Rezeptionsverhalten und -möglichkeiten in den 1960er und frühen 70er Jahren

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  • #30277  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Angeregt durch eine sich anbahnende Diskussion in meinem 7″ Thread möchte ich hier diejenigen unter euch, die wie ich in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts begannen Pop Musik zu hören, aufrufen, ihre Erfahrungen zu diskutieren.
    Wie war das damals? Wie habt ihr neue Musik kennen gelernt? Radio? Welche Sender und Sendungen? Zeitschriften? Habt ihr regelmäßig Platten gekauft? Nur Singles? Oder eher LPs? Oder habt ihr alles getapet? Habt ihr eher im stillen Kämmerlein für euch selbst gehört oder mit Gleichgesinnten, Freunden gemeinsam? Wie gestaltete sich der Austausch über Musik?
    War eure persönliche musikalische Sozialisation eher zufällig? Oder hattet ihr Anleitung durch Ältere oder sogar Erwachsene? Woran habt ihr euch orientiert? Wer oder was bestimmte welche Bands, Platten angesagt waren und welche nicht?
    Habt ihr überhaupt alles mitbekommen, was man hätte mitbekommen können?

    Das sind erstmal ein paar Fragen zum Einstieg in eine hoffentlich spannende Diskussion.
    Die Jüngeren können und sollen natürlich mitdiskutieren, wenn sie mögen.

    --

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    #3939859  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 87,232

    Ich finde Eure Erfahrungen sehr interessant. Mein Interesse an Popmusik erwachte Ende der 70er, Anfang der 80er. Durch den elterlichen Plattenschrank habe ich damals Bekanntschaft mit Elvis, Beatles, Beach Boys usw. geschlossen, meine Mutter kaufte auch noch aktuelle Singles und Sampler, weil sie eine Jazz-Dance-Gruppe betreute. Da war dann auch schon mal die 12“ von Rapper’s Delight dabei. Leider alles weg oder tief auf dem Dachboden vergraben.
    Ansonsten hab ich sehr lange Zeit vom Radio auf Cassette mitgeschnitten, Geld für Platten in größerer Zahl hatte ich erst als Student. Es gab auf WDR2 verschiedene Musiksendungen, die ich regelmäßig hörte, außerdem – ganz wichtig – die UK-Top-40 auf BFBS. Otis erzählte eben, dass für ihn Alben lange Zeit nicht so wichtig waren. Ging mir auch so und in gewisser Weise bis heute. Austausch hatte ich wenig, mit Schulfreunden gelegentlich, nach der Schulzeit hab ich aber allein für mich gehört.

    --

    #3939861  | PERMALINK

    zappa1
    Yellow Shark

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 87,195

    Musik war bei uns zuhause immer allgegenwärtig. Das Radio lief praktisch den ganzen Tag und meine Eltern hatten ne kleine, aber feine Plattensammlung. Haupstächlich Singles und noch paar Shellacks.
    Das waren zum Großteil Schlager der 50er (Torriani, Valente etc.) aber auch Glenn Miller und Billy Vaughn.

    In den 60ern galt meine Liebe erstmal dem deutschen Schlager (Peggy March, Manuela, Wencke…etc.)
    Pflichtprogramm jeden Freitag die „Schlager der Woche“ auf Bayern 1, in dem sich aber so ab Mitte der 60er immer mehr „englische“ Musik mischte.
    Und ich fand sehr schnell Gefallen daran. Dass ich mich dann irgendwann fast ausschließlich für diese Musik entschied, war als ich „Travellin Band“ von CCR hörte. Das wusste ich, das ist es. Und sie waren die erste Band, wo ich mich als Fan bezeichnete. Bis heute.

