West Coast Jazz: Cool Innovations – Los Angeles & Hollywood in den Fünfzigern

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    gypsy-tail-wind
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    Kapitel 2, Teil 1 der West Coast Jazz-Fäden … los geht es hier mit Kapitel 1 über den Swing und Bop der Vierziger, die Central Avenue Szene usw:
    http://forum.rollingstone.de/foren/topic/west-coast-jazz-swing-bebop-jazz-on-central-avenue/

    Die Band von Stan Kenton, ca. 1947/48 u.a. mit Kenton im Vordergrund, Eddie Safranski (b), Shelly Manne (d), Bob Cooper (ts) und Art Pepper (as) (via Wikipedia, Foto: William P. Gottlieb)

    In den ersten Jahre des neuen Jahrzehnts verschwanden für schwarze Musiker wie Wardell Gray, Dexter Gordon oder Teddy Edwards die Auftrittsmöglichkeiten schnell. Andere wie Howard McGhee waren längst wieder aus Kalifornien verschwunden.

    Gleichzeitig entwickelte sich eine neue Szene, die stilistisch zwar vielfältig, aber – man muss es leider so deutlich sagen – in erster Linie weiss war. Stan Kenton leitete schon seit einem Jahrzehnt seine eigene Big Band, die er allerdings immer mal wieder auflöste. In den späten Vierzigern wurde sie zum Laboratorium, durch das viele gute Solisten gingen, noch verstärkt kam dieser Aspekt bei der Band zu tragen, die er 1950 gründete. Sie war unter dem moniker „Innovations in Modern Music“ unterwegs – kein Scherz! Bill Russo steuerte Arrangements bei, die den sogenannten Third Stream vorwegnahmen, in der Band sassen nicht nur Hörner und Tubas sondern auch Streicher, und bei Bedarf wurde die Rhythmusgruppe um ein paar Latin Percussionisten erweitert.

    Doch bot diese oft bombastische Band auch Raum für einige tolle Solisten wie den jungen Art Pepper (2 Links) oder Shorty Rogers, der auch als Arrangeur bei Kenton erste Schritte machte. Zur Band gehörten ebenso Bud Shank, Bob Cooper, Maynard Ferguson mit seiner Stratosphärentrompete oder die Sängerin June Christy (die schon 1945 als Nachfolgerin von Anita O’Day zu Kenton gestossen war). Am Schlagzeug sass Shelly Manne, der sich später erinnerte: „I was an east coast drummer, and I don’t think all the men were used to my free, loose concept. I think that looser feeling was the main thing.“ – Und doch wurde er zum first call drummer an der Wesküste. Er beherrschte das Antreiben einer mächtigen Big Band ebenso wie das zarte Spiel – manchmal nur mit den Fingern – im kammermusikalischen Rahmen.

    June Christy und Bob Cooper ca. 1947 (via Wikipedia, Foto: William P. Gottlieb)

    Bedeutenden Einfluss auf die Entwicklung des sogenannten „West Coast Jazz“ – der Begriff versucht nun, eine stilistische Eingrenzung zu machen, man kann ihn auch viel weiter gefasst verwenden – hatte Miles Davis‚ New Yorker „Tuba-Band“, deren Sessions von Capitol auf der LP „Birth of the Cool“ gesammelt wurden. Gerry Mulligan, der mit seinem klavierlosen Quartett mit dem Trompeter Chet Baker Furore machte, oder Shorty Rogers, als er Kenton verliess, nahmen in ähnlichen Formationen auf – mit Horn, Tuba, manchmal ohne Klavier. Mulligan, der im im Frühling 1952 aus New Yorker nach Los Angeles kam, war ja selbst beteiligt an den Davis-Sessions – als Baritonsaxophonist wie auch als Arrangeur.

    Chet Baker gründete 1953 sein eigenes Quartett, als Mulligan ein halbes Jahr Arrest absitzen musste (es ging natürlich um Drogen). Die Musiker des „West Coast Jazz“ verkörperten ein neues Image, Mulligan war ein ernster, hungriger Junge, Chet Baker hätte wohl auch eine Hollywood-Karriere machen können … doch die Musik ist nicht so körperlos und missraten, wie man immer wieder liest und hört. Experimente gab es zuhauf, Bud Shank und Bob Cooper spielten zusammen Flöte und Oboe, Jimmy Giuffre arrangierte atonale Musik, es wurde frei improvisiert ohne dass dabei die Wände wackeln mussten. Doch es wurde auch drauflosgespielt, mit viel Verve und Engagement, und oftmals mit sehr deutlichen Wurzeln im Bebop.

    Die Band:

    Trompete: Chet Baker, Shorty Rogers, Maynard Ferguson
    Horn: John Graas
    Altsaxophon: Art Pepper, Lee Konitz
    Altsaxophon, Flöte: Bud Shank
    Tenorsaxophon: Bob Cooper, Jimmy Giuffre
    Baritonsaxophon: Gerry Mulligan
    Piano: Stan Kenton, Hampton Hawes, Russ Freeman
    Bass: Eddie Safranski, Joe Mondragon, Carson Smith
    Drums: Shelly Manne, Chico Hamilton, Larry Bunker
    Gesang: June Christy, Chet Baker
    Arrangements: Gerry Mulligan, Shorty Rogers, Jimmy Giuffre, Bill Russo, Jack Montrose

    Die West Coast Jazz-Threads:

    Teil 1: Swing & Bebop – Jazz on Central Avenue (Los Angeles) in den Vierzigern
    Teil 2: Cool Innovations – Los Angeles und Hollywood in den Fünfzigern (ca. 1950-56)
    Teil 3: Modern Jazz in San Francisco + Spotlight on Dave Brubeck
    Teil 4: Black California: Hard Bop in den späten Fünfzigern, Horace Tapscott und die Avantgarde in den Sechzigern

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    #11089303  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Beiträge: 66,997

    Die Radio-Sendung, die ich zusammenstellte, war noch nicht moderiert, d.h. es gab hier im Forum ausführliche Kommentare zu den ausgewählten Stücken, die ich hier gerne auch gebündelt einstelle. Viele der Stücke dürften in der Tube zu finden sein, so man sie nicht streamen oder aus dem Regal holen kann. Leider habe ich da nur noch ein reines Text-PDF ohne Links zu den Covern, die mag ich nicht nochmal zusammensuchen, sie sind ja bei Discogs oder sonstwo im Netz einfach zu finden.

    Playlist: gypsy goes jazz 16: Goin‘ West: Cool Innovations – Los Angeles, early fifties (04.06.2015)

    1. Gerry Mulligan Tentette – Walking Shoes (1953)
    2. Stan Kenton – Jolly Rogers (1950)
    3. Stan Kenton – June Christy (1950)
    4. Stan Kenton – Sambo (1951)
    5. Shorty Rogers & His Giants – Over the Rainbow (1951)
    6. Art Pepper Quartet – Surf Ride (1952)
    7. Gerry Mulligan Quartet – Lullaby of the Leaves (1952)
    8. Shorty Rogers & His Giants – Diablo’s Dance (1953)
    9. Shorty Rogers & His Giants – Bunny (1953)
    10. Stan Kenton – My Lady (1952)
    11. Lee Konitz & The Gerry Mulligan Quartet – Bernie’s Tune (1953)
    12. Howard Rumsey’s Lighthouse All Stars – All the Things You Are (1953)
    13. Shelly Manne & His Men – Afrodesia (1953)
    14. Shelly Manne & His Men – Alternation (1953)
    15. Shorty Rogers & His Orchestra Featuring The Giants – Coop de Graas (1953)
    16. Chet Baker Ensemble – Moonlight Becomes You (1953)
    17. Chet Baker Quartet – Carson City Stage (1953)
    18. Chet Baker – The Thrill Is Gone (1953)

    GERRY MULLIGAN TENTETTE
    1. Walkin’ Shoes (Gerry Mulligan)

    Chet Baker, Pete Candoli (t), Bob Enevoldsen (vtb), John Graas (frh), Ray Seigel (tuba), Bud Shank (as), Gerry Mulligan, Don Davison (bari), Joe Mondragon (b), Chico Hamilton (d)
    Capitol Studios, Los Angeles, California, 29. Januar 1953 (Capitol)
    Von: Gene Norman Presents the Original Gerry Mulligan Tentet and Quartet (GNP Crescendo, CD, 1996)

    Gerry Mulligan (1927–1996) war nach Harry Carney wohl der wichtigste Jazzmusiker, der das Baritonsaxophon als Hauptinstrument wählte. Mulligan war auch ein ordentlicher Pianist und vor allem ein toller Komponist und Arrangeur. Er hatte ein paar Jahre früher in der „Tuba-Band“ von Miles Davis mitgewirkt („Birth of the Cool“). Der 1927 in New York geborene Musiker ging im Frühling 1952 an die Westküste, wo er eine Band gründete, die für Aufsehen sorgte und mit der Mulligan sich umgehend in die Annalen des West Coast Jazz einschrieben sollte.
    Das klavierlose Quartett mit Chet Baker – wir hören später eine Kostprobe – wurde für diese Capitol-Session vom Januar 1953 zum Tentett erweitert, ganz in der Tradition der „Tuba-Band“, bloss gab es zwei Trompeten und statt eines Klaviers ein zweites Barisax (Mulligan spielt da und dort Klavier, nicht in diesem Stück). Und statt der Zugposaune ist eine Ventilposaune zu hören.
    Als Solisten hören wir Mulligan und Baker, beide sehr entspannt und bestens in das an der Oberfläche recht unscheinbare, aber sehr schön gesetzte Arrangement eingebettet. Der Lässigkeit des Miles Davis Nonetts wird hier eine grosse Klarheit entgegengesetzt, die Musik ist jedenfalls von anderem Charakter.
    Wir hören später noch Ähnliches von Shorty Rogers – beide Ensembles sind keine reinen Epigonen, aber das Vorbild ist doch deutlich zu erkennen.
    (Die zwei unschönen Stellen bei 1:55/1:56 sind auf der oben erwähnten CD, wenigstens auf meinem Exemplar – ob es sich um ruppige Edits handelt oder um einen Überspiel- oder Pressfehler, weiss ich leider nicht und Ausweichmöglichkeiten habe ich bei dieser Aufnahme keine.)

    STAN KENTON
    2. Jolly Rogers (Shorty Rogers)

    Buddy Childers, Maynard Ferguson, Shorty Rogers, Chico Alvarez, Don Paladino (t), Milt Bernhart, Harry Betts, Bob Fitzpatrick, Bill Russo (tb), Bert Varsalona (btb), Gene Englund (tuba), Bud Shank (as), Art Pepper (as), Bob Cooper (ts), Bart Caldarell (ts, bari), Bob Gioga (bari, bcl), Stan Kenton (p), Laurindo Almeida (g), Don Bagley (b), Shelly Manne (d, timp), Carlos Vidal (cga)
    Capitol Studios, Los Angeles, California, 15. Februar 1950 (Capitol)
    Von: The Innovations Orchestra (Capitol, 2 CD, 1997)

    Stan Kentons Band sorgte schon in den späten Vierzigern für Furore. Kritiker überboten sich mit Kommentaren: „Too many chrome gadgets and not enough fundamental design“ fand Bandleader Ward Kimball, Barry Ulanov verglich den Sound der Band mit einem Möbelpacker „grunting under the weight of a concert grand“ und George Frazier konstatierte, das Orchester sei „neither fish nor flesh, but pretty foul“ (Zitate aus: Ted Gioia, West Coast Jazz, Berkeley/Los Angeles/London, 1998).
    Doch das Publikum liebte Kenton (1911–1979) und seinen oft bombastischen Sound. Kenton holte viele begabte junge Musiker in seine Big Band, als diese 1950 unter dem pompösen Etikett „Innovations in Modern Music“ unterwegs war, fand man Shorty Rogers, Maynard Ferguson, Art Pepper, Bud Shank, Bob Cooper, Shelly Manne oder der brasilianische Gitarrist Laurindo Almeida in den Reihen. Kenton sprach von „progressive jazz“, meinte, die Musik der Zukunft in der Gegenwart zu präsentieren. Swing war nun, wie letztes Mal schon gesagt, nicht das primäre Ziel Kentons, doch mit den tollen Musikern und Arrangeuren, die er um sich scharte, kamen oft hörenswerte und immer wieder einzigartige Dinge zustande.
    Shorty Rogers war neben Pete Rugolo oder Bill Russo ein gradliniger Jazz-Arrangeur – und so fehlen hier denn auch die Streicher und die Hörner, die in der Innovations-Band dabei waren. „Jolly Rogers“ war Rogers’ erstes Arrangement für Kenton, eine swingende Nummer mit deutlichen Bebop-Einflüssen.
    Der erste Solist ist Shorty Rogers, der einfache Linien bläst, die in den hektischen Bläserlinien – purer Bebop! – für Kontrast sorgen. Dann folgt Art Pepper mit unglaublich feinem Ton – er erinnert hier mehr an Lee Konitz und besonders an Paul Desmond, den Kollegen, der in San Francisco mit Brubeck aktiv war, denn an Charlie Parker. Im abschliessenden Ensemble macht dann Shelly Manne seine Präsenz spürbar, und die Stratosphären-Trompete kommt natürlich von Maynard Ferguson.

    STAN KENTON
    3. June Christy (Stan Kenton)

    June Christy (voc), Stan Kenton (p), Laurindo Almeida (g), Don Bagley (b), Shelly Manne (d, timp), Jack Costanzo (bgo), members of Kenton’s trumpet section (latin perc)
    Capitol Studios, Los Angeles, California, 21. August 1950 (Capitol)
    Von: The Innovations Orchestra (Capitol, 2 CD, 1997)

    June Christy (1925–1990) war schon 1945 als Nachfolgerin von Anita O’Day zur Band gestossen und wuchs in den Jahren bei Kenton zur herausragenden Sängerin. In Saxophonist Bob Cooper fand sie ihren Ehemann und ihren musikalischen Mentor. Sie hiess eigentlich Shirley Luster, nannte sich nach der High School Shirley Lester und sang mit Boyd Raeburn. Als sie sich bei einem Vorsingen durchsetzte und zu Kenton stiess, wurde sie erst zu June Christy.
    Nicht nur Christy, auch Art Pepper, Maynard Ferguson und Shelly Manne wurden gleichnamige Stücke gewidmet, Bob Cooper kriegte „Coop’s Solo“. Zusammen mit Kompositionen wie „Halls of Brass“ oder „House of Strings“ bildeten sie den Kern des Repertoires der Innovations-Band.
    Christys Feature ist aussergewöhnlich, es kommt ohne Worte aus und präsentiert sie mit der um einige Latin-Percussion erweiterten Rhythmusgruppe. Nach einem sehr stimmungsvollen Intro setzt der Latin-Groove ein, getragen vom Bass von Don Bagley. Christies Linie legt die Vermutung nahe, dass sie mit den Tadd Dameron-Aufnahmen von 1949 vertraut war, in denen Sängerinnen (komponierte) Linien ohne Worte sangen. Am Schluss wird das Intro wieder aufgegriffen – mit Shelly Manne an den Kesselpauken.

    STAN KENTON
    4. Sambo (Shorty Rogers)

    John Howell, Maynard Ferguson, Conte Candoli, Stu Williamson, John Coppola (t), Harry Betts, Bob Fitzpatrick, Bill Russo, Dick Kenney (tb), George Roberts (btb), Bud Shank (as, fl), Art Pepper (as), Bob Cooper, Bart Caldarell (ts), Bob Gioga (bari), Stan Kenton (p), Ralph Blaze (g), Don Bagley (b), Shelly Manne (d), Jack Costanzo (bgo)
    Capitol Studios, Los Angeles, California, 19. September 1951 (Capitol)
    Von: The Innovations Orchestra (Capitol, 2 CD, 1997)

    Wir beenden das Kenton-Segment mit einem weiteren Stück von Shorty Rogers, einem seiner besten Ausflüge ins Gebiet des Latin Jazz. Der Titel ist eine Mischung aus Samba und Mambo, dem damaligen Modetanz, doch musikalisch handelt es sich um eine Mischung brasilianischer Tanzrhythmen mit Kenton-Jazz.
    Im Thema ist erneut die Trompete von Maynard Ferguson präsent – und Shelly Manne sorgt für einen tollen Beat. Art Pepper bläst auch hier das erste Solo, wieder mit demselben feinen, leicht umnebelten Ton – die Band fällt für sein Solo in einen swingenden 4/4-Takt. Nach einem Zwischenspiel folgt ein kurzes Solo von Bud Shank an der Flöte – dass er diese beherrschte spielte wohl entscheidend mit beim Entscheid Kentons, ihn in die Band aufzunehmen. Er spielte Lead-Alt, Pepper war der Hauptsolist auf
    dem Instrument.
    Nach zwei Tourneen löste Kenton das Innovations-Orchester auf – die physische und finanzielle Belastung, eine so grosse working band zu leiten, wurde zu gross. Viele Kenton-Musiker blieben in Kalifornien und wurden zu prägenden Figuren des aufkeimenden „West Coast Jazz“.

    SHORTY ROGERS & HIS GIANTS
    5. Over the Rainbow (Arlen–Harburg)

    Shorty Rogers (t, arr), John Graas (frh), Gene Englund (tuba), Art Pepper (as), Jimmy Giuffre (ts), Hampton Hawes (p), Don Bagley (b), Shelly Manne (d)
    Los Angeles, 8. Oktober 1951 (Capitol)
    Von: Shorty Rogers Volume 1: 1946–1954 – Trumpet Ace, Bandleader, Composer (JSP, 5 CD, 2007)

    Wir hören noch einmal Art Pepper – mit seinem berühmten Feature im Oktett von Shorty Rogers – auch diese Combo deutlich an die „Tuba-Band“ angelehnt – das Barisax wurde durch ein Tenor ersetzt, so klang die Band etwas anders, das Gewicht lag weniger auf den tiefen Stimmen. „Over the Rainbow“ gehört jedoch ganz dem so frischen wie unschuldigen Altsaxophon des jungen Art Pepper. Sein Ton ist hier bereits etwas härter, seine Attacke zupackender – doch auch die unglaubliche Zartheit der Soli davor
    scheint zwischendurch wieder auf.
    Shorty Rogers (1924–1984), so schreibt Gioia, verkörpere beispielhaft das, was Castiglione (in seinem „Libro del Cortegiano“) „sprezzatura“ nenne – die Kunst schwierige Dinge mit Leichtigkeit zu tun. Milton Michael Rajonsky kam in Massachusetts zur Welt, sein Vater war aus Rumänien, seine Mutter aus Russland eingewandert. Zur Bar Mitzvah durfte er sich etwas wünschen – und es sollte die Trompete für 15 Dollar vom Pfandleiher sein. In Rogers’ Musik (allerdings nicht unbedingt in den Stücken, die ich ausgewählt habe) wird der zweite zentrale Einfluss auf diesen typischen „West Coast Jazz“ neben der „Tuba-Band“ deutlich: Count Basie und sein mit Leichtigkeit dahinfliessender Swing. Einer seiner Fans, als Rogers bei Woody Herman spielte, war kein geringerer als Igor Stravinsky. Als Herman 1949 seine Band auflöste, kam Rogers zu Stan Kenton – da waren wir ja vorhin bereits.
    Rogers spielte aber nicht nur „progressive jazz“ mit Stan Kenton, er glänzte – so dokumentiert eine zuerst auf Xanadu veröffentlichte unautorisierte Live-Aufnahme von Howard Rumsey’s Lighthouse All Stars vom Dezember 1951 – auch neben Art Pepper im Bebop. Und seine ersten Aufnahmen vom Herbst 1951 sind zu den ersten typischen „West Coast Jazz“-Aufnahmen zu rechnen (sie entstanden unter Aufsicht des DeeJays und Impresarios Gene Norman, der sie an Capitol verkaufte). Neben Gerry Mulligan aus New
    York war der jüdische Einwandererjunge aus Massachusetts DIE prägende Kraft des „West Coast Jazz“.

    ART PEPPER QUARTET
    6. Surf Ride (Art Pepper)

    Art Pepper (as), Hampton Hawes (p), Joe Mondragon (b), Larry Bunker (d)
    C. P. MacGregor Studios, Hollywood, California, 4. März 1952 (Discovery)
    Von: The Complete Surf Ride Plus (Nippon Columbia, 2 CD, 2002)

    Art Pepper (1925–1982) war wie so viele Westküsten-Jazzer stark von Charlie Parker geprägt worden, sein Spiel ist schon hier beeindruckend, doch sollte er wie seine Kollegen Bud Shank und Bob Cooper mit den Jahren ebenfalls weg vom leichten Ton finden, den er hier noch hat, hin zu einer schwereren, emotionsgeladeneren Spielweise.
    Die Session vom 4. März war Peppers erste als Leader (sie erschien später auch auf Savoy, auf der LP „Surf Ride“). Mit dieser Gruppe spielte er damals im „Surf Club“, einem winzigen Club in Hollywood, meilenweit vom nächsten surf spot entfernt. Pepper und Hawes – beides tragische Figuren mit langjährigen Drogenkarrieren – spielen hier eine Musik des Hier und Jetzt, ihre zupackende Spielfreude grenzt an den Überschwang. Hawes war der perfekte Begleiter für Pepper, der zwar in den ambitionierten Formationen von Stan Kenton gewirkt hatte, der aber an sich ein Produkt der alten Central Avenue-Szene war, in der der Bebop blühte.

    GERRY MULLIGAN QUARTET
    7. Lullaby of the Leaves (Young–Petkere)

    Chet Baker (t), Gerry Mulligan (bari), Bob Whitlock (b), Chico Hamilton (d)
    Phil Turetsky’s house, Los Angeles, California, 16. August 1952 (Pacific Jazz)
    Von: The Original Quartet with Chet Baker (Pacific Jazz, 2CD, 1998)

    Chet Bakers Karriere war 1952 zum Stehen gekommen, er spielte mit einer Dixieland Band, nachdem er sich aus der Army fortgestohlen hatte (und dafür drei Monate in die Psychiatrie gesperrt wurde). Doch dann kam Charlie Parker nach Kalifornien und engagierte den Trompeter – „a little white cat out in California who’s going to eat you up“, wie Parker nach seiner Rückkehr zu Dizzy und Miles gesagt haben soll.
    Gerry Mulligan kam wie schon erwähnt im Frühling 1952 nach Kalifornien. Er sicherte sich einen regelmässigen Gig in einem kleinen Club namens „The Haig“. Es folgten erste Sessions für das junge Label Pacific Jazz. Bei der dritten vom August 1952 wirkte erstmals Chet Baker mit, neben Mulligan und der Rhythmusgruppe Bob Whitlock (b) und Chico Hamilton (d). Und sofort war er da, der Sound des
    Mulligan/Baker-Quartetts, in dem Komposition so bedeutend werden sollte wie Improvisation, in dem die Kollektivimprovisation des alten New Orleans-Jazz auf ganz neue Weise wiederbelebt wurde: als kühler Kontrapunkt zweier kongeniale Partner, die perfekt aufeinander einzugehen imstande waren. Ted Gioia beschreibt die Tugenden der Gruppe wie folgt: „its effective use of counterpoint, its understated rhythm section, its melodic clarity and its willingness to take chances“.
    Mulligan zeichnete allein für das Repertoire verantwortlich, doch suchte er gezielt nach Material, das Baker liegen würde. Und schon in der ersten Session, auch im bezaubernden Chiaroscuro von „Lullaby of the Leaves“, wurden die Qualitäten der Band deutlich – eine exquisite Aufnahme! Baker konnte zwar nicht Noten lesen und seine Technik war beschränkt, aber, so Mulligan: „Chet had a fantastic ear … he would pick up on things I improvised as if we had them all written out in advance.“ (alle Zitate aus Gioia, West
    Coast Jazz).

    SHORTY ROGERS & HIS GIANTS
    8. Diablo’s Dance (Shorty Rogers)
    9. Bunny (Shorty Rogers)

    Shorty Rogers (t, arr), John Graas (frh), Milt Bernhart (tb), Art Pepper (as), Jimmy Giuffre (ts), Hampton Hawes (p), Joe Mondragon (b), Shelly Manne (d)
    Los Angeles, California, 12. & 15. Januar 1953 (RCA)
    Von: Shorty Rogers Volume 1: 1946–1954 – Trumpet Ace, Bandleader, Composer (JSP, 5 CD, 2007)

    Zurück zu Shorty Rogers – und weiteren bekannten Stimmen: Art Pepper und Hampton Hawes. Im ersten Stück ist Hawes der wichtigste Solist, sein tolles kurzes Break und danach sein treibendes Solo sind Vorboten von grossen Aufnahmen, die in den folgenden Jahren für Contemporary entstehen würden. Hampton Hawes (1928–1977) war – wie Anne Boleyn – mit sechs Fingern an beiden Händen zur Welt
    gekommen, doch die zusätzlichen Finger wurden ihm drei Wochen nach der Geburt abgetrennt – „I wondered if it could have been some kind of omen“, soll er gemäss Gioia später gesagt haben. Gioia beschreibt Hawes Stil so: „The distinctive timbre of his notes and the whip-cracking snap of his comping chords were the calling cards of Hawes’s keyboard style.“ Hawes war einer der wenigen Bebop-Pianisten, die von Bud Powell nicht primär dessen linearen Stil übernahmen sondern auch seine brennende Intensität.
    In „Bunny“ hören wir ein phantastisches Arrangement, in dem Klänge aufscheinen, wie wir sie erst mehrere Jahre später wieder in den Arrangements hören sollten, die Gil Evans für Miles Davis schrieb („Miles Ahead“, „Sketches of Spain“). Das Horn ist in beiden Stücken sehr präsent, hier ebenfalls die Tuba und die Posaune von Milt Bernhart.
    „Bunny“ ist nach dem Pudel von Art Pepper und seiner ersten Frau Patti benannt. Das Stück ist eine Art Update von „Art Pepper“, das Rogers für Kentons Innovations-Band geschrieben hatte. Es beginnt ruhig, fast meditativ, doch dann folgt schnelle Passage. Pepper ist erneut merklich gereift, der rhythmische Drive seiner Phrasen mitreissend, ohne je die Stimmung des Stückes zu durchbrechen.

    STAN KENTON
    10. My Lady (Bill Russo)

    Conte Candoli, Buddy Childers, Maynard Ferguson, Don Dennis, Ruben McFall (t), Bob Fitzpatrick, Keith Moon, Frank Rosolino, Bill Russo (tb), George Roberts (btb), Lee Konitz, Vinnie Dean (as), Richie Kamuca, Bill Holman (ts), Bob Gioga (bari), Stan Kenton (p), Sal Salvador (g), Don Bagley (b), Stan Levey (d)
    Chicago, Illinois, 8.–16. September 1952 (Capitol)
    Von: New Concepts of Artistry in Rhythm (CD: Capitol, 1989)

    Lee Konitz stiess zur neuen Kenton-Band, die auf die Innovations-Formation folgte. Bud Shank und Art Pepper waren in Kalifornien geblieben und begannen, sich einen Namen zu machen. Mit Konitz konnte Kenton einen grossartigen Solisten verpflichten, dessen Karriere schon einige Jahre dauerte und dessen Stimme schon damals völlig eigenständig war (wir hörten ihn ausgiebiger in der vorletzten, dem New Yorker Cool Jazz gewidmeten Sendung).
    Die neue Kenton Band tourte unter der Überschrift „New Concepts of Artistry in Rhythm“. Bill Russo und Bill Holman schrieben grundverschiedene Arrangements für sie, ist Russo zu den Vorläufern des „Third Stream“ zu zählen, den Versuchen, zwischen Jazz und Klassik einen dritten Ort zu schaffen, so war Holman in mancher Hinsicht der konservativste Arrangeur, den Kenton in seiner grossen Zeit beschäftigte: ein im Big Band Jazz verwurzelter Musiker.
    Doch all das spielt in diesem bezaubernden Feature für Lee Konitz keine grosse Rolle, das Russo-Stück ist sparsam arrangiert und Konitz beeindruckt mit seinem sehr eigenständigen Spiel.

    Lee Konitz & The Gerry Mulligan Quartet
    11. Bernie’s Tune (Bernie Miller)

    Chet Baker (t), Lee Konitz (as), Gerry Mulligan (bari), Carson Smith (b), Larry Bunker (d)
    Live, The Haig, Hollywood, California, 23. Januar 1953 (Pacific Jazz)
    Von: Konitz Meets Mulligan (Pacific Jazz/Capitol, CD, 1988)

    Das Quartett von Gerry Mulligan und Chet Baker bestand weniger als ein Jahr. Auf halbem Weg wechselte die Rhythmusgruppe und Mulligan begann, nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten. Ein Beispiel seiner Tentett-Session für Capitol, die in diese Zeit fällt, hörten wir zum Auftakt der Sendung. Ebenfalls im Januar 1953 stiess Lee Konitz im Haig zum Quartett. Ein paar Tage später folgten dann auch noch ein zwei Studio-Aufnahmen – und das so zusammengestückelte Album wurde zum Klassiker.
    Konitz’ Spiel ist runder, in gewisser Weise substantieller als jenes von Mulligan oder Baker, er hatte neben frühen Aufnahmen mit Lennie Tristano mit Mulligan bei Miles Davis’ „Birth of the Cool“-Sessions mitgewirkt und auch schon als Leader aufgenommen. Doch vermutlich sind die Aufnahmen mit Mulligan seine bis dahin besten. Er spielt mit der Souveränität eines alten Meisters und die Begleitung des Quartetts ist einfühlsam und natürlich einzigartig. Wir hören hier aber keins der „Mini-Concertos“ („Lover Man“ ist ganz besonders berührend geraten) sondern „Bernie’s Tune“, ein Stück, das das Quartett schon eingespielt hatte und das auf der LP fehlte (es erschien erst 1983 in der Mosaic-Box der Baker/Mulligan-Aufnahmen).
    Der Gast soliert als erster, Mulligan und Baker begleiten ihn. Bakers Trompete schält sich dann behutsam aus den langen Tönen heraus und er spielt das nächste Solo, während Konitz sich zur Begleitung gesellt. Ein ruppiger Edit folgt (typisch Dick Bock, der jeweils gleich die Masterbänder mit der Rasierklinge traktierte) und es folgt ein Dialog von Mulligan und Baker, zu dem Konitz sich gesellt, dann ein paar Takte Larry Bunker – Mulligan spielt früh rein, unentschlossen, aber egal, die Aufnahme swingt von vorne bis hinten und die sich bis zum Schluss verzahnenden Stimmen sorgen für viel Abwechslung.

    HOWARD RUMSEY’S LIGHTHOUSE ALL STARS
    12. All the Things You Are (Hammerstein–Kern)

    Shorty Rogers (t), Hampton Hawes (p), Howard Rumsey (b), Shelly Manne (d)
    Live, Lighthouse, Hermosa Beach, California, 21. Februar 1953 (Contemporary)
    Von: Howard Rumsey’s Lighthouse All-Stars Vol. 1: Sunday Jazz a la Lighthouse (CD: Fantasy, 1991)

    Howard Rumsey hatte schon Ende der Vierziger mit sonntäglichen Jam Sessions im Lighthouse begonnen. Der Bassist war kein grossartiger Musiker, aber ein guter Organisator, der über eineinhalb Jahrzehnte eine Reihe von Bands leitete, die neben wilden Jam Sessions auch einige der überflüssigeren Auswüchse des „West Coast Jazz“ prägten (Bud Shank/Bob Cooper an Flöte und Oboe). Aber viele der Aufnahmen – eine lange Reihe von Alben auf Contemporary und mehr auf anderen Labeln – präsentieren die beteiligten Musiker in freien Jams, in denen es oftmals wilder zu und hergeht als bei Studio-Aufnahmen aus derselben Zeit. So spielten Shorty Rogers, Art Pepper oder Bud Shank mit Rumsey schon Anfang der Fünfziger kompromisslosen Bebop – dabei ist unklar, ob sie sich jeweils bewusst waren, dass die Mikrophone liefen.
    In der ersten Lighthouse Band wirkten ein paar Central Avenue mainstays wie Teddy Edwards und Sonny Criss mit. Auch Hampton Hawes war schon früh dabei und stiess auch später immer wieder dazu, als ehemalige Kenton-Sidemen wie Shorty Rogers, Shelly Manne und Jimmy Giuffre und später Bud Shank und Bob Cooper in Rumseys Band spielten. Rogers ging 1953 und gründete seine Giants – er nahm
    Giuffre und Manne mit, in den Lighthouse All Stars übernahmen Shank, Cooper, Rolf Ericson und später Conte Candoli. Doch Rumsey verpflichtete auch Musiker wie Sonny Clark und Max Roach, die mit „West Coast Jazz“ nicht viel am Hut hatten. Als Roach seine eigene Band gründete (Teddy Edwards spielte lang genug mit, als dass es davon ein paar Aufnahmen gibt), gelang Rumsey mit der Verpflichtung von Stan Levey (einer der ersten Bebop-Drummer, wir hörten ihn vorhin mit Kenton im Konitz-Feature) der nächste Coup.
    Doch hier hören wir die frühen Lighthouse All Stars – bzw. Teile von ihnen, denn das Stück gehört nach Shorty Rogers’ Präsentation des Themas erneut fast ganz Hampton Hawes, dessen Solo auf diesem Stück den Ausschlag dafür gab, dass er von Lester Koenig engagiert wurde: „In that moment I was determined to record him for Contemporary“ (nach Gioia) – doch bis zum ersten Album von Hawes als Leader sollten noch zwei Jahre vergehen, wir werden davon in der nächsten Sendung eine Kostprobe hören.

    SHELLY MANNE & HIS MEN
    13. Afrodesia (Shorty Rogers)

    Bob Enevoldsen (vtb), Bud Shank (as), Bob Cooper (ts), Jimmy Giuffre (bari), Marty Paich (p), Joe Mondragon (b), Shelly Manne (d)
    Los Angeles, 20. Juli 1953
    Von: Shelly Manne & His Men, Vol. 1 (Contemporary; CD: Fantasy, 1988)

    Shorty Rogers schrieb nicht viele Balladen – am liebsten war ihm ein mittelschneller Swing à la Count Basie. Doch auf seinem ersten Album findet sich diese exotisch angehauchte Ballade, in der Bud Shank am Altsaxophon mit exquisitem Ton glänzt.
    Shelly Manne nahm von 1953 bis Ende der Fünfziger eine lange Reihe feiner Alben für Contemporary auf – sein Schlagzeugspiel war viel variantenreicher, als es das Klischee wollte, das den Drummern des „West Coast Jazz“ nachsagte, sie seinen „Anti-Drummer“: der kalifornische Jazz fokussierte stark auf die Bläser, auf Melodien, Kontrapunkt, auf Harmonie und Komposition, das führte dazu, dass die eher vernachlässigten Drummer begannen, ihr Instrument auch melodisch einzusetzen, es vom reinen time keeping zu befreien. Manne war neben Chico Hamilton der bedeutendste Vertreter dieser Spielweise, doch sein Werk der Fünfziger umfasst auch zupackende Klaviertrio-Aufnahmen und Hardbop wie er auf den Live-Alben aus dem Black Hawk oder dem Manne-Hole zu finden ist.

    SHELLY MANNE & HIS MEN
    14. Alternation (Jimmy Giuffre)

    Ollie Mitchell (t), Shorty Rogers (t, flh), Bob Enevoldsen (tb), Paul Sarmento (tuba), Russ Freeman (p), Joe Mondragon (b), Shelly Manne (d)
    Hollywood, California, 18. Dezember 1953
    Von: Shelly Manne Vol. 2 (Contemporary; CD: Fantasy, 1998)

    In dieser Komposition von Jimmy Giuffre hören wir einige typische Merkmale von Mannes experimentellem Spiel. Das Stück ist atonal konzipiert, besteht aus kontrapunktischen Linien – und Harmonien ergeben sich nur aus dem Zusammenspiel dieser Linien. Die übliche Vorgehensweise beim Komponieren für Jazz-Bands wurde hier auf den Kopf gestellt: nicht die Linie wird der Harmonie angepasst sondern letztere ergibt sich erst aus der Linie. Man mag davon halten, was man will, aber faszinierend sind solche Experimente fast immer. Von Giuffre hören wir in der nächsten Sendung noch mehr – er sticht auch unter den experimentierfreudigsten Musikern dieser Zeit heraus.
    Manne holte sich für seine Alben oftmals die besten Leute, die er kriegen konnte und liess sie dann auch eigenes Material mitbringen. Auf diesem Album engagierte er auch sechs Komponisten, die bei den Aufnahmen die Aufsicht hatten, auch wenn sie selbst nicht mitwirkten.

    SHORTY ROGERS & HIS ORCHESTRA FEATURING THE GIANTS
    15. Coop de Graas (Shorty Rogers)

    Shorty Rogers (t, arr), Conrad Gozzo, Maynard Ferguson, Pete Candoli, John Howell (t), Harry Betts (tb), John Graas (frh), Gene Englund (tuba), Art Pepper, Bud Shank (as), Jimmy Giuffre (ts), Bob Cooper (bari), Marty Paich (p), Curtis Counce (b), Shelly Manne (d)
    Los Angeles, California, 26. März 1953 (RCA)
    Von: Shorty Rogers Volume 1: 1946–1954 – Trumpet Ace, Bandleader, Composer (JSP, 5 CD, 2007)

    Ein letztes Stück von Shorty Rogers, von einer der Sessions vom März 1953, in denen die Giants zur Big Band erweitert wurden – fast alles vertraute Namen. Doch wie der Name schon ahnen lässt, gehört das Stück ganz Bob Cooper und John Graas (1917–1962). Aus dem Duett von Tenor und Horn entwickelt sich ein Duell, das Arrangement ist einfach gehalten, die Tutti gegen Ende klingen sehr nach Basie doch der Klang von Graas’ Horn sorgt für einen speziellen Touch und Bob Cooper (1925–1993) glänzt mit einem nonchalant-trockenen Tenor (es klang manchmal auch etwas gar blutarm, aber wenn er in Form war, hörte man auch bei ihm einen zupackenden Swing à la Basie).

    CHET BAKER ENSEMBLE
    16. Moonlight Becomes You (Burke–Van Heusen)

    Chet Baker (t), Herb Geller (as, ts), Jack Montrose (ts, arr), Bob Gordon (bari), Russ Freeman (p), Joe Mondragon (b), Shelly Manne (d)
    Capitol Studios, Los Angeles, California, 22. Dezember 1953
    Von: Chet Baker Ensemble (Pacific Jazz; CD, 2004)

    Chet Bakers Trompete war zwar ein zentraler Bestandteil des Erfolges des Mulligan Quartetts, doch die Aufnahmen, die er mit seinem eigenen Quartett machte, präsentieren ihn vorteilhafter, zeigen erst sein ganzes Können. Pianist Russ Freeman (1926 in Chicago geboren, 2002 verstorben) war der ideale Begleiter, der auch einiges an Material beitrug.
    Dick Bock von Pacific Jazz nahm eine Reihe von Baker-Sessions auf, als Mulligan 1953 wegen Drogendelikten zu sechs Monaten Arrest verurteilt wurde. Baker (1929 in Oklahoma geboren, nach der Army 1948 nach Los Angeles gekommen, 1988 unter unklaren Umständen in Amsterdam gestorben) nahm nicht nur Instrumentales mit dem Quartett auf sondern machte auch erste Aufnahmen als Sänger, Aufnahmen mit Streichern, und Aufnahmen, bei denen das Quartett erweitert wurde, wie in „Moonlight Becomes You“. Die vorliegende Einspielung brachte diesen schönen Burke/Van Heusen-Song ins Bewusstsein der modernen Jazzer. Jack Montrose zeichnete für die Arrangements einer 10″-LP, die 1954 erschien und auch ein schnelle Nummern und Originals enthielt. Doch der Zauber von Bakers Balladenspiel ist noch heute verblüffend. (Die tolle Zusammenarbeit von Montrose und Bob Gordon hören wir übrigens in der nächsten Sendung.)

    CHET BAKER
    17. Carson City Stage (Carson Smith)

    Chet Baker (t), Russ Freeman (p), Carson Smith (b), Larry Bunker (d)
    Los Angeles, CA, 29 & 30 Juli 1953
    Von: Chet Baker Quartet Featuring Russ Freeman (Pacific Jazz; CD, 1998)

    „Carson City Stage“ stammt von der ersten Session der neuen Baker-Combo – er übernahm die Rhythmusgruppe von Mulligans Band und ersetzte den Leader durch Russ Freeman. Hier hören wir, dass Baker durchaus intakte Bebop-Chops hatte, dass er vor allem die Technik hatte, das zu spielen, was ihm vorschwebte. Bezüge zu Miles Davis kann man sicherlich herstellen, doch bleiben sie oberflächlich und sind wenig hilfreich.
    Russ Freeman erzählte in den Achtzigern, wie es damals war, mit Baker zu spielen: „There would be certain nights, maybe once a week, when it was absolutely staggering. To the extent where I would sit there, comping, for him, listening to him play, and think, ‚Where did that come from? What is it that’s coming out of this guy? You mean I have to play a solo after that?‘ Now that didn’t happen all the time, you know, but when it did it was like he suddenly got control of the world.“ (aus Doug Ramseys Liner
    Notes zur erwähnten CD).
    Und man beachte das Zusammenspiel von Manne und Freeman, das gegen Ende des Klaviersolos richtig abenteuerlich wird und sich auch im abschliessenden Thema aufs Schönste verzahnt!

    CHET BAKER
    18. The Thrill Is Gone (Brown–Henderson)

    Chet Baker (t, voc), Russ Freeman (p), Joe Mondragon (b), Shelly Manne (d)
    Radio Recorders, Hollywood, California, 27. Oktober 1953
    Von: Chet Baker Sings (Pacific Jazz, CD, 1998)

    Und zum Abschluss noch Chet Baker, der Sänger mit der kristallklaren Chorknabenstimme … das Stück stammt übrigens nicht vom 15. Februar 1954, wie die 1998er CD angibt, sondern von der allerersten Session, bei der Baker sang. Dick Bock, der Produzent und Gründer von Pacific Jazz, beanspruchte für sich, Bakers Potential als Sänger entdeckt zu haben.
    Dazu mehr zu schreiben ist müssig – man liebt die Stimme oder man hasst sie. Oder man lernt irgendwann, irgendwie, sie zu lieben – so war das einst bei mir. Der Weg führte über späte Aufnahmen, als der Chorknabe längst verschwunden war … doch vermutlich wird es für mich nie eine bessere Gesangs-Version von „But Not for Me“ geben als jene auf Bakers spätem Live-Album „Strollin’“ (Enja, 1985).
    (Übrigens: „I Fall in Love Too Easily“ ist das andere Stück vom selben Datum, auf dem Baker singt, doch davon enthält das „Sings“-Album tatsächlich das Remake vom Februar 1954, die erste Version ist der einzige Track mit Gesang auf der „Quartet“-CD, von der das vorangegangene Stück stammte.)

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    Kapitel 2, Teil 2: Goin‘ West – Blue Sands: Los Angeles, Mid-Fifties

    Weiter geht’s 1954 in Los Angeles: Der „West Coast Jazz“ – es gibt ihn, und es gibt ihn nicht – hatte inzwischen Form angenommen, Musiker wie Shorty Rogers, Gerry Mulligan (2 Links) oder Shelly Manne hatten den Sound massgeblich geprägt. Chet Baker (2 Links), Art Pepper (2 Links), Jimmy Giuffre, Hampton Hawes und Bud Shank zählen zu den vielversprechenden Talenten, die wir in der letzten Folge bereits hörten. Sie entwickelten sich in den Fünfzigerjahren weiter.

    Chet Baker hatte Mulligans Combo übernommen, als dieser eine Gefängnisstrafe absitzen musste. Dick Bock von Pacific Jazz nahm nicht nur das neue Baker Quartett mit Russ Freeman auf sondern suchte auch nach Wegen, Bakers Talent anders zu präsentieren. Mal stiessen bloss ein paar weitere Bläser dazu, ein anderes Mal eine Querflöte, vier Celli und eine Harfe.

    Shelly Manne setzte seine Reihe mit aussergewöhnlichen Aufnahmen fort. Zwischen Miniaturen (siehe oben) gesellte sich auch schon Mal ein ausgewachsenes Konzert für Klarinette und Jazz Combo – mit einem Klarinettisten aus San Francisco, der dort im Umfeld eines gewissen Dave Brubeck an einer Vermählung von Jazz und Klassik arbeitete, der man später das Etikett „Third Stream“ verpassen sollte (hier lang für mehr). Manne spielte auch mit Chet Bakers Quartett und es wird klar, wie sehr die Chemie zwischen ihm und Russ Freeman passte, wenn man die Aufnahmen anhört. So entstanden auch Duo-Aufnahmen, die später mit einer noch ungewöhnlicheren Session auf einer LP kombiniert wurden: „The Three“, das waren Shorty Rogers (t), Jimmy Giuffre (cl, ts, bari) und Manne (d). Man spielte Fugen und Charlie Parker, man reagierte blitzschnell auf jeden Einfall der Kollegen – und man improvisierte sogar völlig frei, ohne Changes, ohne jegliche Absprachen (Lennie Tristano lässt grüssen).

    Jimmy Giuffre sticht sogar unter den experimentierfreudigen Kaliforniern heraus. Er stammte aus Texas (seinem staubtrockenen Ton am Tenorsaxophon hört man das manchmal an) und war schon früh besessen von Klängen, stets auf der Suche nach Neuem. Er hatte bei Woody Herman gespielt (wir hörten sein „Four Brothers“ in einer früheren Sendung), stiess zu den Lighthouse All Stars und verliess diese dann gemeinsam mit Shorty Rogers und Shelly Manne, um zu Rogers‘ neuen Giants zu stossen. Mitte der Fünfziger war die Zeit reif, um eigene Projekte anzupacken. Das zweite Album, „Tangents in Jazz“ (Capitol, 1955) ist ebenso wie das folgende „The Jimmy Giuffre Clarinet“ (Atlantic, 1956) ein Meisterwerk. Giuffre spielte unbegleitet Klarinette, stellte Holzbläserformationen zusammen, liess den Drummer nur mit den Händen spielen … Giuffre verabscheute die Klischees und die zupackende Hemdsärmeligkeit des modernen Jazz, er wollte die in seinen Augen sklavische Abhängigkeit vom nie stoppenden Beat durchbrechen. Mit seiner „Jimmy Giuffre 3“ mit Jim Hall (g) und Ralph Peña (b) gelang ihm dann auch etwas, was wenige Bandleader schaffen: eine originäre Combo, deren Klang quasi eine Extension seiner eigenen Klangvorstellungen darstellt. Er orientierte sich dabei an Debussys Sonate für Flöte, Bratsche und Harfe: „Jim was the harp, Ralph was the viola and I was the flute“. Ein Schlagzeug sucht man in der Formation vergebens, doch der Swing leidet darunter erstaunlicherweise – und im Widerspruch zu Giuffres Ansicht, was den fortlaufenden Beat betrifft – überhaupt nicht!

    Bud Shank und Art Pepper hatten sich inzwischen zu reifen Musikern entwickelt. Beider Weg führte von einer kühlen, feinen Spielweise, wie sie für den „West Coast Jazz“ typisch ist, zu einer härteren, treibenden, stark vom Bebop geprägten. Pepper nahm etwa mit Russ Freeman auf, stiess im Studio auch auf Warne Marsh, den Tristano-Eleven und Angeleno der in seine Heimat zurückgekehrt war.

    Bud Shank tat sich schon früh mit der Etikettierung als West Coast Jazzer schwer. Im Gespärch mit Doug Ramsey äusserte er sich darüber, zurückblickend:

    „Neither Claude nor Chuck nor I was playing what was known as ‚west coast jazz‘ music at that time,“ Shank said.
    „That happened a few years before than, and we were all breaking away from that.“
    „Meaning what?“ I asked. „What were you breaking away from?“
    „The very delicate way that we all played in earlier years …“ he stopped in mid-sentence. „I don’t even know what the hell west coast jazz is,” he said, with exasperation and no wry laugh. „It was something different from what they were doing in New York, so the critics called it west coast jazz. That Miles Davis BIRTH OF THE COOL album, out of New York, probably started west coast jazz. It was also very organized, predetermined, written. It was a little bit more intellectual, shall I say, than had happened before. Jimmy Giuffre, Buddy Childers, Shorty [Rogers], Shelly Manne, Marty Paich, Coop [Tenorsaxophonist Bob Cooper], almost everybody involved; we all came from somewhere else, New York, Texas, Chicago, Ohio. The fact that we were in L.A. around the orange trees had nothing to do with it. I really think that everybody played the way they would have played no matter where they were. New York writers, they’re the ones who invented west coast jazz.“
    „Those bastards,“ I said.
    „Those bastards,“ he said, laughing uproariously.

    (aus Doug Ramseys Liner Notes zu „The Pacific Jazz Bud Shank Studio Sessions (1956–61)“, 5 CD, Mosaic, 1998)

    Schlagzeuger Chico Hamilton (2 Links) begann 1954 ebenfalls damit, eigene Combos zu leiten. Er hatte seine Sporen unter anderem im Gerry Mulligan Quartet mit Chet Baker abverdient. Mit dem Multi-Instrumentalisten Buddy Collette (cl, as, ts, fl), Jim Hall (g), Fred Katz (cello) und Carson Smith (b) gründete er ein Jahr später das erste berühmte Chico Hamilton Quintet, das für Pacific Jazz eine Reihe toller Aufnahmen machen sollte. Hamilton war noch deutlich mehr als Shelly Manne ein „Anti-Drummer“, wie man die Westküsten-Trommler gern titulierte (und diffamierte). Seine Musik liess wie jene von Rogers, Giuffre oder Manne Raum für Experimente, sie beruhte gerade im originalen Line-Up oft auf intuitivem Zusammenspiel, wie etwa im unvergesslichen „Blue Sands“.

    Auch Hampton Hawes, der famose Pianist (siehe oben), begann in der Mitte des Jahrzehnts, eigene Aufnahmen zu machen – endlich, Lester Koenig von Contemporary Records hatte den Plan ja bereits Jahre zuvor gefasst. Bei Hawes hören wir – ebenso wie im Spiel des Pianisten des Bud Shanks Quartet, Claude Williamson – einen intensiven Stil nach dem Vorbild von Bud Powell. Aber der West Coast Jazz bezog sich auch oftmals zurück auf ältere Einflüsse. Chico Hamilton hatte seinen Stil auch nach dem Vorbild von Drummern wie Jo Jones oder Sonny Greer geform; „Papa“ Jo Jones spielte in Count Basies sogenannter Old Testament Band, Greer war von 1923 bis 1951 Schlagzeuger bei Duke Ellington und ist wohl derjenige, dem der Ehrentitel „original nutty drummer“ gebührt.

    Count Basie war für den West Coast Jazz eine prägende Figur, gerade auf rhythmischer Ebene war der fliessende Swing Kansas City manchem näher als die zerklüfteten Rhythmen des Bebop. Chico Hamilton hat Basie-Nummern eingespielt, der Einfluss ist aber auch beim „typischen“ West Coast Jazz von Lennie Niehaus und Bob Gordon/Jack Montrose zu hören: Count Basie meets Charlie Parker meets Kontrapunkt.

    Es geht weiter, aber im nächsten Thread, denn Mitte der Fünfzigerjahre reckte auch der Bebop, der nie ganz verschwunden war, nochmal sein Haupt, es entstanden einige herausragende Hard Bop-Alben – ein paar von ihnen überraschenderweise unter Shelly Mannes Obhut.

    Ferner folgt wie schon erwähnt ein Blick auf San Francisco, wo lange Zeit nur Dixieland-Retro-Bands aktiv und erfolgreich waren, bis ein paar Studenten von Darius Milhaud sich daran machten, das zu ändern. Der bekannteste unter ihnen wurde – eigentlich eher trotz als wegen seiner musikalischen Hartnäckigkeit – zu einem der erfolgreichsten Jazzmusiker aller Zeiten: Dave Brubeck.

    Die Band:

    Shorty Rogers, Jack Sheldon, Stu Williamson (t)
    Chet Baker (t, voc)
    Buddy Collette (fl, ts)
    Jimmy Giuffre (cl, ts, bari)
    Art Pepper, Lennie Niehaus (as)
    Bud Shank (as, fl, bari)
    Jack Montrose, Bill Perkins, Warne Marsh (ts)
    Bob Gordon (bari)
    Hamptown Hawes, Russ Freeman, Claude Williamson, Paul Moer (p)
    Jim Hall (g)
    Carson Smith, Ralph Peña, Red Mitchell, Ben Tucker, Joe Mondragon (d)
    Shelly Manne, Chico Hamilton, Chuck Flores (d)
    arr. Jack Montrose, Frank Campo, Lennie Niehaus

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    gypsy-tail-wind
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    Die Radio-Sendung, die ich zusammenstellte, war noch nicht moderiert, d.h. es gab hier im Forum ausführliche Kommentare zu den ausgewählten Stücken, die ich hier gerne auch gebündelt einstelle. Viele der Stücke dürften in der Tube zu finden sein, so man sie nicht streamen oder aus dem Regal holen kann. Leider habe ich da nur noch ein reines Text-PDF ohne Links zu den Covern, die mag ich nicht nochmal zusammensuchen, sie sind ja bei Discogs oder sonstwo im Netz einfach zu finden.

    gypsy goes jazz 17 – Goin’ West – Blue Sands: Los Angeles, 1954–1956

    1. Bob Gordon – Meet Mr. Gordon (1954)
    2. Chet Baker – Little Man You’ve Had a Busy Day (1954)
    3. Chet Baker – Grey December (1955)
    4. Shelly Manne – Abstract No. 1 (1954)
    5. Jimmy Giuffre – Rhetoric (1955)
    6. Chico Hamilton Quintet – Blue Sands (1955)
    7. Hampton Hawes – The Sermon (1956)
    8. Lennie Niehaus – Knee Deep (1956)
    9. Bud Shank Quartet – Carioca (1956)
    10. Chico Hamilton Quintet – Topsy (1956)
    11. Jimmy Giuffre – So Low (1956)
    12. Art Pepper Quartet – Besame Mucho (1956)
    13. Art Pepper Quartet – Blues at Twilight (1956)
    14. Art Pepper/Warne Marsh – I Can’t Believe That You’re in Love with Me (1956)
    15. Jimmy Giuffre 3 – The Train and the River (1956)

    BOB GORDON
    1. Meet Mr. Gordon (Jack Montrose)

    Jack Montrose (ts, arr), Bob Gordon (bari), Paul Moer (p), Joe Mondragon (b), Billy Schneider (d)
    Los Angeles, California, 6. Mai 1954
    Von: Meet Mr. Gordon (Pacific Jazz; CD: Pacific Jazz/Capitol, 1998)

    Bob Gordon (1928–1955) mag man heute am ehesten noch kennen, weil er an Clifford Browns einem Westküsten-Album beteiligt war. Wir hören ihn hier mit seinem regelmässigen Partner Jack Montrose (1928–2006), der auch den Opener zu Gordons Album komponiert und arrangiert hat. Wir hören ein raffiniertes Arrangement, das trotz zupackendem Spiel der Solisten – Gordon, Montrose, Moer – die
    kalifornische Herkunft verrät.
    Gordon spielt mit grossem Ton, ganz anders als Gerry Mulligan, sein Freund Jack Montrose schrieb – nach Gordons Tod in einem Autounfall – die Liner Notes zum einzigen Album als Leader, das Gordon in seiner kurzen Karriere eingespielt hat – daraus:

    Bob Gordon was a natural musician, not the least bit revolutionary, at least intentionally. For his sole purpose in life was to express himself. … The union of Bob Gordon and the baritone saxophone must have been decreed in heaven for never have I viewed such rapport between the natural tendencies of a musical instrument and the mind of the man using it. I cannot imagine Bob Gordon using any other instrument as a vehicle for expressing himself.

    CHET BAKER
    2. Little Man, You’ve Had a Busy Day (Sigler–Wayne–Hoffman) (arr. Jack Montrose)

    Chet Baker (t), Bob Brookmeyer (vtb), Bud Shank (bari), Russ Freeman (p), Carson Smith (b), Shelly Manne (d)
    Radio Annex, Los Angeles, California, 15. September 1954
    Von: Chet Baker Sextet (Pacific Jazz; CD: Pacific Jazz/Capitol, 2004)

    Jack Montrose war damals als Arrangeur so aktiv wie als Musiker. Aus seiner Feder stammt das Arrangement eines vergessenen Standards, das Chet Baker im Herbst 1954 mit einer erweiterten Band einspielte. Der Song stammt von 1934 und ist als Jazzvehikel ungewöhnlich. Johnny Griffin mochte ihn auch und spielte ihn in den Sechzigern regelmässig.
    Baker bezaubert mit seinem Ton, die Rhythmusgruppe ist erstklassig – Freeman und Smith gehörten zu Bakers Quartett, Manne „was everyone’s first call in L.A. at the time“, wie wir längst wissen. Nach Baker hören wir Bob Brookmeyer an der Ventilposaune. Er hatte – im Studio von Rudy Van Gelder an der Ostküste – gerade sein eigenes Pacific Jazz-Album eingespielt. Russ Freeman spielt das letzte Solo, bevor das schöne Arrangement mit der Wiederholung des eingängigen Themas ausklingt.

    CHET BAKER
    3. Grey December (Frank Campo) (arr. Campo)

    Chet Baker (t, voc), Bud Shank (fl), Russ Freeman (p), Red Mitchell (b), Bob Neel (d), Corky Hale (harp), Ed Lustgarten, Ray Kramer, Eleanor Slatkin, Kurt Reher (vc)
    Western Recorders, Los Angeles, California, 7. März 1955
    Von: Chet Baker Sings and Plays (Pacific Jazz; CD: Pacific Jazz/Capitol, 2004)

    Unser viel zu knapper Blick auf Chet Bakers Pacific Jazz-Aufnahmen endet mit einem aussergewöhnlichen Stück von einem ansonsten unbekannten Komponisten namens Frank Campo. Baker singt und spielt, begleitet von seinem regulären Quartett sowie Flöte, Harfe und vier Celli – gerade letztere sind hervorragend eingesetzt. Baker selbst glänzt sowohl als Sänger – keinen Moment lang klingt das nach dem plumpen Melodram, das man angesichts des Textes befürchten müsste – wie auch in seinem Trompetensolo, das aus einfachen Linien besteht, die er mit grosser Ruhe bläst.

    SHELLY MANNE with SHORTY ROGERS & JIMMY IUGGRE
    4. Abstract No. 1 (Manne–Rogers–Giuffre)

    Shorty Rogers (t), Jimmy Giuffre (cl, ts, bari), Shelly Manne (d)
    Los Angeles, California, 10. September 1954
    Von: Shelly Manne’s „The Three“ & „The Two“ (Contemporary; CD: Fantasy/OJCCD, 1991)

    Wir hörten Shelly Manne schon ausgiebig in der letzten Sendung – hier ist eine Kostprobe seiner wohl experimentellsten Session jener Zeit. Im Trio mit Shorty Rogers’ Trompete und den drei Hörnern von Jimmy Giuffre (Klarinette, Tenor- und Baritonsaxophon) entstand das 10″-Album „The Three“. Darauf sind neben einem Standard und einer Charlie Parker-Nummer je eine Komposition der drei Musiker zu hören: ein Rondo von Giuffre, eine Zwölftonkomposition von Rogers, ein kontrapunktischer Kanon von Manne … und eben auch „Abstract No. 1“, ein völlig frei improvisiertes Stück, das an ähnliche Experimente Lennie Tristanos anknüpft.
    Rogers: „It’s the product of extreme team work, keeping our ears open all the time, listening to each other, sequencing and complementing each other’s ideas. We’ve worked together so long we’ve developed the ability to improvise arrangements or abstracts“ (aus den Liner Notes).

    JIMMY GIUFFRE
    5. Rhetoric (Jimmy Giuffre)

    Jimmy Giuffre (cl), Jack Sheldon (t), Ralph Peña (b), Artie Anton (d)
    Capitol Studios, Los Angeles, California, 7. Juni 1955
    Von: Tangents in Jazz (Capitol; CD: The Complete Capitol & Atlantic Recordings of Jimmy Giuffre, 6 CD, Mosaic, 1997)

    Jimmy Giuffre (1921–2008) war der hartnäckigste der Experimentatoren des West Coast Jazz. Giuffre war besessen von der Suche nach neuen Klängen, ausgestattet mit einer kindlichen Neugierde und einem beeindruckenden Fluss von Ideen. Nach Anfängen bei Woody Herman (wir hörten „Four Brothers“ in einer früheren Sendung) stiess er zu den Lighthouse All Stars, spielte mit Musikern wie Shorty Rogers und Shelly Manne. Giuffre verabscheute die Klischees und die zupackende Hemdsärmeligkeit des modernen Jazz, seine Konzepte gingen weit über die Musik hinaus und man kann Ted Gioia folgen, wenn er Giuffre als prägenden Einfluss (nicht anerkannt bzw. uneingestanden, versteht sich!) des New Age bezeichnet.
    Aus Kontrapunkt wird so bei Giuffre eine Art humanistische Philosophie:
    In studying counterpoint I began to see that each guy wants to express his own individuality. … I began to think, well, if this man is playing, give him a part to play that’s good. Give the guitar, give the bass or whatever I use, a line that sounds like he is playing his own melody. (Jimmy Giuffre, zit. nach: Ted Gioia, West Coast Jazz)
    „Rhetoric“ ist, wie Will MacFarland treffend schrieb, „an atonal ditty with a rough bass line“. Es stammt von Giuffres zweitem und letztem Album für Capitol Jazz – und seinem ersten Meistwerk. Wir hören hier die Art Kontrapunkt, wie Giuffre sie mochte – und wir hören, wie der strikte, ununterbrochene Groove aufgelöst wird. Dennoch: über Mangel an Swing kann man sich nun wirklich nicht beschweren!

    CHICO HAMILTON QUINTET
    6. Blue Sands (Buddy Collette)

    Buddy Collette (fl), Jim Hall (g), Fred Katz (vc), Carson Smith (b), Chico Hamilton (d)
    Radio Recorders, Los Angeles, California, 23. August 1955
    Von: The Chico Hamilton Quintet Featuring Buddy Collette (Pacific Jazz; CD: The Complete Pacific Jazz Recordings of the
    Chico Hamilton Quintet, 6 CD, Mosaic, 1997)

    Chico Hamilton (1921–2013) war neben Shelly Manne der prägende Drummer des West Coast Jazz. Er war der erste Drummer des Gerry Mulligan Quartet und machte früh erste Versuche, das Schlagzeug auch melodisch einzusetzen. Er bezog sich auf Prä-Bop-Drummer wie Sonny Greer (den langjährigen Schlagzeuger Duke Ellingtons) oder Jo Jones. Und er beherrschte die Kunst, leise zu spielen – sogar, wenn er solierte. In seinen Anfängen hatte er u.a. mit Lester Young, Ella Fitzgerald, Count Basie und Lionel Hampton gespielt, in den Fünfzigern stiess er zum Stamm des Pacific Jazz-Labels. Das Chico Hamilton Quintet, das im Sommer 1955 erstmals aufnahm, war eine der wenigen „integrierten“ Gruppen des West Coast Jazz, Hamilton und Saxophonist Buddy Collette (1921–2010) waren Afro-Amerikaner. Böse Zungen – in diesem Fall auch Ted Gioia, und damit liegt er meiner Ansicht nach für einmal falsch – meinen, die Musik der Gruppe sei nicht gut gealtert, klinge nach Fahrstuhlmusik.
    „Blue Sands“ war eine der Paradenummern des Quintetts, ein entfernter Verwandter von Juan Tizols „Caravan“. Das Stück baut langsam auf, Collettes Flöte ist die prominenteste Stimme, Jim Hall streut Flamenco-artige Akkorde ein, während Smith und Hamilton für den Beat sorgen, der langsam lauter, intensiver wird. Die Performance ist sehr spontan, lebt von den Beiträgen der Musiker, ein Arrangement gibt es nicht. Buddy Collette erinnerte sich später daran, dass es nicht leicht war, das Stück jüngeren Musikern beizubringen:
    You gotta have the right players, and you gotta have a setting where they see this begin to happen; then they believe in it. But if you just rehearse it, they say, “There’s not much there.” Well, the “much there” is what you put there – right? – with what you have to work with.” (Buddy Collette)

    HAMPTOWN HAWES TRIO
    7. The Sermon (Hampton Hawes)

    Hampton Hawes (p), Red Mitchell (b), Chuck Thompson (d)
    Los Angeles, California, 25. Januar 1956 (Contemporary)
    Von: Everybody Likes Hampton Hawes (CD: The Trio – Complete Sessions, 2 CD, Gambit, 2006)

    Lester Koenig hatte sich wie in der letzten Sendung erwähnt um Hampton Hawes bemüht – musste sich jedoch eine ganze Weile gedulden, bis es im Juni 1955 zu ersten Aufnahmen kam. Diese entstanden im leeren Auditorium (zugleich Sporthalle) der Los Angeles Police Academy in Chavez Ravine. Hawes spielte einen Steinway, den auch Arthur Rubinstein schon gespielt hatte. Die Aufnahmen mit Red Mitchell und Chuck Thompson bilden den Auftakt einer langen Reihe toller Alben für Contemporary Records.
    „The Sermon“ stammt vom dritten Album des Trios, ein Blues aus Hawes’ Feder. Hawes predigt nicht nur für uns, das Publikum, sondern besonders für einen Vater, der Priester war und wenig Interesse an der Musik seines Sohnes zeigte. John S. Wilson zitiert Hawes in seinen Liner Notes: „I thought maybe if I asked him to listen to my sermon, maybe he’d start to understand modern music.“

    LENNIE NIEHAUS
    8. Knee Deep (Lennie Niehaus)

    Stu Williamson (t), Lennie Niehaus (as), Bill Perkins (ts), Jimmy Giuffre (bari), Buddy Clarke (b), Shelly Manne (d)
    Contemporary Studio, Los Angeles, California, 9., 11. & 12. Januar 1956
    Von: Lennie Niehaus Volume 5: The Sextet (Contemporary; CD: Fantasy, 2001)

    Wir hörten schon – und hören gleich wieder! – Art Pepper und Bud Shank, die zwei bekanntesten Altsaxophonisten von der Westküste. Doch es gab weitere, nicht nur Bebopper wie Sonny Criss und Frank Morgan, die mit dem Verschwinden der Central Avenue-Szene arbeitslos geworden waren (und lange Zeit im Gefängnis sassen), sondern auch weitere weisse Musiker wie Herb Geller oder Lennie Niehaus. Letzterer ist als Musiker praktisch vergessen, man kennt eher noch seine „Jazz Conception“ Saxophon-Lehrbücher als seine Aufnahmen. Doch in den Fünfzigern machte er eine Reihe hervorragender Alben für Contemporary, die beweisen, dass er seinen Charlie Parker gelernt hatte. Niehaus phrasiert exzellent und glänzt auch als Arrangeur für mittelgrosse Formationen. Hier lässt er ein
    herausragend besetztes Sextett wie eine kleine Big Band klingen. Mit Bill Perkins (einem Musiker, den ich in dieser Reihe leider vernachlässige) und Jimmy Giuffre sind zwei weitere hervorragende Saxophonisten dabei. Stu Williamson glänzte ebenso an der Trompete wie an der Ventilposaune, hier spielt er Trompete und steuert ein feines Solo bei. Die klavierlose Besetzung sorgt für enorme klangliche Transparenz während Buddy Clarke und Shelly Manne dafür sorgen, dass alles rund läuft.

    BUD SHANK QUARTET
    9. Carioca (Youmans–Eliscu–Kahn)

    Bud Shank (as), Claude Williamson (p), Don Prell (b), Chuck Flores (d)
    Capitol Studios, Los Angeles, California, 25. Januar 1956
    Von: Bud Shank Quartet (Pacific Jazz; CD: The Pacific Jazz Bud Shank Studio Sessions (1956–61), 5 CD, Mosaic, 1998)

    Bud Shank (1926–2009) war als Flötist und Lead-Altsaxophonist zu Stan Kentons meglomaner Big Band von 1951/51 gestossen, nach der Army stiess er 1953 zusammen mit Bob Cooper zu den Lighthouse All Stars (als Ablösung von Shorty Rogers und Jimmy Giuffre, die dort von 1951–53 gewirkt hatten). Neben frühen Latin Jazz-Aufnahmen mit dem brasilianischen Gitarristen Laurindo Almeida (der 1950 auch bei Kenton war) experimentierte Shank gemeinsam mit Bob Cooper an einer Flöten/Oboen-Besetzung, auf deren Aufnahmen nun wenigstens teilweise das Prädikat „Fahrstuhlmusik“ verwendet werden darf, ohne dass ich Einspruch erhebe. Doch am Altsaxophon war Shank schon früh ein „heisser“ Musiker – und wie sein Kollege Art Pepper (1950/51 bei Kenton zweiter Altsaxophonist und Solist auf dem Instrument) bewegte sich auch Shank im Verlauf der ganzen Karriere kontinuierlich vom kühlen „West Coast Jazz“ weg zu einer Spielweise, die spätestens in den Achtzigern brennend heiss geworden war.
    In den frühen Fünfzigern begann Shank sich nach Jahren als Section-Leader in grossen Bands auch als Improvisator einen Namen zu machen. Er gründete ein exzellentes Quartet mit Claude Williamson am Klavier (dem Bruder von Stu, den wir gerade mit Lennie Niehaus hörten). Dieser gehörte mit Russ Freeman und Hampton Hawes zu den herausragenden Pianisten Kaliforniens. Er bezog sich auf Bud Powell, doch spielte er nicht nur dessen Licks nach sondern versuchte auch, die brennende Intensität seines Vorbildes zu erreichen. Schlagzeuger Chuck Flores orientierte sich an Philly Joe Jones, während Bassist Don Prell – er stiess später zum San Francisco Symphony Orchestra – spieltechnisch eine ältere Generation verkörperte, im Quartett der jungen Wilden aber eine wichtige Ankerfunktion einnahm.
    Shanks Version von Vincent Youmans beliebtem Stück öffnet mit Hinweisen auf die aussergewöhnliche Sensibilität, die Shank für Latin-Musik besass. Doch bald schaltet die Band ein paar Gänge höher und das Stück entwickelt sich zu einem wilden Bebop-Romp.

    “Neither Claude nor Chuck nor I was playing what was known as ‘west coast jazz’ music at that time,” Shank said.
    “That happened a few years before than, and we were all breaking away from that.”
    “Meaning what?” I asked. “What were you breaking away from?”
    „The very delicate way that we all played in earlier years …” he stopped in mid-sentence. “I don’t even know what the hell west coast jazz is,” he said, with exasperation and no wry laugh. “It was something different from what they were doing in New York, so the critics called it west coast jazz. That Miles Davis BIRTH OF THE COOL album, out of New York, probably started west coast
    jazz. It was also very organized, predetermined, written. It was a little bit more intellectual, shall I say, than had happened before. Jimmy Giuffre, Buddy Childers, Shorty [Rogers], Shelly Manne, Marty Paich, Coop [Tenorsaxophonist Bob Cooper], almost everybody involved; we all came from somewhere else, New York, Texas, Chicago, Ohio. The fact that we were in L.A. around the orange trees had nothing to do with it. I really think that everybody played the way they would have played no matter where they were. New York writers, they’re the ones who invented west coast jazz.”
    “Those bastards,” I said.
    “Those bastards,” he said, laughing uproariously.

    (aus Doug Ramseys Liner Notes zur erwähnten Mosaic-Box)

    CHICO HAMILTON QUINTET
    10. Topsy (E. Battle–E. Durham)

    Buddy Collette (ts), Jim Hall (g), Fred Katz (vc), Carson Smith (b), Chico Hamilton (d)
    Music Theatre, Los Angeles, California, 10. & 13. Februar 1956
    Von: The Chico Hamilton Quintet in Hi-Fi (Pacific Jazz; CD: The Complete Pacific Jazz Recordings of the Chico Hamilton
    Quintet, 6 CD, Mosaic, 1997)

    Wir hörten Basie-Einflüsse schon in den Stücken von Bob Gordon oder Lennie Niehaus – mit „Topsy“ sind wir noch näher dran, entstammt das Stück doch dem Repertoire von Count Basie. Diese Aufnahme mag als Korrektiv zum Image des Hamilton Quintetts dienen, denn hier fällt die Gruppe sofort in einen tollen Groove. Buddy Collette soliert als erster, am Tenorsaxophon, mit luftigem Ton, entspannter Phrasierung – zwar auch von Lester Young beeinflusst, aber klanglich doch deutlich anders als Kollegen wie Zoot Sims, Stan Getz, Bill Holman oder Bob Cooper. Jim Hall folgt mit einem Gitarrensolo, das deutlich von Charlie Christian beeinflusst ist – er summt über weite Strecken leise mit. Dann hören wir Carson Smith mit einem Walking Bass-Solo – ein verdienter kurzer Moment im Scheinwerferlicht für diesen tollen Bassisten, bei dem Time und Ton alles sind. Straightforward ist diese Aufnahme, in jeder
    Hinsicht.

    JIMMY GIUFFRE
    11. So Low (Jimmy Giuffre)

    Jimmy Giuffre (cl)
    Capitol Studios, Los Angeles, California, 21. März 1956
    Von: The Jimmy Giuffre Clarinet (Atlantic; CD: The Complete Capitol & Atlantic Recordings of Jimmy Giuffre, 6 CD, Mosaic,
    1997)

    Jimmy Giuffre gerecht zu werden, das kann natürlich nicht gelingen in so kurzer Zeit. Das dürfte nach den obigen Zeilen über ihn bereits klar geworden sein. Hier hören wir ihn ganz allein, von seinem zweiten Meisterwerk, „The Jimmy Giuffre Clarinet“, seinem ersten Atlantic-Album. Für jedes Stück wählte er eine andere Besetzung, vom Solo über ein Duo mit Celesta, ein Trio mit cl/b/d oder ein Klarinettentrio (cl/alto cl/bcl) bis hin zum Holzbläserquartett mit Kontrabass oder einem Nonett.
    Giuffre beschreibt in seinen Liner Notes zur LP jedes Stück kurz. Zu „So Low“ schriebt er: „A very slow blues, recorded in pitch dark, with just clarinet and the sound of my foot tapping. I wanted to get the effect of a musician playing in his back room all alone.“ (zit. nach Francis Davis’ Liner Notes zur Mosaic-Box)

    ART PEPPER
    12. Besame Mucho (Consuelo Velazquez)
    13. Blues at Twilight (Art Pepper)

    Art Pepper (as), Russ Freeman (p), Ben Tucker (b), Gary Frommer (d)
    Hollywood, California, 25. November 1956
    Von: Art Pepper Quartet (Tampa; CD: Fantasy, 1994)

    Art Pepper war schon in der letzten Sendung einer der Stars – auch wenn es bei seinem Lebenswandel kaum zu glauben ist, dauerte seine Karriere lange und zeitigte enorme Schätze, was Aufnahmen betrifft. 1956 trat er in eine erste „heisse“ Phase sein, die bis zu Beginn der nächsten Dekade reichen sollte. Instabil und allerlei Drogen verfallen, gelangen ihm dennoch immer wieder beeindruckende Aufnahmen. In diesen Jahren lässt sich die gerade bei Bud Shank erwähnte Tendenz weg vom leichten und weichen Spiel, wie es für den „West Coast Jazz“ als so typisch gilt, hin zu einem schwereren, intensiv brennenden Spiel beobachten. Rhythmisch fängt Pepper an, den so leichten „flow“ der frühen Jahre zu durchbrechen, der Ton wird immer dicker, emotionsgeladener. Wir hören in kommenden Sendungen gewiss noch mehr von Pepper, doch heute bleiben wir beim Jahr 1956. Eine der besten Aufnahmen aus dieser Zeit ist sein Tampa-Album mit Russ Freeman, Ben Tucker und Gary Frommer.
    Dass Freeman ein hervorragender Pianist ist, überrascht inzwischen wohl niemand mehr, aber hier ragt Ben Tucker wenigstens so sehr heraus, mit seinem riesigen Ton und seinem soliden Time. Wir hören zwei Kostproben aus dem Album, eine Novelty-Nummer, die gerade Saxophonisten stets gerne mochten, und einen erdigen Blues, in dem auch Ben Tucker sein Solo kriegt.

    ART PEPPER & WARNE MARSH
    14. I Can’t Believe That You’re in Love with Me (Gaskill–McHugh)

    Art Pepper (as), Warne Marsh (ts), Ronnie Ball (p), Ben Tucker (b), Gary Frommer (d)
    Contemporary Studio, Los Angeles, California, 26. November 1956
    Von: Art Pepper – The Way It Was! (Contemporary, 1972; CD: Fantasy, 1989)

    Und gleich noch einmal Art Pepper – diesmal mit Warne Marsh (1927–1987), dem Tristano-Eleven, der in der Zwischenzeit in seine Heimat Kalifornien zurückgekehrt war. Ben Tucker spielte damals in Marsh Combo, Gary Frommer ist ebenfalls wieder dabei, am Klavier sitzt Ronnie Ball, ein Tristano-Schüler aus England. Wir hören den Standard „I Can’t Believe That You’re in Love with Me“ und ich übergebe an Art Pepper, der für die Contemporary-LP von 1972 mit Hilfe von Laurie (damals noch Miller) seine ersten Liner Notes verfasste und darin die besondere Interaktion zwischen den zwei Saxophonen beschreibt:

    On I Can’t Believe That You’re In Love With Me Warne starts out all by himself and plays four bars. Then I come in and join him, and it’s an eight bar intro. My figures are dictated by his first four. Then the rhythm section comes in, and we’re at the beginning of the tune, and we play the whole chorus together. He’ll make a statement and I’ll follow that statement and enhance it. Then I’ll stick my head up and say something that sort of changes things around, and I’ll become the leader. He’ll follow me. Nothing’s planned; it’s something that’s felt. He feels me making a statement that’s the leading statement – then he follows my trend of thought, and it changes, back and forth.

    JIMMY GIUFFRE
    15. The Train and the River (Jimmy Giuffre)

    Jimmy Giuffre (cl, ts, bari), Jim Hall (g), Ralph Peña (b)
    Capitol Studios, Los Angeles, California, 3. Dezember 1956
    Von: The Jimmy Giuffre 3 (Atlantic; CD: The Complete Capitol & Atlantic Recordings of Jimmy Giuffre, 6 CD, Mosaic, 1997)

    Zum Abschluss noch einmal Jimmy Giuffre – mit seinem nach „Four Brothers“ wohl berühmtesten Stück, von seinem vermutlich bekanntesten Album, „The Jimmy Giuffre 3“. Mit dieser Gruppe mit Jim Hall an der Gitarre und Ralph Peña am Bass gelang Giuffre etwas, was viele der grössten Solisten des Jazz nicht zustande brachten, wie Francis Davis in seinen Liner Notes zur erwähnten Box schreibt: „THE JIMMY GIUFFRE 3 demonstrated his ability to form an ensemble in his own image“. Die Combo stellt den nächsten Schritt von Giuffres Klangexperimenten dar, Vorbild war übrigens Debussys Sonate für Flöte, Bratsche und Harfe: „Jim was the harp, Ralph the viola and I was the flute“ (Giuffre). Auf das Schlagzeug verzichtet er hier ganz, doch darunter leidet keineswegs der Swing dieser Nummer. Im Gegenteil, es wirkt verspielt und fröhlich – und es swingt sehr entspannt dahin. Giuffre verstösst, so kann man mit Gioia sagen, auf dem ganzen Album gegen sein eigenes Dogma: Der Beat ist – auch ohne Schlagzeug, und das ist natürlich kein Paradox – so treibend und stark wie zuvor auf keiner Giuffre-Aufnahme. Die Musik wirkt – wenigstens innerhalb von Giuffres Klangwelt – schon fast konventionell. Giuffre scheint hier seinen Frieden mit dem Jazz gemacht zu haben … doch lange sollte die Ruhe natürlich nicht dauern.

    --

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    #11089497  | PERMALINK

    kurganrs

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    @gypsy-tail-wind: großartig!
    Die Sendungen müsste man wiederholen. Bitte!  :yes:

    #11115853  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

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    bud shank und laurindo almeida im the haig (1953) – hatten wir das schon?

    JW: What you’re saying is…
    BS: The music of West Coast jazz that appeared out of L.A.— by the way, I hate the term “West Coast jazz” but I’ve been stuck in it for 50 years and have to talk about it so I still use it — had a huge influence on the Brazilians.

    JW: But how do you know for sure that your albums with Laurindo and other West Coast jazz albums were directly influential?
    BS: [Antonio Carlos] Jobim told me when I was in Rio in 1965. Recently, I appeared on a panel at the Getty Museum in Los Angeles as part of their series exploring the arts and development. The theme was „Jazz in the Early 1950s.“ People asked, “What happened to West Coast jazz in the mid-1950s?” I said, “That’s simple — it went to Rio.” It was obvious to me. When I brought it up at one of those meetings, people started to think.

    JW: Samba plus West Coast Jazz equals bossa nova?
    BS: Yes. Between what the Brazilians were doing, compositionally, and the whole feel, it was West Coast jazz and “cool.”

    bud shank 2008 im gespräch mit marc myers von jazzwax, ab hier erzählt er, warum das, was almeida und er da ab 1953 gemacht haben, zwar kein bossa nova war, aber eigentlich die entwicklungen in brasilien losgetreten hat, die dann 1958 zur bossa nova führten. sehr selbstbewusst. jobim hat später allerdings gesagt, dass er die shank/almeida-aufnahmen nie gehört habe, und den einfluss dezidiert gerry mulligan zugeschrieben.

    anyway, es gibt noch schöne geschichten über das live-engagement des quartetts im haig als lückenfüllerband für baker/mulligan, was wohl vor allem deshalb geklappt hat, weil der clubbesitzer das klavier rausgeschmissen hatte (für red norvo, aber baker/mulligan brauchten es ja auch nicht und shank/almeida eben auch nicht).

    almeida hat sich später wohl etwas vorsichtiger zu seinem einfluss geäußert, in einem downbeat-artikel, der 1962 vom hype weg in die tiefe recherchiert hat ( TYNAN, J. A. The Real Story of Bossa Nova. Down Beat. 29: 21-23 p. 1962. – ich komm da leider nicht dran).

    leider wird peacock im interview nur kurz erwähnt.

    --

    #11115879  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Gary Peacock? Das ist ja auch Harry Babasin am Bass ;-)

    Und vermutlich Roy Harte am Schlagzeug, die Brille passt zumindest, aber das ist bei dem Foto natürlich schwer zu sagen.

    Das Interview kannte ich noch nicht – an Selbstbewusstsein mangelte es Shank in der Tat nicht, aber das halte ich ihm nicht entgegen. Er ist besser, als viele Jazzfans meinen – hatte aber halt z.B. nie das Kult-Potential von Art Pepper … dafür war er wohl irgendwie zu normal, und vielleicht auch sein Spiel vom Charakter etwas zu … schwierig, da passende Worte zu finden, weil sie dem nicht gerechtfertigten Image gleich wieder Vorschub leisten: zu brav, zu nett, zu freundlich, zuwenig abgründig? Aber ich denke eben, dass auch das alles nicht stimmt … hinhören hilft jedenfalls, und dann halt nicht bei den hübschen „Flute & Oboe“-Sachen (und auch nicht unbedingt bei den Latin-Sachen, auch wenn ein Teil von Shanks Stolz gerade auf ihnen beruht).

    --

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    #11115885  | PERMALINK

    redbeansandrice

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    diese Theorie, dass es einen Cool Jazz Einfluss auf den brasilianischen Bossa Nova gegeben hatte, stand glaub ich auch schon in Behrendts „Jazzbuch“ von 1989, und wahrscheinlich war sie auch da nicht neu… da brauchte es jedenfalls nicht Bud Shank 2008 fuer

    ich bild mir ein, ich hatte neulich mal ein Shank Interview, in dem er ein mehr Saetze zu Peacock gesagt hat

    edit, das hier koennte es gewesen sein:

    From about 1960 to 1963, I often played at the Drift Inn in Malibu, usually, with Carmell Jones, Dennis Budimir, and Gary Peacock. Dennis and Gary were very adventurous, especially in their conception of time, and being the early sixties it was a little early for that, so I used to hire some very straight ahead drummers to keep it all together. I didn’t want to tell them to cool it. because I wanted them to have their freedom. So the drummers tended to vary, but more often than not, we had Frank Butler with us. Lee Marvin used to come to the club all the time, as did a lot of movie people, because many of them lived in Malibu. We recorded for Richard Bock in 1961, and although I only played alto with the group at the club, Dick wanted me to play baritone on a couple of numbers, because I had just come second in the baritone section of the Playboy Readers‘ Poll. We used Mel Lewis on the album because. on the morning of the date, Dick Bock telephoned to say that our drummer had just been busted, so I said, „Get Mel, real quick!“ That was the last jazz record I made for a long time, because right after that our music seemed to disappear; it was the end of that era.

    zuletzt geändert von redbeansandrice

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    #11115897  | PERMALINK

    vorgarten

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    ich lass mich ja gerne auf meinen platz verweisen, wenn es um ein psychogramm von bud shank geht, aber sich mal eben zu mulligan dazuzuschreiben, dessen einfluss jobim nie abgestritten hat, und als beweis für seinen einfluss zu sagen, „das habe ich kürzlich auf einem panel bahuptet und alle kamen dadurch ins nachdenken“… naja.

    eigentlich egal, aber es ist nicht ganz ohne zu behaupten (wie 1962 im down beat, das war ein bisschen vor behrendt), die bossa nova sei in einem tonstudio in l.a. entstanden.

    und klar ist das nicht peacock auf dem foto, aber im interview gehts halt auch um die zweite session 1958 und also auch um peacock, aber eben nur als kurze erwähnung.

    --

    #11115899  | PERMALINK

    redbeansandrice

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    das Thema hatten wir ja glaub ich auch schon mal… ich assozier Shank primaer mit seiner Witwe, die frueher auf der West Coast Jazz mailing list sehr aktiv war… und was die zB ueber Laurindo Almeida geschrieben hat, waere hier im Forum sicherlich geloescht worden… und natuerlich ist so eine Assoziation nicht ganz fair – aber wenn Shank auch nur 20 prozent von dem gedacht hat, was die tagaus, tagein ueber seine Bedeutung in der Welt des Jazz geschrieben hat, dann sah es in der Oberstube ziemlich uebel aus… was das Zitat oben betrifft, die Frage sagt eigentlich „your albums with Laurindo and other West Coast jazz albums“, das macht die Antwort ein bisschen schwer einzusortieren…

    weisst Du, welche Alben von Mulligan das waren? Wahrscheinlich das Quartet mit Chet Baker? Auch Chet Baker mit Russ Freeman macht fuer mich als stilistischen Einfluss viel Sinn

    edit: hier ist eine interessante Ansammlung von Zitaten

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    #11115915  | PERMALINK

    vorgarten

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    redbeansandricedas Thema hatten wir ja glaub ich auch schon mal… ich assozier Shank primaer mit seiner Witwe, die frueher auf der West Coast Jazz mailing list sehr aktiv war… und was die zB ueber Laurindo Almeida geschrieben hat, waere hier im Forum sicherlich geloescht worden… und natuerlich ist so eine Assoziation nicht ganz fair – aber wenn Shank auch nur 20 prozent von dem gedacht hat, was die tagaus, tagein ueber seine Bedeutung in der Welt des Jazz geschrieben hat, dann sah es in der Oberstube ziemlich uebel aus… was das Zitat oben betrifft, die Frage sagt eigentlich „your albums with Laurindo and other West Coast jazz albums“, das macht die Antwort ein bisschen schwer einzusortieren…

    ja, mir geht es wohl um das „we“, das er da einfach behauptet. er ist sehr klar niemand, der auch nur einen hauch von ahnung hat, was musikalisch in brasilien in den 1950ern los war – aber auch das gibt er ja zu.

    redbeansandriceweisst Du, welche Alben von Mulligan das waren? Wahrscheinlich das Quartet mit Chet Baker? Auch Chet Baker mit Russ Freeman macht fuer mich als stilistischen Einfluss viel Sinn

    ich habe bei castro (dem ich nicht allzuweit über den weg traue) gestern was gelesen von einer samba-jam-session mit herbie mann und mulligan in rio, 1959 von einem radio-dj organisiert. im netz finde ich darüber gar nichts und halte das für wenig glaubwürdig. aber das ist ja auch nochmal eine andere frage – die brasilianer haben garantiert einen ganz guten überblick über den us-jazz gehabt.

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    #11116017  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Entschuldigung, ich wollte Dich bestimmt nicht auf irgendeinen Platz weisen oder gar verweisen @vorgarten – Platzanweiser war jedenfalls nie meine Ambition.

    Mir ging es darum, dass viele dieser Leute immer noch ordentlich schlechte Presse haben unter Jazzfans – da reagiere ich halt mal etwas pauschal zurück. Ausnahmen sind Kultfiguren wie Chet Baker (wobei den ja wohl auch viele nicht mögen oder wenigstens nur, wenn er die Klappe hält) oder halbe Kultfiguren wie Art Pepper. Die Kritik an bzw. das genauere Hinschauen bei Shanks Statements ist aber sicher berechtigt!

    Und was die Witwe angeht, die hat erfolgreich und nachhaltig rufschädigend gewirkt – mglw. aber durchaus im Sinn des späten, schon recht selbstgerecht (aber deshalb nicht humorlos) wirkenden Shank

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    #11116093  | PERMALINK

    vorgarten

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    kein problem ;-)

    ich finde shank in dem interview ziemlich cool und habe gar kein problem mit seiner sichtweise – nur die überprüfung ist mühsam… es könnte ja am ende auch sein, dass jobim einfach zu unrecht abstreitet, von den shank/almeida-sachen nichts gewusst zu haben. aber gaerade, was diese bossa-nova/us-jazz-zusammenhänge angeht (wo es zwischendurch auch einfach um sehr viel geld und fame ging), gibt es an allen ecken und ende einander widersprechende erzählungen. was ja auch total interessant ist.

    --

    #11116123  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Das hatten wir neulich anderswo auch schon, aber über Peacock äussert sich Shank ja im Interview, das dem Booklet der Mosaic-Box mit seinen Pacific Jazz Aufnahmen zugrunde liegt (die Buchstaben plus Datum entsprechen den betreffenden Sessions, F = Slippery When Wet, G = New Groove), H = Barefoot Adventure:

    (F) APRIL 18, 1959

    By this time, early 1959, his band had changed. Flores was back, but Williamson and Prell were replaced by guitarist Billy Bean and bassist Gary Peacock.

    He knows what happened to Peacock. Anyone who follows jazz does. He began playing bass when he was in the Army in Germany in late 1955. By 1957, he was good enough to play with Shank and Cooper on their first European tour. Peacock was advanced technically and harmonically far beyond the norm for the period. He worked with pianist Bill Evans for a time in the 1960s, and later with Paul Bley, Miles Davis, Jimmy Giuffre, George Russell, Keith Jarrett and avant-gardes like Albert Ayler and Don Cherry. He is one of the giants of the instrument.

    „His development,“ Shank says, „was phenomenal. He turned into one of the most creative bass players that ever happened.“

    I asked Peacock about his experience with Shank.

    „Because of his own presence and his own interest, it created a space for me to be very, very flexible. That was a strong component of our connection during that time. There was a much greater sensitivity to sound quality than there is now, and when we recorded, we were all in the same room. We didn’t get stuck in little cells or boxes. We played like we were playing a gig. I think that made an enormous difference in terms of the quality of the music. And Bud was – well everyone knows – the guy’s a master with the instrument. It takes someone like him to work in a framework like that. It was wonderful working with him.”
     
     
    (G) May 1961

    Peacock stayed with Shank well into 1961. With Bean back in Philadelphia, Shank hired Dennis Budimir, as adventurous on guitar as Peacock was on bass. The three of them generated sparks of creativity. Shank’s music moved onto a new plateau.

    „Dennis was another intellectual, like Gary. He was his own man. He was very young when we made this record, 22 or 23. He never wanted to travel. He was by nature an improvising jazz player, a very good one. Very creative. But, he chose to forego that so he could stay home, stay in L.A. He became an extremely successful studio guitarist, still is to this day, probably the first-call guy even now. Very successful, and deserved to be. Of the jazz recordings he has made, this is one of the few. He did a solo or duo thing, in somebody’s living room for Bill Hardy’s little label called Revelation. This is the band, with the exception of Mel Lewis, that was working at the Drift Inn in Malibu at the time we recorded this.“

    After we listened to NEW GROOVE, I asked him, „You said, ,same horn, same mouthpiece, but different.‘ How is it different?“

    „I hear different things in my playing. It’s aggressive, different harmonically, by all means. Different notes, different parts of the chord changes that I’m playing in. And I think that working with Gary Peacock and Dennis Budimir probably got me thinking along those lines. I was becoming more adventurous. I was becoming a better musician, a better saxophone player. More confident. Getting away from the way I was playing eight years before. There’s a hell of an advancement between 27 and 35. I really broke through musically. I’m starting to get it together.“
     
     
    (H) NOVEMBER 1961

    „The real thing was The Rolling Stones and The Beatles. Then John came along, Coltrane. Things started to get so complex that it was difficult for the audience. And we were starting to get complex. I was. Nowhere near where John was, but in a club Gary Peacock was all over the place, way ahead of where Scott LaFaro was. And Dennis was also. We kept things under control on the record, but we were all getting more adventurous. I think we’d got to the point where as Coltrane became more well-known and going the direction he wanted to go, it became so complex that we not only lost the audience, but we lost the musicians because even they weren’t able to understand where it was going. That’s what drove the consumer, the audience, to the simpler music of The Beatles and The Rolling Stones and those things. They didn’t have to think.“

    http://jazzprofiles.blogspot.com/2009/01/bud-shank-part-1.html

    --

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    #11116153  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    vorgarten
    ich finde shank in dem interview ziemlich cool und habe gar kein problem mit seiner sichtweise – nur die überprüfung ist mühsam… es könnte ja am ende auch sein, dass jobim einfach zu unrecht abstreitet, von den shank/almeida-sachen nichts gewusst zu haben. aber gaerade, was diese bossa-nova/us-jazz-zusammenhänge angeht (wo es zwischendurch auch einfach um sehr viel geld und fame ging), gibt es an allen ecken und ende einander widersprechende erzählungen. was ja auch total interessant ist.

    ich bin da ja nicht annähernd so tief drin wie Du (und @redbeansandrice ) – mich hat die brasilianische Musik nie so vollends gepackt, obwohl es da auch jenseits von Bossa einige Sachen gibt, die ich sehr mag (Nara Leão oder „Samba e‘ Aracy de Almeida“ z.B.) … aber da müsste wohl mal jemand ein spezifisch auf die gegenseitigen Einflüsse fokussierendes Buch schreiben, in dem das alles ausgewertet, abgewägt und kommentiert wird – wäre sicher höchst spannend!

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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