Jazz & Brasil

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  • #11137059  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 13,943

    wo du das mit dem Cover ansprichst… was ich gerade erst kapiere, ist, dass auf dem Simmons/Lasha Bossa Nova Album (keiner Grosstat des Genres) nicht nur das Konzept (etwas unbeholfen) von Getz kommt, sondern auch die Gestaltung des Covers ja im Grunde abgekupfert ist…

    hier ist ein ganz netter Artikel zu diesen Covergestaltern, hatten wir vllt neulich schon – bei Simmons/Lasha war es der malende Buchhalter des Labels, der das Cover beigesteuert hat… (wobei das Cover ja eigentlich nicht an dem Bild scheitert sondern an der Textbox oben)

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    #11137065  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,547

    redbeansandrice
    hier ist ein ganz netter Artikel zu diesen Covergestaltern, hatten wir vllt neulich schon – bei Simmons/Lasha war es der malende Buchhalter des Labels, der das Cover beigesteuert hat… (wobei das Cover ja eigentlich nicht an dem Bild scheitert sondern an der Textbox oben)

    das ist ja toll, vielen dank! die biografie von mel cheren ist natürlich kaum zu toppen. aber seine cover (und die von albizu auch) finde ich halt ziemlich erfolgreich, weil sie so offene bezüge schaffen (die shepp- und rollins-alben könnte ich mir ihne diese cover nicht mehr denken und diese wahl kommt auch so rüber, als sollte die musik über die interpreten hinaus ernst genommen werden) – und im fall von albizu & bossa nova mag ich vor allem, dass da nicht platt exotisiert wird, im gegenteil.

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    #11139123  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,547

    aufgenommen 18./19. märz 1963, veröffentlicht im märz 1964 (!).

    olga albizu war tatsächlich kein gezielter treffer eines kunst-headhuntings – sie hatte als arme künstlerin einen nebenjob als sekretärin bei rca, eine arbeitskollegin hing ein paar bilder von ihr im büro auf, irgendwann platzte der art director rein. danach gestaltete sie drei cover für klassikalben, dann kam die erste anfrage von verve (das bossa-album von brookmeyer). dieses hier, für GETZ/GILBERTO, brachte ihr jedenfalls eine grammy-nominierung ein.

    laut discogs gibt es über 250 ausgaben dieses albums, ich habe eine japanische shm-cd von 2016. beim ersten ton von getz kommen zuverlässig die chills, dennoch denke ich: das ist nicht unbedingt das album, das getz-fans auflegen würden. von bonfá aus ist alles für ihn ein downgrade, die tempi langsam, im zentrum die gitarre von gilberto, dazu zwei stimmen, die ihm im eigenen feld konkurrenz machen, eine rhythm section, die sich komplett auf gilberto eingepegelt hat.

    in den liner notes macht gilberto deutlich, dass er getz schon von brasilien aus bewunderte. der dagegen bedankt sich für den „frischen wind“ aus brasilien und schießt – ja, wogegen? „[jobim’s and gilberto’s] music arrived here at a time when anemia and confusion were becoming noticeable in our music to anyone who knew enough to be concerned. the desperate craze for innovation had been overextending itself. jazz literature became increasingly pompous, complex and chauvinistic, theorizing and analyzing itself into a knot. musical groups were desintegrating into an every-man-for-himself egomania. […] sometimes they lost the audience. worse, they often lost musical contact with each other.“

    da fühlte sich offenbar jemand abgehängt und erst durch den neuen kontext wieder gefragt. das ergebnis überzeugt durch kompromisse. gilberto reißt sich zusammen und bleibt einigermaßen im metrum. getz beschränkt sich auf star-auftritte. die rhythm section banana und neto (von den bossa três, deshalb ist er auch bei der erwähnten simmons/jordan/lasha-platte dabei) spielen das nötigste aus dem handgelenk, banana oft nur auf der hi-hat, neto mit sturen vierteln. jobims klavierakzente und kleinen soli sind unfassbar cool. die tontechnik trennt die stimme gilbertos vom körper (bzw. der gitarre) und stellt sie in all ihrer verschrobenenheit (das vokalisieren…) ins zentrum. und astrud, als sängerin schon öffentlich in erscheinung getreten, wird zum ersten mal professionell aufgenommen und nutzt ihre minute an einführungs („corcovado“)- und übersetzungsarbeit („the girl from ipanema“).

    das material ist nummer sicher: nochmal „desafinado“, nochmal „so danço samba“, nochmal „corcovado“. neu ist jobims komposition „o grande amor“, das getz immer wieder spielen wird und für das er hier eigenartig in die vollen geht. „pra machuca meu coração“ von barroso deklariert gilberto nachträglich als hommage an ary barroso, der im februar 1964 gestorben war.