    Mit 10 (1970) kam ich dann ins Gymanasium und lernte durch ältere Mitschüler dann auch Musik kennen, die nicht unbedingt in den Hitparaden vertreten war. Das absolute Non Plus Ultra waren damals Deep Purple mit ihrer „in Rock“ Scheibe.
    Durch diese Mitschüler lernte ich dann auch die großartige Sendung „Club 16“ kennen, die auf täglich auf B2 um 16:00 Uhr lief und absolut „radiountaugliche“ Musik brachte und mich auf Bands wie Pink Floyd, Tull, Humble Pie usw. brachte. Naja, so entwickelte sich das allmählich weiter.

    Platten kaufen war damals rein geldmäßig nicht drin. Hi und da mal ne Single, aber LPs ga’s halt zu Geburtstagen oder Weihnachten.
    Das meiste nahm ich anfangs mit meinem Telefunken-Tonbandgerät auf, später, mit 12 ungefähr, hatte ich auch endlich nen Kassettenrecorder.

    Zeitschriften am anfang ausschließlich die Bravo. Die erste Ausgabe war die Nr. 3 von 1970. Henry Darrow (der Manolito aus High Chaparell) auf dem Titelbild.

    Naja, im Laufe der Zeit hat man dann ja auch die Leute gefunden, mit denen man musikmäßig auf einer Wellenlänge war, dann hat man schon mal sich gemeinsam ne Scheibe gekauft, oder sich gegenseitig ausgeliehen und aufgenommen.

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    „Toleranz sollte eigentlich nur eine vorübergehende Gesinnung sein: Sie muss zur Anerkennung führen. Dulden heißt beleidigen.“ (Goethe) "Allerhand Durcheinand #100, 04.06.2024, 22:00 Uhr https://www.radiostonefm.de/naechste-sendungen/8993-240606-allerhand-durcheinand-102  
    #3939863  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Mein Interesse an Pop Musik, englischsprachiger zumal, wurde so ab Mitte der 60er Jahre geweckt. So richtig entflammt war es aber erst ab Anfang 1967. Von da an sah ich regelmäßig den Beat Club im TV, hörte täglich die eine Stunde SF-Beat (ab März 67 auf SFB II) und immer montags die Schlager der Woche auf RIAS II. Anfangs nahm ich fast nur Tracks aus dem Radio auf, mit einem kleinen japanischen Spulentonbandgerät. Singles kaufte ich mir vom Taschengeld oder sonstwie Erspartem, so 3-5 Stück im Monat. Manchmal auch mehr, wenn ich sie billiger bekommen konnte. Das geschah streng nach Auswertung meiner persönlichen Charts, die ich wöchentlich in ein Schulheft schrieb. Die Höchstplatzierten wurden gekauft.
    LPs habe ich bis ca. 1969 nicht gekauft. Ich hab mir welche schenken lassen.
    Zunächst habe ich relativ isoliert meiner Vorliebe für Beat Musik gefrönt. Zwar gab es durchaus Mitschüler, die ähnliche Musik mochten, aber ein Austausch fand erst so nach und nach statt. Intensiv und regelmäßig erst ab 1968 ca.
    Ältere Geschwister hatte ich nicht. Auch keine älteren Freunde. Jedenfalls am Anfang nicht. Lediglich bei einem älteren Mädchen aus der Nachbarschaft durfte ich ganz selten Mal alte Singles hören. Die waren dann von Cliff Richard, Joey Dee, Manuela, Peter Kraus, aber auch Eddie Cochran oder Buddy Holly. Irgendwie ist davon aber zunächst nichts hängen geblieben.
    AFN und BFBS spielten für mich dann auch bald eine wichtige Rolle. Gelesen hab ich anfangs nur die Bravo. Dann noch OK. Richtige Musikzeitschriften lernte ich erst Anfang der 70er kennen. Die Zeitschrift Underground habe ich ab Erscheinen Ende 1968 regelmäßig gelesen. Darin spielte Musik aber auch nicht die wichtigste Rolle.

