Antwort auf: James Brown

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friedrich

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Und noch ein paar Fakten und Gedanken aus oder inspired by RJ Smiths The One.

James Brown hatte natürlich Vorbilder. Seine Shows waren u.a. von Sweet Daddy Grace inspiriert, einem fahrenden Prediger, dessen Gottesdienste und Massentaufen spektakuläre Inszenierungen waren und der damit zu Ruhm und Reichtum kam. RJ Smith stellt fest, wie sehr JBs Shows solchen Gottesdiensten ähneln, mit JB als einem, in den ein heiliger Geist gefahren ist, der zusammenbricht und wieder aufersteht und dessen Gemeinde eine Kartharsis erlebt.

Dann gab es den Boxer Beau Jack, einen schwarzen Leichtgewichts-Champion, der eine ähnliche Herkunft hatte wie JB und sich mit den Fäusten nach oben kämpfte. Angeblich hat JB, der sich auch mal als Boxer versuchte, sogar mal mit ihm trainiert. Wenn man will, kann man JB eine sogenannte Boxermentalität nachsagen: Aggressiv, mit Nehmerqualitäten, mit dem unbedingten Willen zum Erfolg und mit Alles oder Nichts.

Und dann ist da noch Louis Jordan, The King of the Jukebox, der mit Swing und R&B inkl. akrobatischen Tanzeinlagen atemberaubenden Gesang und Saxofonspiel bei schwarz und weiß erfolgreich war. Den erwähnt RJ Smith eigenartigerweise nicht, obwohl JB Louis Jordans Hit Caledonia in seiner frühen Zeit im Programm hatte.

Und die Pompadour-Frisur hat sich der JB bei Little Richard abgeguckt, mit dem er in freundschaftlicher Konkurrenz verbunden war und den er gelegentlich sogar bei Auftritten vertrat. Überhaupt – die Frisur: Für JB ganz wichtig! „When a man got hair and when he got teeth, he got everything!“ Gutes und gepflegtes Aussehen und gute Kleidung sind für JB ein Muss! Das hat viel mit Stolz zu tun, damit, etwas geschafft zu haben und sich was leisten zu können, inbesondere als Schwarzer im Süden der USA, wo das alles andere als selbstverständlich ist. Und vielleicht hat JB mit dem demonstrativen Zurschaustellen seines Wohlstands auch etwas überkompensiert.

Wie muss es gewesen sein, in der Zeit vor dem civil rights act, der die Segregation 1964 zumindest offiziell beendete, als Black American in den Südstaaten gelebt zu haben? Mit „Bürger zweiter Klasse“ ist das wahrscheinlich nur verharmlosend beschrieben. Damals wurde Schwarzen Bildung, damit die Möglichkeit zu Wohlstand zu kommen, das Recht auf politische Mitbestimmung und der Beistand des von weißen kontrollierten Rechtssystems vorenthalten. Eigentlich waren Schwarze sowas wie die Paria des amerikanischen Kastensystems, denen die weiße Mehrheitsgesellschaft (oder sogar eine weiße Minderheit), ihren Platz zuwies, wenn nützlich, mit Gewalt. Fast noch weniger, denn ein Paria hat ja einen geschützten Status, aber einen Schwarzen konnte man, wenn er gegen die ungeschriebenen Regeln verstieß, auf der Straße erschlagen, ohne dass das irgendwie geahndet wurde.

Was bedeutet das eigentlich für das Selbstverständnis von Black Americans? Nimmt man das hin, kommt man vielleicht ohne allzu viel Ärger durchs Leben, mit dem Preis in ständiger Demütigung zu leben. Nimmt man das nicht hin, bewahrt man seinen Stolz, verliert aber im ungünstigsten Fall sein Leben. Oder versucht man, sich den Weißen anzupassen und in deren Welt Anerkennung zu erlangen – mit dem Preis einen Teil der eigenen Identität aufzugeben. Ein Dilemma, bei dem es wohl unerlässlich ist, die sichtbaren und unsichtbaren Grenzen, an denen man sich entlang bewegt, genau zu kennen. Und was für eine Bedeutung haben dann geschützte Räume, wie Kirchen oder der chitlin circuit und die black community im Allgemeinen? Und was für eine Kultur bildet sich unter solchen Bedingungen?

RJ Smith schreibt das so nicht explizit, aber man kann es herauslesen und er sieht auch JB in diesem Dilemma gefangen.

Schaut und hört man sich den frühen JB an, wirkt das manchmal etwas bemüht und fast übertrieben respectable. Die Anzüge, die Frisuren, die Posen auf Promo-Fotos. Ein Schwarzer, der sich als Weißer verkleidet. Auch bei JBs Fernsehauftritt in der TAMI-Show, wirkt er ja mit seinem gemusterten Dreiteiler wie herausgeputzt – verhält sich aber ganz anders, wie ein Besessener. Es scheint keine Selbstverständlichkeit des eigenen Bildes von Black Americans in der Öffentlichkeit zu geben. Dahin ist es offenbar ein langer Weg.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)