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Gestern war der 50. Todestag von Martin Luther King Jr. Ein Zufall, dass ich ausgerechnet heute was zu James Brown poste, einem anderen Helden von Black America?
RJ Smith – The One – The Life And Music Of James Brown (2012)
„Forget Elvis. Forget Bob Dylan. Forget The Beatles. The most important musician of the 20th century was James Brown.“
So steht es im Klappentext von The One – The Life And Music Of James Brown von RJ Smith. Vielleicht muss man die üblichen mit JB verbundenen Superlative etwas relativieren. Bedenkt man aber, welchen Status Elvis, Dylan und die Beatles in der öffentlichen Wahrnehmung haben, und vergleicht das mit dem Status von JB, so kann man da eine deutliche Unwucht feststellen. Und JBs Bedeutung geht weit über den Bereich der Musik hinaus.
Ich habe als notorischer in-der-U-Bahn und vor-dem-Einschlafen und daher langsamer Leser The One erst knapp 2/3 durch. Da das Buch nur auf Englisch erhältlich ist, wird die Lektüre nicht flüssiger. Vermutlich würde in einer Übersetzung aber auch vieles von RJ Smiths dichtem und bildhaften Stil verloren gehen. Wie übersetzt man allein schon den Titel mit seiner (mindestens) Doppelbedeutung ins Deutsche?
Ich werde hier mal nach und nach ein paar Brocken meiner Eindrücke schildern.
RJ Smith liefert nicht nur eine Biografie von JB, er liefert auch eine Geschichte von Black America. Und die fängt schon Jahrzehnte vor JB‘s Geburt an, mit Sklavenaufständen, mit der Bedeutung von Musik als Identifikationsobjekt und Kommuniktatonsmittel, mit der schwarzen – ja, ähhh … – Parallelgesellschaft im Süden der USA, mit dem Kampf um Respekt zwischen Rebellion, Segregation, Integration und Assimilation. Vielleicht stellt sich das ganz gut am Phänomen JB dar, mit allen Höhen und Tiefen, Irren und Wirren und Hauen und Stechen. JB hat die Rolle, die ihm von seiner Herkunft aus dem Bodensatz der Gesellschaft zugewiesen wurde, nicht akzeptiert, sondern wollte da raus, und zwar ganz weit nach oben. Nur wie? Denn da gab es keinen erkennbaren Weg. Nicht einmal das Ziel war klar.
RJ Smith schildert den ganzen Weg aus der Armut und Unterdrückung, dem Kirchenchor, der Arbeit in diversen prekären Jobs, mit Einahmequellen, die mit dem bürgelichem Gesetzbuch nicht vereinbar sind, über das Gefängnis auf die Bühne in den chitlin circuit (chitlin wörtlich = Schweinedarm, nach dem Essen, das vor allem unter Schwarzen verbreitet war, weil es ihnen schon in der Sklaverei gegeben, das von Weißen aber als unrein empfunden wurde. Aber eigentlich bezeichnet chitlin circuit den Archipel schwarzer Clubs, der für Schwarze und nur für Schwarze zugänglich war), mit eisernem Willen und harter Arbeit bis ins ehrwürdige Apollo in New York, ins Radio und bis in landesweite Fernsehen. Letzteres ist für Smith einer der wichtigsten Momente in JBs Karriere, denn erst mit seinem Auftritt 1964 in der TAMI-Show wurde JB wirklich öffentlich sichtbar – und zwar auch für ein weißes Publikum. Da springt jemand mit eindeutig afrikanischer Physiognomie scheinbar wie besessen auf der Bühne umher, als sei ein Geist in ihn gefahren, ist dabei aber tiptop gekleidet und frisiert, wird von einer messerscharfen Band angetrieben und treibt damit das Publikum in den Wahnsinn, das gar nicht glauben kann, was gerade geschieht. Ein Blick in eine fremde Welt.
Die Rolling Stones traten in der gleichen Show unmittelbar nach JB auf. Keine leichte Aufgabe. Sie wirken auch etwas bemüht und man hat Angst, dass sich Mick Jagger bei seinen offensichtlich ungeübten Tanzschritten, die Beine bricht. Aber so schlecht, wie manchmal kolportiert wird, sind sie nun beiweitem nicht.
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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)