"Krautrock" und seine Verwandten

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  • #7330251  | PERMALINK

    mikko
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    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Close to the edgeIch vermute, bei den folgenden Alben der Band änderte sich das dann ?

    Ich kenne nicht alle Platten der Band. Als die zweite LP 1975 erschien, war mein Interesse an Krautrock und Prog schon merklich abgekühlt. Ich habe die Band danach nur noch am Rande wahrgenommen.

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    #7330253  | PERMALINK

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    Registriert seit: 16.02.2007

    Beiträge: 1,643

    @mikko: Danke für die Mühe und Ausführlichkeit deiner Beschreibung.
    Die Produktion erwähnte ich auch nur deshalb so deutlich, weil ich den Eindruck habe, dass lange nicht alle Ohr oder Pilz-Alben so auffällig gut aufgenommen wurden. Aber ein richtig grottiges Resultat fällt mir auf Anhieb genauso wenig ein… (vermutlich habe ich es auch deshalb so sehr betont, weil ich im Hinterkopf z.B. auch die Frühwerke von Amon Düül hatte. Und das ist natürlich kein Vergleich zu Hölderlin)

    Noch ein paar Worte zu meinen Assoziationen:
    Ich betrachte jene Eindrücke dazu nicht als „in Stein gemeißelt“ oder beanspruche gar, dass es jeder hundertprozentig genauso hört. Das wäre auch unmöglich, weil vermutlich jeder ein bißchen anders wahrnimmt.
    Sie sollen eher als ungefähre Koordinaten verstanden werden und Intensitäten und Stimmungsbilder, im weitesten Sinne, beschreiben.
    Der Einfachheit halber bemühe ich meist halbwegs bekannte Querverweise, die nicht zu exotisch sind. Selbst Namen wie z.B. John Renbourn oder die von dir genannten Mellow Candle vermeide ich eher, weil ich vermute, dass die wenigsten etwas damit anfangen könnten.
    Ich versuche eher, einen leicht verständlichen Anreiz zu schaffen, der die Essenz dennoch irgendwie erfasst. Es mag sein, dass es manchmal ein wenig abstrakt gerät, aber irgendwo muss man es ja eingrenzen. Diese Balance zwischen Verständlichkeit und dem Erwecken von Faszination kann eine schwierige sein. Ich versuche jedenfalls mein Bestes. ;-)

    Auch kann ich deine Betrachtungsweise der Lyrics gut nachvollziehen. Für mich stellt dies kein Problem dar, weil es mich irgendwie auch klanglich überzeugt (Das gleiche empfinde ich auch bei der Gruppe Ougenweide).
    Zuletzt stellt sich auch die Frage, ob man bei mikroskopischer Betrachtung der Texte, vergleichbarer angelsächsischer Gruppen, nicht zu ganz ähnlichen Ergebnissen käme. Ich kenne niemanden, den das je gestört hätte (Bei Fairport oder Sandy Denny fände sich sicher Vergleichbares).
    Was erneut neue Fragen aufwerfen könnte.
    Ich tendiere dazu es eher von der „Erlebnisebene“ aus zu betrachten. Natürlich ist es auch zusätzlich eine Geschmacksfrage.

    Freut mich, das du auch wieder Gefallen daran finden konntest!

    So, jetzt haben wir´s aber…

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    #7330255  | PERMALINK

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    Registriert seit: 16.02.2007

    Beiträge: 1,643

    Close to the edge
    Für mich ist das Debut nett, aber langweilig. Meine Heiligtümer Hölderlins sind „Rare Birds“ und die fantastische Live-Platte „Traumstadt“ („Häktik Intergaläktik“ gehört zum Besten, was Krautrock überhaupt hervorgebracht hat). Auch die runderneuerte „New Faces“ mag ich seltsamerweise noch, obwohl sie da ganz schön mit ihrem Stil gebrochen haben.

    Wenn man es extrem betrachtet, könnte man sogar sagen, alles was nach dem Debut kam, stammte von einer ganz anderen Band. ;-)
    Rare Birds und das gleichnamige Hoelderlin Album finde ich auch sehr gelungen, in diesem veränderten Kontext. Clouds and Clowns habe ich zumindest schon mal auswärts gehört und erinnere mich auch da an teils große Momente. New Faces kenne ich nicht, und die größte Schande zum Schluß: Auch Traumstadt fehlt noch in meiner Sammlung, scheint aber den von dir angepriesen Highlightcharakter zurecht inne zu haben. Ich habe nur frenetische Kritiken dazu gehört/gelesen.
    Mit Hoelderlin geht es mir, daneben, wie mit den frühen Embryo Alben – beide haben einen enorm signifikanten Drumsound, dem ich total verfallen bin! Strange but true…

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    #7330257  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

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    Beiträge: 0

    Close to the edge
    Meine Heiligtümer Hölderlins sind „Rare Birds“ und die fantastische Live-Platte „Traumstadt“ („Häktik Intergaläktik“ gehört zum Besten, was Krautrock überhaupt hervorgebracht hat).

    Was die Live/Traumstadt angeht, teile ich deine Meinung. Ein sehr packendes Konzert einer rundum gut eingespielte Band. Mein Favorit ist allerdings „Die Stadt“. Das Zusammenspiel von Michael Bruchmann (dr) und Christoph Noppeney (Bratsche) zähle ich zum Innovatisten, was ich jemals von einer deutschen Gruppe gehört habe.
    Was auch Tosheys Eindruck des kräftigen Drumsounds bestätigt.
    Und die Dichte des Zusammenspiels, den die Gruppe hier auf den vier LP Seiten zelebriert, ist einfach nur beeindruckend.
    Für mich war Traumstadt die erste Hörerfahrung mit Hoelderlin und ich muß sagen, da hat sich in den langen Jahren überhaupt nichts abgenutzt. :-)

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    #7330259  | PERMALINK

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    Registriert seit: 16.02.2007

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    #7330261  | PERMALINK

    schussrichtung

    Registriert seit: 06.02.2007

    Beiträge: 17,697

    Nachvollziehbare Beschreibung des Albums, toshey. Vielen Dank dafür, habe es gern gelesen.

    1998 sind übrigens „Schwingungen“ und „Seven Up“ (mit T. Leary) zusammen auf einer CD erschienen. Für meine Ohren ein klanglich gelungenes Produkt.

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    smash! cut! freeze!
    #7330263  | PERMALINK

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    Registriert seit: 16.02.2007

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    schussrichtungNachvollziehbare Beschreibung des Albums, toshey. Vielen Dank dafür, habe es gern gelesen.

    1998 sind übrigens „Schwingungen“ und „Seven Up“ (mit T. Leary) zusammen auf einer CD erschienen. Für meine Ohren ein klanglich gelungenes Produkt.

    Freut mich! (auch das du es schon kennst) Zusammen mit „Seven Up“ ist das fast schon zuviel des Guten. „Join Inn“ und „Starring Rosi“ erschienen übrigends auch in dieser 2 in 1 Form.

    Ich sehe eben, dass es momentan etwas schwierig ist, an die Sachen ranzukommen. Man muss vermutlich schon ein wenig suchen, wenn man keine utopischen Preise zahlen kann oder möchte. Aber es lohnt sich und passt auch irgendwie zu dieser obskuren Musik…

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    #7330265  | PERMALINK

    daniel_belsazar

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    Beiträge: 1,253

    TosheyASH RA TEMPEL – SCHWINGUNGEN (1972)

    Das zweite Stück heißt „DARKNESS: Flowers must die“ (12:22). Verhallte Maultrommeln, Bongos aus der Echokammer und sehr kosmische Synthesizerspuren türmen sich zu einer Sci-Fi-artigen Klanglandschaft auf. Backwards-Cymbals werden dazugemischt. Dann ein Perkussion-Beat neben einer sehr eigentümlich klingenden Schrammelgitarre. Der irre John L. (Die Droge scheint jetzt richtig zu wirken) steigert sich weiter in den Exzess hinein. Drums, Bass und Saxophon türmen sich zu einem unruhigen Biest aus psychedelischem Wahnsinn zusammen. Kaiser und Dierks geben an Effekten alles drauf was die Konsole verkraftet und die Geräte hergeben.
    Wir werden Zeuge einer totalen Eskalation. Der völlige kollektive Freakout! Unbehaglich aber intensiv. Man wird innerlich extrem aufgewühlt und ist diesem Geschehen relativ ausgeliefert. Gitarrensolos und Saxofonausbrüche sorgen für weitere Spitzen. Dieses Stück packt einen dermaßen am Kragen und schmeißt einen durch den Raum. Es ist regelrecht traumatisch, wie ungeschönt sich hier der Katharsis hingegeben wird. Das das Ganze zuletzt dann doch nicht völlig ausartet und auseinanderfällt ist nicht mehr als ein Wunder. Dieses Lied ist definitiv nichts für schwache Nerven und ich zitiere nur ungern, aber an dieser Stelle völlig ergeben: „Beware of Schwingungen!!!“ (Julian Cope). Nicht dass wir uns völlig mißverstehen – Wer die Energie von „Ascension“, „The Drift“ oder Diamanda Galas schätzt, wird es vermutlich lieben…

    Oh ja, „Flowers must die“ war/ist nur schwer zu ertragen. Manche meinen durchaus, gerade John Love hätte mit seinem „irren“ Gesang (Drogen? – da kannst du wortwörtlich Gift drauf nehmen!) das Stück denn doch den Orkus runtergeschickt. Inklusive mir – und ihm selber übrigens, wie er mir in den 80ern versicherte. Er wäre auch nicht gerade überzeugt gewesen, „der Kaiser“ (nein, nicht der vom Fußball) aber sei total begeistert gewesen und hätte alle gedrängt, das so zu machen. So sagte er jedenfalls, als er entdeckte, dass ich das Stück gut kannte, und ich, dass er darauf „gesungen“ hatte … (in den 80er haben wir mal eine Weile gemeinsam musiziert).

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    The only truth is music.
    #7330267  | PERMALINK

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    Registriert seit: 16.02.2007

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    Daniel_BelsazarOh ja, „Flowers must die“ war/ist nur schwer zu ertragen. Manche meinen durchaus, gerade John Love hätte mit seinem „irren“ Gesang (Drogen? – da kannst du wortwörtlich Gift drauf nehmen!) das Stück denn doch den Orkus runtergeschickt. Inklusive mir – und ihm selber übrigens, wie er mir in den 80ern versicherte. Er wäre auch nicht gerade überzeugt gewesen, „der Kaiser“ (nein, nicht der vom Fußball) aber sei total begeistert gewesen und hätte alle gedrängt, das so zu machen. So sagte er jedenfalls, als er entdeckte, dass ich das Stück gut kannte, und ich, dass er darauf „gesungen“ hatte … (in den 80er haben wir mal eine Weile gemeinsam musiziert).

    Eine spannende Story! Wo trifft man denn ein solch exotischen Charakter? Ich hätte aufgrund der Aufnahmen nicht ausmachen können, woher er kam und wohin er nachher verschwunden ist. Ich hätte mir gut vorstellen können er sei Engländer, dem ist aber nicht so, oder?
    Es ist indes schade, dass er es selbst inzwischen so distanziert betrachtet.

    Das gleiche Phänomen gab es ja auch bei der Gruppe Mythos und dem Kaiser-Auftragswerk „Dreamlab“. Obwohl es da genau umgekehrt war – eine eigentlich harte Band wurde zu meditativen Klängen genötigt. Die Sache mit den Cosmic Jokers Alben rundet diese Geschichten dann restlos ab.
    Aber eins muss man ihm lassen – ob man die Alben nun mag oder nicht, es waren starke Statements und sie lassen einen (sicherlich so oder so) nicht kalt.
    Es ist schade, dass diese Arbeitsmethoden einen so hohen Preis hatten (Kaiser hat zuguterletzt vermutlich mit Abstand den höchsten Preis bezahlt), aber man muß auch anerkennen, das besonders Ash Ra Tempel, immer noch als obskure Klassiker gehandelt werden. Ich habe keine Zahlen, aber das Interesse in Frankreich, USA und England (evtl. auch Japan) scheint nach wie vor nicht gerade gering zu sein. Für mich persönlich ist es natürlich auch eine klare Sache, aber wie schon geschrieben – Sie polarisieren natürlich ungeheuerlich…
    Danke für deinen Beitrag, jedenfalls

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    #7330269  | PERMALINK

    daniel_belsazar

    Registriert seit: 19.04.2006

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    TosheyEine spannende Story! Wo trifft man denn ein solch exotischen Charakter? Ich hätte aufgrund der Aufnahmen nicht ausmachen können, woher er kam und wohin er nachher verschwunden ist. Ich hätte mir gut vorstellen können er sei Engländer, dem ist aber nicht so, oder?
    Es ist indes schade, dass er es selbst inzwischen so distanziert betrachtet.

    Ich habe ihn damals in Berlin-Kreuzberg im Kato am Schlesischen Tor kennengelernt. Er betrieb eine Gruppe mit dem komischen Namen „Phoenix Reine Erde“, spielte selber dabei seinen sogenannten ,,Fantaziser“, ein aus allen möglichen Klopfdingen zusammengebasteltes Instrument samt Trommel, dessen Töne er durch verschiedene elektronische Klangverfremdungen wie Wah-Wah, Echo usw. schickte. Das Ganze waberte am Ende recht merkwürdig, so ähnlich wie ein natürlicher Sequenzer.

