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vorgarten
david murray and the gwo ka masters feat. taj mahal, the devil tried to kill me (2007/09)
wieder mal ein interessantes fusion-projekt, von den gwo ka masters bleiben vor allem percussion und ein bisschen gesang übrig, die grundlage ist funk (ranzell merritt ist wieder da, dazu der vielseitig einsetzbare jaribu shahid auf dem e-bass), mit taj majhal und der sängerin sista kee kommen aber auch blues- und r&b-einflüsse dazu. kee spielt außerdem ein passables spiritual-jazz-klavier. irgendwie ist dieses projekt auch kommerziell gedacht, es hat etwas leicht clubbiges, von zwei stücken gibt es radio edits. murray spielt manchmal große soli, die wie reingesampelt wirken. rasul siddik (plötzlich wieder dabei und ziemlich super) hat manchmal einen elektronischen schatten. ich finde das ein wenig unentschieden, für den club ist zuviel los und einiges (die gitarren) dann doch nicht so hip, aber ich habe doch den eindruck, dass hier alle ziemlich inspiriert sind und nicht an ein „produkt“ denken.
Zurück aus der Kino-Pause … und bei DMGKM Vol. 4 gelandet, was auf dem Rückcover teils hinter dem Foto versteckt aber auf der CD klar lesbar steht. Vols. 1-3 sind wohl „Yonn-Dé“, „Creole“ und das Album mit Sanders. In den Liner Notes erwähnt Jacques Denis die drei Alben, die seit 1996 andauernde „Reise“ Murrays. Für diese neue Runde reisten die Musiker im Mai 2007 nach Sainte-Lucie, arbeitete in ein paar Sessions die Details aus und zogen dann weiter nach Pointe-à-Pitre, um das Album aufzunehmen.
Ich kann das viel weniger gut einordnen als @vorgarten, aber recht geschäftig ist das und Clubmusik ist das wohl wirklich eher nicht (ich geh ja nie in einen Club), auch wenn es sich durchaus tanzbar anhört. Die Gitarristen vom Vorgänger mit Sanders sind auch wieder dabei (Christian Laviso aus Guadeloupe und Hervé Samb aus dem Senegal), Renzel Merrit (so ist sein Name dieses Mal geschrieben, üblich ist wohl Ranzell Merritt) spielt sehr trockene Beats, total auf den Punkt, Jaribu Shahids Bassgitarre sorgt wieder für eine gewisse Flexibilität mit Dehnungen im Ton … und Rasul Siddik steuert schon im Opener ein Solo bei, da sich vor dem von Murray nicht zu verstecken braucht. Das Netz, das die Musik aufspannt, ist wieder weit und vielfältig – Ishmael Reed hat Songs getextet, einen singt Taj Mahal, den anderen Sista Kee, dazwischen gibt es ein Stück mit beiden Sänger*innen, zudem eine Widmung an Obama (der Opener), den „Canto Oneguine“ von Ladrezeau (der auch hier wieder mittrommelt und singt), Klod Kiauve (der Mastermind hinter diesen Alben, der Murray die ganzen Kontakte verschafft hat und damals auch sein Schwager war) und Murray – und dieser „Gesang“ wiederum stammt aus einer Oper über Pushkin, der dann en passant als „the author of Cameroonian descent considered to be the father of Russian literature“ apostrophiert wird (was auf seinen vermutlich aus dem heutigen Kamerun – darüber wurde bzw. wird noch gestritten – stammenden Urgrossvater Abram Petrovich Gannibal anspielt).
In meinem Kopfkino gäbe es neben der teils etwas leichtflüssigen Gitarren hier (in „Congo“ ist es gemäss den Liner Notes die von Laviso, das Solo im Opener wird zwar erwähnt aber nicht zugewiesen) auch mal noch eins von Taj Mahal, das so richtig reinschneidet in die manchmal etwas dicke und doch sehr bewegliche Musik. Mir gefällt das Album trotz der etwas langweiligen/eintönigen Drums von Merritt (wieder, geht mir ähnlich wie bei „Speaking in Tongues“) ziemlich gut – und obwohl die tolle Stimme von Sanders fehlt wegen des insgesamt wärmeren Sounds und wie mich dünkt den kohärenteren Tracks, auch etwas besser als „Gwotet“. Murray selbst wird hier manchmal fast zur Randfigur – aber es ist ja doch seine Musik, die hier erklingt, und er liefert auf dem „Canto Oneguine“, dem eigentlichen Albumcloser (danach folgen noch zwei Radio-Edits der beiden Stücke mit Taj Mahal) nochmal ein tolles Solo ab, grad so wie im Opener, und gibt dem Ganzen so auch eine Art Rahmen. Auch Siddik kriegt im Closer – teils über Band-Chants – nochmal einen Spot und glänzt erneut.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaHighlights von Rolling-Stone.de„Helter Skelter“ entstand, als die Beatles vollkommen betrunken waren
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jamaaladeen tacuma / david murray, rendezvous suite (2009/11)
das ist ein total spontaner jam, den tacuma, der ein bisschen zeit in paris während einer tour hatte, schnell zusammengetrommelt hat. murray lebt in paris, kommt vorbei, bringt seinen nunmehr 20jährigen sohn mingus mit, amiri baraka ist auch gerade in der stadt und kann kurz ein loblied auf barack obama rezitieren. wie der drummer ranzall merrit dazustieß, weiß ich nicht. am ende gibt tacuma die bänder noch dem soundtüftler paul urbanek mit, der elektronische und keyboard-spuren drunterlegt, meist als schatten der instrumente. das ist teilweise ziemlich super, weil murray und tacuma sofort wieder den ornette-punk-vibe haben. und auch mingus schlägt sich ziemlich gut. gekauft hat es am ende ulli blobel.
Und das ist meine letzte Neuanschaffung von David Murray aus den Nullerjahren – einfach zu kriegen weil jazzwerkstatt, aber dennoch war ich darauf wirklich neugierig – und ich finde es auch gerade im Hinblick auf Ranzell Merritt (der hier mit einem T, alo Merrit, geschrieben wird – auf jedem Album wieder anders) interessant: er klingt hier recht leicht und passt hervorragend zur Bassgitarre von Tacuma, der hier fat das gesamte Material beigesteuert hat (Urbanek hat das Obama-Stück „Yes We Can“ geschrieben, Murray sich beim dritten Teil von „Theme on a Dream“ mitbeteiligt) und durch die Musik führt, irgendwo zwischen relaxten Grooves und elegantem Tanz.