    Noch zur Ergänzung: bei uns zuhause wurde auch schon immer viel Radio gehört. Meine Eltern waren aber schon relativ alt und mochten vor allem Musik aus den 20er und 30er Jahren und damals aktuelle deutsche Schlager natürlich auch zum Teil. Meine Mutter hat sogar selbst Gitarre gespielt und dazu Volkslieder gesungen. Richtige Volkslieder, keine so volkstümliche Musik. Das alles hat mich natürlich auch mitgeprägt. Der modernen Beat Musik gegenüber waren meine Eltern trotz – oder gerade wegen – ihres Alters sehr aufgeschlossen. Es gab nie Verbote oder Reglementierungen Musik betreffend.

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    #3939865  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,711

    Mikko[…]
    Das sind erstmal ein paar Fragen zum Einstieg in eine hoffentlich spannende Diskussion.
    Die Jüngeren können und sollen natürlich mitdiskutieren, wenn sie mögen.

    Oh, ein Thread für die Altvorderen?

    Verglichen mit Euch habe ich relativ spät angefangen, Musik zu hören, ich würde mal schätzen, so ab Mitte der 70er, da war ich so 9, 10 Jahre alt. Mein Elternhaus ist ziemlich unmusikalisch, ältere Geschwister oder Freunde habe/hatte ich nicht, ich war da ganz auf mich gestellt. Angefangen hat das mit Abba, später dann Blondie (der einzigen Gruppe, der ich die Jahre über halbwegs konstant die Treue gehalten habe), merkwürdigerweise nie mit Singles. Es gab eben Geschenke und man ist nicht dumm und wünscht sich schlauerweise gleich ein ganzes Album. Ich habe mir wenig Musik selber gekauft – vielleicht sind es deswegen so wenig Singles. Ende der 70er waren die aber auch nicht mehr so tonangebend, es ging doch schon mehr um die Alben.
    Irgendwann musste man sich abgrenzen und die Musik loswerden, die auch die Eltern gut fanden und abseits von Radio (nie viel gehört, manchmal Gottschalk auf BR3) war es dann Ende der 70er erst ACDC und dann Deep Purple (+ Ableger) die bei mir und meinem Freundeskreis liefen. Im Hard Rock waren es die Alben die gekauft wurden, Singles waren es da selten.
    Auch als ich von der Musikrichtung abkam, blieb ich bei Alben. So ab 84 (ich habe irgendwo noch die Quittung) unter Einfluss von, jaja, Rory Gallaghers Liveplatte Stage Struck, habe ich dann angefangen die „Rockgeschichte“ (von der ich bis dahin überhaupt keine Ahnung hatte) abzugrasen (wie ich heute feststellen muss, sehr oberflächlich ) – wieder vor allem mit Best-of-Alben.

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #3939867  | PERMALINK

    otis
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 22,557

    Ich weiß nicht, ob das wirklich von allgemeinem Interesse ist, was Mikko hier vorhat. Möchte hier eigentlich auch nicht zu privat werden. Bitte also, das Folgende nicht als falsche Folklore misszuverstehen.
    Aber die frühen 60er müssten vielen Heutigen, was die Musikrezeption anbelangt, noch derart steinzeitlich vorkommen, dass es vielleicht doch interessant sein könnte.
    Ab 68 nämlich sah z.B. die deutsche Radiolandschaft schon völlig anders aus als z.B. 65.
    Ab der Zeit gab es jede Menge regelmäßiger „Jugendsendungen“, in der die entsprechende Musik gespielt wurde. In jener Zeit gab es z.B. auf NDR2 jeden Tag den Fünf-Uhr-Club, auf dem man mit dem Neuesten versorgt wurde. Auf WDR liefen einige recht ambitionierte Sendungen. Ich kann mich an Pop-Revolution erinnern, mit Joachim Sonderhoff und H.M. Broder (mag 69 gewesen sein), oder an die W. Trenkler-Sendungen. Ab 68/69 habe ich Peel gehört, durch ihn z.B. den „neuen“ Miles Davis kennen gelernt. Ab da änderte sich für mich die Musikrezeption in die Richtung, wie man sie heute noch kennt. Möchte sogar behaupten, dass es damals ausgesprochen gute Musiksendungen gab.

