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Hat vielleicht jemand anderes Lust, etwas zu Intercontinentals zu erzählen? Oder zu anderen von mir sträflich übergangenen Alben wie z.B. Gone, Just Like A Train, The Sweetest Punch, Blues Dream, With Dave Holland & Elvin Jones?
Bill Frisells Diskografie gibt ja doch einiges her. Es gibt noch zahllose, mehr oder weniger obskure Aufnahmen verschiedener Machart und Qualität, an denen er als Sideman oder in irgendeiner anderen Art beteiligt war:
http://www.allmusic.com/album/motion-picture-mw0000039143
http://www.allmusic.com/album/detras-del-sol-mw0000606919
http://www.allmusic.com/album/all-hat-mw0000815875
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WerbungUnd weiter geht’s mit meiner Wanderung durch die Musik von Bill Frisell. Wenn niemand anderes was erzählen will, tu ich es eben selbst. Einer muss den Job ja machen!
The Intercontinentals (2003)
Bill Frisell: git & loops; Christos Govetas: oud, bouzouki, voc.; Greg Leisz: pedal steel git., lap steel git, git.; Vinicius Cantuaria: git., perc., voc.; Jenny Scheinman: violin; Sidiki Camara: perc., voc
The Intercontinentals ist vor Unspeakable aufgenommen und veröffentlicht worden. Es wäre wohl auch sinnvoll gewesen, es chronologisch korrekt davor zu besprechen. Zwar weicht Intercontinentals ebenso wie Unspeakable stilistisch deutlich von Bill Frisells Americana-Erkundungen der 90er und frühen 00er Jahre ab – wenn auch in ganz unterschiedlicher Weise – hat aber anders als Unspeakable doch noch einen deutlich erkennbaren Bezug zu Frisells Beschäftigung mit Folklore oder anderer traditioneller Musik verschiedener Spielarten. Ist BF auf Unspeakable in der Stadt unterwegs, so streunt er auf Intercontinentals eher auf dem Land umher, aber nicht im american heartland, sondern – der Titel deutet es an – im globalen Dorf. Dabei wird er begleitet von dem Griechen Christos Govetas, dem/der Amerikaner/in Greg Leisz und Jenny Scheinman, dem Brasilianer Vinicius Catuaria und Sidiki Camara aus Mali. Eine ausgesprochen multikulturelle Gesellschaft also und jeder der Beteiligten hat die Musik seiner Heimat im Gepäck.
Das Ergebnis ist eine sehr hybride Musik, in die all diese verschiedenen Einflüsse mit eingewoben werden. Sie klingt wie Blues in Mali, wie Bossa Nova im Basar, wie Country & Western in Mazedonien oder wie Rembetiko in Rio. Das liest sich alberner als es sich anhört, denn all dies wird auf Intercontinentals zu einem feinen Teppich verwoben, in dem sich der Klang der verschiedenen Saiteninstrumente wie naturfarbene Fäden abzeichnet und die Perkussion wie feine eingewebte Perlen oder Steine, die gemeinsam eine schillernde Textur bilden und sich zu Mustern formen, während Jenny Scheinman noch ein paar Farbtupfer ergänzt oder einen Schleier darüber legt. Erst wenn man näher hinhört, sind die einzelnen Stimmen auszumachen. Vorder- und Hintergrund changieren miteinander, so dass kaum mal ein Solist herausgehoben wird, sondern das gemeinsame erzeugte Gewebe entscheidend ist. Eigentlich erstaunlich wie sehr Bill Frisell hier im Ensemble aufgeht.
