100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert

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  • #12498723  | PERMALINK

    hat-and-beard
    dial 45-41-000

    Registriert seit: 19.03.2004

    Beiträge: 20,531

    Bei mir ist grad mal wieder keine Zeit zum Hören oder (Nach-)Denken, aber bei den Texten hier funkt es im Kopf, danke.

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    God told me to do it.
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    #12498725  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,342

    Publikum einladen wurde hier meines Wissens tatsächlich nicht getan… war wohl eine Art Rache für andernorts. Hentoff liess Mingus und Richmond ja auch den Text zu „Faubus“ singen, was Columbia nicht zugelassen hatte. Ich vermute er war zu sehr, wie man heute sagen würde, „ally“, um als Labelchef Erfolg zu haben.

    Ich hör das Album ja inzwischen im japanischen Mono-CD-Reissue, und das ist echt ein Fortschritt. Damals war ja generell noch mono das Hauptformat und ich hab eigentlich (auch bei Blue Note) nie verstanden, warum CD-Reissues auch da immer Stereo sein mussten. Gibt ja schon Leute (kenne welche von Klassikforen), die prinzipiell kein Mono kaufen – aber gut, their loss.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12498729  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,716

    58

    BODY AND SOUL
    holiday, edison, webster, rowles, kessel, mitchell, stoller, granz, ? (3.-9.1.1957)

    tomäääto, tomaaato – nie klangen die texte zu diesen songs dämlicher als hier, mit dieser stimme. man schaue nur das cover an: da ist die tongue nicht in cheek, sondern belegt und wund. gee baby. aber es gibt eine verabredung hier: je leichtgewichtiger das material, desto beseelter die band. dieser ton wird im titelstück gesetzt, mit einem gänsehaut-meisterwerk-solo von ben webster, aber das geht so weiter, mit einem trompeter und einem saxofonisten, die auf der höhe der leaderin ums ganze spielen. das manöver scheint riskanter hier als auf der auswahl der SONGS FOR DISTINGUE LOVERS, die lieder noch unpassender, die band noch brennender. natürlich ist „embraceable you“ ein schöner song, aber wenn diese stimme „sweet“ singt, braucht man bereits ein neues konzept. don’t be a naughty baby, come to mama.

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    #12498741  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,716

    57

    JAZZ PÅ SVENSKA
    johansson, riedel, johansson, svembel (1962-64)

    was ist das denn? ich hatte mich schon mehrfach über diese nennung gewundert, nie reingehört, eine bekloppte schwedische freejazztruppe erwartet, jetzt – nach erstbegegnung – bin ich einigermaßen verwundert. arrangements von volksliedern, mit ein paar wenigen blue notes, von einem zurückhaltenden bass begleitet. den pianisten kennt man entweder als begleiter von stan getz (IMPORTED FROM EUROPE) oder als komponist des pippi-langstrumpf-themas. von beidem ist das hier etwa gleich weit entfernt. der sound ist kathedralenwürdig, der touch höchst elegant, die einfachheit der manchmal nur skizzenhaft ausgeführten lieder charmant. ganz einfache, unaufdringliche, klare musik, die einen sinn für pausen und nachklang hat – und man kann sich vorstellen, dass so jemand wie bobo stenson das nicht selten gehört hat. ist ja sowieso die meistverkaufte schwedische jazzplatte. wobei ich die einordnung als „jazz“ mutig finde. aber ich bin fast geneigt, mir das zuzulegen.

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    #12498749  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 68,342

    Haha, ich hab dieses Album tatsächlich auf Vinyl … verstehe die Irritation schon, aber von einem Getz-Sideman würd man ja eher keinen Free Jazz erwarten. Das ist mehr so Proto ECM-Skandinavien-Schiene, aber auch nicht so recht – dass Stenson das früh kannte, darf man vermutlich voraussetzen. Es gibt auch noch „The Birth of Swedish Folk Jazz“ von Bengt-Arne Wallin (1962), das vermutlich in denselben Kontext gehört, aber das hab ich überhaupt nicht im Ohr.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #164: Neuheiten aus dem Archiv, 10.6., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #12498753  | PERMALINK

    lotterlotta
    Schaffnerlos

    Registriert seit: 09.04.2005

    Beiträge: 5,621

    also dies jan johansson album ist jede sekunde wert, hatte hier ja schon vor jahren eine lanze für ihn gebrochen und klar ist das ein album welches man auf vinyl haben sollte, wobei natürlich der mehrwert auf der cd-vö enorm ist. für mich aber nur sein zweitbestes album, jazz pa ryska steht da noch drüber, auch das ungarische folkalbum als sideman sowie das live in hamburg auf act sind ganz formidabel…und johansson ist das vorbild für alle nordischen jazzpianisten….und riedel am bass war ein kongenialer partner….

    --

    Hat Zappa und Bob Marley noch live erlebt!  
    #12498777  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

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    danke euch für die aufklärung!

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    #12498827  | PERMALINK

    vorgarten

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    56

    CONCERT BY THE SEA
    garner, calhoun, best, avakian/glaser, thornbury (19.9.1955)

    ein erstes hit-album des jazz mit verrückter vorgeschichte und nur einem mikrofon aufgenommen, so entstehen mythen. dem carmel concert (ob jarrett das oft gehört hat?) gelang das crossover, zu dem wahrscheinlich auch das attraktive cover beigetragen hat, vielleicht auch das weiße foto-model, das man 60 jahre später bei der 3-cd-ausgabe (von geri allen co-produziert) durch ein schwarzes ausgetauscht hat. eine tin pan alley rezital, mit etwas bebop und mambo, das ich interessanterweise zwischendurch als soloauftritt abgespeichert hatte, tatsächlich sind calhoun und best „nur“ funktionale begleitung, die show spielt sich zwischen zwei händen ab. schon verrückt, dass einen das immer noch wegfegt, es sind so viele ideen, so viele wechsel in dynamik und stimmung (und sound), so eine liebe für das charmante material, so viel enthusiasmus. nichts ist so recht generisch, man kann auch nicht von einer masche sprechen, denn mal akzentuiert die linke hand ganz regelmäßig in stride-manier den rythmus, mal hämmert sie irre synkopen ins geschehen, mal kreiselt die rechte hand virtuos um die melodielinie, mal hält sie einfach einen einzelton über mehrere takte aus. ein nicht klassisch geschulter komplett-ansatz, bei dem man sich heraushören kann, was man möchte. die bettlägerigen koreakrieg-veteranen, für die diese aufnahme gemacht wurde, bekamen hier als kopfkino einen wellenbrechenden ozean vorgesetzt. aber erroll garner tritt hier nich als naturgewalt auf, sondern als stilist, und die sophistication würde sich hier eher im farbspiel eines einzelnen schaumtropfens widerspiegeln.

    --

    #12499187  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,716

    55

    JAZZ AT ANN ARBOR
    baker, freeman, smith, neel, bock, ? (9.5.1954)

    „we don’t play ‚in the mood‘!“ etwas nölig reagiert chet baker auf einen wunsch aus dem raum, wahrscheinlich ein komplizenhafter witz zwischen dem studentischen publikum im freimaurertempel und den jungen wilden auf der bühne (in der gleichen woche war THE WILD ONE mit marlon brando angelaufen, auf dem russ freeman im soundtrack zu hören ist). die aufgeräumte originalität der band ist gleichzeitig einladend und eigenwillig – wie baker den entertainer als pappfigur aufscheinen lässt und sich dann darüber lustig macht, wie das quartett eine flüssige hitze nur als pause zwischen den balladen erzeugt, die hier ganz klar die hauptattraktionen sind, wie sich freeman mit originellen soli aus der begleiterrolle schält – das klingt hier atmosphärisch wie eine verabredung mit dem (wahrscheinlich) jungen publikum, das im tempel zwar nicht rauchen darf, sich aber freut, von seinen helden besucht zu werden.

    der moment zum luftanhalten ist natürlich „my funny valentine“, von dem es im mai 1954 erst fünf dokumentierte instrumentalaufnahmen gibt, eine davon von baker selbst, im quartett mit mulligan, ohne klavier. (eine andere ist interessanterweise von barbara carroll). ein signature song in the making, mit dramatischem paukenwirbel und einem ernst marschierenden bass eingeleitet. jede von bakers linien ist interessant, eigen, das stück gehört ihm schon voll und ganz. aber angesichts der zarten erkundungen erscheint dann die plakat-logline zu THE WILD ONE doch etwas aus einer anderen welt: „jazzed-up hoods on a bust-up binge… and they don’t care who gets hurt!“ das ist nicht die rebellion, die hier im freimaurertempel aufgeführt wird.

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    #12499213  | PERMALINK

    thelonica

    Registriert seit: 09.12.2007

    Beiträge: 4,180

    vorgartenok, da muss man mich jetzt aber schon bewusst misverstehen wollen, und ich könnte jetzt auch rechthaberisch argumentieren, dass junge musiker*innen heute natürlich auf archive zurückgreifen müssen, um sich mit elvin jones zu beschäftigen, alle beteiligten an diesen aufnahmen leben ja nicht mehr, man kann sie nicht mehr live studieren oder sich von ihnen was zeigen lassen. und schlecht werden sich die studierenden auch nicht fühlen, wenn sie die aufnahmen hören. aber gut, ich habe mich nicht gut ausgedrückt, das ist ja offensichtlich. aber euer widerspruch ist schon interessant: ich dachte, dass die trademarks von jones, tyner, garrison, coltrane selbst (ich hatte „ikonisch“ gesagt) mittlerweile so oft kopiert, gesampelt, destilliert worden sind, dass man heute nicht mehr versteht, wie frisch das damals geklungen haben muss. aber vielleicht ist das wirklich quatsch und es überrascht menschen immer noch beim ersten hören – je nachdem, woher sie kommen.

    Was ich beobachtet habe ist, dass der Impact von bestimmten Musikern über den Tod hinaus ungebrochen ist (das Internet unterstützt das natürlich). Es vergeht kaum ein Tag an dem nicht über Elvin gesprochen oder geschrieben wird. Und wahrscheinlich könnte das  mit Roy Haynes oder Al Foster ähnlich passieren. Übrigens kein ganz neues Phänomen, wenn wir uns die Wirkung von Chick Webb, Sid Catlett, Jimmy Blanton, Tiny Kahn, Clifford Brown, Bill Evans oder Scott LaFaro  allein in der Vergangenheit anschauen. Evans ist wahrscheinlich beliebter als noch zu Lebzeiten, das kann man fast so sagen. Am Beispiel „Clyde Stubblefield“ oder Tony Williams könnte man auch gut über Impact sprechen. Ethan Iverson hat Hampton Hawes intensiv studiert, obwohl der schon lange nicht mehr lebte, das geht also irgendwie. Jack DeJohnette hatte sich das Drumming anfangs selber beigebracht, Barry Harris hatte zugegeben, dass er in jungen Jahren eine bestimmte Platte von Bud Powell immer wieder abspielte, bis er alles besser verstehen konnte.

    Was sogenannte „Trademarks“, Licks und mehr angeht: Die kann man natürlich studieren und verstehen, kopieren vielleicht auch, aber trotzdem sind die dann immer noch nicht einfach zu spielen. Bei Africa/Brass kann man ja zudem sehr viel zu Dynamics, Komposition, Orchestrierung und Ensemblespiel lernen, das alles zusammen ist fast nicht kopierbar (sonst hätte man vielleicht heute eine Ghostband  ;-) ). Die Tage konnte ich sehen, dass Profis sich fast die Zähne am Konzept von Al Foster  ausbeissen („I’m still learning it at this age. I’m 79.“- Al Foster), weil sein Spiel doch ziemlich komplex und auch physisch fordernd war. Roy Haynes hatte schon an verschiedenen Stellen mal erwähnt, dass sich bei ihm öfters was ändern würde, er würde sich kaum wiederholen. Kopieren ist daher gar nicht so einfach (Sampling wird nicht ohne Grund oft verteufelt, KI könnte alles noch schlimmer machen. Aber das so nebenbei). Rückblickend verstehen wir vielleicht auch besser, warum Coltrane sehr viel geübt hatte.

    --

    #12499315  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

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    54



    COUNTRY PREACHER

    adderley, adderley, zawinul, booker, mccurdy, axelrod, hamel (oct 1969)

    das adderley quintet macht community service, bietet lektionen im aufrechten gang an, unterstützt die kampagne für mehr schwarzes business in schwarzen nachbarschaften, lässt sich von jesse jackson, dem country preacher, anmoderieren. eine stolze verständigung über schwarze musik ist die idee, man kommt nochmal auf den blues zurück, eine kleine suite untersucht maurische und lateinamerikanische einflüsse, aber das highlight ist gleich der opener, die großartigste version von „walk tall“, das ich – thema impact – als sample bei a tribe called quest kennengelernt habe. da überholt roy mccurdy idris muhammad, bernard purdie und andere hippe kollegen von rechts, und über die gar nicht naheliegenden harmonien von zawinul könnte man musiktheoretisch lange nachdenken. überhaupt: diese schöne öffnung zu neuen sounds, zu elektrifiziertem soul, zu sopransax und schnarrenden fender rhodes, die diese band im klassischen quintettformat so mühelos hinbekommt, im wissen darum, dass kurz vorher BITCHES BREW aufgenommen wurden, ist auch ein ausweis in aufrechtem gang. from blues to brew.

    das album an sich wirft trotzdem fragen auf. die kommunikation mit der community ist nicht so recht abbildbar, aktionen auf der bühne lösen reaktionen aus, die über die musik hinausgehen. die versammelten stücken haben etwas stark ausschnitthaftes, die situation scheint aufgelöst. man hört die statements, aber der kontext scheint nicht so wichtig, das fängt beim unbekannten aufnahmeort und aufnahmetag an. das, was da hörbar passiert, weckt (in mir) die sehnsucht nach konkretion: wer war da, um welche uhrzeit, was passierte vorher und nachher, wo war jesse jackson während des konzerts? dieses album so abzufeiern bedeutet ein bisschen, dass es einem egal ist, was über eine unscharfe idee von politischer party hinausginge. aber klar, es geht um ein dokument einer musik zu einer zeit, und als solches ist das toll genug.

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    #12499327  | PERMALINK

    friedrich

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    vorgarten
    63

    SIN & SOUL
    brown jr., butterfield, wilder, solde, bodner, levinsky, levister, leighton, morris, cernett, arnone, barksdale, carroll, duvivier, benjamin, rosengarden, devens, johnson, francis, hamm, ? (jun/aug/oct 1960)
    (…)

    Ein etwas später Kommentar von mir dazu. Oscar Brown hatte ich entdeckt, als ich recherchierte, wer den Text zum Work Song verfasst hatte. Wenig später fiel mir diese LP im 2nd hand shop in die Hände.

    Oscar Brown war Bühnenautor, disc jockey, Songwriter, Sänger, versuchte sich sogar mal als Politiker und war vorübergehend Mitglied der Kommunistischen Partei. Ich kenne nur dieses eine Album von ihm und da höre ich ihn vor allem als show man, der in verschiedene Rollen schlüpft. Angehöriger einer chain gang, obercooler Angeber und gekränkter Liebhaber, Sklavenauktionator, Erzähler einer Fabel, herunter gekommener Säufer, Vater eines kleinen Sohnes und manches andere mehr. Einiges davon ist bitter, einiges kaum unterschwellig politisch, einiges nachdenklich, einiges liebevoll und zärtlich, einiges ist lustig und einiges sogar richtig albern. Das Elend eines aus Not kriminell gewordenen Strafgefangenen, der obercoole Angeber, der in jämmerliches Heulen ausbricht, als ihn seine Frau verlässt und am Ende versehentlich seinen Hund erschießt, der Vater der seinen neugierig-verspielten Sohn beobachtet („Can I have dat big elephant over dere?“), der Ehemann, dem seine verpennte Ehefrau auf die Nerven geht, die Wirklichkeit und Hoffnung eines Afro-Amerikaners – das alles steht unvermittelt nebeneinander. Einiges muss man aus afro-amerikanscher Perspektive lesen, einiges kann man, einiges muss man nicht unbedingt. Ein bisschen ist das wie eine Revue, die thematisch wild hin und her springt. Gemein ist allen Aufnahmen Oscar Brown als charismatischer performer mit mal knackiger, mal filigraner musikalischer Begleitung. Selbst in der Rolle des Sklavenauktionators ist er entertainer, jedoch mit bitter-bösem Humor – so dass einem als Hörer das Lachen im Halse steckenbleibt: „She’s healthy and strong and well equipped / Make a fine lady’s maid when she’s properly whipped“

    Oscar Brown hat auf Sin & Soul eigentlich nur 3 damals bereits existierende Jazzinstrumentals betextet, Work Song, Dat Dere und Afro Blue (und vielleicht noch Sleepy mit der Musik von Bobby Bryant), die anderen Stücke stammen komplett von ihm. Brown Baby wurde später wohl noch von einigen anderen aufgenommen. Wer das so vielfältig und passend – Gospel, Blues, Jazz, etwas Latin, alles drin – arrangiert hat, weiß ich nicht. Ein mindestens unterhaltsames, oft bewegendes und berührendes Album. Allein Work Song, Dat Dere, Brown Baby und Afro Blue sind schon den Eintritt wert.

    Das Konzept des signifying verstehe ich aber nicht.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #12499341  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

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    friedrich
    Oscar Brown war Bühnenautor, disc jockey, Songwriter, Sänger, versuchte sich sogar mal als Politiker und war vorübergehend Mitglied der Kommunistischen Partei.

    vor allem war er der sohn eines anwalts und pioniers der afroamerikansichen bürgerrechtsbewegung, weshalb ich mir seine vielen verschiedenen tätigkeiten immer so erkläre, dass er (als angehängter „junior“) seinen eigenen weg – oder eben viele andere wege – suchen musste, um als stimme ernstgenommen zu werden.

    friedrich Das Konzept des signifying verstehe ich aber nicht.

    da du dich nicht auf meinen text beziehst, weiß ich jetzt nicht, ob du auf meine behauptung anspielst oder auf browns „signifyin monkey“ auf SIN & SOUL direkt? ich verstehe das signifizieren im afroamerikansichen kontext immer als uneigentliches sprechen, um sich aus den rassistischen identitätszuschreibungen zu lösen. jede minderheit hat ja erstmal damit zu tun, dass die mehrheit ihnen scheinbar essenzielle weseneigenheiten (identät) zuschreibt (und dazu die macht hat, sie als „geteiltes“ wissen in die welt zu setzen) – und wenn man dann nur sagt: stimmt nicht, das bin ich nicht, dann stützt man diese konstruktion ja bereits und akzeptiert, dass es sie gibt. man kann aber aus der ohnmachtsposition auch nicht einfach andere identitäten entwickeln. also tauchen da dann kulturpraxen auf, die vom repräsentieren einer identität an sich erstmal weg gehen. zum beispiel, in dem man die identitätszuschreibungen von außen „nachäfft“. oder in dem man verschiedene rollen aufruft, wie brown jr. auf dem album. diederichsen nennt da immer die rap-battles der schwarzen gangs in den 70ern, die anstatt mit messern aufeinander loszugehen, sich verbal – in reimen! – bekämpfen. thomas meinecke hat das vor allem im techno herausgearbeitet: das flüssige verbinden von aussagen von anderen, um selbst gar nicht wirklich dingfest, fixierbar zu werden (die leute der underground resistance im detroit techno sind ja z.b. gar nicht als individuen aufgetreten, sind „unsichtbar“ geblieben). natürlich gehört auch das aneignen von schimpfwörtern dazu (n-wort, „queer“ etc.). sich als schwarzer US-amerikanischer künstler für einen song lang die sprechrolle eines sklavenauktionators anzueignen, ist da sicherlich ein besonders krasses beispiel.

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    #12499371  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    vorgarten

    friedrich
    Oscar Brown war Bühnenautor, disc jockey, Songwriter, Sänger, versuchte sich sogar mal als Politiker und war vorübergehend Mitglied der Kommunistischen Partei.

    vor allem war er der sohn eines anwalts und pioniers der afroamerikansichen bürgerrechtsbewegung, weshalb ich mir seine vielen verschiedenen tätigkeiten immer so erkläre, dass er (als angehängter „junior“) seinen eigenen weg – oder eben viele andere wege – suchen musste, um als stimme ernstgenommen zu werden.

    Ja, das hatte ich nicht erwähnt oder schlicht übersehen. Sein Vater wünschte sich wohl, dass er in dessen Fußstapfen tritt, Oscar Brown Jr. hat sich aber anders entschieden. Wobei sie beide offenbar auch gleiche oder ähnliche Anliegen hatten

    friedrich Das Konzept des signifying verstehe ich aber nicht.

    da du dich nicht auf meinen text beziehst, weiß ich jetzt nicht, ob du auf meine behauptung anspielst oder auf browns „signifyin monkey“ auf SIN & SOUL direkt? ich verstehe das signifizieren im afroamerikansichen kontext immer als uneigentliches sprechen, um sich aus den rassistischen identitätszuschreibungen zu lösen. (…) also tauchen da dann kulturpraxen auf, die vom repräsentieren einer identität an sich erstmal weg gehen. zum beispiel, in dem man die identitätszuschreibungen von außen „nachäfft“. oder in dem man verschiedene rollen aufruft, wie brown jr. auf dem album. diederichsen nennt da immer die rap-battles der schwarzen gangs in den 70ern, die anstatt mit messern aufeinander loszugehen, sich verbal – in reimen! – bekämpfen.(…) sich als schwarzer US-amerikanischer künstler für einen song lang die sprechrolle eines sklavenauktionators anzueignen, ist da sicherlich ein besonders krasses beispiel.

    Ich las den Begriff signifying und wusste nicht, was damit gemeint ist. Ich habe dann signifying im Netz recherchiert, aber die meist englischsprachigen Erklärungen blieben mir etwas rätselhaft. Aber signifying selbst ist für Außenstehende wohl rätselhaft, weil man oft die Bedeutung hinter der Bedeutung nicht verstehen kann.

    Die lustigen Prahlereien aus dem Hip Hop kenne ich als jemand, der in den 80er musikalisch sozialisiert wurde, natürlich – und wenn es nur darum ging, die tollsten Sneaker oder den dicksten Ghettoblaster zu haben. Ich fürchte, irgendwann wurde aus diesem Spiel aber Ernst und man ging statt mit Reimen tatsächlich mit der Knarre gegenseitig aufeinander los. Dem signifying monkey ergeht es bei Oscar Brown Jr. ja am Ende auch nicht gut.

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    „Etwas ist da, was jenseits der Bedeutung der Worte, ihrer Form und selbst des Stils der Ausführung liegt: etwas, was direkt der Körper des Sängers ist, und mit ein- und derselben Bewegung aus der Tiefe der Stimmhöhlen, der Muskeln, der Schleimhäute, der Knorpel einem zu Ohren kommt, als wenn ein und dieselbe Haut das innere Fleisch des Ausführenden und die Musik, die er singt, überspannen würde.“ (Roland Barthes: Die Rauheit der Stimme)
    #12499387  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

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    friedrich
    Die lustigen Prahlereien aus dem Hip Hop kenne ich als jemand, der in den 80er musikalisch sozialisiert wurde, natürlich – und wenn es nur darum ging, die tollsten Sneaker oder den dicksten Ghettoblaster zu haben. Ich fürchte, irgendwann wurde aus diesem Spiel aber Ernst und man ging statt mit Reimen tatsächlich mit der Knarre gegenseitig aufeinander los.

    das habe ich immer anders verstanden: vorher ging man mit waffen aufeinander los, dann erfand man dieses spiel. und es ging dann auch nicht um sneaker und ghettoblaster, sondern darum, dass die gereimten beleidigungen dazu führen, dass einer heult – d.h. das spiel des uneigentlichen nicht weiterspielen kann.

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