    Vorher war es, zumindest für mich und meine Sozialisation, deutlich schwieriger und irgendwo auch unfreiwillig spannender, an Musik zu kommen, und eben völlig anders als heute. Dass Platten damals unglaublich teuer waren im Vergleich zu heute, ist wohl bekannt. 4,75 für eine Single, dafür musste ein Lehrling einen Tag arbeiten. Für eine LP eine Woche. Und 80 Mark im Monat bekam damals nicht jeder, Anfang der 60er gab es noch deutlich weniger. Und da jammern sie heute über 15 Euro für eine LP!
    Ich selber wuchs in einem (katholischen) Jungeninternat auf, was einerseits fürchterlich war, weil wir von den Unbilden und Anfechtungen der Zeit ferngehalten werden sollten (was zu jener Zeit, als es überall brodelte, natürlich unmöglich war), andererseits einen kleinen Vorteil hatte, weil der Austausch untereinander größer war, obwohl das kein Reichen-Internat war, im Gegenteil. Platten und –spieler hatte dort kaum jemand.
    Wie kam man an Musik? Dass Pop-Musik obercool war, sprach sich schnell herum. Aber wir hatten in den ersten beiden Jahren, als ich dort war, kein Radio. Ab Frühjahr 65 gab es dann die Möglichkeit, Radio zu hören. So hockten vielleicht 5-6 12-jährige Jungs sonntagsabends vor dem Teil und hörten die NDR2-Schlagerparade.
    Die Bravo war strikt verboten.
    Auf der örtlichen Kirmes (=Jahrmarkt, Kirchweih) ging es dann schon heißer her. Die Raupe, jenes Karussell mit zuklappbarem Verdeck, spielte immer die schärfste Musik, sogar mit DJ-mäßigen Ansagen. Dort hielt ich mich immer, so lange es ging, auf, und lernte auch ältere Sachen kennen und lieben. Wipe Out und California Sun, Be Bop A Lula und Summertime Blues, Jailhouse Rock und Tutti Frutti…
    Ab 66 hatten wir dann zwei „Beatbands“ im Hause, wovon die zweite (kaum älter als wir) richtig gut war. Da man sich kannte, durfte ich dann und wann an Proben teilnehmen, erlebte, wie sie vom Band die Stücke abhörten und sich erschlossen. Da es Beatbands gab, mussten sie auch spielen dürfen. So hatten wir in regelmäßigen Abständen unsere Beat-Abende, oft auch Band-Battles mit bis zu 10 Gruppen von außerhalb, was das Hörspektrum „enorm“ erweiterte. Ich habe wirklich viele Songs als Coverversionen von kleinen Amateurbands kennen gelernt. Ich erinnere mich an Bands, die auf Pretty Things machten oder später sogar eine, die Hendrix drauf haben wollte. Sie war definitiv grausam.
    Wir hatten zwar kein Geld, trieben uns aber, so oft es möglich war, auch außerhalb des Internats im nahe gelegenen Dorf rum, besonders am Wochenende. Dort konnte man zwar keine Platten kaufen (das örtliche Radio- und Fernsehgeschäft hatte vielleicht 20 Singles im Angebot, wie ich im Herbst 67 leidvoll erfahren musste, aber das ist eine andere Geschichte), jedoch gab es zwei , drei Kneipen, die eine Musikbox hatten. Wir tranken kaum etwas, sondern setzten uns vor die Jukebox und hörten Musik. Grausam war, dort Titel vorzufinden, die man nicht kannte, und dann entscheiden zu müssen, ob man seine wenigen Groschen dafür investieren sollte oder nicht. So ging es auch den meisten B-Seiten. Sie wurden nur gespielt, wenn klar war, dass sie gut waren, oder man Geld übrig hatte. Das Verrückteste, was ich dort erlebt habe, war, dass jemand gern die musikalisch etwas abgefahrene Rückseite von Celentanos Una Festa Sui Prati wählte, aus dem einzigen Grund, weil die über 5 Minuten lang war und er mit wenig Geld viel Musikzeit kaufen konnte.
    In meiner häuslichen Umgebung, die ich nur in den Schulferien erlebte, gab es noch ein paar Freunde, von denen einer ein paar Platten hatte. Durch ihn lernte ich u.a. Aftermath und Buttons kennen und lieben, als sie herauskamen. Über ihn fand ich auch Zugang zur Soulmusik. Er war Otis-, Pickett- und Motown-Fan.
    Zu Weihnachten 67 bekam ich dann ein Grundig-Tonbandgerät, andere hatten Radios, und ab da wurde alles etwas selbstbestimmter. Wir begannen von da an auch interne Partys zu veranstalten, liehen Singles (auch alte bis in die 50s zurück) aus. Meistens legte ich auf. Alle waren ohne Hülle, die meisten ziemlich verkratzt, aber für mich waren sie Kostbarkeiten.

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    #3939869  | PERMALINK

    latho
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    Registriert seit: 04.05.2003

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    Schöner Bericht, otis (und nein, nicht zu privat). Als allgemeine Linie der bisherigen Posts würde ich mal ausmachen wollen, dass der Zugang zu bzw das Angebot von Pop-Musik den Hörer macht. Man will es haben/hören, es ist aber selten, ergo wächst die „Obsession“. Steigt das Angebot, fallen die Preise dann wird der Zugang leichter und die Liebe zur Musik muss eher „erarbeitet“ werden, denn warum sollte ich mich als Jugendlicher für etwas interessieren, was auf der Strasse liegt? (das Prinzip gilt wohl allgemein: bei mir waren es die Comics, die schwer zu haben waren).
    Diese Hard Rock-Phase in meiner Jugend kam vielleicht auch daher, dass diese Musik in den Medien nicht stattfand.

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    #3939871  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Danke, Otis, genau solche persönlichen Erfahrungen meine ich. Das ist nicht zu privat.
    Und Latho, im Prinzip möchte ich Dir zustimmen, was das „Erarbeiten“ betrifft. Aber ich glaube ganz so einfach ist es nicht.
    Worauf Otis bereits hinwies, der Unterschied zwischen den frühen bis mittleren 60ern und den Jahren ab 67/68 ist ein immenser. Das Angebot in den Medien wuchs sprunghaft, vor allem im Radio. Und die Toleranz nahm auch stetig zu. Nicht vergessen sollte man auch den Unterschied zwischen der Provinz und Großstädten wie Hamburg, Berlin, München.
    Ich selbst hatte es im Vergleich zu Otis offensichtlich viel leichter, sowohl was den Zugang zu Beat und Pop und Rock betrifft, als auch was das Ausleben der eigenen Vorlieben betrifft. Dennoch habe ich ihm gegenüber ebenso offensichtlich schon damals keinen Wissens- oder Entwicklungsvorsprung gehabt.
    Das liegt einerseits sicher daran, dass ich noch knapp zwei Jahre jünger bin als er. Möglicherweise erfolgt die persönliche Entwicklung auch altersmäßig unterschiedlich. Will sagen, ich bin eher ein Spätentwickler.
    Andererseits bestand für mich nie so ein Drang oder Druck, mich von den Altvorderen über Musik abzugrenzen. Eben weil meine Eltern mit mir zusammen Beat Club schauten oder meine Mutter mit mir in der Küche den täglichen SF-Beat hörte und ihre Kommentare abgab, war das für mich eher natürlich. Zumal meine Eltern wie schon gesagt sehr aufgeschlossen der Musik gegenüber waren. Das war so ein Verhältnis wie meines heute zu meinen Kindern, die ja auch nicht unbedingt das Gleiche hören wie ich. Wir tauschen uns aber dennoch über Musik aus.

