James Brown

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    bullschuetz

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    friedrichAuch wenn ich musikalisch schon wieder woanders unterwegs bin, möchte ich diese Platte, die ich letzte Woche nach langer Zeit mal wieder aufgelegt habe, hier erwähnen. Gehört irgendwie in den JB-Kosmos, oder? Maceo Parker – Roots Revisited (1990) Damals Maceos erstes Soloalbum nach 15 Jahren und sein erstes nachdem er endgültig bei James Brown aufgehört hatte. Den programmatischen Titel Roots Revisited habe ich damals, als ich die Langspielplatte kaufte, gar nicht verstanden, aber ich verstand sowieso nicht viel von black music im allgemeinen und dem JB-Universum im besonderen. Doch dies ist keine JB-Platte ohne JB! Maceo unternimmt hier tatsächlich eine Bestandsaufnahme dessen, woher das alles überhaupt kommt. Gospel, R&B, früher Soul, Jazz und ein bisschen Funk. Vier covers von Ray Charles, Charles Mingus (!), Curtis Mayfield, Sly Stone, der Standard Over The Rainbow und zwei Maceo-Originale. Und doch klingt das alles wie aus einem Guss – das ist der Humus, auf dem die black music wuchs. Traditionspflege im besten Sinne. Begleitung: u.a. Fred Wesley, Pee Wee Ellis, Don Pullen (huch?) und Bootsy Collins. Übrigens auf einem deutschen Label erschienen. Children’s World (und ja – da hört man dann doch ein wenig It’s a Man’s World raus …) Und selbstverständlich ist alles messerscharf gespielt und aufgenommen.

    Ich habe damals Maceo ein paarmal live gesehen – unsterbliche Bläser-Frontlinie mit Maceo, Pee Wee Ellis und Fred Wesley, mehr souveräne und würdige Bühnenpräsenz ging nicht, zu dritt machten sie aus dem Bläsersatz stellenweise sowas wie einen dreistimmigen Leadgesang, indem sie zum Beispiel „Let’s get it on“ als Instrumental spielten; unglaubliche Phrasierungsfeinheiten, Soul-„Gesang“ at its deepest aus drei Kannen … Unvergesslich. Es gibt auch einen schönen Film aus der Zeit,“My First Name Is Maceo“, Interviews und Konzertszenen (auch mit „Let’s get it on“, angereichert mit einer absurd guten Gesangseinlage des Bassisten, der mal eben kurz vortritt, die Sterne vom Himmel singt und wieder in die zweite Reihe schlendert). Tatsächlich, wenngleich stellenweise auch qualmend funky, viel mehr als nur ein JB-Ablegerprojekt und, genau wie Du schreibst, „Traditionspflege im besten Sinne“.

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    Highlights von Rolling-Stone.de
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    #10383527  | PERMALINK

    friedrich

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    bullschuetz
    Ich habe damals Maceo ein paarmal live gesehen – unsterbliche Bläser-Frontlinie mit Maceo, Pee Wee Ellis und Fred Wesley, mehr souveräne und würdige Bühnenpräsenz ging nicht, zu dritt machten sie aus dem Bläsersatz stellenweise sowas wie einen dreistimmigen Leadgesang, indem sie zum Beispiel „Let’s get it on“ als Instrumental spielten; unglaubliche Phrasierungsfeinheiten, Soul-„Gesang“ at its deepest aus drei Kannen … Unvergesslich. Es gibt auch einen schönen Film aus der Zeit,“My First Name Is Maceo“, Interviews und Konzertszenen (auch mit „Let’s get it on“, angereichert mit einer absurd guten Gesangseinlage des Bassisten, der mal eben kurz vortritt, die Sterne vom Himmel singt und wieder in die zweite Reihe schlendert). Tatsächlich, wenngleich stellenweise auch qualmend funky, viel mehr als nur ein JB-Ablegerprojekt und, genau wie Du schreibst, „Traditionspflege im besten Sinne“.

    In den 90ern habe ich auch ein-zwei mal Maceo, Pee Wee und Fred live gesehen, im Berliner Quasimodo, eigentlich ein Kellerloch mit niedriger Decke und teils schlechter Sicht. Aber man hatte das Gefühl den Musikern unterm Hemd zu kleben, der Club kochte, am Ende war jeder durchgeschwitzt und man sah nur noch glückliche Gesichter. Deiner Schilderung ist nichts hinzuzufügen. Ein tolles Erlebnis!

    Hier ein Review eines späteren Auftritts. Und hier der von Dir erwähnte Film My First Name Is Maceo.

    Edit: Ich habe den Film inzwischen mal quergesehen. Offenbar sehr interessant. Let’s Get It On ab 58:45 min. Hallelujah!

    Wo ist das aufgenommen? Fabrik in Hamburg?