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    #11141185  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,110

    Das sind sehr detaillierte Ausführungen zu den Bossa-Alben von Stan Getz mit Charlie Byrd, Big Band, Luiz Bonfá und Gilberto und Jobim. Für mich anregend und herausfordernd denn so genau habe ich da nie hingehört, auch fehlten mir bislang die Vorkenntnisse der frühen Bossa Nova-Aufnahmen von Joao Gilberto und außerdem als Nicht-Musiker die musikalische Bildung. Angesichts der Fülle an Informatioen bin ich sogar etwas überfordert. Insofern wundert es mich nicht, dass ich die Aufnahmen von Bud Shank und Laurindo Almeida gleich mit den Bossa-Topf geworfen habe. Und die Idee, die ingesamt 5 Bossa Nova-Alben mit Fokus auf die verschiedenen Gitarristen mal vergleichend zu hören, habe ich nicht weiterverfolgt. Das hat @vorgarten aber hier sehr schön gemacht.

    Von Jazz Samba habe ich eine alte Mono-LP, die ich mal in einem Laden erworben habe, der 2nd Hand-Vinyl und Wein verkaufte, den es aber leider nicht mehr gibt. In den liner notes auf dem fingerdicken Pappcover kommt der Begriff Bossa Nova gar nicht vor. Von Samba ist die Rede. „The union of Stan Getz and Charlie Byrd on the recording is particularily fortunate. Each musician is a sensitive soloist with great lyrical power. Neither attemped to to „play latin“, but let the ingratiating (dtsch: „einnehmend“) Samba rhythm carry them along in their improvisations on the melodic content of the music.“ Stan Getz wird hinsichtlich seiner Latin-Vorkenntnisse so zitiert, dass er schon mal mit Miguelito Valdes und Machito gespielt hatte, also mit Kubanern. Und das ist dann doch ziemlich weit entfernt vom eher cool und zurückhaltend wirkenden Temperament der Bossa Nova. Und Charlie Byrd erzählt, dass er zwar mit Brasilianern gespielt hat und die Akkorde inspirierend für Improvisationen fand, stellt aber auch fest, das die Brasilianer selbst das eher nicht tun.

    Jazz Samba scheint mir eine durchaus etwas freiere Jazz-Anverwandlung der ursprünglichen Bossa Nova á la Joao Gilberto durch Getz und Byrd zu sein. Die beiden gegenübergestellten Hörbeispiele von E Luxo So – einmal von Gilberto, einmal von Getz / Byrd – lassen das gut erkennen, finde ich. Den minimalistisch und perkussiv wirkenden Gitarrenstil von Gilberto versucht Byrd tatsächlich gar nicht erst zu imitieren. Er bleibt sich selbst treu und übersetzt den Song in seine Sprache.

    Aber ich weiß nicht, ob ich das richtig höre. Siehe oben.

    Die Gedanken zu den abstrakt-expressionistischen Covers und auch die Erwähnung eines Architekten einer damals noch heroischen Morderne – Oscar Niemeyer – finde ich reizvoll. Streng genommen sind das – abstrakter Expressionismus einerseits, weiße architektonische Moderne andererseits – zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Hier die spontane individuelle Geste, dort der große Plan, kühl und geometrisch ausgeführt. Was beiden gemeinsam ist, ist vielleicht die Behauptung, sich von überkommenen Traditionen zu befreien, alles wieder auf „Los!“ zu stellen und frisch, forsch und frei eine Utopie zu entwerfen. Und so wurden diese Covers damals wohl auch wahrgenommen.

    Btw fällt mir in diesem Zusammenhang auch noch Ornette Colemans Free Jazz (1961) ein, mit dem Jackson Pollock-Gemälde – das jedoch nur auf der Innenseite des fold out covers voll zu erkennen und zu diesem Zeitpunkt schon 7 Jahre alt war. Auch das hat was von Utopie, der Titel des Albums nicht minder. Aber da sind Cover und Musik doch deutlich aufgeregter als die Bossa Nova.