Wolf Kampmann schreibt in den Liner Notes (in denen nichts zu Urbaneks Nachbearbeitung steht, woher weisst Du das denn @vorgarten? leuchtet mir allerdings beim Hören sofort ein, dass das so war!) einen schönen, wahren Satz über Murray – der sei „ein Streiter auf dem Horn, bei dem jedes Solo wie ein Manifest unverstellter Menschlichkeit klingt“. Ich mag den Sound hier wirklich ganz gerne – die Keys sind manchmal etwas dünn, die Gitarre spielt mehr mit als dass sie prägt oder Richtungen gibt, aber der Bass tanzt und die kargen Drums passen dieses Mal wirklich perfekt. Und darüber erhebt sich dann Murray – und das gelingt ihm die meiste Zeit völlig ohne zu dominieren oder das Geschehen an sich zu reissen, was ich bei so einem Setting wiederum stark finde.
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Im zitierten Post hat @vorgarten noch eine kleine fotogalerie zu mingus murray, mit papa und mama zusammengestellt.
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hal singer feat. david murray, challenge (2010)
und mit diesem charmanten projekt bin ich mit murray tatsächlich schon in den 2010ern. hal singer ist zum zeitpunkt der aufnahme 90 jahre alt und wird hier von murrays black saint quartet (murray, gilchrist, shahid, drake) begleitet. sehr viel gefühl und geschichte ist vorhanden, auch wenn die time nicht mehr so recht sitzt und die instabilität nicht so recht aufgefangen werden kann. das material ist durchaus keine nummer sicher, aber ich hätte mir vor allem etwas mehr sorgfalt in der produktion gewünscht. insgesamt ist das flach aufgenommen, was dem ohnehin dünnen ton von singer nicht zugutekommt, aber auch murray klingt nicht gut, das klavier hat kaum resonanz, was alles nicht schlimm ist, die band klingt ja gut, aber es wäre schön gewesen, dem leader etwas mehr akustische hilfestellung zu geben. obwohl das natürlich eine aufnahme aus paris ist, wo singer seit 1965 lebte, ist der obama-vibe zu spüren, murrays „long march to freedom“ ist verständlicherweise optimistisch, sehr schöne interpretation, leider spielt singer hier nicht mit.
Das ist dann der nächste Jam aus Paris – Murray bringt seine Band und Rasul Siddik mit (der glaub ich auch länger in Frankreich gelebt hat?), aber eigentlich sind Hal Singer und das Label von Gérard Terronès die Gastgeber hier. Die Aufnahme klingt leider wirklich nicht so super … und die Time von Singer sitzt auch nicht mehr wirklich. Vielleicht habe ich auch deswegen länger nur um dieses Album gekreist, ohne in all den Jahren einen wirklichen Zugang zu finden. Inzwischen ist die Enttäuschung verpufft und der Weg frei, um das Album ganz entspannt wieder mal anzuhören, und dabei kann ich ihm schon etwas abgewinnen. Die zwei ausgeprägten Individualisten im Dialog zu hören ist allein schon eine feine Sache, die Band ist natürlich super (dass Siddik nur auf zwei Stücken mitspielt, ist schade) – aber klar, darüber, dass Singers Beiträge mäandern und er echt nicht in bester Form ist, täuscht das halt nicht hinweg.
Ein wenig frage ich ich, ob das Material mit seinen binären Grooves – und die Drums von Drake – für Singer nicht gut geeignet ist, ob er in swingenden Rhythmen vielleicht entspannter hätte aufspielen können, eher über dem Beat hätte schweben können? Wenn Drake diesen ständig stark akzentuiert, verstärkt das vermutlich den Eindruck von Singers rhythmischer Verlorenheit? Ich komme bei „Hong Kong Nights“ (Murray) auf diesen Gedanken, in dem die Band so halb swingt, wo auch Siddik dabei ist und alles ein wenig entspannter wirkt als bei den ersten beiden Stücken (die allerdings von Singer stammen). Das Singer-Feature „I Thought About You“ direkt danach funktioniert dann auch gut – das langsame Tempo hilft … dafür ist hier umso bedauerlicher, dass weder Saxophon noch Klavier gut aufgenommen sind. Darauf folgt der von @vorgarten erwähnte tolle „Long March to Freedom“, das Murray-Feature, und direkt darauf mit „Stressology“ (Murray) das zweite Stücke mit Siddik, das dann wirklich im swingenden 4/4 dargeboten wird – und wie der Titel nahelegt ein wenig an die Stücke von Ornette Coleman erinnern. Singer gelingt hier ein starker Einstieg, auf der rhythmischen Ebene höre ich hier wirklich weniger Störendes, Drake treibt den Veteranen an, Gilchrist spielt eigenwillige kleine Einwürfe. Es folgen Siddik (verspielt, passend zum Stück und seinem Ornette-Mood) und Murray, der etwas zurückhaltend einzusteigen scheint, fast so, als wolle er Singer nicht an die Wand spielen. Das kann Murray aber auch, ohne dass er sich dabei verbiegen müsste.
Auf diesen mittleren Viererblock folgen nochmal zwei Stücke – auch wieder so ein Zwiebelprinzip-Album. Im ersten davon, Singers „Dreams of Dream“ bleibt der swingende 4/4 und ich finde auch hier wieder, dass das ziemlich gut funktioniert. Der Veteran legt los, Murray folgt dieses Mal direkt, ohne Trompetensolo – und er scheint sich auch hier zunächst etwas zurückzunehmen. Gilchrists spielt ein kurzes Solo – und dann steigt Singer ein über was fast wie der Beginn eines Bass-Solos wirkt, doch die Saxer spielen zusammen Fours, ohne dass Drake eingebunden würde, und auf diesen Dialog, der bald in längere Passagen übergeht, folgt dann wirklich noch ein Bass-Solo, bevor auch Drake zum Zug kommt und die Saxer sich nochmal austauschen. Dürfte hier insgesamt mein Highlight sein.
Den Abschuss macht dann Murrays „About the Children“ über einen rollenden Latin-Groove, in dem Drake/Siddik eine Groove-Maschine aufbauen und Singer sich für einmal ziemlich tief eingräbt – ein versöhnlicher Abschluss und mit dem Latin-Groove auch schon eine Ankündigung meiner nächsten Station. 75 Minuten sind bei so einem Album echt keine gute Idee – acht lange Stücke (8-11 Minuten) … da hätte man auch zwei oder drei weglassen können.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbavorgarten
david murray cuban ensemble plays nat king cole en español (2010)
wechsel zum motéma label von jana herzen, das murrays recherche zu coles spanisch- & portugiesischsprachigen songs in argentinien und portugal unterstützt. die besetzung des „cuban ensembles“ ist im netz etwas schwer zu finden, wahrscheinlich:
franck mayea pedroza (tp), mario félix hernandez morejon (tp), denis cuni rodriguez (tb), roman filiu o’reilly (as), aariel bringuez ruiz (ts), pepe rivero (p), reiner elizarde ruano (b), georvis pico milan (dm), braham mansfarroll rodriguez (per).
gäste: daniel melingo (voc), juanjo mosalini (band).
sinofonieta of sines: joana cipriano (vl), joana dias (vl), joão andrade (vl), maria josé laginha (vl), rui guimarães (vl), gonçalo ruivo (va), joao gaspar (va), rita ramos (cel), catarina anacleto (cel), samuel santos (cel), tiago vila (cel).
musikalisch finde ich das nicht spannend. in so reinen latin-projekten finde ich murray mit seiner time verloren, die pittoresken klangfarben (inkl. gesang) kommen mir oberflächlich vor, und die streicher (fast nur hoch und resonanzarm eingesetzt) wirken auf mich wie beiwerk.
Das Album habe ich auf CD … das Line-Up kann ich daher als korrekt bestätigen, wobei im Orchester wohl jeweils die Lead-Spieler*innen zuerst genannt werden, bevor der Rest alphabetisch folgt: Guimarães und Cipriano (v), Gaspar (vla) und Vila (vc).
Das Projekt wurde – analog zum ersten „Cole en Español“-Album, wie Gary Giddins im Booklet schreibt – in Schichten aufgenommen: mit der cubanischen Band reiste Murray nach Buenos Aires (26./27. Juni 2010 im Estudio Fort Music, am 23./24. fanden anderswo in Buenos Aires auch schon Proben statt), die Streicher stammen aus Portugal (Centro de Artes de Sines, 4./5. August 2010), es gab dann einen „Pre-Mix“ in Portugal und dann den Mix in Paris (Studio Davout) und schliesslich Masterin in London, alles im August und September 2010.
Und wenn ich grad dabei bin, Giddins nennt auch einige der Solisten: Morejon dürfte im Alllgemeinen die Trompetensoli spielen (sicher in #3), Rodriguez die an der Posaune (sicher in #1), Filiu ist ja der einzige Altsaxer (seinen grossen Spot hat er in #7, in #3 und #4 kriegt man ihn auch zu hören), Ruiz am Tenorsax ist (in #3 und #6) auch zu hören, und Rivera kriegt ein paar Spots am Klavier. Ein Bandoneon (nehme an, das ist bei Juanjo Mosalini) höre ich nirgendwo und es ist im unübersichtlichen Design (leider ein konsistentes Feature von Motéma) auch nicht aufgeführt. Ach so: es gibt eine US-Ausgabe mit „El Choclo“ (mit Melingo) und einem Radio Edit von „Quizás, Quizás, Quizás“ und auf letzterem ist wohl ein Bandoneon dabei. Die europäische CD, die ich habe, enthält nur 9 Tracks, siehe Link unten.
Mir gefällt das ein ganzes Stück besser, scheint mir – aber das ist ja konsistent, vgl. auch „Now Is Another Time“. Die Streicher sind die meiste Zeit wirklich nur Kulisse – ganz wie bei den Cole-Alben könnte man nun einwenden. Murrays Arrangements gefallen mir ganz gut und am Sax ist er in ziemlich bestechender Form, auch wenn er mal nur eben ein paar Takte spielt. Ganz grosses Kino ist die Balladen-Performance über „No me platiques“ (ein Stück von Bobby Capo, bei dem nicht nur die erste Phrase an „Unforgettable“ erinnert).
Ich hab das Line-Up so gut es geht hier nachgeführt (zwei falsche Links bei den Streichern krieg ich nicht weg, weil es schon Einträge zu den Namen gibt und Discogs die zwangsverlinkt – gerne PN, wenn jemand weiss, wie ich das ohne zu grossen Aufwand bereinigen kann):
http://www.discogs.com/release/5580234-David-Murray-Cuban-Ensemble-David-Murray-Cuban-Ensemble-Plays-Nat-King-Cole-En-Español--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbavorgarten
david murray infinity quartet feat. macy gray & gregory porter, be my monster love (2013)
das album habe ich damals bewusst ignoriert, weil ich die beiden gastsäger*innen nicht mag (und dachte: armer murray, dass du mit denen aufnehmen musst, um aktuellen zielgruppen ein begriff zu bleiben), was mal wieder ziemlich blöd war. die kapriziöse gray und der glanzlos-laute porter sind hier super eingesetzt, stimmiger habe ich beide nie gehört… und dann hat sich murray ein neues quartett zusammengebaut, das ihn ganz offensichtlich sehr inspiriert: gilchrist und drake sind weitergezogen, aber der tolle jaribu shahid ist geblieben (ich mag den sehr gerne, toller ton, sehr präsent, druckvoll…), dazugekommen sind marc cary, der viel zupackender spielt als der verschrobene gilchrist, und nasheet waits, der nicht primär die grooves variiert wie drake, sondern sehr aufwändig überall zugleich ist, vor allem beim solisten. murray ist herausgefordert wie selten, und das mag er ja. das material… naja, etwas merkwürdige songs (kompositionen von ihm, z.t. auf dem singer-album schon zu hören, jetzt mit texten u.a. von ishmael reed), dazwischen großartige quartett-stücke, u.a. den „sorrow song“ aus LOVE & SORROW. das geht mal richtung kirche, mal südwärts, mal zum hardbop. und dann räumt murray nochmal kurz die bühne für einen freund und mentor, bobby bradford – eher als geste, denn als battle. nach 3 jahren pause ist alles so kraftvoll, scharf und beschwingt wie immer.
Noch eine Neuanschaffung dank dieses Threads (die bisher letzte*): neue Band, neuer Name, eine seltsame Kurzgeschichte über ein toxisches Männlein im Booklet (vom mir nicht weiter bekannten „British crime-writer Robert Wilson, now residing in Portugal“). Aber die Musik? Die Musik! Nasheet Waits am Schlagzeug ist schon im Opener so toll, wie ich das von ihm längst erwarte (und mit Murray später gleich dreimal erleben konnte): viel Punch, dabei schlank und präzise, enorm beweglich, überraschend, ständig im Fluss und unglaublich hip. Marc Cary setzt am Klavier eher sparsam aber sehr gekonnt Akzente, wechselt – im ersten Stück mit Gregory Porter – auch mal an die Orgel und lässt diese aufheulen (wenn ich oben lese, dass er zupackender agiert als Gilchrist, ist das kein Widerspruch, aber mir kommt Cary irgendwie weniger bunt vor … er setzt viel enger gefasste Stimmungen und Moods). Jaribu Shahid von der Vorgänger-Band ist weiterhin am Bass dabei und um ihn scheint sich das alles irgendwie zu stabilisieren, obwohl auch er ständig in Bewegung ist. Der Leader ist besonders in den instrumentalen Stücken in irre guter Form, etwa im Opener „French Kiss for Valerie“ (Malot, I presume) oder im „Sorrow Song“, dazwischen gibt es das Stück von Macy Gray (mit der ich gar nicht nichts anfangen kann, weil ich sie nicht kenne – aber ich kann hier tatsächlich nur bedingt viel anfangen mit ihrer Stimme), „Stressology“ (auch schon auf dem Album mit Singer zu hören) und den ersten Auftritt von Porter, getextet wie der Song mit Gray und einer der zwei weiteren mit Porter von Ishmael Reed, der Text des mittleren der drei Songs mit Porter stammt von Abiodun Oyewole. Und Porter ist auch für mich hier eine Überraschung, denn mit seinen eigenen Sachen konnte ich bisher überhaupt nichts anfangen. Zwischen den letzten zwei Stücken mit Porter gibt es noch einen Gast: Bobby Bradford spielt auf „The Graduate“ sein Kornett, flächig impressionistisch, fast etwas gespentisch (vor den Quartett-Sessions separat aufgenommen, wie auch alle Gesangsspuren).
Vom ersten Eindruck her ist das wirklich ein sehr gutes Album – und damit auch für mich eine sehr schöne Überraschung. Von den neu angeschafften Alben nach 2000 ist das auf jeden Falls dasjenige, das gleich mal in Griffweite bleibt. Gewidmet ist das Album übrigens dem Andenken an Lawrence Douglas „Butch“ Morris, wie ganzseitig im Booklet – fast eine Art Grabstein – zu lesen ist. Auf der Seite gegenüber guckt Murray nachdenklich mit schmalkrempigem Hut und T-Shirt mit dem Aufdruck „EMYOUESEYESEE“, der sich auf ein spätes Album von Morris zu beziehen scheint).
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*) Wenn ich das richtig zusammenkriege sind im Lauf des letzten Jahres folgende – vielen! – Alben dazugekommen („Fo Deuk“ schon etwas früher, noch im Gefolge der Enja-Strecke):
JOHN HICKS / DAVID MURRAY – Sketches of Tokyo
DAVID MURRAY / JACK DeJOHNETTE – In Our Style
Lovers
Deep River
Spirituals
Tenors
DAVE BURRELL & DAVID MURRAY – Daybreak
David Murray-James Newton Quintet
DAVE BURRELL / DAVID MURRAY – In Concert
LUCA ALEX FLORES – Love for Sale
DAVE BURRELL & DAVID MURRAY – Brother to Brother
For Aunt Louise
The Tip
Jug-A-Lug
D. D. JACKSON – Peace-Song, featuring David Murray
Live at the Village Vanguard
Fo Deuk Revue
Like a Kiss That Never Ends (Como un beso que nuca se acaba)
David Murray & The Gwo-Ka Masters featuring Pharoah Sanders
David Murray Black Saint Quartet featuring Cassandra Wilson – Sacred Ground
David Murray Black Saint Quartet – Live in Berlin
David Murray & The Gwo-Ka Masters featuring Taj Mahal – The Devil Tried to Kill Me
DAVID MURRAY / JAMAALADEEN TACUMA – Rendezvous Suite
David Murray Infinity Quartet – Be My Monster LoveBesternung folgt drüben, wenn ich die noch ausstehenden fünf Alben (es wären sechs, aber ich hab „Cherry Sakura“ hartnäckig verlegt) auch wieder gehört habe. Das neue folgt dann ja heute in einer Woche.
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Noch auf dem Zettel stehen wenigstens die beiden (zu „Seasons“ wie zu einem weiteren halben Dutzend nur in Behelfsversionen angehörten Alben habe ich hier schon was geschrieben, „Golden Sea“ kenne ich noch gar nicht):
Kahil El’Zabar with David Murray – Golden Sea
Seasons--
"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbavorgarten
murray allen & carrington power trio, perfection (2015)
das album hatte ich gehört, als ich für den nachruf auf geri allen ihre letzten aufnahmen recherchierte – das war, 2 jahre vor ihrem tod, tatsächlich die letzte veröffentlichung. eigenartige besetzung, ohne bass, ich dachte damals: wahrscheinlich ist esperanza spalding kurz vorher krank geworden, aber ich lerne jetzt, dass dieses trio von murray genauso konzipiert war, dass sie vorher live aufgetreten sind und bewusst die herausforderung gesucht haben, ohne bass zu spielen, um aus ihren individuellen komfortzonen herauszukommen. es hat ein paar jahrzehnte gedauert, bis murray mal mit „natural women“ im jazz (von sängerinnen abgesehen) zusammengearbeitet hat, und eigentlich ist es ganz süß, was er paul devlin auf do the m@th darüber erzählt – da gibt er sich als vertreter des guten alten herrenwitzes zu erkennen (was ich ja gerade erlebt habe) und muss gleichzeitig einräumen, dass er damit in diesem trio nicht weit gekommen ist:
I realized that the World Saxophone Quartet was on the decline. People were getting older or were moving apart. Now that’s passed and the World Sax Quartet is better to not be together. I wanted another group that was a collective, so I started this thing with Terri and Gerri. I can’t just be David Murray all the time. Sometimes I can wear my own name out. At one point I might have been overexposed, in the 80s. As I get older, I don’t think I can be overexposed.
PD: What’s it like working with the trio?
DM: It took us a year to get through the album. Everything is slow with this band, because women discuss things all the way through. Women think all the time, whereas we don’t! The details are very fine in their minds. Working with two great divas – and they’re both divas in their own way – and they demand to be treated as such, which I understand, I dig it! They’re very strong women. I’m not kissin their ass or nothing. Sometimes I annoy them because I always tell my little stupid jokes. But they’ve come to like my jokes. When I thought of this group I wanted to call it the Geri-David-and-Terri Show, like a play on the Tom-and-Jerry thing. They didn’t like that name. Then I say, on stage, I say, “this is called a ‘jazz sandwich’ – but they got laws against that kind of stuff.” I get a little chuckle. Eddie Harris could go for half an hour with jokes. I’m trying to get up to five minutes.
zumindest heißt ein song auf dem album noch „the david, geri & terri show“. und herrenwitz beiseite: holla, ist das großartig, was die da abfackeln. das viele denken hat scheinbar gut getan, denn einiges ist hier sehr reizvoll um die ecke gedacht, eigenwillig und musikalisch aufreizend – und wer damit am meisten spaß zu haben scheint, ist natürlich murray, der hier noch nicht mal seine special effects anknipst, sondern einen wilden tanz veranstaltet. kollektiv ist das material zusammengestellt, alle drei können komponieren und arrangieren, dazu gibt es einen spiritual, den geri allen von charlie haden gelernt hat, und murray bringt eine unbekannte ornette-coleman-komposition mit, die ihm bobby bradford transkribiert hat – das titelgebende „perfection“. dazu (und nur da) tauchen gäste auf: murray bringt craig harris mit, geri allen ihren sohn wallace roney jr. und charnett moffet, mit dem sie ja im letzten coleman-quartett gespielt hat. ich vermisse das vollere klangbild aber auf den anderen stücken nicht, allen & carrington spielen auf interessante weise orchestral, aber gleichzeitig sehr pointiert.
dieses do the m@th interview ist insgesamt sehr lesenswert. z.b. wird deutlich, dass werkphasen bei ihm wohl viel mit der jeweiligen ehefrau zu tun haben: die ming-epoche mit dem karriereaufbau aus der loft-avantgarde heraus, die valérie-mangot-epoche mit dem paris-wohnsitz, den sozialprojekten in der banlieu und dem panafrikanisch/diasporischen austausch (ab 1998, bis 2016/17), hier (2017) ist er wieder in new york und will es nochmal wissen, ornette coleman ist gerade gestorben (auf dieser CELEBRATING ORNETTE produktion von denardo ist er auch dabei, ich hatte noch nie gelegenheit da reinzuhören), murray sucht sich jüngere bands zusammen – und spielt plötzlich mit frauen! vielleicht ist das jetzt die francesca-phase?
zum anderen ist seine idee von gerechter bezahlung für jazzmusiker interessant – ausgehend von bob thiele:
I’m the missing link between cats getting paid and cats not getting paid. Bob would pay me $40,000 for a record date. There are young people who want to come in and play for hardly anything. That messes up the business. We used to actually get paid for doing records. We charge professional money to play concerts, whereas a lot of these kids don’t get paid as professionals. When I got back here the first thing I understood was that the pay had gone far too low. People come out of college and want to be in somebody’s band, or have a band that sounds like a college homework assignment. When I came to New York, I hired the coolest guys I could think of – I hired Eddie Blackwell, Ray Drummond, Andrew Cyrille, and John Hicks. When you have a bad night as a young man, you don’t have the experience to make up for it. But when you look around and have 200 years of experience on the bandstand, that helps you. When you have other guys from your classroom on the bandstand, that doesn’t help you. When I came here in 1975, for an independent study program through Pomona College, my job was to listen and to write articles. My professors were Stanley Crouch, Bobby Bradford, and Dr. William Russell. I did that for a semester. Dewey Redman told me to put the pencil down and pick up my saxophone. I got sucked into the New York jazz scene. I was playing in the lofts, and in some jazz sessions. But I was mostly listening. I interviewed Cecil Taylor. I interviewed McCoy Tyner, Ornette Coleman, John Cage. Everybody needs to listen.
Da brauch ich gar nicht viel mehr dazu zu sagen, nach dieser ausführlichen Vorstellung des Power Trios von Murray mit Geri Allen und Terri Lyne Carrington. Nur ein paar eigene Gedanken dazu: Mit dem Spiel von Carrington werde ich oft nicht wirklich warm – aber hier fügt sich das wirklich gut, auch mir gefällt das Klangbild, in dem letztlich alle drei fast schon orchestral wirken: Murray hat ja eh diesen haushohen Ton, Allen verfügt über eine grosse Klangpalette (und ihr Klavier ist auch richtig schön aufgenommen) und Carrington ist hier mit ihren oft rockigen Gesten genau die richtige Partnerin: es gibt ohne den Bass eben viel Raum und den kann sie sich nehmen, ihre ständigen Fills und binären Klöppelrhythmen legen den Boden – auch wenn Allen (in „Geri-Rigged“) plötzlich aussetzt und ein intensives ts/d-Duett entsteht, in dem Murray auch mal ein paar Coltrane-Momente hat. „Barbara Allen“ finde ich eine wahnsinnig schöne Performance – eins meiner Highlights hier. Ein anderes ist der Moment nach Murrays Solo-Flug, kurz vor Ende „The David, Geri & Terri Show“, wenn Carrington einen Moment lang trommelt, als wäre sie Teil einer Marching Band aus New Orleans. Es läuft hier sehr viel – und doch wirkt das nie überladen. Den Bass wegzulassen war vermutlich also eine richtig gute Idee. in „The Nurturer“ gibt es am Anfang auch noch wortlosen Gesang von einer Frauenstimme. Und dass das ein Programm voller Hommagen (Ornette Coleman, Marcus Belgrave – „The Nurturer“ mit Schattengesang von Allen hinter Murrays Sax im Thema, nehme ich an? –, Mary Lou Williams, Charlie Haden/Allens Mutter) ist, hört man der Musik nicht an. So lebendig wie das alles ist kommt keine Melancholie auf – eher wird hier aktiv und sehr bewusst Tradition gepflegt und fortgeschrieben. Und je länger ich höre, desto besser gefällt mir Carrington, besonders ihr Spiel auf der Snare, auch mal mit Besen. Letzteres etwa in „For Fr. Peter O’Brien“, Allens Hommage an Williams, wo Murray zum zweiten Mal die Bassklarinette hervorholt und bald halb hinter dem Klavier eine Art Begleitung zu spielen scheint. Dieses Hin und Her, das Zusammenspiel auf Augenhöhe, ist es, was das Album für meine Ohren so gut macht.