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10390617  | PERMALINK

    friedrich

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    James Brown – Godfather Of Soul (1986/1997/2014 …)

    Vol. 3: The American Dream – Aufstieg und Fall

    Ich möchte das hier noch zum Abschluss zu bringen. Die Erinnerung an JBs Autobiografie verblasst bei mir inzwischen etwas. Vielleicht ist das aber auch nicht so wichtig, denn die biografischen Fakten kann man auch woanders her holen – und vermutlich auch zuverlässiger als aus JBs Munde. Interessanter ist ja, wie sehr JB in seiner Autobiografie Propagandist in eigener Sache ist.

    Ich habe mir im Buch ein paar Stellen mit Eselsohren markiert, die mir besonders bezeichnend erscheinen. Vielleicht erwähne ich das eine oder andere einfach mal exemplarisch.

    Ende der 60er meldet sich bei JB das Finanzamt. JBs Reaktion: Nicht er schuldet dem Finanzamt was, das Finanzamt, bzw.: die Regierung schuldet ihm etwas, denn diese hat es unterlassen, bei ihm die entsprechenden Bildungsvoraussetzungen zu schaffen, dass er das Steuerrecht versteht. Außerdem hat die Regierung sowieso nie etwas für ihn getan, er fühlt sich also von ihr auch nicht repräsentiert.

    JB wird eine Vaterschaftsklage angehängt, die er zwar niederschlägt. Er unterstützt das Kind aber finanziell bis zu dessen 21. Lebensjahr. Das ist JB 6 Zeilen wert.

    1970 lässt ihn seine Band kurz vor einem Auftritt sitzen, es geht wohl um Geld. Das handelt JB in 7 Zeilen ab, ohne auf Details einzugehen. Eins ist aber klar: JB schmeißt die Band raus, nicht umgekhrt. Viel umfangreicher schildert er aber die umgehende erfolgreiche Rekrutierung einer neuen Band im Bootsy Collins. Und natürlich eilt er mit neuer Band weiter von Erfolg zu Erfolg. Warum Bootsy et al ihn nur ein gutes Jahr später wieder verlassen, bleibt etwas unscharf.

    So triumphal JBs Aufstieg ist, so traurig ist sein Niedergang. In den 70erm scheinen sich die Probleme für JBs Geschäft zu häufen: Nicht nur das Finanzamt sitzt ihm ständig im Nacken, die von ihm verachtete Disco-Musik und der Trend, nicht mehr zu einer Band sondern zu einem DJ zu tanzen, setzten ihm zu. Die black community nimmt JB seine Nähe zum Republikaner Richard Nixon übel. Aber am allerschlimmsten: Der Wechsel vom Indie King zum Major Polydor erweist sich für JB als unglücklich. JBs Arbeitsgewohnheiten sind offenbar nur schlecht mit dem Apparat von Polydor zu vereinbaren und JB verliert die Kontrolle über sein Geschäft. Fast schon wieder lustige Verschwörungstheorie: JB glaubt, er sei in einer internen Intrige bei Polydor zwischen Deutschen und Juden zerrieben worden. Überhaupt: JBs Erfolge hat er sich selbst erarbeitet, an JBs Misserfolgen sind andere Schuld.

    JBs Unternehmen wie Restaurants und Radiostationen gehen reihenweise pleite, auch der Lear Jet ist irgendwann weg. Seine damalige Ehefrau informiert sich über ihre materiellen Ansprüche im Scheidungsfall. JBs Platten will keiner mehr kaufen, JB und Polydor trennen sich 1981, JB tingelt als Oldie-Act durch die Clubs. Erst mit Auftritten in The Blues Brothers und Rocky erscheint JB wieder auf der Bildfläche und die Verehrung der Generation Hip Hop macht ihn wieder populär – zumindest als lebende Legende, deren Leistungen in der Vergangenheit man anerkennt. Weiß man ja alles.

    Klingt traurig – und ist hier auch sehr verkürzt dargestellt. Ich wiederhole mich: Anhand von JBs Autobografie bleibt dem Leser viel Spielraum für Interpretationen. Ebenso faszinierend wie erschreckend sind die offenbar extremen Gegensätze und Widersprüche des Phänomens James Brown: Die Herkunft aus existentieller Armut – demonstrativ zur Schau gestellter Reichtum; die Sehnsucht nach einer intakten Familie – ständig wechselnde private Beziehungen; göttergleiche Verehrung durch die black community – das Geraten in Vergessenheit, fast so, als sei er in Ungnade gefallen; totale Kontrolle über die Musik, die Band und das Geschäft – der Absturz in künstlerische, wirtschaftliche und legale Probleme an der Grenze zur Hilflosigkeit.

    Abbildung: Guy Peellaert / Nik Cohn: Soul Brother No. 1, with his private aeroplanes, in his silken robes, moving in a cloud of perfume and wealth; without rest, he travelled back and forth throughout his nation, like a sultan, like a healer, and everwhere that he moved, he dealt out largesse for the afflicted, joy for the sorrowing, rage for the faint at heart. (aus: Rock Dreams, 1973)

    Und all dem steht mindestens die erste Hälfte der 70er haufenweise großartiger Musik entgegen. Dazu später noch etwas.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10390837  | PERMALINK

    bullschuetz

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    Danke, interessant! Die Lakonie, mit der Ereignisse gestreift werden, die eigentlich ja doch eher existenziell gewesen sein müssten, frappiert. Verdraengung? Der Versuch, sich nicht zu ausführlich in Schwächephasen in die Karten schauen zu lassen? Oder authentisch ausgebreitete emotionale Unterbelichtung? Der Mann hatte was Verstörendes.