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    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
    #11141235  | PERMALINK

    john-the-relevator

    Registriert seit: 16.04.2005

    Beiträge: 8,118

    Danke vielmals für die sehr ausführlichen Informationen – Muito saudage do Brasil – habe eine Zeit in Brasilien (Rio de Janeiro, Salvador Do Bahia) gelebt und kann einiges musikalisch und gefühlsmäßig nachvollziehen, wobei das bisher geschriebene und erklärte sich eigentlich hauptsächlich auf Rio bezieht. Im Norden bzw. in Bahia ist eine ganz andere  Musik vorherrschend. Brasilien ist halt so groß, das man die Erklärungen von bsp. Bossa Nova sich hauptsächlich auf Rio sich beziehen und nicht auf Brasilien im allgemeinen.

    zuletzt geändert von john-the-relevator

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    Music is like a river, It's supposed to flow and wash away the dust of everyday life. - Art Blakey
    #11141469  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,547

    john-the-relevatorDanke vielmals für die sehr ausführlichen Informationen – Muito saudage do Brasil – habe eine Zeit in Brasilien (Rio de Janeiro, Salvador Do Bahia) gelebt und kann einiges musikalisch und gefühlsmäßig nachvollziehen, wobei das bisher geschriebene und erklärte sich eigentlich hauptsächlich auf Rio bezieht. Im Norden bzw. in Bahia ist eine ganz andere Musik vorherrschend. Brasilien ist halt so groß, das man die Erklärungen von bsp. Bossa Nova sich hauptsächlich auf Rio sich beziehen und nicht auf Brasilien im allgemeinen.

    @john-the-relevator

    klar, hier geht es ja darum, wie in brasilien us-amerikanische jazzeinflüsse einverleibt wurden und was wiederum der us-jazz davon in sein system integriert hat. da läuft es ja hauptsächlich auf die bossa nova hinaus, oder? die us-leute waren ja durchaus auch an anderen orten unterwegs (byrd, betts und deppenschmidt haben die platten von gilberto z.b. in salvador gekauft), aber mitgenommen haben sie halt die bossa.

    odr weißt du von anderen wechselwirkenden einflüssen? würde mich interessieren.

    eine musikgeschichte dieses landes aufzuschreiben, würde nun vollends meine kompetenzen überschreiten, und der ort für ein zusammentragen wäre ja eher das „weltmusik“-unterforum.

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    #11141477  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,547

    friedrich
    In den liner notes auf dem fingerdicken Pappcover kommt der Begriff Bossa Nova gar nicht vor. Von Samba ist die Rede. „The union of Stan Getz and Charlie Byrd on the recording is particularily fortunate. Each musician is a sensitive soloist with great lyrical power. Neither attemped to to „play latin“, but let the ingratiating (dtsch: „einnehmend“) Samba rhythm carry them along in their improvisations on the melodic content of the music.“

    auch gilberto hat sich nicht als bossa-nova-musiker bezeichnet, sondern immer gesagt: ich spiele samba.

    friedrich
    Jazz Samba scheint mir eine durchaus etwas freiere Jazz-Anverwandlung der ursprünglichen Bossa Nova á la Joao Gilberto durch Getz und Byrd zu sein. Die beiden gegenübergestellten Hörbeispiele von E Luxo So – einmal von Gilberto, einmal von Getz / Byrd – lassen das gut erkennen, finde ich. Den minimalistisch und perkussiv wirkenden Gitarrenstil von Gilberto versucht Byrd tatsächlich gar nicht erst zu imitieren. Er bleibt sich selbst treu und übersetzt den Song in seine Sprache.
    Aber ich weiß nicht, ob ich das richtig höre. Siehe oben.
    Die Gedanken zu den abstrakt-expressionistischen Covers und auch die Erwähnung eines Architekten einer damals noch heroischen Morderne – Oscar Niemeyer – finde ich reizvoll. Streng genommen sind das – abstrakter Expressionismus einerseits, weiße architektonische Moderne andererseits – zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Hier die spontane individuelle Geste, dort der große Plan, kühl und geometrisch ausgeführt. Was beiden gemeinsam ist, ist vielleicht die Behauptung, sich von überkommenen Traditionen zu befreien, alles wieder auf „Los!“ zu stellen und frisch, forsch und frei eine Utopie zu entwerfen. Und so wurden diese Covers damals wohl auch wahrgenommen.

    so viel geometrie ist nicht bei niemeyer, oder? eher geschwungene linien, in beton übertragene sinnlichkeit, die sich auf herausfordernde weise mit der landschaft unterhält. ich habe das eigentlich aus us-amerikanischer perspektive betrachtet: wie soll man diese musik „folk“ nennen, wenn gleichzeitig sowas wie brasilia entsteht und der staat sich gerade vom postkolonialistischen raubtierkapitalismus lösen will? ist der „jazz samba“ unter diesen vorzeichen jetzt was altes oder was modernes? creed taylor hat gesagt: für diese musik gab es noch kein bild, da war der abstrakte expressionismus von albizu ein glücksgriff. ein vorbegriffliches, offenes angebot, das die musik mit assoziationen auffüllt, so wie ornette coleman das vielleicht auch gerne gehabt hätte, bevor man seine musik (völlig flasch) als „free jazz“ labelte. er selbst hat ja auch abstakt expressionistisch gemalt:



    eine freundin von mir hat gerade brasilianische kritiken zum ORFEO-NEGRO-film herausgesucht, die alle sehr ablehnend waren. man fand es unangenehm, aus europäischer perspektive als rückständiges, farbenfrohes land gesehen zu werden, in dem alle von morgens bis abends halbnackt samba tanzen. aber damit wird man ja dem film als film auch nicht völlig gerecht.

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    #11141493  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,644

    vorgarten
    klar, hier geht es ja darum, wie in brasilien us-amerikanische jazzeinflüsse einverleibt wurden und was wiederum der us-jazz davon in sein system integriert hat. da läuft es ja hauptsächlich auf die bossa nova hinaus, oder? die us-leute waren ja durchaus auch an anderen orten unterwegs (byrd, betts und deppenschmidt haben die platten von gilberto z.b. in salvador gekauft), aber mitgenommen haben sie halt die bossa.
    odr weißt du von anderen wechselwirkenden einflüssen? würde mich interessieren.

    Ich kenne mich da gar nicht aus, aber als spontaner Einfall: „Eye – Ear – Toe — AIRTO!“ Also brasilianische Rhythmik und Percussion jenseits der Bossa (Moreira, Vasconcelos…). Im Fusion-Jazz oder Jazz-Rock der 70er könnte man wohl aussichtsreich nach brasilianischen Einflüssen suchen (wenn man besser Bescheid wüsste als ich) – von George Duke habe ich mal entsprechende Äußerungen gelesen. In dieser Zeit kann es auch Austausch mit der MPB gegeben haben – ich habe gehört, dass manche US-Musiker gern Songs von Milton Nascimento oder Ivan Lins gespielt haben, nicht nur die von Jobim (George Benson zum Beispiel „Dinorah, Dinorah“ von Lins).

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    To Hell with Poverty
    #11141539  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,547

    go1Ich kenne mich da gar nicht aus, aber als spontaner Einfall: „Eye – Ear – Toe — AIRTO!“ Also brasilianische Rhythmik und Percussion jenseits der Bossa (Moreira, Vasconcelos…). Im Fusion-Jazz oder Jazz-Rock der 70er könnte man wohl aussichtsreich nach brasilianischen Einflüssen suchen (wenn man besser Bescheid wüsste als ich) – von George Duke habe ich mal entsprechende Äußerungen gelesen. In dieser Zeit kann es auch Austausch mit der MPB gegeben haben – ich habe gehört, dass manche US-Musiker gern Songs von Milton Nascimento oder Ivan Lins gespielt haben, nicht nur die von Jobim (George Benson zum Beispiel „Dinorah, Dinorah“ von Lins).

    ja, natürlich, das war sehr kurzsichtig von mir formuliert. ich glaube, der ganze fusion jazz wäre ohne brasilianische percussionisten (und arrangeure) überhaupt nicht denkbar – nicht nur was airto bei miles, return to forever und weather report angeht. und da wird auch nochmal ein viel breiteres spektrum an traditionen außerhalb von den urbanen zentren rio und s.p. in den jazz eingespeist. gismonti, pascoal und vasconcelos waren eher individualisten, glaube ich – aber danach: toninho hortas einfluss auf metheny, der von nascimento auf hancock, flora purim, deodato, azymuth und uakti… eliane elias war mit randy brecker verheiratet, oder? und es gab ja auch die geheimtipps, die in den usa landen konnten: moacir santos und (retrospektiv) arthur verocai. das nur schnell dahingeschrieben, ich kenne mich im fusion-bereich viel zu schlecht aus.

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    #11141571  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

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    aufgenommen zwei bzw. drei tagen nach der letzten GETZ/GILBERTO-session, allerdings blieb das ergebnis bei verve bis ende 1966 liegen, wo man 1964 wohl alle marketing power auf die kombination mit der englisch singenden astrud setzte (das im mai 1964 mitgeschnittene konzert im café au go go, wo astrud zum neuen quartett von getz dazustieß, flankierte quasi direkt die ipanema-single).

    getz mit almeida zusammenzubringen (angeblich auf vermittlung von jobim), war natürlich eine äußerst spannende idee. der gitarrist war auf eigenständige weise hervorragend im geschäft, als die bossa nova in den usa ankam, für capitol wurde sofort ein west-coast-cluster als „bossa nova all stars“ zusammengestellt (almeida, shank, cooper, feldman, manne, rowles, roberts), der für capitol sehr erfolgreiche brasil/jazz/filmmusik-kommerzproduktionen auf den markt warf:

    gleichzeitig transkribierte almeida seit den frühen 1960ern klassikstücke von debussy, bach, ravel usw. für gitarre, ein „spanish-guitar“-konzept, dass ebenfalls sehr erfolgreich war. und nach seiner einspielung mit getz wurde er special guest beim modern jazz quartet (wo natürlich all das zusammenlief, jobim-stücke, bach usw.).

    die vielleicht interessanteste aufnahme von almeida im bossa-zusammenhang dürfte aber wohl das cal-tjader-album PLAYS THE CONTEMPORARY MUSIC OF MEXICO AND BRAZIL sein, dass creed taylor 1962 produzierte und für das clare fischer sehr ausgefallene arrangements schrieb (und auch eine tolle original-komposition, „elizete“).

    diese hybrid-modernistische qualität erreicht das album mit getz nicht, obwohl es sehr geschlossen und selbstverständlich daherkommt. das material ist von almeida und natürlich keine bossa, aber „outra vez“ von jobim haben sie auch im repertoire. die percussion (dave bailey, edison machado) ist härter und jazziger (george duvivier spielt bass), aber almeida setzt sich nicht so deutlich als gitarrenvirtuose ins spotlight wie bonfá. er lässt seine ganzen techniken um das spiel von getz herumfließen, der spürbar engangiert ist. es gibt zwei klaviersoli ohne credit, von denen man mittlerweile weiß, dass sie von steve kuhn sind.

    dass das cover diesmal nicht von olga albizu, sondern von der mandala-illustratorin alberta hutchinson ist, dürfte dem erscheinungsjahr 1966 geschuldet sein. da brach dann schon wieder eine neue zeit an, die nach veränderten einordnungen verlangte.

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    #11143311  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,110

    vorgarten

    friedrich In den liner notes auf dem fingerdicken Pappcover kommt der Begriff Bossa Nova gar nicht vor. Von Samba ist die Rede. „The union of Stan Getz and Charlie Byrd on the recording is particularily fortunate. Each musician is a sensitive soloist with great lyrical power. Neither attemped to to „play latin“, but let the ingratiating (dtsch: „einnehmend“) Samba rhythm carry them along in their improvisations on the melodic content of the music.“

    auch gilberto hat sich nicht als bossa-nova-musiker bezeichnet, sondern immer gesagt: ich spiele samba.

    friedrich (…) Die Gedanken zu den abstrakt-expressionistischen Covers und auch die Erwähnung eines Architekten einer damals noch heroischen Morderne – Oscar Niemeyer – finde ich reizvoll. Streng genommen sind das – abstrakter Expressionismus einerseits, weiße architektonische Moderne andererseits – zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Hier die spontane individuelle Geste, dort der große Plan, kühl und geometrisch ausgeführt. Was beiden gemeinsam ist, ist vielleicht die Behauptung, sich von überkommenen Traditionen zu befreien, alles wieder auf „Los!“ zu stellen und frisch, forsch und frei eine Utopie zu entwerfen. Und so wurden diese Covers damals wohl auch wahrgenommen.

