100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert

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  • #12496927  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    redbeansandriceJoe Thomas (tp) ist der lyrische, gedämpfte Trompeter aus der Generation, seine besten Sachen sind generell aus den frühen 40ern…

    Nie gehört. War wohl ein musicians musician und in den 50ern nicht mehr so aktiv.

    gypsy-tail-windHarry Edison natürlich auch. Buck Clayton in den Fünfzigern auch eine Option, aber der landete nicht bei Granz (schade eigentlich – gibt nur das Album mit Edison glaub ich). (…)

    Harry „Sweets“ Edison! ;-)

    vorgarten66

    SONGS FOR DISTINGUE LOVERS
    holiday, edison, webster, rowles, kessel, mitchell, stoller, granz, ? (3.-9.1.1957)

    Da ist „Sweets“ ja und mit ihm der von mir verehrte Ben Webster. Die Diskussion Shavers vs. Edison hatten wir hier schon mal und darüber habe ich Edison überhaupt erst kennengelernt. Kenne Distingue Lovers leider nicht, nur ein paar Stücke auf einer Compi. Muss ich mal wieder anhören.

    --

    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
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    #12496929  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    vorgarten68


    LANQUIDITY

    sun ra, gale, ray, gilmore, thompson, omoe, allen, jacson, pressley, disco kid, williams, williams, ali, anderson, artaukatune, atakatun odun, tyson, sun ra, blank (17.7.1978)

    Neil Young hat im Cover seiner famosen 3 LP-Retrospektive Decade von 1976 jeden Song kurz handschriftlich kommentiert. Zu dem schleppend langsamen Helpless von 1970 scheibt er: „Recorded in San Francisco about 4 AM when everybody got tired enough to play at my speed.“

    Ich kannte bisher weder die Entstehungsgeschichte von Lanquidity noch die Bedeutung des Titels. Ich mag das Album recht gern. Entspannt, schleppend groovend, mit den Gitarren und dem E-Piano in den 70ern angekommen, wenn auch 1978 ziemlich spät. Manchmal wird Lanquidity als Sun Ras Funk Album bezeichnet und mit Miles’ 70er Aufnahmen verglichen. Funky ist es aber doch eher unterschwellig, am ehesten noch auf dem Stück Where Pathways Meet und es ähnelt am ehesten noch Miles’ schwermütigem 30 Minuten Duke Ellington-Requiem He Loved Him Madly.

    Als ich Lanquidity heute gehört habe, habe ich diese Langsamkeit erstmals mit der Aufnahmesituation weit nach Mitternacht in Zusammenhang gebracht. Die Musiker schleppen sich träge durch das Programm und bremsen alles auf Zeitlupe runter. War diese Aufnahmesituation tatsächlich ungeplant und ungewollt? In den liner notes meiner CD schreibt executive producer Tom Buchler, dass das zeitlich eigentlich so verabredet war. Über den Tagesrhythmus und die Schlafgewohnheiten des Arkestras ist mir nichts bekannt. Angeblich herrschte dort auch ein Drogenverbot, aber wie weit das durchgesetzt wurde …

    Ist dieser Entschleunigungseffekt also gewollt oder ungewollt? Manchmal finde ich das reizvoll, da hat das eine Wirkung wie Seconal („beruhigend, angstlösend, krampflösend, atmungsdepressiv und blutdrucksenkend“). Wie im Halbschlaf und das Geflüster von Other Worlds wirkt wie in einem Traum. Manchmal bin ich mir aber auch nicht sicher, ob das so gut ist und habe den Eindruck, gleich schläft ein Musiker nach dem anderen über seinem Instrument ein, hört auf zu spielen und am Ende hört man, wie dem drummer die Stöcke aus den Händen fallen. Aber das Tonband läuft weiter und erst am nächsten Tag hört man verwundert, was man da in der letzten Nacht gespielt hat und fragt sich: Ist das gut oder ist das schlecht?

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    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
    #12496997  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,716

    friedrich
    Die Musiker schleppen sich träge durch das Programm und bremsen alles auf Zeitlupe runter. War diese Aufnahmesituation tatsächlich ungeplant und ungewollt? In den liner notes meiner CD schreibt executive producer Tom Buchler, dass das zeitlich eigentlich so verabredet war. Über den Tagesrhythmus und die Schlafgewohnheiten des Arkestras ist mir nichts bekannt.

    sun ra hat ja angeblich nie geschlafen. das ungeplante war wohl, dass man nicht wissen konnte, wer und wie viele der arkestra-mitglieder nach new york mitkommen würden, vielleicht sind auch dort noch leute dazugestoßen (wer z.b. ist der gitarrist „disco kid“?). buchler und toningenieur blank haben beide beschrieben, dass sun ra die ganze musik vor ort, in der situation, entworfen, arrangiert, geprobt und aufgenommen hat. und sie hatten eben nur diese nacht für die aufnahmen (und den nächsten tag für overdubs). und buchler schreibt, die meisten musiker mussten das tv-show-buffet sausen lassen, um frühzeitig, aber völlig ausgehungert, im studio zu sein. man muss das nicht romantisieren: das sind immer geschichten von mangelnden ressourcen, aber auch von kleinen explosionen der begeisterung.

    --

    #12497019  | PERMALINK

    jimmydean

    Registriert seit: 13.11.2003

    Beiträge: 3,650

    vorgarten@jimmydean kann man ja alles schnell bei wiki nachlesen: es sollte ursprünglich nur ein album geben. nach dem tod von la faro haben evans und keepnews erstmal eine auswahl zusammengestellt, die la faro in den mittelpunkt stellen sollte. WALTZ FOR DEBBY kam 1 jahr später, auch hier löst die auswahl die live-set-folge komplett auf. in den 80ern gab es noch ein drittes album auf milestone (MORE FROM THE VANGUARD), danach die komplettausgaben. alles ist von einem aufnahmetag, das engagement im vanguard lief aber insgesamt 2 wochen, der 25.6. war der letzte tag, an dem sie alle 5 sets spielen konnten, vorher waren sie vorband für lambert hendricks and ross. der club war nicht voll, was man ja auch hört. die ursprüngliche setlist, und wie die tracks auf die alben verteilt wurden, steht hier.

    @vorgarten… okay danke für  die info… den grossteil der alternativversionen habe ich eh auch auf den cds als bonustracks (nehme ich mal an)…

     

    --

    i don't care about the girls, i don't wanna see the world, i don't care if i'm all alone, as long as i can listen to the Ramones (the dubrovniks)
    #12497081  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    vorgarten

    friedrich
    Die Musiker schleppen sich träge durch das Programm und bremsen alles auf Zeitlupe runter. War diese Aufnahmesituation tatsächlich ungeplant und ungewollt? In den liner notes meiner CD schreibt executive producer Tom Buchler, dass das zeitlich eigentlich so verabredet war. Über den Tagesrhythmus und die Schlafgewohnheiten des Arkestras ist mir nichts bekannt.

    sun ra hat ja angeblich nie geschlafen. das ungeplante war wohl, dass man nicht wissen konnte, wer und wie viele der arkestra-mitglieder nach new york mitkommen würden, vielleicht sind auch dort noch leute dazugestoßen (wer z.b. ist der gitarrist „disco kid“?). buchler und toningenieur blank haben beide beschrieben, dass sun ra die ganze musik vor ort, in der situation, entworfen, arrangiert, geprobt und aufgenommen hat. und sie hatten eben nur diese nacht für die aufnahmen (und den nächsten tag für overdubs). und buchler schreibt, die meisten musiker mussten das tv-show-buffet sausen lassen, um frühzeitig, aber völlig ausgehungert, im studio zu sein. man muss das nicht romantisieren: das sind immer geschichten von mangelnden ressourcen, aber auch von kleinen explosionen der begeisterung.

    Er hat nicht nur nie geschlafen, er hat auch durchschaut, was den Kosmos im inneren zusammenhält. ;-) Jedenfalls schildert Buchler in den liner notes der CD, dass er mit Sun Ra die Organisation der Aufnahmesession vorab besprechen wollte, der aber stattdessen Monologe über Metaphysik und Kosmologie hielt. Dagegen ist die Planung einer Aufnahmesession natürlich nur Pipifax.

    Lanquidity wird etwas von dem Mythos überstrahlt, der sich um dieses Album rankt, finde ich. Ultra rare (Erstpressung geht für knapp € 2000 über den Tisch), unter obskuren Umständen entstanden und auf einem nicht weniger obskuren Label erschienen, erst Jahrzehnte später wiederveröffentlicht … Erwartet man das 70er Jazz-Funk Album, als das es manchmal bezeichnet wird (Rolling Stone: „Funk from outer space“), ist man jedenfalls erst mal irritiert, wenn man diese gedämpfte Zeitlupenmusik hört. Da rechnet man ja eher mit etwas im Stile von Herbie Hancocks Sextant. Lanquidity ist sicher ein gutes Album und auch etwas außergewöhnlch im Oeuvre von Sun Ra (aber was ist da nicht außergewöhnlich?), doch wenn ich sehe, dass Lanquidity eins von nur 2 Sun Ra-Alben in der RS-Liste ist, kann man über den Sinn dieser Wahl grübeln. Aber das ist müßig.

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    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
    #12497347  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,716

    friedrich
    Lanquidity wird etwas von dem Mythos überstrahlt, der sich um dieses Album rankt, finde ich. Ultra rare (Erstpressung geht für knapp € 2000 über den Tisch), unter obskuren Umständen entstanden und auf einem nicht weniger obskuren Label erschienen, erst Jahrzehnte später wiederveröffentlicht … Erwartet man das 70er Jazz-Funk Album, als das es manchmal bezeichnet wird (Rolling Stone: „Funk from outer space“), ist man jedenfalls erst mal irritiert, wenn man diese gedämpfte Zeitlupenmusik hört. Da rechnet man ja eher mit etwas im Stile von Herbie Hancocks Sextant. Lanquidity ist sicher ein gutes Album und auch etwas außergewöhnlch im Oeuvre von Sun Ra (aber was ist da nicht außergewöhnlich?), doch wenn ich sehe, dass Lanquidity eins von nur 2 Sun Ra-Alben in der RS-Liste ist, kann man über den Sinn dieser Wahl grübeln. Aber das ist müßig.

    das weißt du vielleicht mehr über den mythos als ich, mir war LANQUIDITY zu einer zeit begegnet, als ich einfach alles von sun ra aufgesogen habe, ohne tipps oder hintergrundwissen, und es ist bis heute mein lieblingsalbum geblieben, das ich auch unbedingt für diese liste nominiert hätte. mit den teuren erstpressungen ist das ja bei sun ra eine spezielle sache, hier z.b hat man schnell irgendwas für den verkauf beim nächsten konzert gepresst, in minderwertiger qualität, davon gibt es heute nur noch wenige, deshalb überteuerte exemplare, aber wenn es einem um die musik geht, braucht man die nachpressung oder ein remaster, das mit ruhe und geld nochmal mehr aus den originalbändern herausholt als die schnellschüsse von damals.

    weshalb mir – und vielleicht anderen auch – dieses album so gut gefällt, hat weniger mit den funk- oder elektronik-anteilen zu tun (da war sun ra ja immer schon sehr weit, hier beschränkt er sich ja fast ausschließlich auf ein 1978 nicht sonderlich spektakuläres e-piano, das er aber eigenwillig einsetzt), als mit der produktion, dem aufgeräumten klangbild, der album-haftigkeit (kein live-dokument, kein happening): irgenwie ist alles da, was das besondere, außerweltliche an seinem musikkonzept ausmacht, aber es kommt hier in der form einer traum-haften atmosphäre, mit etwas groove, ein paar hamonischen texturen und ehr schönen kurzen soli (von gilmore und allen hauptsächlich). alles nicht sehr spektakulär, aber am ende ein album wie kein anderes.