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    #10390861  | PERMALINK

    friedrich

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    bullschuetzDanke, interessant! Die Lakonie, mit der Ereignisse gestreift werden, die eigentlich ja doch eher existenziell gewesen sein müssten, frappiert. Verdraengung? Der Versuch, sich nicht zu ausführlich in Schwächephasen in die Karten schauen zu lassen? Oder authentisch ausgebreitete emotionale Unterbelichtung? Der Mann hatte was Verstörendes.

    Dank auch von mir an Dich für die Reaktion!

    Wie gesagt, was ich hier geschrieben habe, ist sehr bruchstückhaft und subjektiv gewichtet. Vielleicht könnte man JBs Autobiografie aber auch nur in Stichworten wiedergeben. Eigentlich macht JB selber auch nichts anderes, wobei unklar bleibt, wie realistisch seine Gewichtung der Ereignisse ist und in wie weit er selber überhaupt darüber reflektiert und was er dabei empfindet. Er war without rest, he travelled back and forth throughout his nation, like a sultan, like a healer, nur (Vorsicht: Sentimentale Interpretation!) sich selbst konnte er nicht heilen. Ich finde das ungeheuer faszinierend in seinem Glanz und seinem Elend.

    Emotionale Unterbelichtung? Das ist in dieser Deutlichkeit eine ganz schön harte Diagnose, wenngleich sich so ein Gedanke aufdrängen könnte. Vermutlich war JB ein Mann, der Gefühle und den Eindruck von Schwäche nur sehr schwer zulassen konnte. Und da müsste man wohl noch mal tiefer in seiner Biografie, vor allem in seiner Kindheit und Jugend mit einer Herkunft aus prekären Verhältnissen in der untersten Kaste der us-Gesellschaft forschen.

    Genaueres lese ich demnächst in der Biografie von R.J. Smith nach. Und – bevor hier ein falscher Eindruck entsteht – als Musiker und Künstler war und bleibt JB einzigartigst!

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10446135  | PERMALINK

    friedrich

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    Gestern war der 50. Todestag von Martin Luther King Jr. Ein Zufall, dass ich ausgerechnet heute was zu James Brown poste, einem anderen Helden von Black America?

    RJ Smith – The One – The Life And Music Of James Brown (2012)

    „Forget Elvis. Forget Bob Dylan. Forget The Beatles. The most important musician of the 20th century was James Brown.“

    So steht es im Klappentext von The One – The Life And Music Of James Brown von RJ Smith. Vielleicht muss man die üblichen mit JB verbundenen Superlative etwas relativieren. Bedenkt man aber, welchen Status Elvis, Dylan und die Beatles in der öffentlichen Wahrnehmung haben, und vergleicht das mit dem Status von JB, so kann man da eine deutliche Unwucht feststellen. Und JBs Bedeutung geht weit über den Bereich der Musik hinaus.

    Ich habe als notorischer in-der-U-Bahn und vor-dem-Einschlafen und daher langsamer Leser The One erst knapp 2/3 durch. Da das Buch nur auf Englisch erhältlich ist, wird die Lektüre nicht flüssiger. Vermutlich würde in einer Übersetzung aber auch vieles von RJ Smiths dichtem und bildhaften Stil verloren gehen. Wie übersetzt man allein schon den Titel mit seiner (mindestens) Doppelbedeutung ins Deutsche?

    Ich werde hier mal nach und nach ein paar Brocken meiner Eindrücke schildern.

    RJ Smith liefert nicht nur eine Biografie von JB, er liefert auch eine Geschichte von Black America. Und die fängt schon Jahrzehnte vor JB‘s Geburt an, mit Sklavenaufständen, mit der Bedeutung von Musik als Identifikationsobjekt und Kommuniktatonsmittel, mit der schwarzen – ja, ähhh … – Parallelgesellschaft im Süden der USA, mit dem Kampf um Respekt zwischen Rebellion, Segregation, Integration und Assimilation. Vielleicht stellt sich das ganz gut am Phänomen JB dar, mit allen Höhen und Tiefen, Irren und Wirren und Hauen und Stechen. JB hat die Rolle, die ihm von seiner Herkunft aus dem Bodensatz der Gesellschaft zugewiesen wurde, nicht akzeptiert, sondern wollte da raus, und zwar ganz weit nach oben. Nur wie? Denn da gab es keinen erkennbaren Weg. Nicht einmal das Ziel war klar.