    Ich bin da eingestiegen, weil mir zum einen die Idee des nicht traditionellen Tonerzeugens sehr zusagte, zum anderen schien die zugrunde liegende Philosophie der absoluten Freiheit des Einzelnen innerhalb der Musizierenden die Tür für interessante Erfahrungen zu öffnen. Zudem gab es dadurch immer wieder nutzbringende und weiterführende Begegnungen mit vielen anderen Musizierenden und Musikern, was der persönlichen Entwicklung eigentlich nie abträglich sein kann. Die Gruppe hat nie geübt bzw. bei allen Auftritten öffentlich „geübt“ bzw. alles Üben öffentlich betrieben, wenn nichts anderes ging auch notfalls am Kudamm mit einem tragbaren Benzin betriebenen Stromgenerator. Die Besetzungen wechselten zwischen Trio bis hin zu 25 Leuten.

    Ich erinnere mich an einen Auftritt bei irgendeiner Ausstellungseröffnung in Charlottenburg, wo etwa 15 Leute gemeinsam unabgesprochene, freie Musik machten – und zwar etwa vier Stunden lang. Davon waren rund 2-4 Minuten wirklich sternenmäßig , weil sich alle zu diesem Moment endlich gefunden hatten. Als Beteiligter war diese freie Übereinkunft von so vielen Menschen ein unglaublich berührendes und bewegendes Erlebnis. Als Zuhörer hätte ich mir das aber wahrscheinlich nicht lange angetan.

    Und nein, soweit ich weiß, kam John Love Noa, wie er sich zu der Zeit jedenfalls nannte, nicht aus England, sondern aus Troisdorf bei Köln. Er war ein ziemlicher Chaot und „Spinner“, dessen Energie damals aber immerhin noch für das jahrelange Betreiben der Band und ein Buchmanifest einer „Anarchistischen Erotic“ mit 426 Thesen reichte. Ich habe ihn nach einigen Jahren aus den Augen verloren, meinerseits aus hier nicht zu erörtenden Gründen durchaus nicht ungewollt.

    TosheyDanke für deinen Beitrag, jedenfalls

    Da nich für.

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    The only truth is music.
    #7330271  | PERMALINK

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    Registriert seit: 16.02.2007

    Beiträge: 1,643

    Nochmal, für zwischendurch, ein schönes Interview mit Holger Czukay, dass ich gefunden habe:

    Zwischen der Eifel und Köln liegt Weilerswist. Mitten durch den unscheinbaren Ort führt eine hässliche Straße. Nichts deutet darauf hin, dass hier Musikgeschichte geschrieben wurde. In einem Hinterhof liegt das Studio von Can, das Holger Czukay heute allein nutzt. Ein freundlicher älterer Herr öffnet die Tür, lächelt und führt in einen riesigen Raum, der früher mal ein Kino war. Die hohen Wände sind mit Tüchern abgehängt und stimmungsvoll karg beleuchtet. In der Mitte des Raums lehnt ein Kontrabass. Es ist sehr still. „Lassen Sie uns nach hinten gehen“, sagt Czukay. Hinten, das ist dort, wo ein paar Sessel neben allerlei elektrischen Geräten stehen.

    Herr Czukay, Sie haben seit der legendären Band Can immer viel mit Geräuschen gearbeitet. Welches Geräusch haben Sie heute bewusst wahrgenommen?

    Holger Czukay: Ich habe vorhin die überflüssigen Beine von diesen Sesseln abgeschlagen. Die Geräusche sind mir noch im Ohr.

    Sie nehmen so was bewusst wahr?

    Czukay: Ja, ob das beim Bearbeiten der Sessel oder beim Kaffeekochen ist. Besonders nehme ich aber die Stille und die Ruhe wahr, wenn hier kein Mensch im Studio ist. Das fasziniert mich am meisten.

    Was für ein Geräusch ergeben Stille und Ruhe?

    Czukay: Das hört sich an, als sei nichts da, und doch ist etwas da. Und sei es nur das Blut in deinen Ohren. Und der Tinnitus natürlich. Der ist immer präsent.

    Ein leichtes Fiepen?

    Czukay: Das geht über das Leichte hinaus. Ich habe versucht herauszufinden, woher das kommt und weiß nun, dass das eine Blut-Kreislauf-Geschichte ist. Man kann das schön feststellen, wenn man kalt und warm duscht. Dann hört man, wie der Blutdruck steigt und wieder sinkt.

    Der Preis, den man zahlt für 40 Jahre Rockmusiker-Dasein?

    Czukay: Man kann davon ausgehen. Obwohl ich von allen in der Band der am wenigsten Betroffene bin.

    Es gibt Musiker wie Pete Townshend von den Who, die fast nichts mehr hören.

    Czukay: Es wundert mich nicht. Man kann aber auch damit leben. Auch Beethoven konnte damit leben.

    Hat man es übertrieben mit der lauten Musik?

    Czukay: Hat man. Wobei wir bei Can ja noch glimpflich davon gekommen sind, weil wir großen Wert auf die leisen Töne gelegt haben. Das belegen unsere Platten. Ich habe mich in den Pausen der Aufnahmen immer zu den Tonbändern geschlichen und die gerade entstehenden Geräusche aufgenommen, ohne dass die anderen etwas bemerkt haben.

    Sie sind ein Geräuschsucher?

    Czukay: Auch, aber ich bin eher jemand, der ein Geräusch auswertet.

    Wie wertet man ein Geräusch aus?

    Czukay: Ich kann ein Beispiel geben. Als ich hier mit unserem Drummer Jaki Liebezeit im Studio war, haben wir Kaffee getrunken und dann ist Jaki zu seinem Instrumentarium gegangen und hat wie zufällig an den Gongs und den Trommeln vorbeigestrichen. Ich bin zum Pult geschlichen und habe das aufgenommen, als Bild der Situation sozusagen. Die stärksten Stücke sind zusammengekommen, weil ich Töne fotografiert habe.

    Sie haben viel mit Tonbändern experimentiert und geschnibbelt. Sie waren der Schneider bei Can?

    Czukay: Es ging weniger um das Schnibbeln, es ging darum, die richtigen Stellen auf den Bändern zu finden. Can war am Anfang eine eher schlechte Band. Wir haben viele Fehler gemacht. Das war alles andere als perfekt. Aber ich habe im Laufe der Jahre festgestellt, dass manchmal ein Fehler, den ich gemacht habe, mehr wert war als der beste Gedanke, den ich hatte. Was anfangs ein Fehler war, hat am Schluss ein ganzes Stück gerettet – oder es erst zu dem werden lassen, was es dann war.

    Klingt komisch.

    Czukay: Der große Vorteil, den ich habe, ist ja, dass ich nichts so richtig spielen kann. Ich bin der universale Dilettant. Das war ja auch die Grundvorstellung von Can. Wir wollten als universale Dilettanten die Fachleute und alle Maestros schlagen.

    Klingt angesichts der Bedeutung, die Can in der internationalen Musikszene immer noch genießt, wie eine Untertreibung.

    Czukay: Das ist aber die Wahrheit. Es gibt doch nur zwei Wege. Entweder du nimmst das, was bisher die Musikkultur ausgemacht hat, und setzt noch einen drauf oder aber du vergisst alles und fängst ganz von vorne an – wir haben den zweiten Weg gewählt, weil wir gar nicht anders konnten. Wir mussten abspecken und alles vergessen, was wir wussten. Es hieß: Spiel mal einen Ton, lass den auf dich wirken und dann schauen wir mal, was dabei herauskommt. Dabei sind dann die stärksten Stücke entstanden.

    Es ist aber, Herr Czukay, schwer zu glauben, dass das alles Dilettanten waren. Sie haben immerhin vorher bei Karlheinz Stockhausen studiert.

    Czukay: Aber in dem Moment, wo ich ein Instrument in die Hand nahm, wusste ich nicht, wie ich da überleben sollte. Ich hatte schon Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre mit zwei anderen Musikern in der Gaststätte „Zur Fröhlichkeit“ in Duisburg-Walsum gespielt. Ich bekam die Stunde fünf Mark und spielte natürlich Kontrabass. Warum? Weil da niemand darauf hört. Das war . . .

    . . . unauffällig.

    Czukay: Genau. Das war meine Art, mit der ich glaubte, überleben zu können. Ich habe dann damals schon mein erstes Tonband angeschafft und den anderen gesagt: Wir nehmen jetzt etwas auf und spielen dann dazu. Ich fand das eine geniale Idee, aus einer Dreimanngruppe eine Sechsmanngruppe zu machen.

    Wie fanden die anderen das?

    Czukay: Erst mal aufregend, aber irgendwann merkten wir: In der Kneipe reichen auch drei Mann.

    Was haben Sie da gespielt?

    Czukay: Karnevalslieder und Schlager.

    Klingt schräg.

    Czukay: Das klingt nicht nur schräg, das war auch ein bisschen verrückt. Damals gab es in Duisburg-Ruhrort schon eine echte Beatszene. Da spielte ich mit meinen Jetliners, und irgendwann kam ein Mann und wollte mitspielen. Ich war froh, denn während der spielte, hatte ich ja frei und konnte mich um die Mädchen kümmern. Nach drei Stücken hat er sich dann überschwänglich bei mir bedankt, und ich erfuhr, dass er ein todkranker Mann war, in dessen Körper eigentlich nichts mehr funktionierte. Aber dieses Spielen hat ihm unglaublich viel bedeutet. Was mir völlig unwichtig war, erschien ihm wie der Himmel. Da habe ich aufgehört, Musik nach Qualität zu kategorisieren. Was ich Scheiße finde, kann jemand anderes gut finden. Deshalb ist es aber noch lange nicht weniger wert.

    Und mit der Einstellung sind Sie dann zu Can gekommen?

    Czukay: Das war die Voraussetzung, um bei Can anfangen zu können.

    Ihnen war egal, was dabei herauskam?

    Czukay: Es war uns nicht egal, aber zunächst einmal mussten wir das gut finden.

    Der Band wurde eine anarchische Methodik nachgesagt.

    Czukay: Ja, das war Anarchie. Es war nicht wie bei Jazzmusikern, wo alles trotz der Improvisation einem roten Faden folgt, es war viel freier, auch durch die Einbeziehung von Geräuschen. Die Gewissheit, dass ich eigentlich keine Fehler machen konnte, die hat mich überleben lassen.

    Im Zweifel klingt es dann schlecht.

    Czukay: Im Zweifel klingt es dann gut! Wenn Sie heute hören, wie ich aufnehme, sagen Sie möglicherweise: Das ist ja wie im Kindergarten. Ich höre manchmal gar nicht auf das, was ich vorher gespielt habe, sondern bewege mich völlig unabhängig von der Vorlage.

    Wann entsteht denn da die Musik?

    Czukay: Sie entsteht in jedem Augenblick, sowohl wenn ich spiele als auch wenn ich auswerte. Musik ist die Summe aller Entscheidungen. Die geben das Gesicht.

    Wann wird aus einem Geräusch Musik?

    Czukay: Wenn man ihm eine Form gibt. Man muss schon Architekt sein, weil man der Sache eine Gestalt geben muss.

    Wann geben Sie der Sache eine Gestalt, vorher oder nachher?

    Czukay: Immer nachher.

    Immer als Dilettant reingehen.

    Czukay: Genau das.

    Da muss ich mir ja überhaupt keine Arbeit mehr machen. Da muss ich auch nicht mehr üben.

    Czukay: Davon lebt die heutige Generation. Ich hab’ mal auf einem Filmfestival mit Ennio Morricone gesprochen, und der hat sich darüber beklagt, wie austauschbar die Musik heutzutage ist. Ich habe dagegengehalten, dass man nicht mehr an seinem Instrument üben muss und trotzdem zu einem unglaublichen Ergebnis kommen kann. Es ist natürlich auch viel Schrott darunter. Der beruht dann aber nicht auf der Tatsache, dass diese Menschen nicht spielen können.

    Was hören Sie denn da?

    Czukay: Hören Sie sich mal DJs an. Die können kein Instrument spielen. Aber ich habe Sachen gehört, dass ich gedacht habe, ich spinne. Ich war vor kurzem auf so einer Underground-Party und hab’ gedacht, mich tritt ein Pferd. Ich hätte nie für möglich gehalten, dass Maschinen einen so lebendigen Rhythmus auf die Bühne bringen können. Das war eine unglaubliche Wucht. So etwas hatte ich vorher nur in den Anfangstagen von Can gespürt.

    Sie teilen also nicht den Kulturpessimismus, dass früher alles besser war.

    Czukay: Nein, ich bin immer noch total neugierig.

    War Karlheinz Stockhausen ein starker Einfluss für Can?

    Czukay: Enorm. Wir haben ihn aber – im kreativen Sinne – umgebracht. Sonst hätten wir nicht anfangen können. Wir sagten: Alles, was Stockhausen gemacht hat, ist das, was wir nicht machen werden.

    Was wollten Sie?

    Czukay: Primitive Musik spielen.

    Das hätte Stockhausen nicht erlaubt.

    Czukay: Stockhausen hatte etwas gegen Wiederholungen. Für uns war das ein Hauptbestandteil. In der Wiederholung liegt die Faszination. Wenn du etwas hast, was sich wiederholen lässt und dich nicht langweilt, dann hast du einen Edelstein gefunden.

    Can hat sich oft wiederholt.

    Czukay: Wir konnten sehr lange an einem Stück spielen, aber wir haben zum Schluss immer gewusst, ob es das war oder nicht. Das ist manchmal dramatisch gewesen, wenn der Schlagzeuger den Gitarristen fertiggemacht hat und der wiederum wütend in die Saiten griff, um ihn aus seinem Rhythmus zu bringen.

    Sie haben in der Musik gekämpft?

    Czukay: Das war immer Kampf. Man kann auch mit sich alleine kämpfen. Beethoven hat mit sich gekämpft. Ich bin auch so einer.

    Sind Sie immer noch so ein überzeugter Kurzwellenfan?

    Czukay: Aber ja, die Kurzwelle ist ein Generator, sie erzeugt Töne wie ein Instrument.

    Can hat sich mal einen Sänger aus der Kurzwelle geborgt.

    Czukay: Wir hatten Mitte der 70er Jahre keinen Sänger, und da habe ich gesagt: „Lasst uns doch einen aus der Kurzwelle holen!“ Ich habe dann dagesessen und die Kurzwellenstimmen mit einer Morsetaste an die Musik angepasst.

    Sie könnten auch mit einem Mikrophon hier in Weilerswist auf die Kölner Straße gehen und sich dort Ihre Stimme holen.

    Czukay: Das ist im Prinzip das Gleiche. Es ist eine ewige Suche. Czukay ist ja polnisch und bedeutet Suche. Deshalb habe ich den Namen wieder angenommen.

    Sie heißen gar nicht Czukay??

    Czukay: Ich heiße Schüring! Früher hieß ich Czukay, aber wegen der Nazis, die unbedingt nur Arier haben wollten, hat mein Großvater einen tollen Familienstammbaum entwickelt, um den Namen Czukay loszuwerden. Das haben die Nazis geglaubt.

    Deshalb haben Sie überlebt?

    Czukay: Wahrscheinlich. Aber ich will das nicht hoch hängen. Wir hatten einen anderen Namen. Und keine Probleme.

    Wann sind Sie zu Czukay zurückgekehrt?

    Czukay: Das war, als ich mit den Jetliners, dem Trio, in Duisburg unterwegs war, da hatten wir zwei polnische Sängerinnen und die sagten mir, dass der Name für Suche steht. Da merkte ich, dass der Name auf mich gewartet hatte.

    Weil er zu Ihrem Tun passte?

    Czukay: Er passt auch zu meinem Wesen. Suche! Das ist ein Imperativ. Ich bin eine lebende Suchmaschine.

    Wo suchen Sie Ihre Töne heute?

    Czukay: Ich suche keine Töne, ich suche Gestalten, denn Töne, die eine Gestalt haben, werden zur Musik. Da würde mir selbst Stockhausen nicht widersprechen.

    Hat Stockhausen mal Can gehört?

    Czukay: Hat er, aber das war nicht seine Schiene. Er hat sich aber sehr für die Band eingesetzt, als unser Sänger Damo Suzuki von der Polizei nach Japan abgeschoben werden sollte. Da hat er alles getan, damit Damo hier bleiben kann.

    Wie sind Sie zu Stockhausen gekommen?

    Czukay: Ich war schon überall durchgefallen, als ich zu ihm ans Konservatorium kam, und ich hatte nur eine Wahl: bei der Wahrheit zu bleiben. Ich sagte: „Herr Stockhausen, ich bin überall durchgefallen, ich habe noch nie eine Prüfung bestanden.“ Alles habe ich ihm erzählt, alles, was mir so zugestoßen ist. Danach guckte er mich an und sagte: „Sie nehm ich.“ So kam ich in den Meisterkurs, in einen der ersten Kurse für Neue Musik.

    Die Welt hat viel mit ihm verloren.

    Czukay: Sehr viel. Er war einer der Größten.

    Holen Sie Ihre Geräusche heute auch aus dem Internet?

    Czukay: Nein, aber das Internet ist für andere Dinge gut. Ich habe übers Internet eine Band zusammengestellt, bei der sich die Mitglieder persönlich nicht kennen – was ich sehr begrüße. Da haben mir dann 23 Leute zugespielt, und ich habe das dann zusammengefügt.

    Wie finden Sie Ihre Mitmusiker?

    Czukay: Ich habe ein Chat-System. Da gehe ich unter verschiedenen Namen rein. Ich war da schon Ray Charles, Elton John, Sophia Loren und Madonna. Ich wollte damit auf mein Projekt aufmerksam machen. Da hat dann Elton John um Hilfe gerufen, weil er von der Queen in der Westminster Abbey gefangen gehalten wird, der „Candle In the Wind“ nicht gefallen hat. Es meldete sich Ray Charles, und den bat er, eine Briefbombe unter die Tür zu setzen, damit er freikommt. So habe ich eine Soap-Opera erfunden, die mir sehr viel Spaß gemacht hat, die auch zu wunderbaren Internet-Freundschaften geführt hat. Es meldete sich ein Texaner, der Ölplattformen kontrolliert, aber meinen Humor zu schätzen wusste. Der liefert inzwischen viel zu meinen Projekten.

    Weiß der Mann, wer Sie wirklich sind?

    Czukay: Ja klar.

    Kannte er Sie denn? Kannte er Can?

    Czukay: Natürlich. Das Internet ist höchst musikalisch, weil du auf Leute triffst, die mit dir musikalisch in Verbindung treten. Schön wäre es, wenn ich auf eine Bühne könnte, und die Menschen zu Hause würden von ihren Laptops live Geräusche zuliefern. Aber da fehlt mir noch die Software.

    Eine virtuelle Band ist besser?

    Czukay: Aber ja! Virtuelle Musiker lassen wenigstens keine halbvollen Kaffeetassen rumstehen. Das habe ich auch Damon Albarn gesagt, als der mich fragte, was er denn nach Blur mal Neues anstellen solle. Da habe ich aufgrund meiner Erfahrung gesagt: Gründe eine virtuelle Band!

    Und er gründete daraufhin die Gorillaz?

    Czukay: Das hat er bestätigt.

    Sie haben immer noch richtig Einfluss.

    Czukay: Solange ich lebe.

    Wie war das, als Can 1971 mit „Spoon“, der Titelmusik zum TV-Krimi „Das Messer“, in der Hitparade landete?

    Czukay: Ich hatte ein Tonband, das hatte ich 1955 in Duisburg in der Mülltonne gefunden. Darauf habe ich „Spoon“ aufgenommen. Jeder Toningenieur würde mich heute für wahnsinnig erklären. Das war uns egal. Wir brauchten einen Bandbus, den wir uns dann leisten konnten. „Spoon“ war übrigens der erste Hit, bei dem eine Schlagzeugmaschine eingesetzt wurde.

    War das bewusst subversiv gedacht?

    Czukay: In dem Moment denkt man nicht ans Subversive. Uns ging es um die Aufgabe. Wir mussten Spannungsmusik zu einem mittelmäßigen Kriminalfilm hinkriegen.

    Wie geht das? Man schaut einen Film und denkt sich dann die Musik aus?

    Czukay: Den Film hat immer nur einer gesehen, bei uns der Irmin Schmidt. Der hat uns dann den Film erzählt. Darin ist auch einer der Gründe zu sehen, warum Can so gute Filmmusik gemacht hat. Wir mussten uns den Film nicht ansehen. Als ich mich mit Morricone getroffen habe, hat er mir erzählt, wie er mit Sergio Leone die besten Filmmusiken gemacht hat. Leone hat ihm den Film erzählt und gesagt: „Fang schon mal mit der Musik an! Wir drehen dann später.“ Das funktionierte genauso bei Can. Wir waren vollkommen unbeleckt vom Bild. Das war gut so, denn das Bild tötet ganz schnell.

    Kann man mit einer guten Filmmusik einen schlechten Film adeln?

    Czukay: Irmin Schmidt hat immer gesagt: „Wir müssen vorsichtig sein und die Musik nicht zu interessant machen, weil wir sonst den Film kaputtmachen.“ Darauf habe ich immer gesagt: „Los, lass uns den Film kaputtmachen.“ So haben wir es oft gemacht. Ich habe nach 30 Jahren mit dem Regisseur von „Mädchen mit Gewalt“ gesprochen. Der hat „Soul Desert“, eine unserer besten Filmmusiken, bekommen. Als ich dem von Irmins Rat und meiner Gegenbewegung erzählte, sagte er mir: „Du hast recht gehabt.“

    Die Musik war besser als der Film?

    Czukay: Eindeutig. Außerdem hat ein Stück wie „Soul Desert“ Bands wie die Einstürzenden Neubauten inspiriert.

    Can hat die Neubauten ermöglicht?

    Czukay: In gewisser Weise hat Can eine ganze Generation ermöglicht. Johnny Rotten hat ständig hier angerufen, weil er Sänger bei uns werden wollte.

    Der Sänger der Sex Pistols hat hier in Weilerswist angerufen und gesagt „I wanna be your singer“?

    Czukay: Ja. Der hatte verstanden, dass wir eine gute Band für ihn gewesen wären. Seine spätere Band Public Image hat ähnlich wie Can gearbeitet. Sie haben der Musik ihr Gesicht verliehen.

    Stimmt es, dass Can nie aufgelöst wurde?

    Czukay: Die Kerntruppe besteht nach wie vor. Uns sind nur die Sänger davongelaufen.

    Can wurde 1968 gegründet. Damals gingen auch Led Zeppelin an den Start. Die haben gerade ein Comeback gefeiert.

    Czukay: Bei Can würde sich das nicht auszahlen. Man hat uns sehr viel Geld geboten, damit wir noch einmal live auftreten. Das haben wir aber nie gemacht. Weil wir wissen, dass das nicht gutgehen kann.

    Bei Led Zeppelin ist es gutgegangen.

    Czukay: Bei uns würde es nicht klappen. Da ist die Gruppenkonsistenz zu divergent. Außerdem halte ich die Rückwärtsorientierung für Unsinn. Das Leben geht vorwärts.

    Sie werden jetzt 72 Jahre alt. Haben Sie sich schon mal Gedanken über die Musik im Jenseits gemacht?

    Czukay: Ich habe immer gehofft, dass es dann ganz ruhig sein wird. Ich war jetzt ein paar Tage allein im Studio, und das Gefühl allein zu sein und nichts zu hören, das ist mehr wert als alles, was man hört.

    Stille als Belohnung?

    Czukay: Belohnung für das, was man musikalisch verbrochen hat.

    Holger Czukay war seit der Gründung im Jahre 1968 Mitglied der Gruppe Can, die in der auslaufenden Beat-Ära alles ganz anders machen wollte. Ihre oft experimentell klingenden Platten (Monster Movie, Tago Mago, Ege Bamyasi) waren beherrscht von gleichförmigen Rhythmen, in die sich lange vor der Erfindung der Sampling-Technik Geräusche und Schreie mischten. Can erspielte sich rasch internationalen Ruhm und wird bis heute von Größen wie Brian Eno und David Bowie nach wie vor in der Liste der wichtigsten Einflüsse geführt. 1977 verließ Czukay die Band und produzierte etliche Soloalben, die allesamt seine Vorliebe für klangliche Experimente hören lassen (www.czukay.de). Er arbeitete u.a. mit Musikern wie Peter Gabriel, The Edge und David Sylvian zusammen.

    Quelle: Sueddeutsche Zeitung

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    …und danach noch eins mit Irmin Schmidt, angereichert mit 2 neuen audiovisuellen Links…

    Herr Schmidt, vor kurzem ist Ihre Filmmusik Anthology erschienen, eine Doppel-CD mit Ausschnitten aus zahlreichen Soundtracks, die Sie komponiert haben. Was macht eine gute Filmmusik aus?

    Irmin Schmidt: Die Kunst ist, dass man einem großen Ganzen dient. Selten spielt die Musik in einem Film die Hauptrolle, so wie bei Ennio Morricone und Spiel mir das Lied vom Tod. Bernard Hermann schafft bei Hitchcock dieses Gefühl von untergründiger Hysterie und Bedrohung; das kann bei einem anderen Film aber total in die Hose gehen. Ich würde sagen: Es ist schön, wenn man aus dem Kino kommt und eine Melodie im Ohr hat, die auch im Nachhinein noch Bilder transportiert.

    Welchen Filmkomponisten schätzen Sie besonders?

    IS: Toru Takemitsu. Das ist ein japanischer Komponist, dessen Werk auch etliche Soundtracks enthält, zum Beispiel für Filme von Kurosawa und Ozu.

    Im vergangenen Jahr haben Sie die Musik für den Wim-Wenders-Film Palermo Shooting geschrieben. Wie lief die Zusammenarbeit mit Wenders?

    IS: Der Protagonist des Films, gespielt von Campino, hat die Hälfte des Films Kopfhörer auf und hört sich Popsongs an. Es war mir von Anfang an klar, dass ich nicht so etwas ähnliches machen kann, sondern einen Kontrast bieten muss. Als ich zum zweiten Mal mit Wim den Film gesehen habe, kam mir spontan die Idee, das “Erbarme Dich” aus der Matthäus-Passion von Bach für Akkordeon zu adaptieren. Ich habe also zu Wim gesagt: Akkordeon und Bach! Er hat mich ziemlich erstaunt angeguckt und geantwortet, dann mach mal.

    Das Bach-Thema taucht in mehreren Variationen im Film auf. Einmal wird es von Markus Stockhausen gespielt, der wirklich ein exzellenter Trompeter ist.

    IS: Das kann man wohl sagen! Was der auf der Trompete macht, auch bei der Musik seines Vaters… In Stockhausens Oper Licht spielt er ein Trompetensolo, das gigantisch schwer ist.

    In welchem Teil bzw. an welchen Tag der Oper kommt dieses Solo?

    IS: Ich meine, es wäre der Montag.

    Sie haben ab 1957 mehrere Jahre lang bei Karlheinz Stockhausen studiert. Wie hat Sie dieses Studium geprägt?

    IS: Viele Pioniere der elektronischen Musik haben nur experimentelle Sounds zustandegebracht, deren musikalischer Reiz gering war. Stockhausen war der erste, der mit elektronischen Mitteln richtig tolle Musik gemacht hat; schon “Gesang der Jünglinge”, sein allererstes Stück, ist ja ein Meisterwerk. Stockhausen war eine charismatische und in der Neuen Musik auch beherrschende Figur; viele seiner Ideen, gerade was das serielle Komponieren anging, waren nicht mein Ding. Für mich war es ungeheuer fruchtbar, mich gegen diese Übermacht zu wehren. Ich verdanke ihm viel.

    Auch mit John Cage, Stockhausens Antipoden, hatten Sie Kontakt.

    IS: Ja, die beiden waren tatsächlich Antipoden. Der eine konstruierte bis ins kleinste Detail, der andere überließ es dem Zufall, wo die Flecken zu Noten wurden. Cage lernte ich Anfang der Sechziger kennen und für seine Philosophie habe ich mich sehr begeistert; mehr noch als für seine Musik.

    Sie waren in der Neuen Musik aktiv und haben im Rahmen einer klassischen Musikausbildung sogar Symphonie-Orchester dirigiert. Hatte die Popmusik damals, Anfang der Sechziger, einen Platz in Ihrer Welt?

    IS: Eher der Jazz. Als ich die ersten Platten von Lennie Tristano gehört habe, war ich total geflippt. Oder dann Ornette Coleman, mit dem der Jazz ein gewisses Endstadium erreicht hat. Ich war zwar Bestandteil der sogenannten Neuen Musik, habe den Jazz aber von Anfang an gleichermaßen als wichtige neue Musik des 20. Jahrhunderts empfunden. Durch die amerikanische Geschichte, durch die Sklaven, den Blues und schließlich die Urbanisierung des Jazz, ist ja eine Musik entstanden, die nicht so sehr aus der europäischen Tradition, sondern aus Afrika stammte. Dieser Einbruch einer total anderen Musik war neu.

    Wann hat Sie zum erstem Mal ein Popsong begeistert?

    IS: “Hey Joe” von Jimi Hendrix war eine Erleuchtung. Da habe ich gemerkt, dass es neben Klassik und Jazz eine dritte neue Musik gibt. Später haben mich auch Zappa, Sly Stone und Velvet Underground beeinflusst. Ende der Sechziger kam ich zu der Einsicht, dass ich die klassische Neue Musik mit Rock und Jazz zusammenbringen möchte. Das war der Grund, warum ich Can gegründet habe.

    Es war also wichtig, was für einen musikalischen Hintergrund die Mitglieder von Can mitbrachten.

    IS: Genau. Holger Czukay und ich kannten uns von Stockhausen. Er hatte außerdem noch ein bisschen Jazz gespielt und war ein ziemlich verrückter Experimentator mit Kenntnissen in der Elektronik. Jaki Liebezeit hatte sich durch die ganze Jazz-Historie getrommelt, Michael Karoli war ein reiner, wie man damals sagte, Beatgitarrist. Ich dachte, wenn man so einen Haufen zusammenbringt, wird bestimmt etwas Interessantes herauskommen.

    In der Rückschau erscheinen Can nahezu als musikalisches Dream Team! Wenn Sie zusammen spielten, entstand eine Kraft, die nicht häufig anzutreffen ist in der Rockgeschichte.

    IS: Das kann ich nur unterschreiben. Wobei die große Energie auch zur Folge hatte, dass wir uns schwer in die Haare kriegten. Unsere Stücke zu kreieren, war stets ein ungeheuer anstrengender Prozess, denn alles war echte Gemeinschaftsarbeit. Es war nie so, dass einer zu Hause ein Stück komponiert und dann den anderen vorgesetzt hat. Alles wurde gemeinsam entwickelt.

    Die experimentelle Rockmusik, die damals in Deutschland entstand, hat ein verbindendes Merkmal: Anders als in England oder Amerika lieferte hier nicht der Blues das musikalische Gerüst. War das eine bewusste Entscheidung?

    IS: Bei uns schon. Wir hätten diese Rockformen, die aus dem Blues entstanden sind, spielen können, aber wir wollten das nicht. Wir waren nicht mit dem Blues aufgewachsen, und es hätte verlogen geklungen.

    Dafür, dass Can recht sperrige Musik gemacht haben, waren Sie erstaunlich erfolgreich.

    IS: Ja, das sind wir eigentlich bis heute. Ich höre immer wieder, dass jüngere Leute unsere Platten hören – und total erstaunt sind, wenn sie erfahren, dass die Musik schon 35 Jahre alt ist. Die meinen, das sei erst vor einem Jahr aufgenommen worden. Dass wir eine eigene Kunstform entwickelt haben, hat sich sehr positiv auf die Haltbarkeit unserer Musik ausgewirkt.

    Ich glaube, dass die anhaltende Wirkung Ihrer Musik auch mit dem Klang und der Aufnahmetechnik zusammenhängt. Die Can-Platten wurden live eingespielt, dabei kann eine klangliche Aura entstehen, die sich mit heutigen Methoden nicht mehr reproduzieren lässt.

    IS: Das macht zu einem großen Teil die Qualität unserer Musik aus. Wir haben auf den ersten fünf Platten nur auf Stereo-Bänder gespielt. Diese Beschränkung führte zu einem Höchstmaß an Konzentration – beim Hören auf den anderen. Man kann wunderbare Aufnahmen in Mehrspur machen, aber es ist wahr, dass ein besonderer Klang entsteht, wenn Musiker zusammenspielen und wirklich aufeinanderhören: Wir waren ein Organismus. Das hat dann eine ganz bestimmte Qualität, die anders nicht herzustellen ist.

    Denken Sie manchmal darüber nach, wie Ihre Karriere verlaufen wäre, wenn Sie bei der klassischen Musik geblieben wären?

    IS: Es gibt solche Momente. Was wäre geschehen, wenn ich weiter als Dirigent gearbeitet hätte?

    Vielleicht stünden Sie heute bei den Berliner Philharmonikern am Pult.

    IS: Ja vielleicht, wer weiß? Ich habe vor einigen Jahren eine Oper komponiert und bei der Orchestereinspielung die Brandenburger Symphoniker dirigiert. Das hat hervorragend funktioniert. Mensch, du kannst es ja noch, habe ich gedacht, so etwas hätte auch schön sein können. Aber der Punkt ist: Ich hätte nicht beides gleichzeitig machen können. Can war etwas, das einen ganz und gar aufgesogen hat. Sonst wäre es nicht so geworden, wie es geworden ist.

    Can – Hier und Heute 1971:
    http://www.youtube.com/watch?v=MQEbptUeHo0

    Can – Spoon, Live
    http://www.youtube.com/watch?v=3buYpfYRlaA

    Quelle: Sueddeutsche Zeitung

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    #7330275  | PERMALINK

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    Daniel_BelsazarIch habe ihn damals in Berlin-Kreuzberg im Kato am Schlesischen Tor kennengelernt. Er betrieb eine Gruppe mit dem komischen Namen „Phoenix Reine Erde“, spielte selber dabei seinen sogenannten ,,Fantaziser“, ein aus allen möglichen Klopfdingen zusammengebasteltes Instrument samt Trommel, dessen Töne er durch verschiedene elektronische Klangverfremdungen wie Wah-Wah, Echo usw. schickte. Das Ganze waberte am Ende recht merkwürdig, so ähnlich wie ein natürlicher Sequenzer.

    Ich bin da eingestiegen, weil mir zum einen die Idee des nicht traditionellen Tonerzeugens sehr zusagte, zum anderen schien die zugrunde liegende Philosophie der absoluten Freiheit des Einzelnen innerhalb der Musizierenden die Tür für interessante Erfahrungen zu öffnen. Zudem gab es dadurch immer wieder nutzbringende und weiterführende Begegnungen mit vielen anderen Musizierenden und Musikern, was der persönlichen Entwicklung eigentlich nie abträglich sein kann. Die Gruppe hat nie geübt bzw. bei allen Auftritten öffentlich „geübt“ bzw. alles Üben öffentlich betrieben, wenn nichts anderes ging auch notfalls am Kudamm mit einem tragbaren Benzin betriebenen Stromgenerator. Die Besetzungen wechselten zwischen Trio bis hin zu 25 Leuten.

    Ich erinnere mich an einen Auftritt bei irgendeiner Ausstellungseröffnung in Charlottenburg, wo etwa 15 Leute gemeinsam unabgesprochene, freie Musik machten – und zwar etwa vier Stunden lang. Davon waren rund 2-4 Minuten wirklich sternenmäßig , weil sich alle zu diesem Moment endlich gefunden hatten. Als Beteiligter war diese freie Übereinkunft von so vielen Menschen ein unglaublich berührendes und bewegendes Erlebnis. Als Zuhörer hätte ich mir das aber wahrscheinlich nicht lange angetan.

    Und nein, soweit ich weiß, kam John Love Noa, wie er sich zu der Zeit jedenfalls nannte, nicht aus England, sondern aus Troisdorf bei Köln. Er war ein ziemlicher Chaot und „Spinner“, dessen Energie damals aber immerhin noch für das jahrelange Betreiben der Band und ein Buchmanifest einer „Anarchistischen Erotic“ mit 426 Thesen reichte. Ich habe ihn nach einigen Jahren aus den Augen verloren, meinerseits aus hier nicht zu erörtenden Gründen durchaus nicht ungewollt.

    Eine abenteuerliche Geschichte! Den Fantasizer hätte ich gerne mal gehört.
    Erstaunlich auch deine Ansätze und Gedanken zu dieser Form des Musizierens, bzw. auch das Konzept dieses Kollektivs.
    Verrückt daran ist, dass ich vor einem Jahr etwas sehr ähnliches durch- bzw. erlebt habe. Mit Embryo, die quasi ein ganzes (kleines) Festival für diese Formen auf die Beine gestellt hatten. In der Nähe von Gorleben spielten am ersten Abend auch sämtliche Musiker zusammen und improvisierten miteinander durch die Nacht. Teils auch mit bis zu 20 Personen zugleich. Da gab es einige Sternstunden; vielleicht weil die Leute teils extrem fit waren an ihren Instrumenten waren; und weil das wohl inzwischen auch regelrecht etabliert ist. – in Kassel gibt es einmal jährlich ein ähnliches Festival.
    Am zweiten Abend spielten dann noch die individuellen Gruppen, aber auch hier nur improvisierte Musik. Ich hatte manchmal auch den gleichen Gedanken wie du, wie das Ganze wohl beim Hörer ankommt. Aber das war durchweg positiv in dem Fall. Sehr cool war auch, dass sehr viele Musiker zuhörten. Das hat das Ganze nochmal gepusht und jeder war auch versucht, sein Bestes zu geben. Noch Tage danach waren wir alle total elektrisiert…
    Dem ging natürlich auch voraus, dass wir vorher schon ein Trio waren, welches auch ausschließlich frei gespielt hat, ohne Proben und direkt „rauf auf die Bühne“. (aber heute ist das natürlich nicht mehr so besonders)

    Die Musikgeschichte ist warscheinlich prall gefüllt mit „Spinnern“ und ähnlichem. Man lernt die ganzen Leute ja nicht immer persönlich kennen, aber es gibt bestimmt einige, auf die das sehr gut zutrifft. Es bleibt ein schmaler Grat, wobei manche aber auch gekonnt damit kokettieren…

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    #7330277  | PERMALINK

    some-velvet-morning

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    Hier Motorik Beats der Neuzeit einer Band aus San Francisco. Eine psychedelische Version der Jesus And Mary Chain/ Velvet Underground zum Teil. Die Krautrock Roots sind aber deutlich rauszuhören:
    http://www.myspace.com/moonduo

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    #7330279  | PERMALINK

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    Some Velvet MorningHier Motorik Beats der Neuzeit einer Band aus San Francisco. Eine psychedelische Version der Jesus And Mary Chain/ Velvet Underground zum Teil. Die Krautrock Roots sind aber deutlich rauszuhören:
    http://www.myspace.com/moonduo

    Ein feiner Tip! Trotz der Einflüsse eine sehr starke, eigene, Atmosphäre, aber vorallem die komplette Inszenierung der Gitarre ist hier der Thrill schlechthin. Master at Work. Man könnte sich dazu, teils auch total ausgeklinkten „Ian C. – Gesang“ vorstellen, besonders bei „22“. Wo hast du das her? Bin gespannt, was sam dazu sagen wird…

    Übrigends: Habe die Tage nochmal genauer das Projekt „Moebius & Plank“ inspiziert und mußte feststellen, dass es auch dort eine sehr eigenwillige Weiterführung des Themas Neu! zu hören gibt. Wie eine komplett entschleunigte oder minimalistische Version. Bis ins verrückteste Detail durchkonstruiert von zwei allwissenden Studiofossilien.
    Es ist schwer vorstellbar, dass ein Liebhaber unserer Helden dabei nicht vollkommen sinnestrunken wird, vor schrägen Glücksmomenten…

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