in der Cyrille einen leisen aber unwiderstehlichen Groove trommelt, ist das schon phantastisch. Und wenn dann die Rollen getauscht werden, die Flöte rifft, die Bassklarinette zur Solo-Stimme wird, ohne sich ganz aus dem Geflecht zu lösen … das hat fast was von Third Stream – Jimmy Giuffres Kammerjazz ca. Capitol ist da sehr ganz nah, und der experimentelle Mingus auch nicht weit. Danach geht es mit dem gleichen Trio mit Murray am Sax und „Muhammad Ali“ krawallig weiter, also wolle man sich also gewiss keine Blösse geben und quasi als Kammerjazzer abgestempelt werden. Kreischendes Tenorsax, stampfende Free-Drums, überblasene Flöte, in die gleichzeitig gesungen wird. „Inbetwinxt“ von Newton bringt dann das Klavier und Bass zurück, wieder eine Ballade, in der das Tenorsax und die Flöte aber von Anfang an zusammen spielen – und doch Welten auseinander klingen. Hier geht die Post dann schon ziemlich ab – vor allem fängt mir aber die permanent dunkle Tönung der Musik zu gefallen an. Hicks und Hopkins tragen zu dieser ebenso bei wie Cyrille – und mit der Flöte, die ich wie erwähnt auch irgendwie matt höre (was überhaupt keine Kritik ist!) ergeben sich faszinierende Chiaroscuro-Effekte. Nach einem passenden Piano-Intermezzo ist Murray als letzter an der Reihe – das Stück dauert über 12 Minuten, ist das längste und der Mittelpunkt des nicht mehr so überlagen Albums – und setzt ein Glanzlicht, ohne die Atmosphäre zu durchbrechen. „Akhenaten“ ist dann ein Flöten/Tenorsax-Duo, den beiden Co-Leadern gemeinsam zugeschrieben und sehr frei: überblasenes Tenorsax, sich überstürzende Flötenläufe, Multiphonics von beiden Instrumente, Gestotter als Unterbrechung der dichten Linien. Mit dem boppigen „Blues in the Pocket“ von Hicks gibt es nach all diesen Experimenten einen swingenden Ruhepunkt. Murray setzt direkt aus dem Unisono-Thema zum Solo an, Hicks klingt erstmals so, wie man ihn sonst kennt, die Rhythmusgruppe treibt das alles solide an – aber das ist dann auch ein klein wenig langweilig, trotz des Schlagzeugsolos von Cyrille, der auf dem Album schon sehr prägnant aufspielt. Mit dem zweiten richtig langen Stück, Murrays „Doni’s Song“, schliesst das Album dann. Eine hymnische Ballade, in der die Flöte als zweite Stimme ins Thema eingebunden wird. Murray soliert gleich wieder als erster und formt eins dieser Soli, das so beeindruckend souverän wirkt, jede Phrase, ja jeder Ton einzeln geformt. Nach dem Flötensolo, das einen recht schweren Stand hat, fällt das Trio für Hicks ins doppelte Tempo, aber bleibt weiterhin irgendwie verhalten.
Wenn wir die 1991er-Alben irgendwie sortieren wollen, wäre das vielleicht Murrays (und natürlich oder sogar vornehmlich James Newtons) „New York Noir“, um Ran Blakes Lieblingswort zu borgen, denn an dessen Musik erinnert mich hier die Atmosphäre ein wenig. Aufgenommen wurde das album am 19. und 20. August 1991 im Sound on Sound in New York.
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