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…und danach noch eins mit Irmin Schmidt, angereichert mit 2 neuen audiovisuellen Links…
Herr Schmidt, vor kurzem ist Ihre Filmmusik Anthology erschienen, eine Doppel-CD mit Ausschnitten aus zahlreichen Soundtracks, die Sie komponiert haben. Was macht eine gute Filmmusik aus?
Irmin Schmidt: Die Kunst ist, dass man einem großen Ganzen dient. Selten spielt die Musik in einem Film die Hauptrolle, so wie bei Ennio Morricone und Spiel mir das Lied vom Tod. Bernard Hermann schafft bei Hitchcock dieses Gefühl von untergründiger Hysterie und Bedrohung; das kann bei einem anderen Film aber total in die Hose gehen. Ich würde sagen: Es ist schön, wenn man aus dem Kino kommt und eine Melodie im Ohr hat, die auch im Nachhinein noch Bilder transportiert.
Welchen Filmkomponisten schätzen Sie besonders?
IS: Toru Takemitsu. Das ist ein japanischer Komponist, dessen Werk auch etliche Soundtracks enthält, zum Beispiel für Filme von Kurosawa und Ozu.
Im vergangenen Jahr haben Sie die Musik für den Wim-Wenders-Film Palermo Shooting geschrieben. Wie lief die Zusammenarbeit mit Wenders?
IS: Der Protagonist des Films, gespielt von Campino, hat die Hälfte des Films Kopfhörer auf und hört sich Popsongs an. Es war mir von Anfang an klar, dass ich nicht so etwas ähnliches machen kann, sondern einen Kontrast bieten muss. Als ich zum zweiten Mal mit Wim den Film gesehen habe, kam mir spontan die Idee, das “Erbarme Dich” aus der Matthäus-Passion von Bach für Akkordeon zu adaptieren. Ich habe also zu Wim gesagt: Akkordeon und Bach! Er hat mich ziemlich erstaunt angeguckt und geantwortet, dann mach mal.
Das Bach-Thema taucht in mehreren Variationen im Film auf. Einmal wird es von Markus Stockhausen gespielt, der wirklich ein exzellenter Trompeter ist.
IS: Das kann man wohl sagen! Was der auf der Trompete macht, auch bei der Musik seines Vaters… In Stockhausens Oper Licht spielt er ein Trompetensolo, das gigantisch schwer ist.
In welchem Teil bzw. an welchen Tag der Oper kommt dieses Solo?
IS: Ich meine, es wäre der Montag.
Sie haben ab 1957 mehrere Jahre lang bei Karlheinz Stockhausen studiert. Wie hat Sie dieses Studium geprägt?
IS: Viele Pioniere der elektronischen Musik haben nur experimentelle Sounds zustandegebracht, deren musikalischer Reiz gering war. Stockhausen war der erste, der mit elektronischen Mitteln richtig tolle Musik gemacht hat; schon “Gesang der Jünglinge”, sein allererstes Stück, ist ja ein Meisterwerk. Stockhausen war eine charismatische und in der Neuen Musik auch beherrschende Figur; viele seiner Ideen, gerade was das serielle Komponieren anging, waren nicht mein Ding. Für mich war es ungeheuer fruchtbar, mich gegen diese Übermacht zu wehren. Ich verdanke ihm viel.
Auch mit John Cage, Stockhausens Antipoden, hatten Sie Kontakt.
IS: Ja, die beiden waren tatsächlich Antipoden. Der eine konstruierte bis ins kleinste Detail, der andere überließ es dem Zufall, wo die Flecken zu Noten wurden. Cage lernte ich Anfang der Sechziger kennen und für seine Philosophie habe ich mich sehr begeistert; mehr noch als für seine Musik.
Sie waren in der Neuen Musik aktiv und haben im Rahmen einer klassischen Musikausbildung sogar Symphonie-Orchester dirigiert. Hatte die Popmusik damals, Anfang der Sechziger, einen Platz in Ihrer Welt?
IS: Eher der Jazz. Als ich die ersten Platten von Lennie Tristano gehört habe, war ich total geflippt. Oder dann Ornette Coleman, mit dem der Jazz ein gewisses Endstadium erreicht hat. Ich war zwar Bestandteil der sogenannten Neuen Musik, habe den Jazz aber von Anfang an gleichermaßen als wichtige neue Musik des 20. Jahrhunderts empfunden. Durch die amerikanische Geschichte, durch die Sklaven, den Blues und schließlich die Urbanisierung des Jazz, ist ja eine Musik entstanden, die nicht so sehr aus der europäischen Tradition, sondern aus Afrika stammte. Dieser Einbruch einer total anderen Musik war neu.
Wann hat Sie zum erstem Mal ein Popsong begeistert?
IS: “Hey Joe” von Jimi Hendrix war eine Erleuchtung. Da habe ich gemerkt, dass es neben Klassik und Jazz eine dritte neue Musik gibt. Später haben mich auch Zappa, Sly Stone und Velvet Underground beeinflusst. Ende der Sechziger kam ich zu der Einsicht, dass ich die klassische Neue Musik mit Rock und Jazz zusammenbringen möchte. Das war der Grund, warum ich Can gegründet habe.
Es war also wichtig, was für einen musikalischen Hintergrund die Mitglieder von Can mitbrachten.
IS: Genau. Holger Czukay und ich kannten uns von Stockhausen. Er hatte außerdem noch ein bisschen Jazz gespielt und war ein ziemlich verrückter Experimentator mit Kenntnissen in der Elektronik. Jaki Liebezeit hatte sich durch die ganze Jazz-Historie getrommelt, Michael Karoli war ein reiner, wie man damals sagte, Beatgitarrist. Ich dachte, wenn man so einen Haufen zusammenbringt, wird bestimmt etwas Interessantes herauskommen.
In der Rückschau erscheinen Can nahezu als musikalisches Dream Team! Wenn Sie zusammen spielten, entstand eine Kraft, die nicht häufig anzutreffen ist in der Rockgeschichte.
IS: Das kann ich nur unterschreiben. Wobei die große Energie auch zur Folge hatte, dass wir uns schwer in die Haare kriegten. Unsere Stücke zu kreieren, war stets ein ungeheuer anstrengender Prozess, denn alles war echte Gemeinschaftsarbeit. Es war nie so, dass einer zu Hause ein Stück komponiert und dann den anderen vorgesetzt hat. Alles wurde gemeinsam entwickelt.
Die experimentelle Rockmusik, die damals in Deutschland entstand, hat ein verbindendes Merkmal: Anders als in England oder Amerika lieferte hier nicht der Blues das musikalische Gerüst. War das eine bewusste Entscheidung?
IS: Bei uns schon. Wir hätten diese Rockformen, die aus dem Blues entstanden sind, spielen können, aber wir wollten das nicht. Wir waren nicht mit dem Blues aufgewachsen, und es hätte verlogen geklungen.
Dafür, dass Can recht sperrige Musik gemacht haben, waren Sie erstaunlich erfolgreich.
IS: Ja, das sind wir eigentlich bis heute. Ich höre immer wieder, dass jüngere Leute unsere Platten hören – und total erstaunt sind, wenn sie erfahren, dass die Musik schon 35 Jahre alt ist. Die meinen, das sei erst vor einem Jahr aufgenommen worden. Dass wir eine eigene Kunstform entwickelt haben, hat sich sehr positiv auf die Haltbarkeit unserer Musik ausgewirkt.
Ich glaube, dass die anhaltende Wirkung Ihrer Musik auch mit dem Klang und der Aufnahmetechnik zusammenhängt. Die Can-Platten wurden live eingespielt, dabei kann eine klangliche Aura entstehen, die sich mit heutigen Methoden nicht mehr reproduzieren lässt.
IS: Das macht zu einem großen Teil die Qualität unserer Musik aus. Wir haben auf den ersten fünf Platten nur auf Stereo-Bänder gespielt. Diese Beschränkung führte zu einem Höchstmaß an Konzentration – beim Hören auf den anderen. Man kann wunderbare Aufnahmen in Mehrspur machen, aber es ist wahr, dass ein besonderer Klang entsteht, wenn Musiker zusammenspielen und wirklich aufeinanderhören: Wir waren ein Organismus. Das hat dann eine ganz bestimmte Qualität, die anders nicht herzustellen ist.
Denken Sie manchmal darüber nach, wie Ihre Karriere verlaufen wäre, wenn Sie bei der klassischen Musik geblieben wären?
IS: Es gibt solche Momente. Was wäre geschehen, wenn ich weiter als Dirigent gearbeitet hätte?
Vielleicht stünden Sie heute bei den Berliner Philharmonikern am Pult.
IS: Ja vielleicht, wer weiß? Ich habe vor einigen Jahren eine Oper komponiert und bei der Orchestereinspielung die Brandenburger Symphoniker dirigiert. Das hat hervorragend funktioniert. Mensch, du kannst es ja noch, habe ich gedacht, so etwas hätte auch schön sein können. Aber der Punkt ist: Ich hätte nicht beides gleichzeitig machen können. Can war etwas, das einen ganz und gar aufgesogen hat. Sonst wäre es nicht so geworden, wie es geworden ist.
Can – Hier und Heute 1971:
http://www.youtube.com/watch?v=MQEbptUeHo0
Can – Spoon, Live
http://www.youtube.com/watch?v=3buYpfYRlaA
Quelle: Sueddeutsche Zeitung
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