    Was den Zugang zu Musik und die Entstehung eigener Interessen und Vorlieben betrifft, glaube ich aber auch, dass dies gerade damals (heute sicher auch, aber nicht in dem Maße) von vielen Zufällen abhing. Sicher gab es ab Ende der 60er schon eine ganze Reihe verschiedener Radiosendungen, wie Otis ja auch schreibt. Sicher konnte man theoretisch die englischen Musikzeitschriften im Bahnhofsbuchhandel bekommen. Dennoch hing viel davon ab, ob man überhaupt je von diesen Möglichkeiten erfuhr. Die Durchdringung des Alltags durch die Medien war doch längst nicht so groß wie heute. Deshalb hing die persönliche Bekanntschaft mit bestimmten Songs, Bands, etc. eben sehr stark davon ab, was die Macher des regionalen Jugendprogramms bevorzugten, was (ältere) Freunde und Bekannte hörten usw.
    U.a. deshalb sind persönliche Entwicklungen eben auch sehr unterschiedlich verlaufen. Ich habe John Peel z.B. erstmals irgendwann Mitte der 70er gehört, obwohl es vorher möglich gewesen wäre.

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    #3939873  | PERMALINK

    mick67

    Registriert seit: 15.10.2003

    Beiträge: 76,900

    Sehr Interessanter Thread und schön zu lesen.

    Nur kann mir jemand den Begriff Rezeptionsverhalten erklären? Ich bin kein Pädagoge oder Mediziner ;-)

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    #3939875  | PERMALINK

    otis
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 22,557

    MikkoDas liegt einerseits sicher daran, dass ich noch knapp zwei Jahre jünger bin als er.

    Ich dachte, wir wären beide 53er Jahrgang?!
    Mit den Zeitschriften hast du recht, aber wir haben uns den NME oder MM das eine oder andere Mal gekauft, weil es kaum etwas anderes gab und das Interesse einfach immens war.
    Und das Transistorradio unter der Bettdecke kenne ich natürlich auch, hatte es vergessen zu erwähnen. Irgendwann sonntagsabends (?) gegen 22 oder 23 Uhr kamen die Top Twenty. Die Piraten habe ich, wie in deinem Singles-Thread schon erwähnt, nur ganz selten gehört. Radio Luxemburg dagegen häufig. Ab wann gab es denn SF-Beat?
    Mick, Musikrezeption ist halt die Art und Weise, wie man Musik auf- und wahrnimmt und sie für sich verarbeitet. Heute, da alles vollgedudelt ist, wo alles verfügbar ist, ist sie eine völlig andere, als damals, wo du nach jedem Ton giertest.

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    #3939877  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Mick67Sehr Interessanter Thread und schön zu lesen.

    Nur kann mir jemand den Begriff Rezeptionsverhalten erklären? Ich bin kein Pädagoge oder Mediziner ;-)

    Damit ist gemeint: wie, warum, unter welchen Bedingungen und mit welchen Konsequenzen wird Musik gehört?

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    #3939879  | PERMALINK

    whole-lotta-pete

    Registriert seit: 19.05.2003

    Beiträge: 17,435

    Schöne Geschichten. Leider kann ich nix dazu beitragen, da ich erst 1975 geboren wurde. Aber eins möchte ich dennoch anfügen – in meinen Breitengraden, also sagen wir mal so grob Unterfranken, heißen die regionalen Auftritte von Coverbands in Turnhallen und Festzelten bis zum heutigen Tag im allgemeinen Sprachgebrauch „Beatabend“. Ist das woanders auch noch so?

    --

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    #3939881  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,711

    Whole Lotta PeteSchöne Geschichten. Leider kann ich nix dazu beitragen, da ich erst 1975 geboren wurde. Aber eins möchte ich dennoch anfügen – in meinen Breitengraden, also sagen wir mal so grob Unterfranken, heißen die regionalen Auftritte von Coverbands in Turnhallen und Festzelten bis zum heutigen Tag im allgemeinen Sprachgebrauch „Beatabend“. Ist das woanders auch noch so?

    Nicht in Mittelfranken…

    Mikko
    […]
    U.a. deshalb sind persönliche Entwicklungen eben auch sehr unterschiedlich verlaufen. Ich habe John Peel z.B. erstmals irgendwann Mitte der 70er gehört, obwohl es vorher möglich gewesen wäre.

    Ja, sicherlich. Das ist eine höchst persönliche (nicht unbedingt private) Sache. Man kann ja nicht messen, wie ein Mensch beeinflusst wird. Ist das Angebot an Musik knapp, wie von Euch beschrieben, dann ist es ja fast schon Zufall, dass sich jemand zB für die Stones erwärmt.
    Heute ist das wahrscheinlich anders – die Medien (Musik-Fernsehen voran, aber auch Radio) sind so gleichförmig geworden (Heavy Rotation), dass ein gemeinsamer Geschmack zumindest wahrscheinlicher geworden ist.

    --

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    #3939883  | PERMALINK

    otis
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 22,557

    latho
    Heute ist das wahrscheinlich anders – die Medien (Musik-Fernsehen voran, aber auch Radio) sind so gleichförmig geworden (Heavy Rotation), dass ein gemeinsamer Geschmack zumindest wahrscheinlicher geworden ist.

    Eher nicht, denke ich. Beatles oder Stones?!? Der Rest war Zugabe. Oder ohnehin völlig uncool (Roy Black et. al.)

    Eine Bemerkung noch bzgl. Pirates, die ich jetzt auch bei Dylan wiederfand.
    DJ/TOPS, seines Zeichens passionierter Radio Caroline-Hörer, hat schon öfter erzählt, wie schwierig es gewesen sei, diese Radiopiraten zu empfangen. Am besten war es halt nachts, weil da die elektromagnetischen Störungen am geringsten waren. Das Gleiche erzählt Dylan zu Beginn in No Direction Home, wie er oft nachts versucht hatte, die wirklich heißen Radiowellen zu empfangen, die schon ein-, zweitausend Meilen auf dem Buckel hatten.

    --

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    #3939885  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

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    Stimmt, Otis, wir sind doch fast gleich alt. Das hatte ich jetzt anders in Erinnerung. Aber ich war eben ein bisschen später dran mit der persönlichen Entwicklung.
    Der SF-Beat war für mich wirklich die Initialzündung. Die erste Sendung war am 3. März 1967. Von da ab täglich außer sonntags. In den ersten Jahren eine Stunde von 18.30 – 19.30 h mit den Weltnachrichten zur vollen Stunde. Das war Absicht. Man wollte die Jugendlichen so an gesellschaftspolitische Themen heranführen. Allerdings wurde in der Sendung auf die Nachrichten in aller Regel kein Bezug genommen. Ich erinnere mich aber noch an einen Besuch im Sender im Herbst 67. Der Vater eines Mitschülers arbeitete beim SFB, und so durften er und ich mal zuschauen, wie das so zugeht beim SF-Beat. Der Moderator holte uns dann sogar ins Sendestudio und wollte mit uns on air reden. Das trauten wir uns allerdings nicht. Er forderte aber unseren Klassenlehrer über den Sender auf, sich an die Empfehlung des Schulsenators zu halten, keine Hausaufgaben über die Herbstferien aufzugeben. Das hatte dann ein ziemlich heftiges Nachspiel in der Schule. Nicht für uns, aber der Vater meines Mitschülers musste sich im Namen des Senders entschuldigen und versichern, dass der SF-Beat Moderator für seine Eigenmächtigkeit gerügt wird.
    „Politisch“ wurde der SF-Beat jedoch erst ab 69 und dann in den 70er Jahren. Irgendwann war die Sendung dann auch zwei Stunden lang von 18-20 h.

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