Antwort auf: David Murray

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david murray infinity quartet feat. macy gray & gregory porter, be my monster love (2013)

das album habe ich damals bewusst ignoriert, weil ich die beiden gastsäger*innen nicht mag (und dachte: armer murray, dass du mit denen aufnehmen musst, um aktuellen zielgruppen ein begriff zu bleiben), was mal wieder ziemlich blöd war. die kapriziöse gray und der glanzlos-laute porter sind hier super eingesetzt, stimmiger habe ich beide nie gehört… und dann hat sich murray ein neues quartett zusammengebaut, das ihn ganz offensichtlich sehr inspiriert: gilchrist und drake sind weitergezogen, aber der tolle jaribu shahid ist geblieben (ich mag den sehr gerne, toller ton, sehr präsent, druckvoll…), dazugekommen sind marc cary, der viel zupackender spielt als der verschrobene gilchrist, und nasheet waits, der nicht primär die grooves variiert wie drake, sondern sehr aufwändig überall zugleich ist, vor allem beim solisten. murray ist herausgefordert wie selten, und das mag er ja. das material… naja, etwas merkwürdige songs (kompositionen von ihm, z.t. auf dem singer-album schon zu hören, jetzt mit texten u.a. von ishmael reed), dazwischen großartige quartett-stücke, u.a. den „sorrow song“ aus LOVE & SORROW. das geht mal richtung kirche, mal südwärts, mal zum hardbop. und dann räumt murray nochmal kurz die bühne für einen freund und mentor, bobby bradford – eher als geste, denn als battle. nach 3 jahren pause ist alles so kraftvoll, scharf und beschwingt wie immer.

Noch eine Neuanschaffung dank dieses Threads (die bisher letzte*): neue Band, neuer Name, eine seltsame Kurzgeschichte über ein toxisches Männlein im Booklet (vom mir nicht weiter bekannten „British crime-writer Robert Wilson, now residing in Portugal“). Aber die Musik? Die Musik! Nasheet Waits am Schlagzeug ist schon im Opener so toll, wie ich das von ihm längst erwarte (und mit Murray später gleich dreimal erleben konnte): viel Punch, dabei schlank und präzise, enorm beweglich, überraschend, ständig im Fluss und unglaublich hip. Marc Cary setzt am Klavier eher sparsam aber sehr gekonnt Akzente, wechselt – im ersten Stück mit Gregory Porter – auch mal an die Orgel und lässt diese aufheulen (wenn ich oben lese, dass er zupackender agiert als Gilchrist, ist das kein Widerspruch, aber mir kommt Cary irgendwie weniger bunt vor … er setzt viel enger gefasste Stimmungen und Moods). Jaribu Shahid von der Vorgänger-Band ist weiterhin am Bass dabei und um ihn scheint sich das alles irgendwie zu stabilisieren, obwohl auch er ständig in Bewegung ist. Der Leader ist besonders in den instrumentalen Stücken in irre guter Form, etwa im Opener „French Kiss for Valerie“ (Malot, I presume) oder im „Sorrow Song“, dazwischen gibt es das Stück von Macy Gray (mit der ich gar nicht nichts anfangen kann, weil ich sie nicht kenne – aber ich kann hier tatsächlich nur bedingt viel anfangen mit ihrer Stimme), „Stressology“ (auch schon auf dem Album mit Singer zu hören) und den ersten Auftritt von Porter, getextet wie der Song mit Gray und einer der zwei weiteren mit Porter von Ishmael Reed, der Text des mittleren der drei Songs mit Porter stammt von Abiodun Oyewole. Und Porter ist auch für mich hier eine Überraschung, denn mit seinen eigenen Sachen konnte ich bisher überhaupt nichts anfangen. Zwischen den letzten zwei Stücken mit Porter gibt es noch einen Gast: Bobby Bradford spielt auf „The Graduate“ sein Kornett, flächig impressionistisch, fast etwas gespentisch (vor den Quartett-Sessions separat aufgenommen, wie auch alle Gesangsspuren).

Vom ersten Eindruck her ist das wirklich ein sehr gutes Album – und damit auch für mich eine sehr schöne Überraschung. Von den neu angeschafften Alben nach 2000 ist das auf jeden Falls dasjenige, das gleich mal in Griffweite bleibt. Gewidmet ist das Album übrigens dem Andenken an Lawrence Douglas „Butch“ Morris, wie ganzseitig im Booklet – fast eine Art Grabstein – zu lesen ist. Auf der Seite gegenüber guckt Murray nachdenklich mit schmalkrempigem Hut und T-Shirt mit dem Aufdruck „EMYOUESEYESEE“, der sich auf ein spätes Album von Morris zu beziehen scheint).

*) Wenn ich das richtig zusammenkriege sind im Lauf des letzten Jahres folgende – vielen! – Alben dazugekommen („Fo Deuk“ schon etwas früher, noch im Gefolge der Enja-Strecke):

JOHN HICKS / DAVID MURRAY – Sketches of Tokyo
DAVID MURRAY / JACK DeJOHNETTE – In Our Style
Lovers
Deep River
Spirituals
Tenors
DAVE BURRELL & DAVID MURRAY – Daybreak
David Murray-James Newton Quintet
DAVE BURRELL / DAVID MURRAY – In Concert
LUCA ALEX FLORES – Love for Sale
DAVE BURRELL & DAVID MURRAY – Brother to Brother
For Aunt Louise
The Tip
Jug-A-Lug
D. D. JACKSON – Peace-Song, featuring David Murray
Live at the Village Vanguard
Fo Deuk Revue
Like a Kiss That Never Ends (Como un beso que nuca se acaba)
David Murray & The Gwo-Ka Masters featuring Pharoah Sanders
David Murray Black Saint Quartet featuring Cassandra Wilson – Sacred Ground
David Murray Black Saint Quartet – Live in Berlin
David Murray & The Gwo-Ka Masters featuring Taj Mahal – The Devil Tried to Kill Me
DAVID MURRAY / JAMAALADEEN TACUMA – Rendezvous Suite
David Murray Infinity Quartet – Be My Monster Love

Besternung folgt drüben, wenn ich die noch ausstehenden fünf Alben (es wären sechs, aber ich hab „Cherry Sakura“ hartnäckig verlegt) auch wieder gehört habe. Das neue folgt dann ja heute in einer Woche.

Noch auf dem Zettel stehen wenigstens die beiden (zu „Seasons“ wie zu einem weiteren halben Dutzend nur in Behelfsversionen angehörten Alben habe ich hier schon was geschrieben, „Golden Sea“ kenne ich noch gar nicht):

Kahil El’Zabar with David Murray – Golden Sea
Seasons

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