    so viel geometrie ist nicht bei niemeyer, oder? eher geschwungene linien, in beton übertragene sinnlichkeit, die sich auf herausfordernde weise mit der landschaft unterhält. ich habe das eigentlich aus us-amerikanischer perspektive betrachtet: wie soll man diese musik „folk“ nennen, wenn gleichzeitig sowas wie brasilia entsteht und der staat sich gerade vom postkolonialistischen raubtierkapitalismus lösen will? ist der „jazz samba“ unter diesen vorzeichen jetzt was altes oder was modernes? creed taylor hat gesagt: für diese musik gab es noch kein bild, da war der abstrakte expressionismus von albizu ein glücksgriff. ein vorbegriffliches, offenes angebot, das die musik mit assoziationen auffüllt, so wie ornette coleman das vielleicht auch gerne gehabt hätte, bevor man seine musik (völlig flasch) als „free jazz“ labelte. er selbst hat ja auch abstakt expressionistisch gemalt: (…)

    eine freundin von mir hat gerade brasilianische kritiken zum ORFEO-NEGRO-film herausgesucht, die alle sehr ablehnend waren. man fand es unangenehm, aus europäischer perspektive als rückständiges, farbenfrohes land gesehen zu werden, in dem alle von morgens bis abends halbnackt samba tanzen. aber damit wird man ja dem film als film auch nicht völlig gerecht.

    „I am not attracted to straight angles or to the straight line, hard and inflexible, created by man. I am attracted to free-flowing, sensual curves. The curves that I find in the mountains of my country, in the sinuousness of its rivers, in the waves of the ocean, and on the body of the beloved woman.“ (Oscar Niemeyer)


    Congresso Nacional, Brasilia

    Donnerwetter, Senhor Niemeyer! Dann müssen sie mir aber mal die Berge, die Flüsse, die Wellen und die Kurven der geliebten Frau zeigen, die so makellos geometrisch und deren Oberflächen so glatt, weiß und perfekt sind wie ihre mit Zirkel und Lineal konstruierten Bauten!

    Brasilia, die Brasilianische Hauptstadt, für die ON viele öffentliche Gebäude geplant hat, ist eine Retortenstadt. Dafür hat man erstmal die Natur soweit es geht beseitigt. Und die Gebäude sehen aus wie gelandete Raumschiffe. Vor meinem geistigen Auge sehe ich da Captain Kirk, Spock und Pille aussteigen. ;-)

    Klar, bei dieser Stadtplanung und Architektur ging es darum, dass sich Brasilien als „fortschrittliches“ Land darstellt, das einen großen Sprung nach vorne vom rückständigen „Entwicklungsland“ zur modernen „Industrienation“ macht. Gibt es immer wieder mal, solche Versuche, und meist wird dafür vieles an Tradition gnadenlos geopfert.

    Ich habe übrigens nichts gegen Oscar Niemeyer und seine Architektur. Aber auch die ist so ambivalent wie vieles andere. Nur tut sich die architektonische Moderne selbst so schwer mit der eigenen Ambivalenz.

    Aber genug schwadroniert!

    Die Cover-Motive von Getz‘ „Bossa-Alben“ finde ich übrigens sehr gut. (Das Album mit Almeida ist was anderes.) Insbesondere das Cover von Getz/Gilberto ist für mich eng mit der Musik verbunden. Musik und Kunst scheinen zwar aus völlig unterschiedlichen Kontexten zu stammen und haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Aber dadurch, dass man diese LP in dieses Cover gesteckt hat, gehen sie eine sehr schöne Verbindung ein und werden untrennbar. Und klar, das Cover wirkt „modern“, die Musik bekommt damit eine ganz andere Färbung. Den Film Orfeu Negro habe ich leider nicht gesehen, aber der Soundtrack allein (und das Cover, in dem er steckt) wirkt schon folkloristisch. Karneval, Samba, mythische Liebesgeschichte – das sind alles uralte Geschichten. Da war Creed Taylor schon sehr clever, dass er Getz‘ Bossa-Alben mit diesen Covers in die Moderne katapultiert hat.

    Für mich ist der Imagewandel bei der Musik besser gelungen als bei der neuen Hauptstadt Brasilia.

    Die Kombi Ornette Coleman ↔ Abstrakter Expressionismus fand ich übrigens immer sehr stimmig.

    --

    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
    #11143323  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

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    bei Bud Shank and his Brazilian Friends sehen wir (auch) optisch die kalifornische Antwort auf Getz/Gilberto… dabei fand ich das hier, ein paar Alben frueher, eigentlich optisch auch sehr passend

    das Getz/Almeida Album

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    #11143325  | PERMALINK

    kurganrs

    Registriert seit: 25.12.2015

    Beiträge: 8,978

    friedrich

    vorgarten

    friedrich In den liner notes auf dem fingerdicken Pappcover kommt der Begriff Bossa Nova gar nicht vor. Von Samba ist die Rede. „The union of Stan Getz and Charlie Byrd on the recording is particularily fortunate. Each musician is a sensitive soloist with great lyrical power. Neither attemped to to „play latin“, but let the ingratiating (dtsch: „einnehmend“) Samba rhythm carry them along in their improvisations on the melodic content of the music.“

    auch gilberto hat sich nicht als bossa-nova-musiker bezeichnet, sondern immer gesagt: ich spiele samba.

    friedrich (…) Die Gedanken zu den abstrakt-expressionistischen Covers und auch die Erwähnung eines Architekten einer damals noch heroischen Morderne – Oscar Niemeyer – finde ich reizvoll. Streng genommen sind das – abstrakter Expressionismus einerseits, weiße architektonische Moderne andererseits – zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. Hier die spontane individuelle Geste, dort der große Plan, kühl und geometrisch ausgeführt. Was beiden gemeinsam ist, ist vielleicht die Behauptung, sich von überkommenen Traditionen zu befreien, alles wieder auf „Los!“ zu stellen und frisch, forsch und frei eine Utopie zu entwerfen. Und so wurden diese Covers damals wohl auch wahrgenommen.

    so viel geometrie ist nicht bei niemeyer, oder? eher geschwungene linien, in beton übertragene sinnlichkeit, die sich auf herausfordernde weise mit der landschaft unterhält. ich habe das eigentlich aus us-amerikanischer perspektive betrachtet: wie soll man diese musik „folk“ nennen, wenn gleichzeitig sowas wie brasilia entsteht und der staat sich gerade vom postkolonialistischen raubtierkapitalismus lösen will? ist der „jazz samba“ unter diesen vorzeichen jetzt was altes oder was modernes? creed taylor hat gesagt: für diese musik gab es noch kein bild, da war der abstrakte expressionismus von albizu ein glücksgriff. ein vorbegriffliches, offenes angebot, das die musik mit assoziationen auffüllt, so wie ornette coleman das vielleicht auch gerne gehabt hätte, bevor man seine musik (völlig flasch) als „free jazz“ labelte. er selbst hat ja auch abstakt expressionistisch gemalt: (…) eine freundin von mir hat gerade brasilianische kritiken zum ORFEO-NEGRO-film herausgesucht, die alle sehr ablehnend waren. man fand es unangenehm, aus europäischer perspektive als rückständiges, farbenfrohes land gesehen zu werden, in dem alle von morgens bis abends halbnackt samba tanzen. aber damit wird man ja dem film als film auch nicht völlig gerecht.

    „I am not attracted to straight angles or to the straight line, hard and inflexible, created by man. I am attracted to free-flowing, sensual curves. The curves that I find in the mountains of my country, in the sinuousness of its rivers, in the waves of the ocean, and on the body of the beloved woman.“ (Oscar Niemeyer) Congresso Nacional, Brasilia Donnerwetter, Senhor, Niemeyer! Dann müssen sie mir aber mal die Berge, die Flüsse, die Wellen und die Kurven der geliebten Frau zeigen, die so makellos geometrisch und deren Oberflächen so glatt, weiß und perfekt sind wie ihre mit Zirkel und Lineal konstruierten Bauten! Brasilia, die Brasilianische Hauptstadt, für die ON viele öffentliche Gebäude geplant hat, ist eine Retortenstadt. Dafür hat man erstmal die Natur soweit es geht beseitigt. Und die Gebäude sehen aus wie gelandete Raumschiffe. Vor meinem geistigen Auge sehe ich da Captain Kirk, Spock und Pille aussteigen. Klar, bei dieser Stadtplanung und Architektur ging es darum, dass sich Brasilien als „fortschrittliches“ Land darstellt, das einen großen Sprung nach vorne vom rückständigen „Entwicklungsland“ zur modernen „Industrienation“ macht. Gibt es immer wieder mal, solche Versuche, und meist wird dafür vieles an Tradition gnadenlos geopfert. Ich habe übrigens nichts gegen Oscar Niemeyer und seine Architektur. Aber auch die ist so ambivalent wie vieles andere. Nur tut sich die architektonische Moderne selbst so schwer mit der eigenen Ambivalenz. Aber genug schwadroniert! Die Cover-Motive von Getz‘ „Bossa-Alben“ finde ich übrigens sehr gut. (Das Album mit Almeida ist was anderes.) Insbesondere das Cover von Getz/Gilberto ist für mich eng mit der Musik verbunden. Musik und Kunst scheinen zwar aus völlig unterschiedlichen Kontexten zu stammen und haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Aber dadurch, dass man diese LP in dieses Cover gesteckt hat, gehen sie eine sehr schöne Verbindung ein und werden untrennbar. Und klar, das Cover wirkt „modern“, die Musik bekommt damit eine ganz andere Färbung. Den Film Orfeu Negro habe ich leider nicht gesehen, aber der Soundtrack allein (und das Cover, in dem er steckt) wirkt schon folkloristisch. Karneval, Samba, mythische Liebesgeschichte – das sind alles uralte Geschichten. Da war Creed Taylor schon sehr clever, dass er Getz‘ Bossa-Alben mit diesen Covers in die Moderne katapultiert hat. Auf jeden Fall ist der Imagewechsel bei der Musik besser gelungen als bei dem Land Brasilien. Die Kombi Ornette Coleman ↔ Abstrakter Expressionismus fand ich übrigens immer sehr stimmig.

    @friedrich: Schön geschrieben.  :good:
    Mich beeindruckt moderne, schöne, stimmige Architektur.

    #11143407  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,547

    friedrich
    Aber genug schwadroniert!

    ein stadtplanungs-diskussion ist jetzt auch sehr weit weg von den gegenständen und erschwert mir neben der auseinandersetzung mit konkreten eindrücken (musik hören, in städten herumlaufen) auch das freie assoziieren. dass brasilia nicht so aussieht wie hobbingen, ist klar. wenn man vor dem edifício copan in são paulo steht, hat man dennoch einen anderen eindruck von geometrie als in manhattan (lineal und zirkel werden wohl seit der antike in der stadtpanung eingestzt, soweit ich weiß – du kennst dich da ja besser aus). und auf so biologistische (wenig ambivalenzbewusste) begriffe wie „retortenstadt“ reagiere ich sehr allergisch – was wäre denn das positive gegenstück, eine natürlich gezeugte? (wer zeugt da? wer gebiert?)

    in ORFEO NEGRO, den du ja nicht gesehen hast, spielt die großstädtische moderne sehr wohl eine rolle, nicht nur im thema verkehr und in hochhaus-bildern, sondern der hades ist dort als kafkaeskes büro-archiv von unbearbeiteten personalakten dargestellt. durchaus ambivalente bilder, die aber von den usa und von europa aus wieder in richtung folklore vereindeutigt wurden.

    aber das mit den covern ist tatsächlich interessant – die herausforderung der einordnung einer neuen musik, die sich da abbildet. skanks modernistisches antwort-cover auf verve/albizu, das @redbeansandrice oben zitiert hat, hat ja auch eine vorgeschichte wie die hier (weiter oben von @friedrich verlinkt):

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    gypsy-tail-wind
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    Nur mal ein kurzer Zwischenruf – danke für die schönen Texte zu den Getz et al.-Alben … ich hab ev. jetzt auch begriffen, weshalb ich „Getz/Gilberto“ immer als Stückwerk empfand, und weshalb ich Getz auf „Jazz Samba Encore“ so grossartig finde, dass mir das Album unterm Strich wohl fast noch besser gefällt als „Jazz Samba“ – aber das ist jetzt alles arg verkürzt, Du hast da so viel mehr geschrieben, was mir einleuchtet. Ich muss die Alben jedenfalls auch bald mal wieder anhören.

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