Antwort auf: James Brown

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friedrich

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Fakten und Gedanken aus oder inspired by RJ Smiths The One – Vol. II

Was bedeuten bürgerliche Werte für einen, der in der great depression geboren wurde, bei seiner Tante aufwuchs, die ein Etablissement betrieb, in dem auch moonshine whisky gereicht wurde, und für das er schon als Kind als Laufbursche und Animateur arbeitete, und der aufgrund seiner Herkunft nicht zur bürgerlichen Gesellschaft gehört – allein schon, weil er schwarz ist? Der in der Zeit der Segregation aufwuchs, die mit Gewalt aufrechterhalten wurde.

Wie stellt man sich zu den Weißen, die das Geld und die Macht haben und die Regeln machen? JB sucht immer wieder den Kontakt zu den Mächtigen. Das ist schon alleine daher nötig, weil die Plattenfirmen, Radiostationen und Clubs im Besitz von Weißen sind. JBs Label King Records gehört Syd Nathan, einem autoritär, aggressiv und cholerisch auftretenden Patriarchen, sein Manager Ben Bart ist eine alter Hase im show business.

Aber JB will auch in der Politik mitmischen. Das allergrößte ist, dass er im Weißen Haus beim Demokraten Lyndon B. Johnson zu Gast ist, er unterstützt Vize-President Hubert Humphrey bei dessen Präsidentschaftswahlkampagne, wenig später aber den Repubklikaner Richard Nixon, was bei der black community auf Unverständnis trifft. Den streitbaren Politker Strom Thurmond, einen erzkonservativen Verfechter der Rassentrennung zählt er sogar zu seinen Freunden. JB gibt sich 1968 im Song „America Is My Home“ als Patriot, der das Land liebt, in dem er es vom Schuhputzer bis ins Weiße Haus gebracht hat – ohne jedoch zu erwähnen, dass genau dieses Land ihm eigentlich die Rolle des Schuhputzers zugedacht hat. Er befürwortet den Vietnamkriegs und tritt vor amerikanischen Truppen auf, während gleichzeitig z.B. Martin Luther King sich dagegen ausspricht und Muhammad Ali sogar den Wehrdienst verweigert. Btw: Auch MLK zögert lange mit öffentlichem Protest gegen den Vietnamkrieg, um es sich nicht mit dem ihm wohlgesonnenen Präsidenten Johnson zu verderben. Dann wiederum veröffentlicht JB den Song „Say It Loud, I‘m Black and I‘m Proud“, der die Zeile „We rather die on our feet than keep livin‘ on our knees“ enthält – und das in dem Jahr, in dem es in den USA bürgerkriegsähnliche Rassenunruhen gibt. In seinen shows spielt er den Song aber nur ein paar mal – denn es sind ja auch Weiße im Publikum, die den Refrain nicht mitsingen. Die Black Panthers fordern ihn auf, die weißen Musiker seiner Band zu feuern, dies lehnt JB aber klar ab.

Am Tag nach der Ermordung von Martin Luther King vereinbart JB mit dem Bürgermeister von Boston, dass sein dort angesetztes Konzert nicht nur stattfindet, sondern auch live im Fernsehen übertragen wird. So will man verhindern, das die African-Americans auf die Straße gehen und es zu Ausschreitungen kommt. Der Plan geht in Boston sogar auf, während es in anderen Städten zu riots kommt. Als Fans die Bühne stürmen und weiße Polizisten schon handgreiflich werden, schreitet JB ein, appelliert an die gemeinsame blackness und gegenseitigen respect („We are black! (…) Respect from my own people!“) und deeskaliert so die Situation. In seiner community ist er eine Autorität. Für Minuten hält eine ganze Stadt den Atem an. Das hätte auch anders ausgehen können. JB lässt sich aber danach die ihm durch nicht verkaufte Tickets entgangenen Einnahmen von der Stadt Boston ersetzen.

Ein ständiges Mauscheln und Paktieren mit der einen oder der anderen Seite, je nachdem wo man meint, einen Erfolg für sich selbst oder die Sache der Black Americans erringen zu können, so wie JB sie versteht, ohne es sich mit der jeweils anderen Seite zu verderben. Die Zwickmühle ist: Je mehr man sich auf die Regeln des weißen Establishments einlässt, desto mehr gibt man Teile der eigenen Identität auf. Je stärker man auf der eigenen Identität beharrt, desto weniger kann man da oben mitmischen. Mir ging durch den Kopf: Wesentlicher Teil der afro-amerikanischen Identität ist ja gerade, dass man in der Minderheit ist und dass man einen sozialen Sonderstatus am unteren Ende der Skala einnimmt. Eine Parallelgesellschaft in einem Kastensystem. Ein African-American, der in der Welt der Weißen Erfolg hat, geht das überhaupt? RJ Smith erwähnt zwar nur ein einziges mal den Begriff „Oreo-Keks“, also diesen Doppelkeks, der außen schwarz und innen weiß ist. Aber dieses Dilemma lässt sich aus seinem Buch auch so gut herauslesen.

JBs Ambitionen als Unternehmer, als Besitzer von Restaurants und Radiostationen, sind Versuche, sozusagen als Eigentümer der Produktionsmittel als Black American wirtschaftliche Unabhängikeit und Macht zu erlangen. Da sieht sich JB explizit als Vorbild. „Seht her: Als Kind habe ich vor der Tür dieses Radiosenders Schuhe geputzt. Jetzt bin ich Besitzer des Radiosenders.“ Das ist seine Vorstellung von Black Power. JB beschwört den Amerikanischen Traum, dass jeder es vom Tellerwäscher zum Millionär schaffen kann. Dass er als Unternehmer am Ende scheitert, ist eine andere Sache. Wichtig ist, er hat es versucht.

Wenn JB in seiner Autobiografie schreibt, nicht er schulde dem Staat Steuern, sondern umgekehrt der Staat schulde ihm etwas, unter anderem eine gute Schulbildung, dann klingt das zunächst etwas schlicht und trotzig – aber ganz verkehrt ist das nicht.

Vieles von JBs in sich widersprüchlichen Person lässt sich nur verstehen, wenn man die widersprüchliche Umgebung kennt, in der er lebte.

Der Soundtrack dazu ist natürlich die hier schon mehrfach erwähnte 2 CD-Compilation Foundations Of Funk – A Brand New Bag: 1964-1969. Must have!

Und da stelle ich fest, dass ich jetzt zur Musik gar nichts geschieben habe. Zu dem Druck, der dahinter ist, der Dynamik und dem Selbstvertrauen, das daraus spricht. Die blackness. Doch das versteht man vielleicht auch ohne Worte. Aber der Kontext, in dem diese Musik entstand, der ist halt schon wichtig.

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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)