Antwort auf: James Brown

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friedrich

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Fakten und Gedanken aus oder inspired by RJ Smiths The One – Vol. III of IV

Ich möchte noch gerne was zu meinen Gedanken zu JB schreiben. Die JB-Biografie von RJ Smith hat mich sehr beeindruckt. Viele Details habe ich schon wieder vergessen, aber vieles bleibt auch hängen. Vielleicht liest ja der/die eine oder andere mit und wird dadurch angeregt.

Narzistisch, egomanisch, workoholic, einerseits kontrollsüchtig, andererseits unberechenbar gewalttätig. Politscher aktiv und ausbeuterisch. Das sind ur ein paar Eigenschaften von JB. Er lässt sich drei mal am Tag die Haare machen, einmal morgens, einmal vor der show und einmal danach. JB ist Soulbrother No. 1, aber eigentlich ist kein Superlativ groß genug für ihn. JB tritt hunderte Male im Jahr auf und veröffentlicht im gleichen Zeitraum mehrere Alben und unzählige Singles. Er verhängt Geldstrafen gegenüber seinen Musikern, wenn ihre Schuhe nicht geputzt sind oder sie sich verspielen. JB schlägt Frauen teils grün und blau und setzt ungezählte uneheliche Kinder in die Welt. JB spricht mit Politkern, setzt sich für Bildungsprogramme ein und verteilt zu Thanksgiving Truthähne an Bedürftige, seine Musiker hält er jedoch kurz. JB ist ein gerade mal passabler Organist und Schlagzeuger und auch nicht mit der schönsten aller Stimmen ausgestattet. Und – JB ein genialer Bandleader und charismatischer Showman, eine Rampensau wie nur was, ehrgeizig, zielstrebig, fleißig, erfolgreich, wohlhabend, von schwarz und weiß respektiert. JB ist eine Identifilationsfigur und ein Vorbild. An american icon.

RJ Smith lässt in The One auch eine Stimme zu Wort kommen, die sagt, dass das Gefängnis, in dem JB als junger Mann saß, JB gemacht hat. Zum einen wurde ihm dadurch klar, dass Kriminalität keine erfolgversprechende Alternative zur Existenz als Schuhputzer ist, zum anderen lernte er im Knast Disziplin. Wegen Raubes wurde er zu sage-und-schreibe 8 Jahren verurteilt (so weit ich mich erinnere), was ja wohl sein späteres Leben vorbestimmt hätte – wäre er nicht wegen guter Fühung und auf Bewährung nach drei Jahren entlassen worden und hätte er danach nicht konsequent und eisern an seiner Karriere als Musiker gearbeitet.

Es gehört ja fast schon zur Folklore, dass JBs Band ihn 1970 im Streit über schlechte und / oder unregelmäßige Bezahlung und seinen autoritären Führungsstil mehrheitlich sitzen ließ. U.a. gehen die Bläser Maceo Parker und Pee Wee Ellis. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das tatsächlich am Tag eines angesetzten Auftritts geschah oder einen Tag davor. Sicher war das aber sehr kurzfristig. Doch JB wäre nicht JB, wenn er sich von anderen Menschen Bedingungen diktieren ließe und lässt kurzentschlossen einfach eine andere Band mit seinem Privatjet einfliegen, The Pacemakers aus Cincinnatti, der Stadt seines Labels King Records. Die Band um die Gebrüder Collins kennt zwar JBs Musik, hat aber noch nie mit ihm gespielt. Dennoch tritt er mehr oder weniger ungeprobt mit ihnen auf. Die ersten gemeinsamen Auftitte sind offenbar grausam, aber das nimmt JB in Kauf. Und schon nach kurzer Zeit spielt die Band so tight, dass er mit ihr den späteren Gassenhauer Sex Machine und das gleichnamige, heute klassische semi-Live-Album (weil overgedubbed und zusamengebastelt) aufnimmt und auch durch Europa tourt.

Unter der Führung von JB läuft auch diese Band zu großer Form auf. JB hat offenbar ein Händchen für die richtigen Leute und die Fähigkeit das Beste aus ihnen rauszuholen. Man hört jedoch schon, dass das eine andere Band ist als die alte. Der Sound ist härter, stampfender und die Abwesenheit des alten Bläsersatzes, insbesondere das Solisten Maceo Parker, hört man heraus, auch wenn Fred Wesley nach wie vor dabei ist. Auf dem Live-Album Love Power Peace (Paris 1971), das aber erst 1992 veröffentlicht wird, ist das deutlich zu hören: Das brettert schon ganz schön, sehr dicht und intensiv und in dieser hohen Dosis auf Tonträger und in den eigenen vier Wänden nur schwer zu ertragen.

Die hervorragende Compilation A Brand New Thang fängt die Höhepunkte des Jahres 1970 mit der Band um Bootsy Collins ein.

Eine andere tolle Platte mit trx von 1969-72 – also kurz vor, während und nach Bootsy – ist natürlich In The Jungle Groove. u.a. mit dem trk Funky Drummer und dem berühmten drum break. Another must have!

Aberwitzig, wie viel Material JB allein im Jahr 1970 produziert hat – und die erwähnten Alben präsentieren gerade mal die Höhepunkte. Nicht mal ein Jahr später haben Bootsy und die anderen aber auch schon wieder die Schnauze voll und gehen oder werden gegangen. Es war wohl auch ein Verstoß gegen JBs stricktes Drogenverbot im Dienst mit im Spiel. Und – Hoppla! – die alte Band kommt zurück. Was und wie da nachverhandelt wurde, ist leider nicht bekannt.

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„Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)