Die 6-köpfige Karawane zieht meist in gemächlichem Tempo daher, manchmal verdichtet sich die Musik zwar zu einem Song – es gibt ja auch ein paar Stücke mit Gesang – bleibt aber meist doch abstrakt. Boubacar hat etwas von einem bluesigen groove, Listen hätte auch gut zum C&W von Good Dog gepasst, wenn es darauf nicht eine Oud und das Perkussionsinstrument Calabash zu hören gäbe (was ein ausgehölter Flaschenkürbis ist), Prosecissao ist eine Komposition von Gilberto Gil, die etwas Tänzerisches hat, Perristos hingegen ist von Vinicius Cantuaria komponiert und wird von ihm mit brasilianischer saudade gesungen. Das 7-minütige We Are Everywhere wirkt wie eine orientalische Träumerei, langsam auf und ab wogend, fast meint man den schweren Duft eines exotischen Öles zu riechen, der einen etwas benebelt und dann gibt es mit Anywhere Road, The Young Monk und Remember auch ein paar kleine Stücke, die von der introvertierten Stimmung auch gut auf Ghost Town gepasst hätten.
Ich weiß nicht, ob mich Intercontinentals interessiert hätte, wäre das Album nicht von Bill Frisell. Es wäre mir dann wahrscheinlich nicht einmal in die Hände gefallen. Reizvoll ist aber gerade der Kontext in dem es sich in der Diskografie von BF befindet: Das ist Musik für Saiteninstrumente, genau wie seine Americana-Sachen, aber er erweitert hier das Spektrum der Instrumentierung um solche Exoten wie Oud und Bouzouki oder Calabash, das Spektrum der Einflüsse um Brasilianische Musik und Griechische Folklore und verbindet das mit Perkussion aus Mali.
Einiges davon könnte auch als Begleitmusik für einen Reisefilm („Von Nashville über Rio und Bamako nach Thessaloniki “ oder so ;-)) durchgehen, so wie Nashville oder Good Dog auch für eine Dokumentation über Tennessee funktionieren würden. Aber ebenso wie dort findet sich auf Intercontinentals unter der gefälligen Oberfläche doch eine reich strukturierte Musik, die sich zu entdecken lohnt. Mir ging es jedenfalls so, dass ich der Platte zunächst eine gewisse Skepsis entgegenbrachte, sie dann aber ohne Ende laufen ließ und immer wieder lasse.
The Intercontinentals ist eine etwas exotisch gefärbte Facette im doch recht breit gefächerten Werk Bill Frisells. Insofern möchte ich die Platte gerade denen empfehlen, die meinen, Bill Frisell sei stilistisch etwas festgelegt. Den anderen sowieso.
We Are Everywhere: http://www.youtube.com/watch?v=M0fo5yfoSTE
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)Find ich eine der schönsten Scheiben von Frisell!
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbagypsy tail windFind ich eine der schönsten Scheiben von Frisell!
Es freut mich, das aus Deine Munde zu hören – bzw. aus Deiner Tastatur zu lesen!
The Intercontinentals ist ja eher im Grenzgebiet des Jazz anzusiedeln oder sogar jenseits davon, je nachdem, wo man die Grenze ziehen möchte. Wenn man sie denn überhaupt ziehen möchte.
We Are Everywhere ist übrigens das melloweste Stück auf Intercontinentals, richtig verträumt und sentimental, aber – hey! – wir sprechen hier über Musik und wo, wenn nicht hier, ist Verträumtheit und Sentimentalität erlaubt?
Ich stelle gerade fest, dass sich das Stück Boubacar auf den offenbar legendären Gitarristen und Sänger Boubacar Traoré aus Mali bezieht, mit dem Bill Frisell wohl auch mal gemeinsam gespielt hat, was in den Credits von Intecontinentals kurz erwähnt wird. Weiß jemand Einzelheiten?
Im Werk von Bill Frisell haben wir es jetzt schon mit Jazz, Cut Up-Morricone-Metal-Core, Filmmusik, Country & Western, Rhythm & Blues und Blues aus Mali, Mazedonien und Rio zu tun gehabt. Ein sehr eklektizistischer Mix also. Und die Reise ist noch nicht zu Ende.
