Das Piano-Trio im Jazz

Ansicht von 15 Beiträgen - 586 bis 600 (von insgesamt 657)
  • Autor
    Beiträge
  • #12573783  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,788

    Danke fürs Interesse – ja, es geht grad schnell … aber lesen kann man ja auch später noch :-)

    Ich hab grad gemerkt, dass ich ja noch was übersprungen hab, was ich im Kontext neu zu entdecken hoffe:

    McCoy Tyner – Inception | McCoy Tyners Debut-Album für Impulse, das Label eines Bosses, für das er sechs Alben machte, bevor er zu Blue Note weiterzog – drei ganz im Trio, die anderen teils im Trio, teils mit Bläsern oder Extra-Percussion dazu. Hier gibt es den dunklen, unterschätzten (auch von mir, wenn ich nicht grad Max Roach höre, muss ich zugeben) Bass von Art Davis und die total crispen Drums von Elvin Jones. Klar, der macht seine Rolls und so, aber oft könnte man ihn hier tatsächlich fast mit Roy Haynes verwechseln. Tyner wollte ich im Kontext vor allem wegen der Bemerkung von Dick Katz wieder hören (im Booklet der „Columbia Jazz Piano Moods“-Box von Mosaic, glaub ich?), dass bei ihm der „glow“ von Teddy Wilson fortlebe. Und das leuchtet mir tatsächlich ein. Das sind noch keine „lauten“ Alben, wie er sie später haufenweise machte, auch wenn sein Spiel da und dort (im eigenen „Blues for Gwen“ etwa) rasant ist. Dicht wirkt das nie, dick schon gar nicht … und auch die Power, die er bei Coltrane besonders live schon an den Tag legte, fehlt hier die meiste Zeit. Oder sie wird sublimiert und findet andere Wege – und die sind schon ziemlich toll. Nach Evans klingt hier obendrein nichts, da entsteht schon etwas Eigenes. Net Hentoff schreibt in den Liner Notes: „Bud Powell was an early influence, and a further stimulus came from Thelonious Monk. Revealingly, McCoy admires Monk primarily because ‚he plays so spontaneously. All of us have individuality – in some field or other – and it’s a shame not to cultivate what’s inside of you. If you don’t, you wind up not knowing yourself and playing somebody else. Monk has never done that.'“ Bevor Tyner mit Coltrane loszog – er traf ihn schon mit und spielte immer mit ihm, wenn der Saxophonist nach Philadelphia zurückkehrte – spielte er mit dem Jazztet von Benny Golson und Art Farmer. Mit Coltrane verfeinerte er dann seinen Stil, der schon im Herbst 1960 bei den Atlantic-Sessions schön zu hören ist. Und hier, auf seinem Debut, findet er noch einmal andere Wege. Besonders klar wird das vielleicht in seinem „Sunset“, gewidmet seiner Frau Aisha. Hier greift Davis zum Bogen (makellos natürlich), in den Liner Notes zitiert Hentoff ihn ausführlich und es fallen Begriffe wie „serenity“, „peacefulness, love of God, and the unity of mankind“ – das, was ihn sein islamischer Glaube lehre. Neben vier Originals spielt Tyner auch „There Is No Greater Love“ und als Closer „Speak Low“ (im Thema über eine Latin-Beat). Immer auf der Suche nach „beauty“, nach Schönheit, findet Tyner eigene Voicings, schrammt besonders in Outros vielleicht mal an einer Passage vorbei, die es so ähnlich auch mal bei Garland oder Jamal geben könnte – aber sonst höre ich am ehesten gewisse Parallelen zu Herbie Hancock (den ich aber als deutlich fliessender empfinde). Tyner ist jedenfalls schon hier sein eigener Mann – und das wird mir auch tatsächlich nochmal anders bewusst, wenn ich dieses Album zwischen Bill Evans, Don Friedman, Paul Bley, Denny Zeitlin oder Clare Fischer höre. Im Gegensatz zum Debut von Zeitlin ist das von Tyner übrigens erfreulich kompakt: sechs Stücke, 32 Minuten – und da fehlt gar nichts.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #169 – 13.01.2026, 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    Highlights von Rolling-Stone.de
    Werbung
    #12573785  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,788

    redbeansandrice
    Wegen Wilson: hatten wir den nicht oben im Thread schon mit was aus seiner Chicagoer Phase? (Richard Evans? Wenn ich bei Discogs so gucke…)

    Stimmt natürlich – aber nicht als Leader, hatte nur Leader-Aufnahmen geguckt, und da ist es schon eher besonders, dass bei sechs oder sieben Alben nur ein einziges im Trio ist.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #169 – 13.01.2026, 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12573787  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 13,364

    ich glaube, gypsy und ich sind gerade im tunnel.

    nock, gomez, christensen, ondas (1981)

    ich weiß, das album hat hier fans, und ich würde das so gerne mögen. aber das war heute die letzte chance, ich krieg den emotionalen code einfach nicht geknackt – der opener geht über 14 minuten lang über immer die gleiche figur, da baut sich für mich nirgends spannung auf… ich mag alle beteiligten, christensen zeigt im letzten stück, dass er die einzige alternative zu jack de johnette ist, was einen autark-schönen swing angeht… trotzdem läuft das an mir vorbei.

    corea, vitous, haynes, trio music (1982)

    ähnlicher fall – selbst wenn man da nicht als fan von NOW HE SINGS… herangeht (immerhin 14 jahre her), gelingt es zumindest mir nicht, dem hier eine eigenständige wertschätzung aufzubringen. eigentlich ist das doppelte konzept (freie improvisation / monk) schon auf dem 1968er album angelegt (im extramaterial gab es „pannonica“), aber corea hat hier einfach weniger zu sagen, vitous streicht seinen bass über den atlantik, haynes langweilt sich scheinbar, monk ist 1982 auch keine spannende idee, die an sich alles trägt, mehr, und die leute im tonstudio in los angeles nehmen den ECM-auftrag etwas zu genau und produzieren verhallte esoterikräume. ich glaube, sie hätten einfach ein bisschen komponieren müssen, aber, ich weiß, auch hierfür gibt es fans.

    --

    #12573797  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,788

    vorgartenich glaube, gypsy und ich sind gerade im tunnel.

    Ich tauche gleich kurz auf – muss kochen und essen und Netflix gucken … so prosaisches Zeug, wie er hier im Lyrik-Faden off topic ist ;-)

    Aber eins ging grad noch:

    McCoy Tyner Trio with Roy Haynes and Henry Grimes – Reaching Fourth | Bei Runde zwei im November 1962 ist dann wirklich Roy Haynes dabei, und am Bass Henry Grimes, der auf dem Cover als letzter genannt wird. Haynes spielt natürlich mehr nach vorn – aber ich finde den Vergleich hier wirklich interessant. Im Opener kriegen beide ihr Solo, Grimes greift zum Bogen und ist weniger überzeugend als Davis, bei Haynes spielt Tyner mit, es werden Fours oder Eights draus. Ein spritziger Einstieg und dieses Mal eine von nur zwei Eigenkompositionen. Tyner glänzt danach in „Goodbye“ mit verspielten Linien und Arpeggien, die sich um das Thema schmiegen, darunter ein Orgelpunkt vom Bass und dazu Besen von Haynes. Fred Laceys „Theme for Ernie“ im mittelschnellen Tempo beschliesst dann die erste Seite, mit einem starken (pizzicato). Teil zwei öffnet mit „Blues Back“ und der Komponist spielt auch den „low down“-Blues mit singendem Ton und schnörkellosen Linien, nur ein paar Funk- und Soul-Tönungen schleichen sich ein, wenn er Motive wiederholt oder einen Akkord einfärbt. Grimes spielt das halbe Tempo der anderen beiden, bis er im Solo dann selbst das schnelle Tempo übernimmt – und Haynes braucht eigentlich nur sein Hi-Hat mit dem Fusspedal zu schliessen und ist schon ultimativ hip. Für „Old Devil Moon“ findet man eine kleine kreisende Figur in den A-Teilen, die auch hinter Tyners Solo weiterläuft. Das swingt wenigstens so hart wie Ahmad Jamals bestes Trio (das im November 1962 schon Geschichte war – Israel Crosby starb bereits im August, aber er hatte Jamal ja noch zu Lebzeiten verlassen), ist dabei auch ebenso entspannt und … wie sagt man, „subdued“, aber nicht wie bei Clare Fischers Debut sondern eben wirklich mit einem „glow“, wie man ihn seit Teddy Wilson kennt. In der Mitte löst sich Grimes gekonnt vom Riff und fällt in Walking-Linien, während Haynes die Begleitung stets verändert und Tyner da und dort ein paar Block-Akkorde einstreut. Als Closer kriegen wir eine schnelle Version von „Have You Met Miss Jones“ mit exzellenter Besen-Arbeit von Haynes, der dann auch einige Runden Fours mit Tyner spielt. Die Alben tragen passende Titel – und ich bedanke mich herzlich bei Dick Katz: Projekt Tyners frühe Alben neu entdecken funktioniert.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #169 – 13.01.2026, 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12573811  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 13,364

    jetzt frage ich mich natürlich, was gypsy auf netflix schaut?

    bei mir gehen noch zwei.

    mcpartland, la spina, hanna, personal choice (1982)

    anfang der 80er historisiert der jazz sich selbst, gut für mcpartland, dass sie nie wirklich was anderes gespielt hat, aber mit ihrer radiosendung hat sie natürlich auch anteil an der neuen wertschätzung von jazz-traditionen und der quasi natürlich wirkenden verbindung von improvisation und tin pan alley songs. sie selbst ist bei concord gelandet, was wiederum ein label ist, das sich einer wenig aufregenden fortschreibung von „jazz“ im engeren sinne verschrieben hat. was man dafür kriegt, ist natürlich sehr gut – entscheidungen aus der praxis heraus, man weiß, was beim publikum funktioniert. die popsongs der 60er und die bossa nova sind auch schon im real book eingepflegt, weshalb jobim bei ihr nicht so kratzig klingt wie bei hawes/bailey, sondern gut abgehangen ist. also darf man eine perfekte interpretation von „meditação“ erwarten, das hier natürlich immer noch „meditations“ heißt. wichtig ist, dass die songs als solche ernst genommen werden, im sinne von: man muss sie nicht verbiegen, seinen eigenen song daraus machen, sondern mit einer kleinen änderung in den voicings, einer kleinen neuen ostinato-figur oder einer erprobten dramaturgie einen eigenen, verhaltenen stempel draufsetzen. und ich schreibe das alles natürlich, weil parallel in münchen ein musikproduzent die idee hat, ein trio zusammenzustellen, das etwas neues aus „geborgtem“ material machen kann.

    --

    #12573827  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

    Beiträge: 56,976

    Dick Katz Trio „Samburan“/“Monk’s Dream“ (Reservoir Music) 1993 …. eine Tagesreise ins Winterdomizil und im Gepäck einige Piano Trio Scheiben …. zufällig darunter auch diese Aufnahme mit Steve LaSpina (b) + Ben Riley (dr) …. mag nicht im Fokus eines Tunnelblicks sein, aber bei „klarer Sicht“ ein feines kleines Piano Trio Album mit sehr gut abgestimmten Arbeitskollegen, welche auch dem Thelonious Monk Songbook Hörenswertes abgewinnen können …. gehört gehört ….

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #12573829  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 13,364

    jarrett, peacock, de johnette, standards, vol. 1 (1983)

    gary peacock war am schwersten zu überzeugen. wann hat man ihn überhaupt zum letzten mal walking bass spielen hören? macht er hier, auf „all the things you are“. geborgtes material also, bill evans ist 3 jahre tot, geht da was? das material als erster ansatz, „meaning of the blues“ (von bobby troupe für seine frau julie london geschrieben und danach von miles & gil evans aufgegriffen) und „the masquerade is over“ (zwar von 1938, aber es gab kaum eine handvoll interpretationen davon in den 70ern) sind keine erwartbare auswahl. alles kein evans-material, eher miles, mit dem hatten sie auch alle zu tun. und es wird plötzlich geschaut, ob es sich zur ekstase eignet. am ende von „meaning of the blues“ gibt es einen ersten vamp. „god bless the child“ bekommt einen kleinen funk-rhythmus, da kann man sich hochschrauben. das krasse überhaupt: der pianist singt mit. tatsächlich entstaubt sich dadurch sofort die situation, wer kommt denn sonst ob des alten zeugs so in rage? ein trio, das seine eigenen höhepunkte findet, das überall den funk in den formeln sucht, das sich wegtragen lässt und trotzdem bill evans fortschreibt (das habe ich noch nie so deutlich empfunden wie heute). und interessanterweise kommen sie wieder an ein grundgefühl dieser songs heran: das frivole, alberne, aufgekratzte, auch das verbinden von gegensätzen und das utopische potenzial, das hinter den regenbogen führt.

    --

    #12573831  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,788

    Das Album von Katz ist bei mir vorhanden und ich mag es, aber so weit komm ich ca, im Mai ;-)

    Den dritten „Knives Out“ – auch ein Trio, aber eher Forte als Piano.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #169 – 13.01.2026, 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12573835  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,788

    vorgarten
    jarrett, peacock, de johnette, standards, vol. 1 (1983)
    … ein trio, das … bill evans fortschreibt (das habe ich noch nie so deutlich empfunden wie heute) …

    Haha, das habe ich gestern und heute beim Evans-Hören aus der umgekehrten Perspektive auch gedacht. Also: wie sehr Evans 1963 schon Aspekte des Jarrett Trios … vorwegnimmt ist nicht das richtige Wort.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #169 – 13.01.2026, 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12573863  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,788

    McCoy Tyner – Nights of Ballads & Blues | Runde drei folgte schon im März 1963, Bob Thiele liess nichts anbrennen. Steve Davis, der nicht sehr bekannte Bassist, der bei den Atlantic-Sessions mit Coltrane im Oktober 1960 dabei war, ist am Bass, Lex Humphries am Schlagzeug – was eine wesentlich weniger aufregende Rhythmusgruppe ergibt als auf den ersten zwei Alben. Vielleicht hilft das aber Tyner gerade auf seiner Suche nach „beauty“ (von der auch in den Liner Notes zu „Reaching Fourth“ die Rede ist, und zwar im Hinblick auf Tyner selbst, seine Person). Hier zitiert George Hoefer den Pianisten am Ender seiner Liner Notes: „I want to get as much beauty out of the instrument as I can“ und fügt an, jedes neue seiner Alben sei ein Schritt in Richtung dieses Ziels. Ein anderer Gedanke, den ich schon beim ersten Album hatte: das sind eigentlich alles Tyners „Ballads“-Alben – vielleicht musste er sie machen, um danach in neue Gefilde aufzubrechen? Was natürlich Unsinn ist, denn für den Aufbruch musste er Coltrane verlassen, musste dieser gestorben sein usw. Los geht es mit einer mittelschnellen Version von „Satin Doll“, Humphries klingt da knackig frisch, spielt wie auf dem ganzen Album mit Besen. Davis macht einen tadellosen Job und kriegt auch ein paar Solo-Spots – aber von der Rollenverteilung her ist das eher ein Rückschritt. Statt sechs Stücken und ca. 33 Minuten gibt es hier acht und um die 38 Minuten – und sogar nur noch ein einziges Original, „Groove Waltz“ and zweitletzter Stelle. Sonst spielt Tyner Standards und Stücke von Kollegen und Vorbildern: „We’ll Be Together Again“, „‚Round Midnight“ (ziemlich populär unter Pianisten, war mir gar nicht bewusst) und „For Heaven’s Sake“ auf der ersten Seite, den Beboppers Favorite „Star Eyes“ und „Blue Monk“ vor dem eigenen Stück und als Closer einen ganz neuen Pop-Song, „Days of Wine and Roses“ (der Film kam laut Wiki am 26. Dezember 1962 in die Kinos, Tyner ging am 4. März ins Studio von Van Gelder). Die Blues vom Albumtitel sucht man hier also vergeblich, aber das ist natürlich alles irgendwie Mood-Musik (was auch die striktere Rollenverteilung erklärt) und der Blues kann das auch sein, wenn er von Jazzmusikern verfeinert dargeboten wird (und „Blue Monk“ ist schon nah dran, zumindest von der Stimmung und den Changes her). Am Ende bleibt das von den ersten drei auch heute das Album, das mir am wenigsten gefällt – Tyners Fehler ist das nicht, aber die Begleitung ist schon sehr zahm. Auch bei so einem Moods-Album dürfte ganz gern ein wenig mehr los sein.

    McCoy Tyner – Today and Tomorrow | Album Nummer 4 ist dann etwas seltsam: da treffen drei Stücke eines hochkarätigen Sextetts (Thad Jones, Frank Strozier, John Gilmore, Butch Warren, Elvin Jones, 4. Februar 1964) auf drei eines Trios, über ein halbes Jahr früher eingespielt (Jimmy Garrison, Albert „Tootie“ Heath, 4. Juni 1963), die werden dann auch noch im Wechsel programmiert, immer zuerst ein Sextett-, dann ein Trio-Stück. Ob das so herauskam, weil bei der Trio-Session nicht genügen Material resultierte? Auf der abgebildeten GRP-CD sind die Sextett-Stücke zuerst, dann die drei Trio-Stücke sowie als Extras noch die drei weiteren Trio-Stücke beigefügt, die später auf den drei Volumen von „The Definitive Jazz Scene“ erschienen sind. Das ergibt immer noch weniger als 29 Minute, also definitiv zu wenig für eine LP bei Impulse (so ab 32 war man da im Rennen, 28 hätte vielleicht bei Argo ausgereicht). Tyner, Garrison und Heath ist wieder ein wesentlich lebendigeres Trio, und dass die erste Nummer „A Night in Tunisia“ ist (auf der LP zwischen zwei Sextett-Stücken auf der ersten Seite) hilft da auch. Heath kriegt ein Solo, Garrison ist natürlich mit dem Pianisten vertraut und hat einen tollen Ton und einen starken Beat. „Autumn Leaves“ und „When Sunny Gets Blue“ umrahmen auf der LP das letzte Trio-Stück. Bei Kosma gibt’s ein walkendes Bass-Solo, in der Ballade „Sunny“ sind die drei sehr eng zusammen – das ist hier wohl mein Highlight. Als Bonustracks folgen „You’d Be So Nice to Come Home To“ (von Vol. 2), ein Lieblingsstück, das hier einen tollen Flow hat, „Five Spot After Dark“ vom ehemaligen Boss Benny Golson (von Vol. 3 – Garrison ist auf der ersten Aufnahme des Stücke auf „Blues-ette“ von Curtis Fuller) und der kurze „Flapstick Blues“ (von Vol. 1), das einzige Tyner-Original der Trio-Session. Insgesamt bleibt das etwas Stückwerk – bei der Sextett-Session ist ebenfalls bedauerlich, dass die drei Stücke nur 22 Minuten ergeben … ein Album, mit dem ich – John Gilmore hin, Frank Strozier und Thad Jones her – nie mehr als halbwegs warm geworden bin, das ist auch heute nicht anders (obwohl, heute lasse ich die Sextett-Hälfte ja aus).

    McCoy Tyner Live at Newport / McCoy Tyner Plays Ellington | In Newport spielte Tyner am 5. Juli 1963 – also einen Monat nach der Trio-Session von „Today and Tomorrow“. Er war übermüdet, das Konzert war ungeplant und ein Mitschnitt erst recht nicht vorgesehen: Clark Terrys Flügelhorn war in einem Auto davongefahren, er lieh sich eine Trompete von Bill Berry. Charlie Mariano sollte eigentlich nicht dabei sein, mit ihm und Bob Cranshaw hatte Tyner noch nie gespielt. Nur Mickey Roker kannte er schon. Dennoch kam das ganz gut heraus, und zwischen den drei Quintett-Stücken, die natürlich Jam-Session-Charakter („Newport Romp“ zum Einstieg, dann „My Funny Valentine“ und als Closer „Woody’n You“) sind auch zwei Trio-Nummern zu hören, „All of You“ und den hervorragenden „Monk’s Blues“ von Tyner, in dem dieser Elemente von Monk nahtlos in seinen eigenen Stil einbaut – mit ziemlich verblüffendem Ergebnis. Die sind ziemlich toll – Roker klingt super und Cranshaw ist auch toll. Schade, hat Thiele die drei danach nicht noch ins Studio geholt.

    Im August 1963 wirkte Tyner noch bei den Aufnahmen zu „Illumination!“ seiner Coltrane-Kollegen Jimmy Garrison und Elvin Jones mit und wurde auf dem Cover auch genannt. Die zwei sind dann auch auf Tyners letztem Impulse-Album dabei, das an drei Tagen im Dezember 1964 entsteht – eine Woche vor, zwei und ein Tag vor „A Love Supreme“. Doch Tyners Album hat wenig gemein mit dem seines Leaders: es ist kein Statement, es hat nicht annähernd so viel Gewicht … und es erweitert das Trio auf vier Stücken um die Latin-Percussion von Willie Rodriguez und Johnny Pacheco, die im Opener „Duke’s Place“, dem unmittelbar folgenden „Caravan“ sowie in „Searchin'“ und „Satin Doll“ dabei sind. Das Material stammt von Ellington – bzw. Juan Tizol, der auch mit „Gypsy Without a Song“ vertreten ist. Von diesem gibt es als Bonus auf meiner CD noch einen Alternate Take, davor auch noch einen Outtake, „I Got It Bad (And That Ain’t Good)“. Das Album mochte ich nie besonders – die Percussion-Tracks noch weniger als den Rest … das ist auch heute nicht sehr anders. Was aber anders ist: dass ich Tyners Touch heute wirklich überall auf diesen Alben toll finde – und vielleicht auch die Idee besser verstehe, warum er ein Ellington-Album machen wollte (auf dem Album von Coltrane mit Ellington durfte er ja leider nicht mitspielen – aus naheliegenden Gründen natürlich).

    Aber ich nehme mit, dass „Inception“ deutlich besser ist, als ich es erinnerte, eigentlich auf der Höhe von „Reaching Fourth“, das mein liebstes dieser Alben ist und ebenfalls dazugewonnen hat heute. Auch „Night of Ballads and Blues“ ist echt schön, keine Frage. Und auf den anderen Alben gibt es ebenfalls einiges tolles zu hören.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #169 – 13.01.2026, 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12573869  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,788

    The Ramsey Lewis Trio at the Bohemian Caverns | Anfang Juni 1964 nimmt Argo seine Hausband live in Washington, D.C. auf. Dass hier, wie beim anderen Haustrio von Argo, demjenigen Ahmad Jamals, Live-Aufnahmen eine gute Idee sind, wird nach ein paar Minuten im öffnenden „West Side Story“-Medley klar: die Stimmung ist toll, das Publikum (oder die Musiker?) rufen auch mal was rein oder juchzen, weil das so viel Spass macht. In the pocket ist das, Eldee Young und Red Holt machten sich ja später mit eigener Funk-Combo selbständig (und wurden von Cleveland Eaton/Maurice White abgelöst – White von Earth Wind & Fire). Lewis spielt singende Linien, tremoliert über die ganze Tastatur bis in den Bass, funkt herum, verbindet die Themen mit Blues-Riffs und mehr, während der Beat leicht bleibt, vor allem Young durchaus Gegenmelodien spielt, auch wenn er scheinbar nur begleitet. „West Side Story“ – genauer „Somewhere“, Maria“, „Jet Song“ und wieder „Somewhere“) heisst natürlich Drama, und as können die drei. Zwölf Minuten mit rauschendem Finale, dann verhalten weiter mit „People“ über einen Bossa, maximal relaxed. Auf der B-Seite geht es mit „Something You Got“ los. Es folgt eine ungewöhnliche Version von „Fly Me to the Moon“ als Rubato-Ballade. Dann „My Babe“ von Willie Dixon, eine Tour de Force für Eldee Young am gezupften Cello. Vor dem Closer, dem aktuellen Hit von Sammy Davis Jr., „The Shelter of Your Arms“ folgt noch das einzige Stück von Lewis, „The Caves“, ein langsamer Stoptime-Blues. Viel Pop also – und ich denke an den Kommentar von Michael Cuscuna über die Three Sounds nach 1962, denen er das vorwirft bzw. als Grund dafür nimmt, warum die Musik des Trios ab da nicht mehr so gut gewesen sei. Das ist natürlich Unsinn, wenn so gute Leute wie die drei hier (oder eben die 3 Sounds) das machen. Das wird trotz aller Grooves nie eintönig, und das faszinierende daran finde ich beim Wiederhören, dass in so einem Rahmen oft mehr Interplay passiert als z.B. bei den Alben von Hawes, Tyner oder Jack Wilson, die ich gestern hörte. Klar macht das Spass, klar ist das „to the people“ – da mag man, wie ich in jungen Jahren, die Nase rümpfen, aber das bringt halt auch nichts.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #169 – 13.01.2026, 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12573871  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,788

    Bobby Timmons – Little Barefoot Soul | Ein anderes Funk-Trio ging einige Tage später ins Studio von RVG … auch Bobby Timmons war inzwischen zu Prestige rübergewechselt, Joel Dorn schreibt die Liner Notes, „being a staunch Bobby Timmons fan“ geht er aber nicht in die Details. Die Rhythmusgruppe mit Sam Jones und Ray Lucas hat @thelonica ja schon herausgestrichen – das ist wirklich ein sehr solides Fundament, sehr dunkel und sehr klar. Das Titelstück macht den Einstieg und ist mit seinem mitreissenden Groove vielleicht auch gleich das Highlight. „Waskin‘-Wadin‘-Sittin‘-Ridin'“ ist dann ein Blues im mittleren Tempo und hier klingt Timmons‘ Klavier manchmal wie eine riffende Big Band, auch wenn er nach dem Bass-Solo wieder einsteigt – wie bei Mance oder Bryant werden die Wurzeln in der Jazz-Tradition hörbar. Jones spielt ein tolles Solo, in dem er im langsamen Tempo bleibt, wenige Töne verwendet, Double-Stops, viel Pausen – sehr effektiv. Das kürzere „Little One“ mit seinem Wechsel aus Groove-Riff und walkendem 4/4 beschliesst die erste Seite. Wie der Titeltrack und die zwei folgenden Stücke, „Cut Me Loose Charlie“ und „Ain’t Thinkin‘ ‚Bout It“ aus Timmons‘ Feder. Die B-Seite funktioniert ähnlich: Groove (dieses Mal im 5/4 und in Blues-Form), langer Blues, kurzer Closer – in dem Fall ist das „Nobody Knows the Trouble I’ve Seen“. Allerdings hat sich die Formel hier etwas ausgelebt, ich finde schon den 5/4-Groove ziemlich zerfasert. Es ist Jones, der im Blues wieder einen Höhepunkt beisteuert, während Timmons sich in seinen Riffs ein wenig verliert.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #169 – 13.01.2026, 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12573877  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 69,788

    The Bill Evans Trio „Live“ | Wieder einen Monat später, am 7. und 9. Juli 1964, nimmt Verve das Trio von Bill Evans mit Chuck Israels und Larry Bunker im Trident in Sausalito auf. Damals gibt Evans kein Okay zur Veröffentlichung, doch 1971, als sein Vertrag mit Verve abgelaufen ist, erscheint doch ein Album. Im Booklet der 18-CD-Box mit den Verve-Aufnahmen schreibt Phil Bailey in den Session-Kommentaren, dass es beim Wiederhören schwer nachvollziehbar sei, warum Evans nicht wollte, dass das Material veröffentlicht werde und zitiert Israels, der vermutet, dass es etwas mit „drug-related changes in Evans’s health at that time“ zu tun haben könnte: „This was an erratic period, and there were a couple of nights when he was absolutely unable to play … [A]nd he may have [been] distracted by those problems and then didn’t want to hear whatever [it was] in the recordings that reminded him of that. But I think the date is quite representative of the group’s music, and Larry Bunker, as usual, plays like some kind of percussion angel.“ (Das ist das ganze Israels-Zitat im Text von Bailey.)

    Ein paar der Stücke – darunter „‚Deed I Do“ und „My Love Is an April Song“ – hatte Evans wohl extra für diese Aufnahmen vorbereitet. Es gibt sie sonst nirgendwo im Repertoire. Andere tauchten später auf den Shelly’s Manne-Hole-Aufnahmen bei Riverside auf (wo er ja auch Stücke spielte, die die Begleiter noch gar nie mit ihm gespielt, geschweige denn geprobt hatten). In der Verve-Box gibt es über drei Stunden Musik von diesem Mitschnitt (eine halbe, zwei satt gefüllte ganze sowie eine angebrochene vierte CD). Alles ist in der Reihenfolge der gespielten Sets programmiert, mit gelegentlichen Warm-Ups und Ansagen zwischendurch – eine massive Erweiterung der einstigen LP und neben dem ebenfalls grosszügigen Bonusmaterial zu „California, Here I Come“ damals der grösste Schatz in der kostbaren Box (ich kann mich an den Kauf in dem Fall nicht erinnern, aber das Ding hat sicher sowas wie drei Monate Taschengeld gekostet – bzw. den Lohn einer halben Woche Arbeit in den Schulferien verschluckt).

    Und es gibt auch hier immer wieder Momente, in denen ich denke: das höre ich ganz ähnlich doch später beim Keith Jarrett Trio wieder … und das hat auch wirklich ganz viel mit dem Klavierspiel von Evans zu tun. Jedenfalls weniger mit den Drums, denn der „percussion angel“, dessen Touch ich sehr schätze, spielt ja schon sehr anders als Jack DeJohnette. Und klar, wenn ich das höre, wünschte ich mir eine ähnliche Dokumentation des Trios mit Peacock/Motian vom Vorjahr. Und ich denke über die Bemerkung mit den langen Zeiteinheiten nach, die Evans laut Peacock ja so gut hören konnte – denn das scheint mir das Hören von Evans nochmal anders zu erschliessen, zum Beispiel diese typischen Linien, die er spielt, die nicht klar in Takteinheiten fallen (nicht wie die typischen Bebop-Phrasen, die oft auf den gleichen Beat beginnen und nach knapp vier oder acht Schlägen enden, bevor wieder am selben Ort die nächste beginnt). Evans spielt irgendwas, wandelt das ab, variiert, transponiert, das ist manchmal nah an der motivischen Improvisation, wie Sonny Rollins sie pflegte … und das gibt so einen Schwebe-Effekt, und doch ist er eben immer genau am richtigen Ort, auch innerhalb dieser Phrasen, nicht erst an ihrem Ende oder wenn er die nächste beginnt.

    Ich schicke das hier jetzt schon mal ab und bleibe noch zwei weitere Stunden im Evans-Tunnel.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #169 – 13.01.2026, 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12573899  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 14,776

    Danke für die Einordnungen zu Tyner, ich hatte immer mit Nights of Ballads and Blues angefangen und dann keine grosse Lust gehabt, weiterzumachen… Aber dann probier ich nächstes Mal Inception… Und ja, dass mit Bill Evans und den größeren Zeiteinheiten ist sehr interessant…

    --

    .
    #12573901  | PERMALINK

    atom
    Moderator

    Registriert seit: 10.09.2003

    Beiträge: 22,877

    Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass wir 1997 die Metallbox damals im Plattenladen als Promo-Edition zum Ausstellen bekommen haben – allerdings ohne CDs. Ich habe leider nur noch die später erschienene Pappbox. Auf jeden Fall ist das Gesamtmaterial der Trident-Sets wahnsinnig toll, läuft jetzt auch mal wieder.

    --

    Hey man, why don't we make a tune... just playin' the melody, not play the solos...
Ansicht von 15 Beiträgen - 586 bis 600 (von insgesamt 657)

Schlagwörter: , ,

Du musst angemeldet sein, um auf dieses Thema antworten zu können.