Das Album hatte ich übrigens irgendwann nach Geri Allens Tod gekauft (ist das schon so lange her, krass!) – aber nur oberflächlich gehört und nicht auf Anhieb Zugang gefunden. Ganz anders heute!
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david murray infinity quartet feat. saul williams, blues for memo (2015/18)
der hipness-faktor steigt. spoken word artist saul williams kannte ich vorher nur in drum&bass-projekten, in denen er sich ähnlich autark bewegt wie hier, auch wenn die manchmal zu altmodisch boppigen kompositionen von murray weniger raum lassen. die infinity-musiker halten aber die jazz-, experimentellen hiphop- und die r&b/soul-anleihen (sänger pervis evans ist auch noch dabei) schön im gleichgewicht, vor allem der neue pianist orrin evans. ich bedaure trotzdem, dass marc cary hier schon wieder nicht mehr dabei ist.
die genese des albums reime ich mir so zusammen: mit dem langvertrauten produzenten mehmet „memo“ uluğ für das türkische doublemoon-label eingespielt, im prozess stirbt uluğ und das album heißt „blues for memo“ und kommt 2018 auch noch mal bei motéma raus. die stücke sind kürzer, flashiger, eine komposition von ra ist dabei, ein sun-ra-gedicht steht auf dem rückcover. vorne sternenstaub. jason moran spielt irgendwo ein e-piano, mingus ein paar gitarrenlicks, murrays ton wird zum gesang, williams‘ zerebrale rezitation klatscht sich mit dem schluchzenden soul von evans ab. murray ist beinahe im hybriden sound des neuen jahrtausends angekommen. gypsy-tail-wind hat das projekt live gesehen, das kann ich mir schon spannend vorstellen.
Zu diesem Album, den Konzerten, Saul Williams usw. steht in den Posts direkt nach dem zitieren noch etwas mehr.
Mich fesselt das auf Platte nicht so richtig – obwohl Nasheet Waits wieder eine unglaubliche Präsenz und sehr viel Bewegung reinbringt, erneut mit Jaribu Shahid neben sich. Wie schon beim Album mit Allen und Carrington gibt es viele Stücke, die meisten um die 5 Minuten kurz. Ab dem vierten tauchen die Gäste auf: Jason Moran zweimal am Rhodes (#4 und #7 übrigens, nicht #4 und #6 wie auf der Hülle steht), Craig Harris viermal an der Posaune (stark!), je einmal Aytac Dogan an der Kanun (einer Zither) und Mingus Murray an der Gitarre. Hintenraus dann noch dreimal der Sänger Pervis Evans … live – einfach mit dem Quartett und Williams – fand ich das Projekt echt gut, das Album hat hingegen nie so ganz gezündet und will das auch heute nicht tun, obwohl die Basisband schon sehr gerne mag. Evans bringt monk’sche Züge rein, Kanten, fügt sich hervorragend zu den bewegten Grooves und Beats von Shahid und Waits. Murray rifft und bricht auch immer wieder kurz aus. Saul Williams setzt sich drauf, stellt sich davor – und sein Charisma ist auch ab Konserve beträchtlich. Gerade die Kohärenz der Rhythmusgruppe fehlt dem Album als Ganzem – so attraktiv seine Teile (auch der vierte Track mit Kanun, Rhodes und Posaunensolo von Harris) im Einzelnen auch sein mögen. Zu viele Köche.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbavorgarten
dave gisler trio with jaimie branch and david murray, see you out there (2021)
eine band auf der suche nach einem sound… das trio des gitarristen gisler (mit raffaele bossard, b, und lionel friedli, dm) hatte sich mit jaimie branch verstärkung geholt (ZURICH CONCERT), ein weiterer live-auftritt mit ihr platzte aber wegen des lockdowns, da sprang murray ein, auf diesem album sind dann beide dabei. manchmal ein punk-brett, dann ein paar schwebende atmosphären, dann ein verkomplizierter blues – so recht wird keine haltung spürbar, kein konzept. branch passt vom sound her besser dazu als murray, der dann doch zu viel schwere hat, aber er kann natürlich auch krawall, hat wahrscheinlich an die zeiten mit ulmer in der danceteria gedacht. freien austausch zwischen den beiden gästen gibt es kaum, der leader klingt immer anders, ich kriege das nicht zu greifen, habe aber auch nicht den eindruck, als ob ich das müsste.
Mir ist das vom Sound her deutlich zu krawallig, was vor allem an der Gitarre liegt … das eng verwobene des Trios entgeht mir dabei zwar nicht, aber es geht für mein Empfinden zu oft unter. Branch fügt sich da tatsächlich hervorragend ein, als hörbare Stimme im Gebräu, die als Ruferin immer mal wieder mit kurzen Schreien herausbricht. Am liebsten mag ich die Musik, wenn sie auch mal Atem holt und fast gespenstisch ruhig wird, wie zu Beginn von „The Vision“. branch erinnert da schon ein wenig an Miles Davis, aber das hat vielleicht auch damit zu tun, wie das Trio hier agiert. Später steigert sich das alles und Murray taucht aus der Tiefe auf und bahnt sich seinen Weg durch die Klangwälle – am Ende jedoch ohne sich durchzusetzten, stattdessen wird auch seine Stimme absorbiert und es ist branch, die wieder prägnante Spitzen setzt. Vielleicht brauche ich dieses Neuansetzen in der Ruhe, denn ab da funktioniert das Album für mich besser. Und das Schlusssegment finde ich dann entsprechend auch wieder stark: erneut Gespensterstimmung in „High as a Kite“ mit einer mäandernden gedämpften Trompete, einem leisen Trommelteppich, einer karg hallenden fast tonlosen Gitarre. Murray hat dann im torkelnden Groove des Closers „Better Don’t Fuck with the Drunken Sailor“ noch einen starken Auftritt – vielleicht seinen besten Moment auf dem Album.
Was ich hier sehr mag, ist das Cover (Fiona Ryan). Dasselbe Motiv, das die drei Klappen der Papphülle durchzieht, ist auch auf der Aussenseite des Booklets, etwas kleiner, in der Höhe eingemittet und spiegelverkehrt zu sehen.
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david murray brave new world trio, seriana promethea (2021)
das ist eigentlich das album, das bei mir ein neues interesse an murray erzeugt hat, wobei ich damals dachte, über den verhältnismäßig dünnen ton und ein paar rhythmische schwierigkeiten aus altersgründen hinweghören zu müssen. ich höre das heute wieder und verstehe es unter dem jüngsten live-eindruck und dem von FRANCESCA weniger. tatsächlich finde ich einfach den saxofonsound hier nicht so gut aufgenommen, die tiefe ist eigentlich noch da, kommt hier nur nicht so richtig durch. murray stellt hier jedenfalls mit hamid drake und brad jones ein neues trio vor, und mit jaribu shahid ist damit die konstante der letzten alben raus (drake dafür wieder drin). die stücke sind z.t. bekannt, z.t. neu, für alles hat murray knackige trio-arrangements geschrieben. super ist die version über „if you want me to stay“ von sly & the family stone, wo pop wieder ekstatisch wird und alles rumpelt und knarzt. was murray auf jeden fall gut bekommt, sind die trockenen grooves, auch wenn er nach wie vor dazu neigt, sie zuzuspielen.
Das Album mag ich richtig gerne – seit Erscheinen. Die Grooves von Drake sitzen und Brad Jones ist der richtige Partner dafür. Murray setzt sich drauf, und klar, spielt auch mal was zu – wann tut er das nicht? Das letzte Trio-Album ist zum Zeitpunkt dieser Aufnahme schon ziemlich lange her, oder? Geplant war das alles nicht von langer Hand, die in Mailand lebende Agentin von Murray versuchte im Herbst 2020, ein paar Tourdaten zusammenzustellen. Drake war gerade in Mailand und hatte Zeit (das gab’s vor der Pandemie vermutlich mehrere Jahrzehnte nicht, dass Drake einfach so Zeit hatte) und Jones, der damals in Venedig lebte, war ihr Vorschlag. Ein paar Gigs mit Murray-Tunes, und 2021 zog das Trio durch Europa, Ende November auch zum Unerhört in Zürich (damals ging ich noch erst selten wieder an Konzerte und verpasste das Trio leider), und direkt am Tag danach in Winterthur ins Studio. Wenn das nach dem Trio mit Allen und Carrington und vor „Francesca“ nochmal eine reine Männerband ist, dann sind immerhin diverse Frauen irgendwie beteiligt: die Schwiegertochter Julia, eine Adrienne, eine Anita un eine Annita als Widmungsträgerinnen (zu „Anita et Annita“ schreibt Derek Schilling in den Liner Notes, das Stück „paints a double portrait of family“) – und dann ist da natürlich noch die Agentin aus Mailand, Ludmilla Faccenda, ohne die e das Trio gar nicht gegeben hätte. Den Sound des Albums mag ich ganz, Murrays Sax klingt irgendwie mattglänzend und ich finde das passt zum Rahmen. Und Jones‘ Bass ist hervorragend eingefangen. Die Musik atmet, bewegt sich ständig, groovt dabei oft wie die Hölle – dass es ein Sly Stone-Cover gibt, passt da natürlich hervorragend. Jones ist dafür der perfekte Bassist, Drake braucht man da gar nicht extra erwähnen. Stone ist leider in den Credits vergessen gegangen, wo alle Stücke Murray zugeschrieben werden (nachdem bei der dt. Version der Liner Notes zu „See You Out There“ schon das Lektorat vergessen gegangen war – da stehen an mehreren Stellen Trennstriche mitten in Zeilen, die wohl von einer Fassung mit anderem Textumbruch übrig blieben).
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david murray brave new world trio, seriana promethea (2021) das ist eigentlich das album, das bei mir ein neues interesse an murray erzeugt hat, wobei ich damals dachte, über den verhältnismäßig dünnen ton und ein paar rhythmische schwierigkeiten aus altersgründen hinweghören zu müssen. ich höre das heute wieder und verstehe es unter dem jüngsten live-eindruck und dem von FRANCESCA weniger. tatsächlich finde ich einfach den saxofonsound hier nicht so gut aufgenommen, die tiefe ist eigentlich noch da, kommt hier nur nicht so richtig durch. murray stellt hier jedenfalls mit hamid drake und brad jones ein neues trio vor, und mit jaribu shahid ist damit die konstante der letzten alben raus (drake dafür wieder drin). die stücke sind z.t. bekannt, z.t. neu, für alles hat murray knackige trio-arrangements geschrieben. super ist die version über „if you want me to stay“ von sly & the family stone, wo pop wieder ekstatisch wird und alles rumpelt und knarzt. was murray auf jeden fall gut bekommt, sind die trockenen grooves, auch wenn er nach wie vor dazu neigt, sie zuzuspielen.
Das Album mag ich richtig gerne – seit Erscheinen. Die Grooves von Drake sitzen und Brad Jones ist der richtige Partner dafür. Murray setzt sich drauf, und klar, spielt auch mal was zu – wann tut er das nicht? Das letzte Trio-Album ist zum Zeitpunkt dieser Aufnahme schon ziemlich lange her, oder? Geplant war das alles nicht von langer Hand, die in Mailand lebende Agentin von Murray versuchte im Herbst 2020, ein paar Tourdaten zusammenzustellen. Drake war gerade in Mailand und hatte Zeit (das gab’s vor der Pandemie vermutlich mehrere Jahrzehnte nicht, dass Drake einfach so Zeit hatte) und Jones, der damals in Venedig lebte, war ihr Vorschlag. Ein paar Gigs mit Murray-Tunes, und 2021 zog das Trio durch Europa, Ende November auch zum Unerhört in Zürich (damals ging ich noch erst selten wieder an Konzerte und verpasste das Trio leider), und direkt am Tag danach in Winterthur ins Studio. Wenn das nach dem Trio mit Allen und Carrington und vor „Francesca“ nochmal eine reine Männerband ist, dann sind immerhin diverse Frauen irgendwie beteiligt: die Schwiegertochter Julia, eine Adrienne, eine Anita un eine Annita als Widmungsträgerinnen (zu „Anita et Annita“ schreibt Derek Schilling in den Liner Notes, das Stück „paints a double portrait of family“) – und dann ist da natürlich noch die Agentin aus Mailand, Ludmilla Faccenda, ohne die e das Trio gar nicht gegeben hätte. Den Sound des Albums mag ich ganz, Murrays Sax klingt irgendwie mattglänzend und ich finde das passt zum Rahmen. Und Jones‘ Bass ist hervorragend eingefangen. Die Musik atmet, bewegt sich ständig, groovt dabei oft wie die Hölle – dass es ein Sly Stone-Cover gibt, passt da natürlich hervorragend. Jones ist dafür der perfekte Bassist, Drake braucht man da gar nicht extra erwähnen. Stone ist leider in den Credits vergessen gegangen, wo alle Stücke Murray zugeschrieben werden (nachdem bei der dt. Version der Liner Notes zu „See You Out There“ schon das Lektorat vergessen gegangen war – da stehen an mehreren Stellen Trennstriche mitten in Zeilen, die wohl von einer Fassung mit anderem Textumbruch übrig blieben).
David Murray blüht im Trioformat richtiggehend auf und Brad Jones bzw Hamid Drake erzeugen mächtig Druck …. und ja, der Bass ist superb eingefangen …. btw sah damals Livemitschnitte auf YTube, welche noch mehr Energie generierten ….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)Zum Unterschied von Live vs. Studio steht auch was von Murray selbst im Booklet, was ich ganz interessant finde (auch etwas trivial, drum hab ich’s gestern nicht gleich abgetippt): „On stage, he notes, ‚if you make a mistake, you have to make that mistake sound beautiful. By the time you get into the studio and can hear everything back, you say, oh, o.k., I’ve been doing that wrong all this time. So let’s get used to doing that right. Here the trio had the opportunity to hear what we’d done, what we got used to doing. Wo we said: let’s flip that.'“ The result shows the intuitive level of understanding achieved. Having reached in his mid-60s a level of technical mastery where a musician ‚can play every note he hears,‘ Murray saw this pianoless trio as not just a way to keep the notes flowing, but a catalyst for total freedom: that rare configuration that allows him to deliver, through the saxophone, ‚my most free expression of myself.'“
„Francesca“ – das ich so gut wie „Seriena Promethea“ oder noch eine Spur besser finde – spare ich mir auf für wenn Album Nr. 2 der Band nächste Woche auch erscheint (wird sicher übernächste Woche, bis es hier landet, vielleicht dann auch Mitte Mai, nach dem kurzen Urlaub.
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gypsy-tail-wind Zum Unterschied von Live vs. Studio steht auch was von Murray selbst im Booklet, was ich ganz interessant finde (auch etwas trivial, drum hab ich’s gestern nicht gleich abgetippt): „On stage, he notes, ‚if you make a mistake, you have to make that mistake sound beautiful. By the time you get into the studio and can hear everything back, you say, oh, o.k., I’ve been doing that wrong all this time. So let’s get used to doing that right. Here the trio had the opportunity to hear what we’d done, what we got used to doing. Wo we said: let’s flip that.’“ The result shows the intuitive level of understanding achieved. Having reached in his mid-60s a level of technical mastery where a musician ‚can play every note he hears,‘ Murray saw this pianoless trio as not just a way to keep the notes flowing, but a catalyst for total freedom: that rare configuration that allows him to deliver, through the saxophone, ‚my most free expression of myself.’“ ….
Ja, hab’s gelesen und fand das tlws. eher missverständlich („make the mistake sound beautiful“, da musste ich schon ein wenig schmunzeln) …. das Trioformat jedenfalls eine Lupe der Durchhörbarkeit ….
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"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)gypsy-tail-wind
vorgarten
jamaaladeen tacuma / david murray, rendezvous suite (2009/11)
Wolf Kampmann schreibt in den Liner Notes (in denen nichts zu Urbaneks Nachbearbeitung steht, woher weisst Du das denn @.vorgarten? leuchtet mir allerdings beim Hören sofort ein, dass das so war!) einen schönen, wahren Satz über Murray –
das steht bei bandcamp, wahrscheinlich die abgedruckte pressemitteilung.
schöne texte, bin erst jetzt zum nachlesen gekommen. ist ja nochmal eine große menge anschaffungen! was da vielleicht (noch) fehlt, wäre das streicherquartett-album WALTZ AGAIN, mit dem du vielleicht mehr anfangen kannst als ich. ich fand es interessant, aber ob man das unbedingt haben muss, weiß ich auch nicht.
der übliche 3-stücke-ausschnitt des konzerts von murray mit håker flaten und nilssen-love aus dem berliner institut français vom letzten november ist jetzt übrigens online, inklusive der tollen aretha-franklin-ballade in der mitte und netterweise exklusive des altherrenwitzes von murray:
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vorgarten
jamaaladeen tacuma / david murray, rendezvous suite (2009/11)Wolf Kampmann schreibt in den Liner Notes (in denen nichts zu Urbaneks Nachbearbeitung steht, woher weisst Du das denn @.vorgarten? leuchtet mir allerdings beim Hören sofort ein, dass das so war!) einen schönen, wahren Satz über Murray –
das steht bei bandcamp, wahrscheinlich die abgedruckte pressemitteilung.
Ah, dort hatte ich nicht geguckt – vielen Dank!vorgarten
schöne texte, bin erst jetzt zum nachlesen gekommen. ist ja nochmal eine große menge anschaffungen! was da vielleicht (noch) fehlt, wäre das streicherquartett-album WALTZ AGAIN, mit dem du vielleicht mehr anfangen kannst als ich. ich fand es interessant, aber ob man das unbedingt haben muss, weiß ich auch nicht.Das hatte ich mir auch schon gedacht – ich werde mal Ausschau danach halten.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba -
Schlagwörter: David Murray, Tenorsax
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