Antwort auf: Jazz & Brasil

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vorgarten

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aufgenommen 18./19. märz 1963, veröffentlicht im märz 1964 (!).

olga albizu war tatsächlich kein gezielter treffer eines kunst-headhuntings – sie hatte als arme künstlerin einen nebenjob als sekretärin bei rca, eine arbeitskollegin hing ein paar bilder von ihr im büro auf, irgendwann platzte der art director rein. danach gestaltete sie drei cover für klassikalben, dann kam die erste anfrage von verve (das bossa-album von brookmeyer). dieses hier, für GETZ/GILBERTO, brachte ihr jedenfalls eine grammy-nominierung ein.

laut discogs gibt es über 250 ausgaben dieses albums, ich habe eine japanische shm-cd von 2016. beim ersten ton von getz kommen zuverlässig die chills, dennoch denke ich: das ist nicht unbedingt das album, das getz-fans auflegen würden. von bonfá aus ist alles für ihn ein downgrade, die tempi langsam, im zentrum die gitarre von gilberto, dazu zwei stimmen, die ihm im eigenen feld konkurrenz machen, eine rhythm section, die sich komplett auf gilberto eingepegelt hat.

in den liner notes macht gilberto deutlich, dass er getz schon von brasilien aus bewunderte. der dagegen bedankt sich für den „frischen wind“ aus brasilien und schießt – ja, wogegen? „[jobim’s and gilberto’s] music arrived here at a time when anemia and confusion were becoming noticeable in our music to anyone who knew enough to be concerned. the desperate craze for innovation had been overextending itself. jazz literature became increasingly pompous, complex and chauvinistic, theorizing and analyzing itself into a knot. musical groups were desintegrating into an every-man-for-himself egomania. […] sometimes they lost the audience. worse, they often lost musical contact with each other.“

da fühlte sich offenbar jemand abgehängt und erst durch den neuen kontext wieder gefragt. das ergebnis überzeugt durch kompromisse. gilberto reißt sich zusammen und bleibt einigermaßen im metrum. getz beschränkt sich auf star-auftritte. die rhythm section banana und neto (von den bossa três, deshalb ist er auch bei der erwähnten simmons/jordan/lasha-platte dabei) spielen das nötigste aus dem handgelenk, banana oft nur auf der hi-hat, neto mit sturen vierteln. jobims klavierakzente und kleinen soli sind unfassbar cool. die tontechnik trennt die stimme gilbertos vom körper (bzw. der gitarre) und stellt sie in all ihrer verschrobenenheit (das vokalisieren…) ins zentrum. und astrud, als sängerin schon öffentlich in erscheinung getreten, wird zum ersten mal professionell aufgenommen und nutzt ihre minute an einführungs („corcovado“)- und übersetzungsarbeit („the girl from ipanema“).

das material ist nummer sicher: nochmal „desafinado“, nochmal „so danço samba“, nochmal „corcovado“. neu ist jobims komposition „o grande amor“, das getz immer wieder spielen wird und für das er hier eigenartig in die vollen geht. „pra machuca meu coração“ von barroso deklariert gilberto nachträglich als hommage an ary barroso, der im februar 1964 gestorben war.

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