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vorgarten
hal singer feat. david murray, challenge (2010)
und mit diesem charmanten projekt bin ich mit murray tatsächlich schon in den 2010ern. hal singer ist zum zeitpunkt der aufnahme 90 jahre alt und wird hier von murrays black saint quartet (murray, gilchrist, shahid, drake) begleitet. sehr viel gefühl und geschichte ist vorhanden, auch wenn die time nicht mehr so recht sitzt und die instabilität nicht so recht aufgefangen werden kann. das material ist durchaus keine nummer sicher, aber ich hätte mir vor allem etwas mehr sorgfalt in der produktion gewünscht. insgesamt ist das flach aufgenommen, was dem ohnehin dünnen ton von singer nicht zugutekommt, aber auch murray klingt nicht gut, das klavier hat kaum resonanz, was alles nicht schlimm ist, die band klingt ja gut, aber es wäre schön gewesen, dem leader etwas mehr akustische hilfestellung zu geben. obwohl das natürlich eine aufnahme aus paris ist, wo singer seit 1965 lebte, ist der obama-vibe zu spüren, murrays „long march to freedom“ ist verständlicherweise optimistisch, sehr schöne interpretation, leider spielt singer hier nicht mit.
Das ist dann der nächste Jam aus Paris – Murray bringt seine Band und Rasul Siddik mit (der glaub ich auch länger in Frankreich gelebt hat?), aber eigentlich sind Hal Singer und das Label von Gérard Terronès die Gastgeber hier. Die Aufnahme klingt leider wirklich nicht so super … und die Time von Singer sitzt auch nicht mehr wirklich. Vielleicht habe ich auch deswegen länger nur um dieses Album gekreist, ohne in all den Jahren einen wirklichen Zugang zu finden. Inzwischen ist die Enttäuschung verpufft und der Weg frei, um das Album ganz entspannt wieder mal anzuhören, und dabei kann ich ihm schon etwas abgewinnen. Die zwei ausgeprägten Individualisten im Dialog zu hören ist allein schon eine feine Sache, die Band ist natürlich super (dass Siddik nur auf zwei Stücken mitspielt, ist schade) – aber klar, darüber, dass Singers Beiträge mäandern und er echt nicht in bester Form ist, täuscht das halt nicht hinweg.
Ein wenig frage ich ich, ob das Material mit seinen binären Grooves – und die Drums von Drake – für Singer nicht gut geeignet ist, ob er in swingenden Rhythmen vielleicht entspannter hätte aufspielen können, eher über dem Beat hätte schweben können? Wenn Drake diesen ständig stark akzentuiert, verstärkt das vermutlich den Eindruck von Singers rhythmischer Verlorenheit? Ich komme bei „Hong Kong Nights“ (Murray) auf diesen Gedanken, in dem die Band so halb swingt, wo auch Siddik dabei ist und alles ein wenig entspannter wirkt als bei den ersten beiden Stücken (die allerdings von Singer stammen). Das Singer-Feature „I Thought About You“ direkt danach funktioniert dann auch gut – das langsame Tempo hilft … dafür ist hier umso bedauerlicher, dass weder Saxophon noch Klavier gut aufgenommen sind. Darauf folgt der von @vorgarten erwähnte tolle „Long March to Freedom“, das Murray-Feature, und direkt darauf mit „Stressology“ (Murray) das zweite Stücke mit Siddik, das dann wirklich im swingenden 4/4 dargeboten wird – und wie der Titel nahelegt ein wenig an die Stücke von Ornette Coleman erinnern. Singer gelingt hier ein starker Einstieg, auf der rhythmischen Ebene höre ich hier wirklich weniger Störendes, Drake treibt den Veteranen an, Gilchrist spielt eigenwillige kleine Einwürfe. Es folgen Siddik (verspielt, passend zum Stück und seinem Ornette-Mood) und Murray, der etwas zurückhaltend einzusteigen scheint, fast so, als wolle er Singer nicht an die Wand spielen. Das kann Murray aber auch, ohne dass er sich dabei verbiegen müsste.
Auf diesen mittleren Viererblock folgen nochmal zwei Stücke – auch wieder so ein Zwiebelprinzip-Album. Im ersten davon, Singers „Dreams of Dream“ bleibt der swingende 4/4 und ich finde auch hier wieder, dass das ziemlich gut funktioniert. Der Veteran legt los, Murray folgt dieses Mal direkt, ohne Trompetensolo – und er scheint sich auch hier zunächst etwas zurückzunehmen. Gilchrists spielt ein kurzes Solo – und dann steigt Singer ein über was fast wie der Beginn eines Bass-Solos wirkt, doch die Saxer spielen zusammen Fours, ohne dass Drake eingebunden würde, und auf diesen Dialog, der bald in längere Passagen übergeht, folgt dann wirklich noch ein Bass-Solo, bevor auch Drake zum Zug kommt und die Saxer sich nochmal austauschen. Dürfte hier insgesamt mein Highlight sein.
Den Abschuss macht dann Murrays „About the Children“ über einen rollenden Latin-Groove, in dem Drake/Siddik eine Groove-Maschine aufbauen und Singer sich für einmal ziemlich tief eingräbt – ein versöhnlicher Abschluss und mit dem Latin-Groove auch schon eine Ankündigung meiner nächsten Station. 75 Minuten sind bei so einem Album echt keine gute Idee – acht lange Stücke (8-11 Minuten) … da hätte man auch zwei oder drei weglassen können.
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #163: Neuentdeckungen aus dem Katalog von CTI Records (Teil 2), 13.5., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba