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Ich docke munter weiter an, hoffe das ist ok!
vorgarten
david murray big band, conducted by lawrence „butch“ morris (1991)
ich bin bei der aktualisierung dieser besonderen zusammenarbeit 13 jahre später, morris dirigiert „nur“ noch, „let the music take you“ hat plötzlich text und wird von andy bey gesungen, und neben dirigenten und gaststars wie bey stehen da 18 musiker im raum. davon interessiert mich besonders der junge mann unter morris‘ ellbogen, und graham haynes bekommt auch das erste trompetensolo, das mich gestern schon komplett umgehauen hat (und auch dabei dachte ich an bunky green). haynes war ein enger freund von morris und hat das dirigieren von ihm gelernt, außerdem war er damals in der big band von hamiet bluiett, da lag der sprung ins murray-ensemble nah. mir gefällt das album sehr, sonelius smith ist der neue pianist, tani tabbal passt auch perfekt, insgesamt sind die voicings spannender, farbiger, oft erinnern sie mich in lockerheit, zwischenzeitlich heiligem ernst und gravitätischem tempo an das sun ra arkestra.
wer da alles außerdem noch dabei ist, kann einen schon ein wenig nervös machen: hugh ragin natürlich, frank lacy UND craig harris (à propos arkestra), john purcell UND don byron, vincent chancey UND bob stewart, fred hopkins, ein rapper, ein meisterpfeifer, ein veteran (james spaulding). anfang der 1990er eine big band aufzunehmen, findet murray in den liner notes selbst ein bisschen schräg, in zeiten von rappern und djs. aber rapper hat er ja auch dabei, und der dj ist butch morris.
Das höre ich gerade zum allerersten Mal … zwei Tage Anfang März im Clinton Recording Studio in New York mit Jim Anderson und Kazunori Sugiyama als Murray Co-Produzent, ein schon erwähntes exquisites Line-Up … und unterm Strich vielleicht den bis dahin besten Arrangements für grosse und grössere (aka Octet) Bands bei Murray? Ausdifferenziert sind die Beiträge von Murray und Butch Morris nicht, aber im Opener bzw. vermutlich in der ganzen öffnenden Trilogie, die die erst Hälfte des erneut überlangen Albums einnimmt, war wohl Murray zuständig, wie seinen Liner Notes entnommen werden kann. „Paul Gonzalves“ (sic) heisst der Opener und die Basis dafür ist eine Transkription des unsterblichen Solos vom 1956er Newport Jazz Festival, die Andrew White angefertigt hat, Murray hat das dann arrangiert, hat sich dafür erstmal mit Ellingtons Arrangement befasst und sich dann von diesem gelöst und eigene Wege gefunden. Das ist ganz gut gelungen, finde ich, und ich bin verblüfft, wie sehr sich dieses Gonsalves-Solo bzw. wie viele Passagen aus dem Solo sich bei mir festgehakt haben. Weiter geht es dann mit dem langsamen Satz, „Lester“, bevor „Ben“ den Abschluss macht. Solo-IDs gibt es nur selten, aber in „Lester“ sind Smith, Ragin und Murray zu hören – und die strahlende Trompete von Ragin bildet einen schönen Kontrast zum ersten Solo, das ja von Graham Haynes zu stammen scheint (gewiss nicht von Ragin, aber ich kenne Rasul Siddik und James Zollar, die anderen beiden Trompeter der Band, viel zu schlecht, um mir da völlig sicher zu sein – und Haynes halt auch nicht gut genug). In „Ben“ gibt es einen Solo-Reigen, in dem es unter anderem ein schwertöniges Altsax-Solo von James Spaulding gibt – und Tani Tabbal einen ziemlich tollen Job macht. Weder er noch Ragin, Harris oder Lacy brachten de Fun-bag mit zur Session, worüber ich echt nicht unglücklich bin – aber Spass macht das Album dennoch ziemlich viel!
Die zweite Hälfte besteht dann auf fünf meist etwas kürzeren Stücken, darunter Craig Harris‘ „Love Joy“ – Murray ist nicht nur hier in irrer Form! – und die erwähnten Vocal- und Rap-Features, und hier erwähnt Murray auch, dass Morris bei den Aufnahmen auch seine „conductions“ einsetzte, die Band also spontan auf Anweisungen zu reagieren hatte, wenn das auskomponierte und -arrangierte Material durch war: „I hope his efforts will be recognized in the future of large ensemble recordings, because he controls the fine line between written music and improvised music. It is amazing to see how he mixes these two approaches into something that is not intended but generates a certain emotional response from a listener or a player. He hits that mark through osmosis or maybe a timely wave of the baton“ (Murray in den Liner Notes). Vor den Aufnahmen spielte die Band eine Woche im Condon’s in New York und das macht wohl auch den Unterschied zum Album mit Pierre Dorge aus, denke ich: das klingt zwar super entspannt aber doch sehr gut abgestimmt, eingespielt. Zugleich klingt das nach der ersten Hälfte des Albums freier – die McCall-Hommage sogar sehr frei, anderes eher frei in der Spielhaltung, auch wenn es Changes, Vamps und Grooves gibt. Und in Murrays „Istanbul“ packt er die inzwischen fast vergessene Bassklarinette wieder mal auf. Es geht unbegleitet los, dann stossen andere Bläser für eine zunächst leise, aber dichter werdende Begleitung dazu: gehaltene Töne, langsame Linien, zwischen die sich immer mehr weitere Stimme drängen, immer bewegter, Schnörkel, mäandernd, aber die eigenwillige Stimmung bleibt – ich denke wieder ein wenig an den surrealistischen Mingus, aber das hat schon einen anderen, einen eigenen Charakter.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba