Startseite › Foren › Über Bands, Solokünstler und Genres › Eine Frage des Stils › Blue Note – das Jazzforum › West Coast Jazz: Cool Innovations – Los Angeles & Hollywood in den Fünfzigern › Antwort auf: West Coast Jazz: Cool Innovations – Los Angeles & Hollywood in den Fünfzigern
Die Radio-Sendung, die ich zusammenstellte, war noch nicht moderiert, d.h. es gab hier im Forum ausführliche Kommentare zu den ausgewählten Stücken, die ich hier gerne auch gebündelt einstelle. Viele der Stücke dürften in der Tube zu finden sein, so man sie nicht streamen oder aus dem Regal holen kann. Leider habe ich da nur noch ein reines Text-PDF ohne Links zu den Covern, die mag ich nicht nochmal zusammensuchen, sie sind ja bei Discogs oder sonstwo im Netz einfach zu finden.
—
gypsy goes jazz 17 – Goin’ West – Blue Sands: Los Angeles, 1954–1956
1. Bob Gordon – Meet Mr. Gordon (1954)
2. Chet Baker – Little Man You’ve Had a Busy Day (1954)
3. Chet Baker – Grey December (1955)
4. Shelly Manne – Abstract No. 1 (1954)
5. Jimmy Giuffre – Rhetoric (1955)
6. Chico Hamilton Quintet – Blue Sands (1955)
7. Hampton Hawes – The Sermon (1956)
8. Lennie Niehaus – Knee Deep (1956)
9. Bud Shank Quartet – Carioca (1956)
10. Chico Hamilton Quintet – Topsy (1956)
11. Jimmy Giuffre – So Low (1956)
12. Art Pepper Quartet – Besame Mucho (1956)
13. Art Pepper Quartet – Blues at Twilight (1956)
14. Art Pepper/Warne Marsh – I Can’t Believe That You’re in Love with Me (1956)
15. Jimmy Giuffre 3 – The Train and the River (1956)
—
BOB GORDON
1. Meet Mr. Gordon (Jack Montrose)
Jack Montrose (ts, arr), Bob Gordon (bari), Paul Moer (p), Joe Mondragon (b), Billy Schneider (d)
Los Angeles, California, 6. Mai 1954
Von: Meet Mr. Gordon (Pacific Jazz; CD: Pacific Jazz/Capitol, 1998)
Bob Gordon (1928–1955) mag man heute am ehesten noch kennen, weil er an Clifford Browns einem Westküsten-Album beteiligt war. Wir hören ihn hier mit seinem regelmässigen Partner Jack Montrose (1928–2006), der auch den Opener zu Gordons Album komponiert und arrangiert hat. Wir hören ein raffiniertes Arrangement, das trotz zupackendem Spiel der Solisten – Gordon, Montrose, Moer – die
kalifornische Herkunft verrät.
Gordon spielt mit grossem Ton, ganz anders als Gerry Mulligan, sein Freund Jack Montrose schrieb – nach Gordons Tod in einem Autounfall – die Liner Notes zum einzigen Album als Leader, das Gordon in seiner kurzen Karriere eingespielt hat – daraus:
Bob Gordon was a natural musician, not the least bit revolutionary, at least intentionally. For his sole purpose in life was to express himself. … The union of Bob Gordon and the baritone saxophone must have been decreed in heaven for never have I viewed such rapport between the natural tendencies of a musical instrument and the mind of the man using it. I cannot imagine Bob Gordon using any other instrument as a vehicle for expressing himself.
CHET BAKER
2. Little Man, You’ve Had a Busy Day (Sigler–Wayne–Hoffman) (arr. Jack Montrose)
Chet Baker (t), Bob Brookmeyer (vtb), Bud Shank (bari), Russ Freeman (p), Carson Smith (b), Shelly Manne (d)
Radio Annex, Los Angeles, California, 15. September 1954
Von: Chet Baker Sextet (Pacific Jazz; CD: Pacific Jazz/Capitol, 2004)
Jack Montrose war damals als Arrangeur so aktiv wie als Musiker. Aus seiner Feder stammt das Arrangement eines vergessenen Standards, das Chet Baker im Herbst 1954 mit einer erweiterten Band einspielte. Der Song stammt von 1934 und ist als Jazzvehikel ungewöhnlich. Johnny Griffin mochte ihn auch und spielte ihn in den Sechzigern regelmässig.
Baker bezaubert mit seinem Ton, die Rhythmusgruppe ist erstklassig – Freeman und Smith gehörten zu Bakers Quartett, Manne „was everyone’s first call in L.A. at the time“, wie wir längst wissen. Nach Baker hören wir Bob Brookmeyer an der Ventilposaune. Er hatte – im Studio von Rudy Van Gelder an der Ostküste – gerade sein eigenes Pacific Jazz-Album eingespielt. Russ Freeman spielt das letzte Solo, bevor das schöne Arrangement mit der Wiederholung des eingängigen Themas ausklingt.
CHET BAKER
3. Grey December (Frank Campo) (arr. Campo)
Chet Baker (t, voc), Bud Shank (fl), Russ Freeman (p), Red Mitchell (b), Bob Neel (d), Corky Hale (harp), Ed Lustgarten, Ray Kramer, Eleanor Slatkin, Kurt Reher (vc)
Western Recorders, Los Angeles, California, 7. März 1955
Von: Chet Baker Sings and Plays (Pacific Jazz; CD: Pacific Jazz/Capitol, 2004)
Unser viel zu knapper Blick auf Chet Bakers Pacific Jazz-Aufnahmen endet mit einem aussergewöhnlichen Stück von einem ansonsten unbekannten Komponisten namens Frank Campo. Baker singt und spielt, begleitet von seinem regulären Quartett sowie Flöte, Harfe und vier Celli – gerade letztere sind hervorragend eingesetzt. Baker selbst glänzt sowohl als Sänger – keinen Moment lang klingt das nach dem plumpen Melodram, das man angesichts des Textes befürchten müsste – wie auch in seinem Trompetensolo, das aus einfachen Linien besteht, die er mit grosser Ruhe bläst.
SHELLY MANNE with SHORTY ROGERS & JIMMY IUGGRE
4. Abstract No. 1 (Manne–Rogers–Giuffre)
Shorty Rogers (t), Jimmy Giuffre (cl, ts, bari), Shelly Manne (d)
Los Angeles, California, 10. September 1954
Von: Shelly Manne’s „The Three“ & „The Two“ (Contemporary; CD: Fantasy/OJCCD, 1991)
Wir hörten Shelly Manne schon ausgiebig in der letzten Sendung – hier ist eine Kostprobe seiner wohl experimentellsten Session jener Zeit. Im Trio mit Shorty Rogers’ Trompete und den drei Hörnern von Jimmy Giuffre (Klarinette, Tenor- und Baritonsaxophon) entstand das 10″-Album „The Three“. Darauf sind neben einem Standard und einer Charlie Parker-Nummer je eine Komposition der drei Musiker zu hören: ein Rondo von Giuffre, eine Zwölftonkomposition von Rogers, ein kontrapunktischer Kanon von Manne … und eben auch „Abstract No. 1“, ein völlig frei improvisiertes Stück, das an ähnliche Experimente Lennie Tristanos anknüpft.
Rogers: „It’s the product of extreme team work, keeping our ears open all the time, listening to each other, sequencing and complementing each other’s ideas. We’ve worked together so long we’ve developed the ability to improvise arrangements or abstracts“ (aus den Liner Notes).
JIMMY GIUFFRE
5. Rhetoric (Jimmy Giuffre)
Jimmy Giuffre (cl), Jack Sheldon (t), Ralph Peña (b), Artie Anton (d)
Capitol Studios, Los Angeles, California, 7. Juni 1955
Von: Tangents in Jazz (Capitol; CD: The Complete Capitol & Atlantic Recordings of Jimmy Giuffre, 6 CD, Mosaic, 1997)
Jimmy Giuffre (1921–2008) war der hartnäckigste der Experimentatoren des West Coast Jazz. Giuffre war besessen von der Suche nach neuen Klängen, ausgestattet mit einer kindlichen Neugierde und einem beeindruckenden Fluss von Ideen. Nach Anfängen bei Woody Herman (wir hörten „Four Brothers“ in einer früheren Sendung) stiess er zu den Lighthouse All Stars, spielte mit Musikern wie Shorty Rogers und Shelly Manne. Giuffre verabscheute die Klischees und die zupackende Hemdsärmeligkeit des modernen Jazz, seine Konzepte gingen weit über die Musik hinaus und man kann Ted Gioia folgen, wenn er Giuffre als prägenden Einfluss (nicht anerkannt bzw. uneingestanden, versteht sich!) des New Age bezeichnet.
Aus Kontrapunkt wird so bei Giuffre eine Art humanistische Philosophie:
In studying counterpoint I began to see that each guy wants to express his own individuality. … I began to think, well, if this man is playing, give him a part to play that’s good. Give the guitar, give the bass or whatever I use, a line that sounds like he is playing his own melody. (Jimmy Giuffre, zit. nach: Ted Gioia, West Coast Jazz)
„Rhetoric“ ist, wie Will MacFarland treffend schrieb, „an atonal ditty with a rough bass line“. Es stammt von Giuffres zweitem und letztem Album für Capitol Jazz – und seinem ersten Meistwerk. Wir hören hier die Art Kontrapunkt, wie Giuffre sie mochte – und wir hören, wie der strikte, ununterbrochene Groove aufgelöst wird. Dennoch: über Mangel an Swing kann man sich nun wirklich nicht beschweren!
CHICO HAMILTON QUINTET
6. Blue Sands (Buddy Collette)
Buddy Collette (fl), Jim Hall (g), Fred Katz (vc), Carson Smith (b), Chico Hamilton (d)
Radio Recorders, Los Angeles, California, 23. August 1955
Von: The Chico Hamilton Quintet Featuring Buddy Collette (Pacific Jazz; CD: The Complete Pacific Jazz Recordings of the
Chico Hamilton Quintet, 6 CD, Mosaic, 1997)
Chico Hamilton (1921–2013) war neben Shelly Manne der prägende Drummer des West Coast Jazz. Er war der erste Drummer des Gerry Mulligan Quartet und machte früh erste Versuche, das Schlagzeug auch melodisch einzusetzen. Er bezog sich auf Prä-Bop-Drummer wie Sonny Greer (den langjährigen Schlagzeuger Duke Ellingtons) oder Jo Jones. Und er beherrschte die Kunst, leise zu spielen – sogar, wenn er solierte. In seinen Anfängen hatte er u.a. mit Lester Young, Ella Fitzgerald, Count Basie und Lionel Hampton gespielt, in den Fünfzigern stiess er zum Stamm des Pacific Jazz-Labels. Das Chico Hamilton Quintet, das im Sommer 1955 erstmals aufnahm, war eine der wenigen „integrierten“ Gruppen des West Coast Jazz, Hamilton und Saxophonist Buddy Collette (1921–2010) waren Afro-Amerikaner. Böse Zungen – in diesem Fall auch Ted Gioia, und damit liegt er meiner Ansicht nach für einmal falsch – meinen, die Musik der Gruppe sei nicht gut gealtert, klinge nach Fahrstuhlmusik.
„Blue Sands“ war eine der Paradenummern des Quintetts, ein entfernter Verwandter von Juan Tizols „Caravan“. Das Stück baut langsam auf, Collettes Flöte ist die prominenteste Stimme, Jim Hall streut Flamenco-artige Akkorde ein, während Smith und Hamilton für den Beat sorgen, der langsam lauter, intensiver wird. Die Performance ist sehr spontan, lebt von den Beiträgen der Musiker, ein Arrangement gibt es nicht. Buddy Collette erinnerte sich später daran, dass es nicht leicht war, das Stück jüngeren Musikern beizubringen:
You gotta have the right players, and you gotta have a setting where they see this begin to happen; then they believe in it. But if you just rehearse it, they say, “There’s not much there.” Well, the “much there” is what you put there – right? – with what you have to work with.” (Buddy Collette)
HAMPTOWN HAWES TRIO
7. The Sermon (Hampton Hawes)
Hampton Hawes (p), Red Mitchell (b), Chuck Thompson (d)
Los Angeles, California, 25. Januar 1956 (Contemporary)
Von: Everybody Likes Hampton Hawes (CD: The Trio – Complete Sessions, 2 CD, Gambit, 2006)
Lester Koenig hatte sich wie in der letzten Sendung erwähnt um Hampton Hawes bemüht – musste sich jedoch eine ganze Weile gedulden, bis es im Juni 1955 zu ersten Aufnahmen kam. Diese entstanden im leeren Auditorium (zugleich Sporthalle) der Los Angeles Police Academy in Chavez Ravine. Hawes spielte einen Steinway, den auch Arthur Rubinstein schon gespielt hatte. Die Aufnahmen mit Red Mitchell und Chuck Thompson bilden den Auftakt einer langen Reihe toller Alben für Contemporary Records.
„The Sermon“ stammt vom dritten Album des Trios, ein Blues aus Hawes’ Feder. Hawes predigt nicht nur für uns, das Publikum, sondern besonders für einen Vater, der Priester war und wenig Interesse an der Musik seines Sohnes zeigte. John S. Wilson zitiert Hawes in seinen Liner Notes: „I thought maybe if I asked him to listen to my sermon, maybe he’d start to understand modern music.“
LENNIE NIEHAUS
8. Knee Deep (Lennie Niehaus)
Stu Williamson (t), Lennie Niehaus (as), Bill Perkins (ts), Jimmy Giuffre (bari), Buddy Clarke (b), Shelly Manne (d)
Contemporary Studio, Los Angeles, California, 9., 11. & 12. Januar 1956
Von: Lennie Niehaus Volume 5: The Sextet (Contemporary; CD: Fantasy, 2001)
Wir hörten schon – und hören gleich wieder! – Art Pepper und Bud Shank, die zwei bekanntesten Altsaxophonisten von der Westküste. Doch es gab weitere, nicht nur Bebopper wie Sonny Criss und Frank Morgan, die mit dem Verschwinden der Central Avenue-Szene arbeitslos geworden waren (und lange Zeit im Gefängnis sassen), sondern auch weitere weisse Musiker wie Herb Geller oder Lennie Niehaus. Letzterer ist als Musiker praktisch vergessen, man kennt eher noch seine „Jazz Conception“ Saxophon-Lehrbücher als seine Aufnahmen. Doch in den Fünfzigern machte er eine Reihe hervorragender Alben für Contemporary, die beweisen, dass er seinen Charlie Parker gelernt hatte. Niehaus phrasiert exzellent und glänzt auch als Arrangeur für mittelgrosse Formationen. Hier lässt er ein
herausragend besetztes Sextett wie eine kleine Big Band klingen. Mit Bill Perkins (einem Musiker, den ich in dieser Reihe leider vernachlässige) und Jimmy Giuffre sind zwei weitere hervorragende Saxophonisten dabei. Stu Williamson glänzte ebenso an der Trompete wie an der Ventilposaune, hier spielt er Trompete und steuert ein feines Solo bei. Die klavierlose Besetzung sorgt für enorme klangliche Transparenz während Buddy Clarke und Shelly Manne dafür sorgen, dass alles rund läuft.
BUD SHANK QUARTET
9. Carioca (Youmans–Eliscu–Kahn)
Bud Shank (as), Claude Williamson (p), Don Prell (b), Chuck Flores (d)
Capitol Studios, Los Angeles, California, 25. Januar 1956
Von: Bud Shank Quartet (Pacific Jazz; CD: The Pacific Jazz Bud Shank Studio Sessions (1956–61), 5 CD, Mosaic, 1998)
Bud Shank (1926–2009) war als Flötist und Lead-Altsaxophonist zu Stan Kentons meglomaner Big Band von 1951/51 gestossen, nach der Army stiess er 1953 zusammen mit Bob Cooper zu den Lighthouse All Stars (als Ablösung von Shorty Rogers und Jimmy Giuffre, die dort von 1951–53 gewirkt hatten). Neben frühen Latin Jazz-Aufnahmen mit dem brasilianischen Gitarristen Laurindo Almeida (der 1950 auch bei Kenton war) experimentierte Shank gemeinsam mit Bob Cooper an einer Flöten/Oboen-Besetzung, auf deren Aufnahmen nun wenigstens teilweise das Prädikat „Fahrstuhlmusik“ verwendet werden darf, ohne dass ich Einspruch erhebe. Doch am Altsaxophon war Shank schon früh ein „heisser“ Musiker – und wie sein Kollege Art Pepper (1950/51 bei Kenton zweiter Altsaxophonist und Solist auf dem Instrument) bewegte sich auch Shank im Verlauf der ganzen Karriere kontinuierlich vom kühlen „West Coast Jazz“ weg zu einer Spielweise, die spätestens in den Achtzigern brennend heiss geworden war.
In den frühen Fünfzigern begann Shank sich nach Jahren als Section-Leader in grossen Bands auch als Improvisator einen Namen zu machen. Er gründete ein exzellentes Quartet mit Claude Williamson am Klavier (dem Bruder von Stu, den wir gerade mit Lennie Niehaus hörten). Dieser gehörte mit Russ Freeman und Hampton Hawes zu den herausragenden Pianisten Kaliforniens. Er bezog sich auf Bud Powell, doch spielte er nicht nur dessen Licks nach sondern versuchte auch, die brennende Intensität seines Vorbildes zu erreichen. Schlagzeuger Chuck Flores orientierte sich an Philly Joe Jones, während Bassist Don Prell – er stiess später zum San Francisco Symphony Orchestra – spieltechnisch eine ältere Generation verkörperte, im Quartett der jungen Wilden aber eine wichtige Ankerfunktion einnahm.
Shanks Version von Vincent Youmans beliebtem Stück öffnet mit Hinweisen auf die aussergewöhnliche Sensibilität, die Shank für Latin-Musik besass. Doch bald schaltet die Band ein paar Gänge höher und das Stück entwickelt sich zu einem wilden Bebop-Romp.
“Neither Claude nor Chuck nor I was playing what was known as ‘west coast jazz’ music at that time,” Shank said.
“That happened a few years before than, and we were all breaking away from that.”
“Meaning what?” I asked. “What were you breaking away from?”
„The very delicate way that we all played in earlier years …” he stopped in mid-sentence. “I don’t even know what the hell west coast jazz is,” he said, with exasperation and no wry laugh. “It was something different from what they were doing in New York, so the critics called it west coast jazz. That Miles Davis BIRTH OF THE COOL album, out of New York, probably started west coast
jazz. It was also very organized, predetermined, written. It was a little bit more intellectual, shall I say, than had happened before. Jimmy Giuffre, Buddy Childers, Shorty [Rogers], Shelly Manne, Marty Paich, Coop [Tenorsaxophonist Bob Cooper], almost everybody involved; we all came from somewhere else, New York, Texas, Chicago, Ohio. The fact that we were in L.A. around the orange trees had nothing to do with it. I really think that everybody played the way they would have played no matter where they were. New York writers, they’re the ones who invented west coast jazz.”
“Those bastards,” I said.
“Those bastards,” he said, laughing uproariously.
(aus Doug Ramseys Liner Notes zur erwähnten Mosaic-Box)
CHICO HAMILTON QUINTET
10. Topsy (E. Battle–E. Durham)
Buddy Collette (ts), Jim Hall (g), Fred Katz (vc), Carson Smith (b), Chico Hamilton (d)
Music Theatre, Los Angeles, California, 10. & 13. Februar 1956
Von: The Chico Hamilton Quintet in Hi-Fi (Pacific Jazz; CD: The Complete Pacific Jazz Recordings of the Chico Hamilton
Quintet, 6 CD, Mosaic, 1997)
Wir hörten Basie-Einflüsse schon in den Stücken von Bob Gordon oder Lennie Niehaus – mit „Topsy“ sind wir noch näher dran, entstammt das Stück doch dem Repertoire von Count Basie. Diese Aufnahme mag als Korrektiv zum Image des Hamilton Quintetts dienen, denn hier fällt die Gruppe sofort in einen tollen Groove. Buddy Collette soliert als erster, am Tenorsaxophon, mit luftigem Ton, entspannter Phrasierung – zwar auch von Lester Young beeinflusst, aber klanglich doch deutlich anders als Kollegen wie Zoot Sims, Stan Getz, Bill Holman oder Bob Cooper. Jim Hall folgt mit einem Gitarrensolo, das deutlich von Charlie Christian beeinflusst ist – er summt über weite Strecken leise mit. Dann hören wir Carson Smith mit einem Walking Bass-Solo – ein verdienter kurzer Moment im Scheinwerferlicht für diesen tollen Bassisten, bei dem Time und Ton alles sind. Straightforward ist diese Aufnahme, in jeder
Hinsicht.
JIMMY GIUFFRE
11. So Low (Jimmy Giuffre)
Jimmy Giuffre (cl)
Capitol Studios, Los Angeles, California, 21. März 1956
Von: The Jimmy Giuffre Clarinet (Atlantic; CD: The Complete Capitol & Atlantic Recordings of Jimmy Giuffre, 6 CD, Mosaic,
1997)
Jimmy Giuffre gerecht zu werden, das kann natürlich nicht gelingen in so kurzer Zeit. Das dürfte nach den obigen Zeilen über ihn bereits klar geworden sein. Hier hören wir ihn ganz allein, von seinem zweiten Meisterwerk, „The Jimmy Giuffre Clarinet“, seinem ersten Atlantic-Album. Für jedes Stück wählte er eine andere Besetzung, vom Solo über ein Duo mit Celesta, ein Trio mit cl/b/d oder ein Klarinettentrio (cl/alto cl/bcl) bis hin zum Holzbläserquartett mit Kontrabass oder einem Nonett.
Giuffre beschreibt in seinen Liner Notes zur LP jedes Stück kurz. Zu „So Low“ schriebt er: „A very slow blues, recorded in pitch dark, with just clarinet and the sound of my foot tapping. I wanted to get the effect of a musician playing in his back room all alone.“ (zit. nach Francis Davis’ Liner Notes zur Mosaic-Box)
ART PEPPER
12. Besame Mucho (Consuelo Velazquez)
13. Blues at Twilight (Art Pepper)
Art Pepper (as), Russ Freeman (p), Ben Tucker (b), Gary Frommer (d)
Hollywood, California, 25. November 1956
Von: Art Pepper Quartet (Tampa; CD: Fantasy, 1994)
Art Pepper war schon in der letzten Sendung einer der Stars – auch wenn es bei seinem Lebenswandel kaum zu glauben ist, dauerte seine Karriere lange und zeitigte enorme Schätze, was Aufnahmen betrifft. 1956 trat er in eine erste „heisse“ Phase sein, die bis zu Beginn der nächsten Dekade reichen sollte. Instabil und allerlei Drogen verfallen, gelangen ihm dennoch immer wieder beeindruckende Aufnahmen. In diesen Jahren lässt sich die gerade bei Bud Shank erwähnte Tendenz weg vom leichten und weichen Spiel, wie es für den „West Coast Jazz“ als so typisch gilt, hin zu einem schwereren, intensiv brennenden Spiel beobachten. Rhythmisch fängt Pepper an, den so leichten „flow“ der frühen Jahre zu durchbrechen, der Ton wird immer dicker, emotionsgeladener. Wir hören in kommenden Sendungen gewiss noch mehr von Pepper, doch heute bleiben wir beim Jahr 1956. Eine der besten Aufnahmen aus dieser Zeit ist sein Tampa-Album mit Russ Freeman, Ben Tucker und Gary Frommer.
Dass Freeman ein hervorragender Pianist ist, überrascht inzwischen wohl niemand mehr, aber hier ragt Ben Tucker wenigstens so sehr heraus, mit seinem riesigen Ton und seinem soliden Time. Wir hören zwei Kostproben aus dem Album, eine Novelty-Nummer, die gerade Saxophonisten stets gerne mochten, und einen erdigen Blues, in dem auch Ben Tucker sein Solo kriegt.
ART PEPPER & WARNE MARSH
14. I Can’t Believe That You’re in Love with Me (Gaskill–McHugh)
Art Pepper (as), Warne Marsh (ts), Ronnie Ball (p), Ben Tucker (b), Gary Frommer (d)
Contemporary Studio, Los Angeles, California, 26. November 1956
Von: Art Pepper – The Way It Was! (Contemporary, 1972; CD: Fantasy, 1989)
Und gleich noch einmal Art Pepper – diesmal mit Warne Marsh (1927–1987), dem Tristano-Eleven, der in der Zwischenzeit in seine Heimat Kalifornien zurückgekehrt war. Ben Tucker spielte damals in Marsh Combo, Gary Frommer ist ebenfalls wieder dabei, am Klavier sitzt Ronnie Ball, ein Tristano-Schüler aus England. Wir hören den Standard „I Can’t Believe That You’re in Love with Me“ und ich übergebe an Art Pepper, der für die Contemporary-LP von 1972 mit Hilfe von Laurie (damals noch Miller) seine ersten Liner Notes verfasste und darin die besondere Interaktion zwischen den zwei Saxophonen beschreibt:
On I Can’t Believe That You’re In Love With Me Warne starts out all by himself and plays four bars. Then I come in and join him, and it’s an eight bar intro. My figures are dictated by his first four. Then the rhythm section comes in, and we’re at the beginning of the tune, and we play the whole chorus together. He’ll make a statement and I’ll follow that statement and enhance it. Then I’ll stick my head up and say something that sort of changes things around, and I’ll become the leader. He’ll follow me. Nothing’s planned; it’s something that’s felt. He feels me making a statement that’s the leading statement – then he follows my trend of thought, and it changes, back and forth.
JIMMY GIUFFRE
15. The Train and the River (Jimmy Giuffre)
Jimmy Giuffre (cl, ts, bari), Jim Hall (g), Ralph Peña (b)
Capitol Studios, Los Angeles, California, 3. Dezember 1956
Von: The Jimmy Giuffre 3 (Atlantic; CD: The Complete Capitol & Atlantic Recordings of Jimmy Giuffre, 6 CD, Mosaic, 1997)
Zum Abschluss noch einmal Jimmy Giuffre – mit seinem nach „Four Brothers“ wohl berühmtesten Stück, von seinem vermutlich bekanntesten Album, „The Jimmy Giuffre 3“. Mit dieser Gruppe mit Jim Hall an der Gitarre und Ralph Peña am Bass gelang Giuffre etwas, was viele der grössten Solisten des Jazz nicht zustande brachten, wie Francis Davis in seinen Liner Notes zur erwähnten Box schreibt: „THE JIMMY GIUFFRE 3 demonstrated his ability to form an ensemble in his own image“. Die Combo stellt den nächsten Schritt von Giuffres Klangexperimenten dar, Vorbild war übrigens Debussys Sonate für Flöte, Bratsche und Harfe: „Jim was the harp, Ralph the viola and I was the flute“ (Giuffre). Auf das Schlagzeug verzichtet er hier ganz, doch darunter leidet keineswegs der Swing dieser Nummer. Im Gegenteil, es wirkt verspielt und fröhlich – und es swingt sehr entspannt dahin. Giuffre verstösst, so kann man mit Gioia sagen, auf dem ganzen Album gegen sein eigenes Dogma: Der Beat ist – auch ohne Schlagzeug, und das ist natürlich kein Paradox – so treibend und stark wie zuvor auf keiner Giuffre-Aufnahme. Die Musik wirkt – wenigstens innerhalb von Giuffres Klangwelt – schon fast konventionell. Giuffre scheint hier seinen Frieden mit dem Jazz gemacht zu haben … doch lange sollte die Ruhe natürlich nicht dauern.
--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba