Antwort auf: Das Piano-Trio im Jazz

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gypsy-tail-wind
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The Bill Evans Trio „Live“ | Wieder einen Monat später, am 7. und 9. Juli 1964, nimmt Verve das Trio von Bill Evans mit Chuck Israels und Larry Bunker im Trident in Sausalito auf. Damals gibt Evans kein Okay zur Veröffentlichung, doch 1971, als sein Vertrag mit Verve abgelaufen ist, erscheint doch ein Album. Im Booklet der 18-CD-Box mit den Verve-Aufnahmen schreibt Phil Bailey in den Session-Kommentaren, dass es beim Wiederhören schwer nachvollziehbar sei, warum Evans nicht wollte, dass das Material veröffentlicht werde und zitiert Israels, der vermutet, dass es etwas mit „drug-related changes in Evans’s health at that time“ zu tun haben könnte: „This was an erratic period, and there were a couple of nights when he was absolutely unable to play … [A]nd he may have [been] distracted by those problems and then didn’t want to hear whatever [it was] in the recordings that reminded him of that. But I think the date is quite representative of the group’s music, and Larry Bunker, as usual, plays like some kind of percussion angel.“ (Das ist das ganze Israels-Zitat im Text von Bailey.)

Ein paar der Stücke – darunter „‚Deed I Do“ und „My Love Is an April Song“ – hatte Evans wohl extra für diese Aufnahmen vorbereitet. Es gibt sie sonst nirgendwo im Repertoire. Andere tauchten später auf den Shelly’s Manne-Hole-Aufnahmen bei Riverside auf (wo er ja auch Stücke spielte, die die Begleiter noch gar nie mit ihm gespielt, geschweige denn geprobt hatten). In der Verve-Box gibt es über drei Stunden Musik von diesem Mitschnitt (eine halbe, zwei satt gefüllte ganze sowie eine angebrochene vierte CD). Alles ist in der Reihenfolge der gespielten Sets programmiert, mit gelegentlichen Warm-Ups und Ansagen zwischendurch – eine massive Erweiterung der einstigen LP und neben dem ebenfalls grosszügigen Bonusmaterial zu „California, Here I Come“ damals der grösste Schatz in der kostbaren Box (ich kann mich an den Kauf in dem Fall nicht erinnern, aber das Ding hat sicher sowas wie drei Monate Taschengeld gekostet – bzw. den Lohn einer halben Woche Arbeit in den Schulferien verschluckt).

Und es gibt auch hier immer wieder Momente, in denen ich denke: das höre ich ganz ähnlich doch später beim Keith Jarrett Trio wieder … und das hat auch wirklich ganz viel mit dem Klavierspiel von Evans zu tun. Jedenfalls weniger mit den Drums, denn der „percussion angel“, dessen Touch ich sehr schätze, spielt ja schon sehr anders als Jack DeJohnette. Und klar, wenn ich das höre, wünschte ich mir eine ähnliche Dokumentation des Trios mit Peacock/Motian vom Vorjahr. Und ich denke über die Bemerkung mit den langen Zeiteinheiten nach, die Evans laut Peacock ja so gut hören konnte – denn das scheint mir das Hören von Evans nochmal anders zu erschliessen, zum Beispiel diese typischen Linien, die er spielt, die nicht klar in Takteinheiten fallen (nicht wie die typischen Bebop-Phrasen, die oft auf den gleichen Beat beginnen und nach knapp vier oder acht Schlägen enden, bevor wieder am selben Ort die nächste beginnt). Evans spielt irgendwas, wandelt das ab, variiert, transponiert, das ist manchmal nah an der motivischen Improvisation, wie Sonny Rollins sie pflegte … und das gibt so einen Schwebe-Effekt, und doch ist er eben immer genau am richtigen Ort, auch innerhalb dieser Phrasen, nicht erst an ihrem Ende oder wenn er die nächste beginnt.

Ich schicke das hier jetzt schon mal ab und bleibe noch zwei weitere Stunden im Evans-Tunnel.

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