Ergänzung: Das Stück Baba Drame auf Intercontientals ist sogar eine Komposition von Boubacar Traoré. Hier ist eine etwas grobkörnige Live-Aufnahme von Bill Frisell und Greg Leisz.
http://www.youtube.com/watch?v=SbbECYklBOs
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)Oh, ich habe eine grosse Schwäche für afrikanische Musik fast jeder Spielart (Soukous, Afrobeat, Kwela, äthiopischer Pop, Mali, Sachen aus dem Mittelmeerraum sowieso). Da passt die Frisell-Scheibe wunderbar! Ich muss mir wohl mal die zweite mit dieser Band holen!
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Da bin ich ja eher Anfänger. Mit Ausnahme einer sehr guten NIGERIA SPECIAL-Kompi und einigen oberflächlichen Kenntnissen von Fela Kuti ist Afrika für mich terra incognita. Afrika ist groß und Nigeria ist weit weg von Mali. Erzähl doch ruhig mal was. Die Bouboacar Traoré-Bill Frisell / Nashville-Bamako-Verbindung ist ja doch sehr interessant.
gypsy tail windDa passt die Frisell-Scheibe wunderbar! Ich muss mir wohl mal die zweite mit dieser Band holen!
Auch da scheinst Du mir voraus zu sein: Welche zweite Scheibe dieser Band meinst Du denn?
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)Nicht recht gelesen, sorry – ich meinte „Unspeakable“. Aber das ist ja ne andere Sache… was die afrikanische Musik betrifft, haben wir im Forum mit sparch ja einen grossen Kenner, ich selber bin da auch Anfänger.
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858 Quartet
Bill Frisell: git & electronics; Hank Roberts: cello; Jenny Scheinman: violin; Eyvind Kang: violaRichter 858 ist bereits 2002 aufgenommen, aber erst 2005 als normal käufliche CD veröffentlicht worden. Ursprünglich waren die von David Breskin produzierten Aufnahmen als Auftragsarbeit Teil einer Buchveröffentlichung mit Gemälden von Gerhard Richter. Der Titel Richter 858 bezieht sich auf eine Serie von abstrakten Gemälden aus dem Jahr 1999, die die Titel 858-1 bis 858-8 tragen. Die vorliegende CD enthält neben der Musik auch ein CD-ROM-Programm mit einer Diashow der Gemälde. Das Booklet enthält neben den Abbildungen der Gemälde auch je ein Interview mit dem Produzenten und mit Bill Frisell. Hank Roberts Eyvind Kang hatten schon mal mit Bill Frisell zusammengearbeitet, mit Jenny Scheinman zusammen bildeten sie dann auf Unspeakable The 858 Strings.
Wir kennen jetzt ja schon Bill Frisells Musik für Filme und auch auf anderen Aufnahmen ist man gelegentlich versucht, die Musik in Zusammenhang mit Bildern oder anderen außermusikalischen Zusammenhängen zu bringen. Ob dies von Bill Frisell immer beabsichtigt ist oder nicht, sei mal dahingestellt. Bei Richter 858 ist dies auf jeden Fall nicht nur intendiert sondern explizit Programm. Jedes Stück ist von einem Gemälde inspiriert, genauer gesagt: Es sind Vertonungen von Gemälden Gerhard Richters.
Vor den Aufnahmen hat David Breskin Bill Frisell ein paar „funny questions and thoughts“ mit auf den Weg gegeben. Einige davon lauten:
„What is the link between color in painting and tone in music?“
How does space operate in painting? Vis-a-vis in music?“
„What is background in these paintings? What is foreground? How do these ideas work in the invisible world of music?“
Think about the story of the way these paintings were made.“
„Think about painting wet on wet, or improvising on top of a written or played figure before it’s dry.“
„Think about the paintings as fictions; the same way one does a novel or a movie.“
Richter 858 beginnt mit einem Schock: Die ersten 2 Minuten sind eine Kakophonie von Gitarre und Streichern, die kreuz und quer durcheinander kreischen, dass es einem die Plomben aus den Zähnen zu ziehen droht. Erst langsam ordnet sich dieses Chaos zu einer erkennbaren Struktur, einem langsam pulsierenden musikalischen Motiv aus dem sich nach und nach einzelne Stimmen herausheben und das sich allmählich verändert. Das lässt sich als Analogie zum Gemälde 858-1 lesen, dass auf der linken Seite mit ein paar chaotisch expressiven Pinselstrichen in scharfen Kontrasten „anfängt“ sich dann aber nach rechts in weich ineinander übergehende Farbflächen „entwickelt“. Der Ansatz Bill Frisells ist also tatsächlich, die Malerei synästhetisch in Musik zu übersetzen.
Was hat er für Mittel dafür? Die Streicher erzeugen Schlieren, wie übereinander liegende Farbflächen oder setzen im pizzicato ein paar Farbtupfer, Bill Frisell legt mit der Gitarre Pinselstriche an, mal ergeben sich durch das Zusammenspiel erkennbare Strukturen, mal geht alles drunter und drüber bis es sich wieder irgendwo fängt. Das eine schiebt sich unter oder über das andere, einiges wirkt geplant, anderes wie improvisiert oder zufällig, manchmal hört sich das bis an die Grenze des Erträglichen disharmonisch und bizarr an, manchmal aber auch zart und meditativ. In 858-6 baut Bill Frisell mit dem Gitarrensynthesizer Klangräume auf, die sich Sun Ra in seinen kühnsten Träumen kaum hätte vorstellen können. Songstrukturen darf man hier nicht erwarten (selbst wenn sie auch mal auftauchen!), aber dafür ist es umso interessanter, welch andere Strukturen es hier zu entdecken gibt.
Man kann die Frage stellen, in wie weit die Umsetzung von Malerei in Musik auf Richter 858 gelungen ist. Malerei und Musik sind nunmal ganz klar verschiedene Dinge und das eine lässt sich nicht durch das andere wiedergeben. Vielleicht gibt es Parallelen und Analogien, die aber immer Interpretationssache sind. Bill Frisell liefert hier eine mögliche Interpretation. Andere Interpretationsmöglichkeiten ergeben sich möglicherweise im Kopf des Hörers. Es werfen sich Fragen über Fragen auf. Funktioniert die Musik auch ohne die Gemälde? Ja, aber anders, hätte ich fast gesagt, und damit hätte man die Lücke, die zwischen beidem besteht, wohl benannt. Vielleicht ist diese Lücke das interessanteste daran.
Eine tolle Platte. Nicht gerade easy listening sondern eine echte Herausforderung an den Hörer. Zum Nebenherhören eigentlich kaum zu ertragen. Wenn man Zeit und Lust mitbringt, sich damit zu beschäftigen, ist das aber faszinierend. Schaffe ich selbst auch bloß etwa einmal im Jahr. Möchte ich aber nicht missen.
Ganz beiläufig möchte ich noch erwähnen, das Bill Frisell auch hier wieder mehr als Bandleader, Komponist und Arrangeur glänzt, als als Gitarrist, der sich als Solist in den Vordergrund drängt.
Hörbeispiel habe ich im Netz nicht gefunden, (außer das hier: http://www.amazon.de/Richter-858/dp/B001S5NNOG/ref=sr_1_2?ie=UTF8&qid=1341871692&sr=8-2) aber die vertonten Gemälde kann man sich hier ansehen:
http://www.gerhard-richter.com/exhibitions/exhibition.php?exID=810
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Danke, Friedrich, für all die großen Berichte zu Frisell – ich lese nur mit, kann nichts selbst dazu sagen, was sonst, beide Ellenbogen am Kopf, weil ich mich mit der Gitarre wirklich nicht auskenne, geschweige mit Frisell. But: die Schnipsel, die Du verlinkt hast, gehen mir sofort ins Hirn, wunderbar, das vertrage ich mehr als einmal im Jahr, ob zu Gemäldefotografien oder nicht. Kennst Du das hier, eine Assoziation von mir gerade, mehr nicht:
Ducret hat mit Frisell wohl nicht viel zu tun, entschuldige also, wenn das zu off-topic ist. Der schöne Wahn, den ich gerade bei den amazon-Sachen gehört habe – und ihn ganz brauche – hat mich daran erinnert. Vor allem aber: danke für Deine langen Berichte hier zu Frisell.
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Ducret ist klasse, in den besten Momenten absolut diabolisch, gerade live! Aber einen Zusammenhang zu Frisell sehe/höre ich eher nicht (Hank Roberts vom 858 Quartett war allerdings dabei auf der Bühne, als ich Ducret in manischer Form spielen hörte, der dritte im Bunde war Jim Black am Schlagzeug).
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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #157: Benny Golson & Curtis Fuller – 12.11.2024 – 22:00 / #158 – 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tbaclasjazDanke, Friedrich, für all die großen Berichte zu Frisell – ich lese nur mit, kann nichts selbst dazu sagen, was sonst, beide Ellenbogen am Kopf, weil ich mich mit der Gitarre wirklich nicht auskenne, geschweige mit Frisell. But: die Schnipsel, die Du verlinkt hast, gehen mir sofort ins Hirn, wunderbar, das vertrage ich mehr als einmal im Jahr, ob zu Gemäldefotografien oder nicht.
Gern geschehen!
Ich kenne mich Gitarre auch nicht aus und meine Bildungslücken in Sachen Bill Frisell wurden ja auch schon aufgedeckt. Der Reiz besteht aber gerade darin, sich in die Musik von Bill Frisell hineinzuhören und Worte dafür zu finden.
Ich habe doch noch einen stream der kompletten Musik mit Abbildungen der Gemälde und Auszügen aus den liner notes gefunden:
Part 1: http://www.timesquotidian.com/2009/07/26/richter-858-music-by-bill-frisell-part-1/
Part 2: http://www.timesquotidian.com/2009/07/29/richter-858-frisell-richter-part-2/
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)858-3
Das Gemälde, das in einem kleinen Ausschnitt als Cover von Richter 858 dient.
Ich habe mir mal die Mühe gemacht „Some funny questions and thoughts to remember, forget and /or ignore for Frisell“, die der Produzent David Breskin formuliert hat, komplett abzuschreiben und zu posten. Diese „funny questions and thoughts“ erscheinen mir doch sehr geist- und aufschlussreich:
Questions
What is the role of process as a determinant of style?
What is the difference between a mechanical process and an „organic“ process?
What is the role of gesture versus mechanical procedure?
What is the link between color in painting and tone in music?
What is the link between a „cut“ or „tear“ in a Richter abstract picture and a chord change?
How does space operate in painting? Vis-a-vis in music?
What musical analogs or corollaries are there to: the grid, the brushstroke, the knife cut, the horizontal sweep, the palimpsest?
In what way(s) will you construct the pieces to allow for and support improvisation, if any? And how will such improvisations advance the music and relate to the paintings?
Might there be room in the totality of the project for some collective improvisation, undertaken with certain rules to follow?
What is background in these paintings? What is foreground? How do these ideas work in the invisible world of music?
Thoughts
Think about the story of the way these paintings were made.
Think about ignoring the story of the way these paintings are made, but still looking.
Think of the idea of The Palimpsest as it relates to Richters paintings, your music (palimpsest comes from the Latin/Greek meaning: „scraped again“.)
Think about matte (dry) versus shiny (reverie) surfaces in music and in painting.
Think about painting wet on wet, or improvising on top of a written or played figure before it’s dry.
Think about the negotiation between urban (culture, the built world) and the rural (nature, bucolic wilderness) in these paintings. Your work has undertaken, over the years, a negotiation between these urban and rural oppositions as well.
Think about the paintings as fictions; the same way one does a novel or movie.
Think about the edges of the paintings as framing devices: otherwise a painting would go on forever and never stop, and so wouldn’t be a painting.
Think about the edges of the paintings as beginnings and ends of the pictures.
Think about the nature of time in these pictures: how they are records of their own making. This happened, then this, then this, then this you can see was before and this was after. How unlike music this is. And yet, in both cases: narrative.
Hier werden viele der möglichen Analogien wie auch der Unterschiede zwischen Musik und Malerei angesprochen. Gleichzeitig werden auch Gedanken formuliert, die einiges ins Bewusstsein heben, das in der Malerei und der Musik eher unbewusst existiert oder zumindest nicht in Worten formuliert wird. Vielleicht ist dies aber auch kaum möglich, denn so sehr man auch versucht, in Analogieen zu denken, so sehr wird auch die Eigenart und Autonomie der Kunstformen und damit ihre Natur erkennbar. Lustig eigentlich: Ich versuche hier über Musik zu reden, die über Malerei redet. Oder so ähnlich …
Interessant finde ich auch noch, welche Besetzung Frisell hier gewählt hat: Drei Streicher und E-Gitarre + electronic devices. Eine ähnliche Besetzung hatte er auch schon auf Quartet gewählt. Dort hatte ich das als kleines Orchester bezeichnet, weil er damit einen sehr großen Klangreichtum erzeugen kann. Aneinander stoßende oder sich übereinander legende Klangflächen, Auf- und Abschwellen, kurze abgehackte oder lang gezogene Töne. Mit seiner elektronischen Trickkiste kann Bill Frisell die Illusion von Raum aufbauen, wo gar keiner ist, und mit loops Doppelungen und Überlagerungen erzeugen. Ein großer Reichtum an Klang, aber mit einer relativ kleinen Band, die noch spontan und beweglich ist. Bill Frisell hat für Richter 858 zwar Kompositionen erarbeitet, diese aber nur kurz geprobt und dann live mit Raum für Improvisationen aufgenommen, ohne overdubs und fast immer in einem take.
Noch ein lustiges Paradoxon: Richter 858 ist vielleicht die Bill Frisell-Platte, die den engsten Bezug zu Bildern hat, die aber – wenn man das Bild nicht parallel zur Musik sieht – am wenigsten so klingt. Bei seinen Americana-Sachen gab und gibt es wiederkehrende Motive, die man kennt und die man in Zusammenhang mit gewissen Bildern bringt. Selbst in den Titeln seiner Stücke ist das ja schon enthalten: The Gallows, Ghosttown, Cadillac 1959. David Breskin hatte Bill Frisell aber auch mit auf den Weg gegeben: „No Banjos for Richter!“ in der Tat verweisen ja nicht einmal die Gemälde von Richter auf etwas außerhalb der Bildfläche (außer vielleicht auf andere Gemälde). Vielleicht ist Bill Frisell mit dieser Musik unabsichtlich etwas ähnliches gelungen.
Nur so ein paar Gedanken. Mehr über Bill Frisell demnächst in diesem Kino.
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
AnonymInaktivRegistriert seit: 01.01.1970
Beiträge: 0
Das hört sich doch alles sehr nach Bill Dixon an … Analogien sind immer auch verführerisch, aber warum, schließlich, nicht? Vielen Dank für die Zusammenstellung und auch für die Links zu den Streams. Ich segele gerade eher auf anderen Meeren, aber das ist schon sehr interessant und braucht wohl einen langen Weg!
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Weiter geht’s mit den besten Alben aller Zeiten unter Beteiligung Bill Frisells. Oder habe ich ein paar ausgelassen? Ich kenne ja bei weitem nicht alle. Chronologisch gesehen müsste jetzt eigentlich das Live-Album East/West dran sein. Das Stück I Heard It Through The Grapevine davon im Blind Fold Test von JanPP war ja sogar der Auslöser für diesen Thread. Keine Lust darüber was zu schreiben, JanPP? Wäre schön! Bis dahin mache ich aber mal an anderer Stelle weiter.
Jenny Scheinman – 12 Songs (2005)
Jenny Scheinman: vio; Ron Miles: cornet; Doug Wieselman: clarinets; Bill Frisell: git; Rachel Garniez: acc, p, claviola; Tim Luntzel; Don Rieser: dr.
Jenny Scheinman kennen wir schon als side-woman auf Richter 858, The Intercontientals und Unspeakable. Sie war aber schon davor auch als Leader unterwegs und hatte drei Alben unter eigenen Namen veröffentlicht, davon zwei auf Tzadik. Der Titel 12 Songs ist etwas irreführend – wahrscheinlich absichtlich – denn auf dem Album wird nicht gesungen. Man kann die 12 Stücke aber durchaus als Lieder ohne Worte begreifen mit Jenny Scheinmans Violine in der Rolle der Sängerin. 12 Songs enthält ausschließlich Eigenkompositionen, die musikalischen Einflüsse speisen sich aus Americana verschiedenster Spielarten, eigentlich ähnlich wie auf Bill Frisells This Land. Bill Frisell fügt sich auch ideal in dieses Ensemble ein, ist hier zwar nur sideman, bleibt mit seinem typischen Ton aber unverkennbar. „Folk Jazz“ könnte man die Musik auf 12 Songs nennen. Durch die Violine als herausragende Stimme bekommt die Musik etwas fließendes und die Arrangements mit Kornett, Klarinette und gelegentlich Akkordeon unterstützen das sogar noch. The Frog Threw His Head Back And Laughed klingt wie eine Vertonung einer etwas unheimlichen Kindergeschichte – das schöne Cover mit diesen Viechern irgendwo zwischen Hase und Wildschwein hat ja auch etwas von einer Illustration für ein Kinderbuch -, manchmal wirkt das zart und zerbrechlich wie The Boy Song, auf dem Scheinman sich selbst ganz weit zurücknimmt und über dem Doug Wieselman mit der Klarinette zu schweben scheint, Moe Hawk könnte eine Filmmusik für einen Trickfilm sein, bei Suza wird es dann mal etwas lustiger und tänzerisch, Sattelite könnte ein Wiegenlied sein und June 21 klingt fast wie ein Gospel.
Die musikalische Zutaten meint man also alle schon irgendwie auch aus dem Werk von Bill Frisell zu kennen. Hier ist die Darreichungsform jedoch eine andere, mit der Violine als Lead-Instrument, noch mehr in den Bereich der Folklore reichend, größtenteils etwas zarter und getragener und durchweg mit originellen und prägnanten Kompositionen und Arrangements. Sehr schöne Platte, die ich mir immer mal wieder gerne auflege und die auch im Werk von Bill Frisell ein interessantes Mosaiksteinchen ist.
Jenny Scheinman hat später sogar eine (ebenfalls Jenny Scheinman betitelte Platte) als Sängerin aufgenommen, die wohl eher in die Richtung Singer-Songwriter geht. Bei den letzten aktuellen Projekten Bill Frisells ist sie auch dabei. Als ich Bill Frisell das letzte mal live sah – ist schon eine Weile her – wurde er neben Greg Leisz an der Lap Steel von Jenny Scheinman begleitet.
The Frog Threw His Head Back And Laughed, hier ulkiger Weise illustriert mit einem film still von Orson Welles aus einem film noir. Auch eine interessante Interpretation ;-):
http://www.youtube.com/watch?v=VFNjpvRjsks
… und hier noch eine Live-Aufnahme im Duo mit Bill Frisell, Antenna, ebenfalls von 12 Songs:
http://www.youtube.com/watch?v=ZYoVh9eVwVI&feature=related
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)Ich habe nach 2005, also nach Unspeakable und Richter 858, jahrelang kein Interesse mehr an Bill Frisell gehabt. Diese beiden Alben waren zwar im Oeuvre von BF sehr originell, aber fast schon so etwas wie Ausreißer, denn abgesehen davon bewegte er sich eigentlich zwar auf hohem Niveau, aber irgendwie doch etwas zu routiniert im Jazz goes Country & Western-Gebiet. Ein paar Zusammenarbeiten mit etablierten Jazzgrößen wie Jack Holland und Jack DeJohnette gab es zwar, aber auch das versprach für mich nicht gerade die Möglichkeit unbekannte und damit überraschende Landschaften zu entdecken. Erst letztes Jahr (2011) habe ich mich mal wieder an eine Platte mit Bill Frisell herangetraut.
Vinicius Cantuária & Bill Frisell – Lágrimas Mexicanas (2010)
Vinicius Cantuária: voc, perc, ac-git; Bill Frisell: ac + el-git, loops.
Vinicius Cantuaria haben wir schon auf Bill Frisells multi-kulti Ausflug mit The Intercontinentals kennengelernt. Ebenso wie The Intercontinentals ist auch Lagrimas Mexicanas ein Ausflug in ein Gebiet außerhalb der nord-amerikanischen Kultur. Anders als auf Intercontinentals ist jedoch die Besetzung deutlich reduzierter und das musikalische Spektrum knapper. Das fake-folkloristische Cover und der Titel täuschen jedoch, denn auf Lagrimas Mexicanas (dtsch: „Mexikanische Tränen“) gibt es keineswegs nur mexikanische Musik – eigentlich nicht weiter verwunderlich, da Vinicius Cantuaria Brasilianer ist, wenn auch mit Wohnsitz in New York, wo er u.a. mit Laurie Anderson, David Byrne, Brian Eno, und Arto Lindsay zusammenarbeitete. Damit kann man schon ein wenig erahnen, woher bei der Zusammenarbeit von Cantuaria und Frisell der Wind weht.
Lagrimas Mexicanas bietet dann auch tatsächlich einen eklektizistischen Mix verschiedener Spielarten latein-amerikanischer Musik, aber durch die Brille zweier Musiker betrachtet, die beide jahrelang im kulturellen Mix verschiedener musikalischer Traditionen durchgequirlt worden sind. Der 7-minütige Opener Mi Declaracion hat eine schleppenden sexy Groove, der fast schon in Richtung trip hop geht, wäre diese Musik nicht ohne elektronische Beats aufgenommen. Das klingt sehr organisch und handgemacht, die elektrischen Zutaten beschränken sich auf Frisells elektrische Gitarre, mit der er den von Vinicius Cantuaria mit zarter Stimme gesungenen Stücke Würze verleiht, so wie Schokolade mit Pfeffer, bei der sich die Süße an der Schärfe reibt. Das Titelstück hat etwas von Tex Mex, mit Cafezinho (dtsch: „Tässchen Kaffee“) gibt es ein Kabinettstückchen eines Gitarrenduos, ein bisschen Bossa Nova, etwas Samba soweit ich das erkenne kann usw., denn ich bin kein Experte in lateinamerikanischer Musik. Da müsste mir ein kundigerer Hörer etwas unter die Arme greifen … Alles sehr entspannt, samtig-warm, mit herb-süßen Aromen. Ein feines Gewebe der beiden Gitarren und Cantuarias understateter Perkussion, in das Bill Frisell hier und da etwa Gitarren wah-wah und loops mischt.
Lagrimas Mexicanas ist bestimmt keine große Platte, dazu fehlt ihr die Geschlossenheit, vielleicht auch der programmatische Anspruch von z.B. The Intercontinentals. Mit gerade mal gut 40 min Laufzeit ist sie auch nicht so ein Brocken wie manch andere Aufnahmen von Bill Frisell. Das stört aber nicht im geringsten, denn stattdessen hat sie eine spielerische Vielfalt, Gelassenheit und Leichtigkeit, die sie zu einem Vergnügen macht. Sehr zu empfehlen. Vor allem im Sommer.
Vinicius Cantuária & Bill Frisell – Calle 7:
http://www.youtube.com/watch?v=SL6BdeePiI0
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„Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus) -
Schlagwörter: Bill Frisell, Country, Gitarre, Jazz, Jazz Guitar
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