    RJ Smith schildert den ganzen Weg aus der Armut und Unterdrückung, dem Kirchenchor, der Arbeit in diversen prekären Jobs, mit Einahmequellen, die mit dem bürgelichem Gesetzbuch nicht vereinbar sind, über das Gefängnis auf die Bühne in den chitlin circuit (chitlin wörtlich = Schweinedarm, nach dem Essen, das vor allem unter Schwarzen verbreitet war, weil es ihnen schon in der Sklaverei gegeben, das von Weißen aber als unrein empfunden wurde. Aber eigentlich bezeichnet chitlin circuit den Archipel schwarzer Clubs, der für Schwarze und nur für Schwarze zugänglich war), mit eisernem Willen und harter Arbeit bis ins ehrwürdige Apollo in New York, ins Radio und bis in landesweite Fernsehen. Letzteres ist für Smith einer der wichtigsten Momente in JBs Karriere, denn erst mit seinem Auftritt 1964 in der TAMI-Show wurde JB wirklich öffentlich sichtbar – und zwar auch für ein weißes Publikum. Da springt jemand mit eindeutig afrikanischer Physiognomie scheinbar wie besessen auf der Bühne umher, als sei ein Geist in ihn gefahren, ist dabei aber tiptop gekleidet und frisiert, wird von einer messerscharfen Band angetrieben und treibt damit das Publikum in den Wahnsinn, das gar nicht glauben kann, was gerade geschieht. Ein Blick in eine fremde Welt.

    Die Rolling Stones traten in der gleichen Show unmittelbar nach JB auf. Keine leichte Aufgabe. Sie wirken auch etwas bemüht und man hat Angst, dass sich Mick Jagger bei seinen offensichtlich ungeübten Tanzschritten, die Beine bricht. Aber so schlecht, wie manchmal kolportiert wird, sind sie nun beiweitem nicht.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10446141  | PERMALINK

    stormy-monday
    We Shall Overcome

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    Danke.

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    Contre la guerre ...and everybody’s shouting “Which Side Are You On?”
    #10462919  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    @stormy-mondayDanke.

    Gerne und ebenfalls danke! Weiteres folgt.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10466179  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

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    Und noch ein paar Fakten und Gedanken aus oder inspired by RJ Smiths The One.

    James Brown hatte natürlich Vorbilder. Seine Shows waren u.a. von Sweet Daddy Grace inspiriert, einem fahrenden Prediger, dessen Gottesdienste und Massentaufen spektakuläre Inszenierungen waren und der damit zu Ruhm und Reichtum kam. RJ Smith stellt fest, wie sehr JBs Shows solchen Gottesdiensten ähneln, mit JB als einem, in den ein heiliger Geist gefahren ist, der zusammenbricht und wieder aufersteht und dessen Gemeinde eine Kartharsis erlebt.

    Dann gab es den Boxer Beau Jack, einen schwarzen Leichtgewichts-Champion, der eine ähnliche Herkunft hatte wie JB und sich mit den Fäusten nach oben kämpfte. Angeblich hat JB, der sich auch mal als Boxer versuchte, sogar mal mit ihm trainiert. Wenn man will, kann man JB eine sogenannte Boxermentalität nachsagen: Aggressiv, mit Nehmerqualitäten, mit dem unbedingten Willen zum Erfolg und mit Alles oder Nichts.

    Und dann ist da noch Louis Jordan, The King of the Jukebox, der mit Swing und R&B inkl. akrobatischen Tanzeinlagen atemberaubenden Gesang und Saxofonspiel bei schwarz und weiß erfolgreich war. Den erwähnt RJ Smith eigenartigerweise nicht, obwohl JB Louis Jordans Hit Caledonia in seiner frühen Zeit im Programm hatte.

    Und die Pompadour-Frisur hat sich der JB bei Little Richard abgeguckt, mit dem er in freundschaftlicher Konkurrenz verbunden war und den er gelegentlich sogar bei Auftritten vertrat. Überhaupt – die Frisur: Für JB ganz wichtig! „When a man got hair and when he got teeth, he got everything!“ Gutes und gepflegtes Aussehen und gute Kleidung sind für JB ein Muss! Das hat viel mit Stolz zu tun, damit, etwas geschafft zu haben und sich was leisten zu können, inbesondere als Schwarzer im Süden der USA, wo das alles andere als selbstverständlich ist. Und vielleicht hat JB mit dem demonstrativen Zurschaustellen seines Wohlstands auch etwas überkompensiert.

    Wie muss es gewesen sein, in der Zeit vor dem civil rights act, der die Segregation 1964 zumindest offiziell beendete, als Black American in den Südstaaten gelebt zu haben? Mit „Bürger zweiter Klasse“ ist das wahrscheinlich nur verharmlosend beschrieben. Damals wurde Schwarzen Bildung, damit die Möglichkeit zu Wohlstand zu kommen, das Recht auf politische Mitbestimmung und der Beistand des von weißen kontrollierten Rechtssystems vorenthalten. Eigentlich waren Schwarze sowas wie die Paria des amerikanischen Kastensystems, denen die weiße Mehrheitsgesellschaft (oder sogar eine weiße Minderheit), ihren Platz zuwies, wenn nützlich, mit Gewalt. Fast noch weniger, denn ein Paria hat ja einen geschützten Status, aber einen Schwarzen konnte man, wenn er gegen die ungeschriebenen Regeln verstieß, auf der Straße erschlagen, ohne dass das irgendwie geahndet wurde.

    Was bedeutet das eigentlich für das Selbstverständnis von Black Americans? Nimmt man das hin, kommt man vielleicht ohne allzu viel Ärger durchs Leben, mit dem Preis in ständiger Demütigung zu leben. Nimmt man das nicht hin, bewahrt man seinen Stolz, verliert aber im ungünstigsten Fall sein Leben. Oder versucht man, sich den Weißen anzupassen und in deren Welt Anerkennung zu erlangen – mit dem Preis einen Teil der eigenen Identität aufzugeben. Ein Dilemma, bei dem es wohl unerlässlich ist, die sichtbaren und unsichtbaren Grenzen, an denen man sich entlang bewegt, genau zu kennen. Und was für eine Bedeutung haben dann geschützte Räume, wie Kirchen oder der chitlin circuit und die black community im Allgemeinen? Und was für eine Kultur bildet sich unter solchen Bedingungen?

    RJ Smith schreibt das so nicht explizit, aber man kann es herauslesen und er sieht auch JB in diesem Dilemma gefangen.

    Schaut und hört man sich den frühen JB an, wirkt das manchmal etwas bemüht und fast übertrieben respectable. Die Anzüge, die Frisuren, die Posen auf Promo-Fotos. Ein Schwarzer, der sich als Weißer verkleidet. Auch bei JBs Fernsehauftritt in der TAMI-Show, wirkt er ja mit seinem gemusterten Dreiteiler wie herausgeputzt – verhält sich aber ganz anders, wie ein Besessener. Es scheint keine Selbstverständlichkeit des eigenen Bildes von Black Americans in der Öffentlichkeit zu geben. Dahin ist es offenbar ein langer Weg.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10466571  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

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    Ich glaube, die Beobachtung zur Kleidung ist wichtig. Ich erinnere mich an eine Deutschlandtour Browns Mitte der 80er. Bekannte von mir waren schwer verstört von den weißen Hemden, schwarzen Anzügen und roten Schärpen auf der Bühne, auch von der straff organisierten und hierarchischen Anmutung, der Struktur von Herr und Diener im Verhältnis von Brown und seinem Ansager und seiner Band. Sie fanden das nicht cool, nicht gegenkulturell, nicht rebellisch, sondern reaktionaer, spiessbuergerlich, patriarchalisch. Aber das hat wohl mit grundstuerzend verschiedenen Lebenserfahrungen zu tun: Wer bürgerlich behütet aufwächst, findet Hippieklamotten cool, wer prekär, barfuß und in Fetzen aufwächst, für den ist „respectability“ ein emanzipatorischer Wert.

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    #10466609  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,141

    bullschuetzIch glaube, die Beobachtung zur Kleidung ist wichtig. Ich erinnere mich an eine Deutschlandtour Browns Mitte der 80er. Bekannte von mir waren schwer verstört von den weißen Hemden, schwarzen Anzügen und roten Schärpen auf der Bühne, auch von der straff organisierten und hierarchischen Anmutung, der Struktur von Herr und Diener im Verhältnis von Brown und seinem Ansager und seiner Band. Sie fanden das nicht cool, nicht gegenkulturell, nicht rebellisch, sondern reaktionaer, spiessbuergerlich, patriarchalisch. Aber das hat wohl mit grundstuerzend verschiedenen Lebenserfahrungen zu tun: Wer bürgerlich behütet aufwächst, findet Hippieklamotten cool, wer prekär, barfuß und in Fetzen aufwächst, für den ist „respectability“ ein emanzipatorischer Wert.

    Ja, genau!

    Niemals wäre JB mit Jeans oder unfrisierten Haaren in der Öffentlichkeit erschienen! Bei ihm galt ein ganz anderer dress code. JB führte auch gegenüber seinen Musikern ein rigoroses Regime mit Bestrafungen, wenn z.B. die Schuhe nicht poliert waren. Er war ein autoritärer Patriarch, der sich durchsetzen wollte. Seine Band war keine Kommune mit flachen Hierarchien oder so. Und: JB war Kapitalist. Kein Linker oder so, was man als in bürgerlichen Verhältnissen Aufgewachsener gern mit Popkultur assoziiert. Er wollte einen Black Capitalism, den er selbst als Geschäftsmann praktizierte – mehr oder weniger erfolgreich. Viele seiner business gingen Pleite (Radiostationen, Restaurants), nicht zuletzt deswegen, weil JB meinte, alles selber kontrollieren zu müssen, ihm aber jegliches betriebswirtschaftliche Wissen fehlte. Steuern zahlen? Wieso? Möglicherweise hatte JB nicht mal ein Bankkonto, stattdessen trug er das Geld in bar mit sich rum oder vergrub es im Garten.

    Aber für ihn zählte der Wille und der Versuch, es zu schaffen. Dass nicht alles geklappt hat – dumm gelaufen. Als Black American sah er sich da aber als Pionier und Vorbild. Edit: Das war JBs Interpretation von Black Power.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #10477965  | PERMALINK

    friedrich

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    Fakten und Gedanken aus oder inspired by RJ Smiths The One – Vol. II

    Was bedeuten bürgerliche Werte für einen, der in der great depression geboren wurde, bei seiner Tante aufwuchs, die ein Etablissement betrieb, in dem auch moonshine whisky gereicht wurde, und für das er schon als Kind als Laufbursche und Animateur arbeitete, und der aufgrund seiner Herkunft nicht zur bürgerlichen Gesellschaft gehört – allein schon, weil er schwarz ist? Der in der Zeit der Segregation aufwuchs, die mit Gewalt aufrechterhalten wurde.

    Wie stellt man sich zu den Weißen, die das Geld und die Macht haben und die Regeln machen? JB sucht immer wieder den Kontakt zu den Mächtigen. Das ist schon alleine daher nötig, weil die Plattenfirmen, Radiostationen und Clubs im Besitz von Weißen sind. JBs Label King Records gehört Syd Nathan, einem autoritär, aggressiv und cholerisch auftretenden Patriarchen, sein Manager Ben Bart ist eine alter Hase im show business.

    Aber JB will auch in der Politik mitmischen. Das allergrößte ist, dass er im Weißen Haus beim Demokraten Lyndon B. Johnson zu Gast ist, er unterstützt Vize-President Hubert Humphrey bei dessen Präsidentschaftswahlkampagne, wenig später aber den Repubklikaner Richard Nixon, was bei der black community auf Unverständnis trifft. Den streitbaren Politker Strom Thurmond, einen erzkonservativen Verfechter der Rassentrennung zählt er sogar zu seinen Freunden. JB gibt sich 1968 im Song „America Is My Home“ als Patriot, der das Land liebt, in dem er es vom Schuhputzer bis ins Weiße Haus gebracht hat – ohne jedoch zu erwähnen, dass genau dieses Land ihm eigentlich die Rolle des Schuhputzers zugedacht hat. Er befürwortet den Vietnamkriegs und tritt vor amerikanischen Truppen auf, während gleichzeitig z.B. Martin Luther King sich dagegen ausspricht und Muhammad Ali sogar den Wehrdienst verweigert. Btw: Auch MLK zögert lange mit öffentlichem Protest gegen den Vietnamkrieg, um es sich nicht mit dem ihm wohlgesonnenen Präsidenten Johnson zu verderben. Dann wiederum veröffentlicht JB den Song „Say It Loud, I‘m Black and I‘m Proud“, der die Zeile „We rather die on our feet than keep livin‘ on our knees“ enthält – und das in dem Jahr, in dem es in den USA bürgerkriegsähnliche Rassenunruhen gibt. In seinen shows spielt er den Song aber nur ein paar mal – denn es sind ja auch Weiße im Publikum, die den Refrain nicht mitsingen. Die Black Panthers fordern ihn auf, die weißen Musiker seiner Band zu feuern, dies lehnt JB aber klar ab.

    Am Tag nach der Ermordung von Martin Luther King vereinbart JB mit dem Bürgermeister von Boston, dass sein dort angesetztes Konzert nicht nur stattfindet, sondern auch live im Fernsehen übertragen wird. So will man verhindern, das die African-Americans auf die Straße gehen und es zu Ausschreitungen kommt. Der Plan geht in Boston sogar auf, während es in anderen Städten zu riots kommt. Als Fans die Bühne stürmen und weiße Polizisten schon handgreiflich werden, schreitet JB ein, appelliert an die gemeinsame blackness und gegenseitigen respect („We are black! (…) Respect from my own people!“) und deeskaliert so die Situation. In seiner community ist er eine Autorität. Für Minuten hält eine ganze Stadt den Atem an. Das hätte auch anders ausgehen können. JB lässt sich aber danach die ihm durch nicht verkaufte Tickets entgangenen Einnahmen von der Stadt Boston ersetzen.

    Ein ständiges Mauscheln und Paktieren mit der einen oder der anderen Seite, je nachdem wo man meint, einen Erfolg für sich selbst oder die Sache der Black Americans erringen zu können, so wie JB sie versteht, ohne es sich mit der jeweils anderen Seite zu verderben. Die Zwickmühle ist: Je mehr man sich auf die Regeln des weißen Establishments einlässt, desto mehr gibt man Teile der eigenen Identität auf. Je stärker man auf der eigenen Identität beharrt, desto weniger kann man da oben mitmischen. Mir ging durch den Kopf: Wesentlicher Teil der afro-amerikanischen Identität ist ja gerade, dass man in der Minderheit ist und dass man einen sozialen Sonderstatus am unteren Ende der Skala einnimmt. Eine Parallelgesellschaft in einem Kastensystem. Ein African-American, der in der Welt der Weißen Erfolg hat, geht das überhaupt? RJ Smith erwähnt zwar nur ein einziges mal den Begriff „Oreo-Keks“, also diesen Doppelkeks, der außen schwarz und innen weiß ist. Aber dieses Dilemma lässt sich aus seinem Buch auch so gut herauslesen.

    JBs Ambitionen als Unternehmer, als Besitzer von Restaurants und Radiostationen, sind Versuche, sozusagen als Eigentümer der Produktionsmittel als Black American wirtschaftliche Unabhängikeit und Macht zu erlangen. Da sieht sich JB explizit als Vorbild. „Seht her: Als Kind habe ich vor der Tür dieses Radiosenders Schuhe geputzt. Jetzt bin ich Besitzer des Radiosenders.“ Das ist seine Vorstellung von Black Power. JB beschwört den Amerikanischen Traum, dass jeder es vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen kann. Dass er als Unternehmer am Ende scheitert, ist eine andere Sache. Wichtig ist, er hat es versucht.

    Wenn JB in seiner Autobiografie schreibt, nicht er schulde dem Staat Steuern, sondern umgekehrt der Staat schulde ihm etwas, unter anderem eine gute Schulbildung, dann klingt das zunächst etwas schlicht und trotzig – aber ganz verkehrt ist das nicht.

    Vieles von JBs in sich widersprüchlichen Person lässt sich nur verstehen, wenn man die widersprüchliche Umgebung kennt, in der er lebte.

    Der Soundtrack dazu ist natürlich die hier schon mehrfach erwähnte 2 CD-Compilation Foundations Of Funk – A Brand New Bag: 1964-1969. Must have!

    Und da stelle ich fest, dass ich jetzt zur Musik gar nichts geschieben habe. Zu dem Druck, der dahinter ist, der Dynamik und dem Selbstvertrauen, das daraus spricht. Die blackness. Doch das versteht man vielleicht auch ohne Worte. Aber der Kontext, in dem diese Musik entstand, der ist halt schon wichtig.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
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    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,141

    Fakten und Gedanken aus oder inspired by RJ Smiths The One – Vol. III of IV

    Ich möchte noch gerne was zu meinen Gedanken zu JB schreiben. Die JB-Biografie von RJ Smith hat mich sehr beeindruckt. Viele Details habe ich schon wieder vergessen, aber vieles bleibt auch hängen. Vielleicht liest ja der/die eine oder andere mit und wird dadurch angeregt.

    Narzistisch, egomanisch, workoholic, einerseits kontrollsüchtig, andererseits unberechenbar gewalttätig. Politscher aktiv und ausbeuterisch. Das sind ur ein paar Eigenschaften von JB. Er lässt sich drei mal am Tag die Haare machen, einmal morgens, einmal vor der show und einmal danach. JB ist Soulbrother No. 1, aber eigentlich ist kein Superlativ groß genug für ihn. JB tritt hunderte Male im Jahr auf und veröffentlicht im gleichen Zeitraum mehrere Alben und unzählige Singles. Er verhängt Geldstrafen gegenüber seinen Musikern, wenn ihre Schuhe nicht geputzt sind oder sie sich verspielen. JB schlägt Frauen teils grün und blau und setzt ungezählte uneheliche Kinder in die Welt. JB spricht mit Politkern, setzt sich für Bildungsprogramme ein und verteilt zu Thanksgiving Truthähne an Bedürftige, seine Musiker hält er jedoch kurz. JB ist ein gerade mal passabler Organist und Schlagzeuger und auch nicht mit der schönsten aller Stimmen ausgestattet. Und – JB ein genialer Bandleader und charismatischer Showman, eine Rampensau wie nur was, ehrgeizig, zielstrebig, fleißig, erfolgreich, wohlhabend, von schwarz und weiß respektiert. JB ist eine Identifilationsfigur und ein Vorbild. An american icon.

    RJ Smith lässt in The One auch eine Stimme zu Wort kommen, die sagt, dass das Gefängnis, in dem JB als junger Mann saß, JB gemacht hat. Zum einen wurde ihm dadurch klar, dass Kriminalität keine erfolgversprechende Alternative zur Existenz als Schuhputzer ist, zum anderen lernte er im Knast Disziplin. Wegen Raubes wurde er zu sage-und-schreibe 8 Jahren verurteilt (so weit ich mich erinnere), was ja wohl sein späteres Leben vorbestimmt hätte – wäre er nicht wegen guter Fühung und auf Bewährung nach drei Jahren entlassen worden und hätte er danach nicht konsequent und eisern an seiner Karriere als Musiker gearbeitet.

    Es gehört ja fast schon zur Folklore, dass JBs Band ihn 1970 im Streit über schlechte und / oder unregelmäßige Bezahlung und seinen autoritären Führungsstil mehrheitlich sitzen ließ. U.a. gehen die Bläser Maceo Parker und Pee Wee Ellis. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das tatsächlich am Tag eines angesetzten Auftritts geschah oder einen Tag davor. Sicher war das aber sehr kurzfristig. Doch JB wäre nicht JB, wenn er sich von anderen Menschen Bedingungen diktieren ließe und lässt kurzentschlossen einfach eine andere Band mit seinem Privatjet einfliegen, The Pacemakers aus Cincinnatti, der Stadt seines Labels King Records. Die Band um die Gebrüder Collins kennt zwar JBs Musik, hat aber noch nie mit ihm gespielt. Dennoch tritt er mehr oder weniger ungeprobt mit ihnen auf. Die ersten gemeinsamen Auftitte sind offenbar grausam, aber das nimmt JB in Kauf. Und schon nach kurzer Zeit spielt die Band so tight, dass er mit ihr den späteren Gassenhauer Sex Machine und das gleichnamige, heute klassische semi-Live-Album (weil overgedubbed und zusamengebastelt) aufnimmt und auch durch Europa tourt.

    Unter der Führung von JB läuft auch diese Band zu großer Form auf. JB hat offenbar ein Händchen für die richtigen Leute und die Fähigkeit das Beste aus ihnen rauszuholen. Man hört jedoch schon, dass das eine andere Band ist als die alte. Der Sound ist härter, stampfender und die Abwesenheit des alten Bläsersatzes, insbesondere das Solisten Maceo Parker, hört man heraus, auch wenn Fred Wesley nach wie vor dabei ist. Auf dem Live-Album Love Power Peace (Paris 1971), das aber erst 1992 veröffentlicht wird, ist das deutlich zu hören: Das brettert schon ganz schön, sehr dicht und intensiv und in dieser hohen Dosis auf Tonträger und in den eigenen vier Wänden nur schwer zu ertragen.

    Die hervorragende Compilation A Brand New Thang fängt die Höhepunkte des Jahres 1970 mit der Band um Bootsy Collins ein.

    Eine andere tolle Platte mit trx von 1969-72 – also kurz vor, während und nach Bootsy – ist natürlich In The Jungle Groove. u.a. mit dem trk Funky Drummer und dem berühmten drum break. Another must have!

    Aberwitzig, wie viel Material JB allein im Jahr 1970 produziert hat – und die erwähnten Alben präsentieren gerade mal die Höhepunkte. Nicht mal ein Jahr später haben Bootsy und die anderen aber auch schon wieder die Schnauze voll und gehen oder werden gegangen. Es war wohl auch ein Verstoß gegen JBs stricktes Drogenverbot im Dienst mit im Spiel. Und – Hoppla! – die alte Band kommt zurück. Was und wie da nachverhandelt wurde, ist leider nicht bekannt.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
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    gipetto
    Funk 'n' Punk

    Registriert seit: 04.02.2015

    Beiträge: 13,637

    Habe die Star Time-Box mal wieder ausgegraben und schwebe seither wieder im Groovehimmel auf Funkwolke 7.

    Zur Frage: Lohnt es sich für Liebhaber dieser Box, auch noch Foundations Of Funk, Funk Power und evtl. noch The Big Payback anzuschaffen? Es gibt ja doch einige Überschneidungen, wenn auch zumeist in anderen Versionen. Und wären diese drei Kompis im Verbund der Star Time-Box auf die Musik bezogen qualitativ vorzuziehen?

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    "Really good music isn't just to be heard, you know. It's almost like a hallucination." (Iggy Pop)
    #10505283  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,141

    gipettoHabe die Star Time-Box mal wieder ausgegraben und schwebe seither wieder im Groovehimmel auf Funkwolke 7.
    Zur Frage: Lohnt es sich für Liebhaber dieser Box, auch noch Foundations Of Funk, Funk Power und evtl. noch The Big Payback anzuschaffen? Es gibt ja doch einige Überschneidungen, wenn auch zumeist in anderen Versionen. Und wären diese drei Kompis im Verbund der Star Time-Box auf die Musik bezogen qualitativ vorzuziehen?

    Hallo @gipetto,

    freut mich, dass Dich der Funk gepackt hat! Zu Deiner Frage: Schwer zu beantworten, da ich Star Time nicht kenne. Ich habe mal kurz die track list angeschaut und denke, dass man mit dieser Box ganz gut fährt. Zwischen Star Time und den erwähnten 3 Compis gibt es Überschneidungen, aber keine durchgehende Übereinstimmung. Was mir auf Star Time fehlen würde, ist das unverzichtbare Ain’t It Funky Now (über das hier diskutiert wurde) und z.B. die lange Version von Sex Machine. Diese groove monster von JB kommen erst richtig zur Geltung, wenn sie über die volle Distanz gehen. Auch das tolle Hot Pants ist nur als edit vorhanden. Insofern behaupte ich, dass sich die 3 Compis lohnen, zumal Du sie billig kriegen kannst. Ich persönlich würde die 3 Compis der Star Time-Box wahrscheinlich vorziehen, auch wenn ich dann wiederum auf einige Stücke verzichten müsste.

    Was sagt Brown-ologe @gypsy-tail-wind dazu?

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
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