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    #12497357  | PERMALINK

    wahr

    Registriert seit: 18.04.2004

    Beiträge: 15,224

    vorgarten

    friedrich
    Lanquidity wird etwas von dem Mythos überstrahlt, der sich um dieses Album rankt, finde ich. Ultra rare (Erstpressung geht für knapp € 2000 über den Tisch), unter obskuren Umständen entstanden und auf einem nicht weniger obskuren Label erschienen, erst Jahrzehnte später wiederveröffentlicht … Erwartet man das 70er Jazz-Funk Album, als das es manchmal bezeichnet wird (Rolling Stone: „Funk from outer space“), ist man jedenfalls erst mal irritiert, wenn man diese gedämpfte Zeitlupenmusik hört. Da rechnet man ja eher mit etwas im Stile von Herbie Hancocks Sextant. Lanquidity ist sicher ein gutes Album und auch etwas außergewöhnlch im Oeuvre von Sun Ra (aber was ist da nicht außergewöhnlich?), doch wenn ich sehe, dass Lanquidity eins von nur 2 Sun Ra-Alben in der RS-Liste ist, kann man über den Sinn dieser Wahl grübeln. Aber das ist müßig.

    das weißt du vielleicht mehr über den mythos als ich, mir war LANQUIDITY zu einer zeit begegnet, als ich einfach alles von sun ra aufgesogen habe, ohne tipps oder hintergrundwissen, und es ist bis heute mein lieblingsalbum geblieben, das ich auch unbedingt für diese liste nominiert hätte. mit den teuren erstpressungen ist das ja bei sun ra eine spezielle sache, hier z.b hat man schnell irgendwas für den verkauf beim nächsten konzert gepresst, in minderwertiger qualität, davon gibt es heute nur noch wenige, deshalb überteuerte exemplare, aber wenn es einem um die musik geht, braucht man die nachpressung oder ein remaster, das mit ruhe und geld nochmal mehr aus den originalbändern herausholt als die schnellschüsse von damals.
    weshalb mir – und vielleicht anderen auch – dieses album so gut gefällt, hat weniger mit den funk- oder elektronik-anteilen zu tun (da war sun ra ja immer schon sehr weit, hier beschränkt er sich ja fast ausschließlich auf ein 1978 nicht sonderlich spektakuläres e-piano, das er aber eigenwillig einsetzt), als mit der produktion, dem aufgeräumten klangbild, der album-haftigkeit (kein live-dokument, kein happening): irgenwie ist alles da, was das besondere, außerweltliche an seinem musikkonzept ausmacht, aber es kommt hier in der form einer traum-haften atmosphäre, mit etwas groove, ein paar hamonischen texturen und ehr schönen kurzen soli (von gilmore und allen hauptsächlich). alles nicht sehr spektakulär, aber am ende ein album wie kein anderes.

    Als Freund langsamer Musik kann ich vorgarten nur zustimmen. Die Stimmung auf Lanquidity ist erhaben und von großer Gelassenheit. Ich kannte vom Album lange Zeit nur ein einziges Stück, nämlich das hypnotische „Where Pathways Meet“ (vom Sampler Brotherhood auf Luv’N’Haight) und war dann sehr erfreut über ein CD-Reissue von Lanquidity. Eines der Alben, wie etwa auch Lonnie Listen Smiths Expansions, die mir meine Furcht vor Fusion nahmen. Insofern für mich auch etwas sehr Besonderes.

    #12497387  | PERMALINK

    kingberzerk

    Registriert seit: 10.03.2008

    Beiträge: 2,217

    friedrich

    Ich kenne nur wenig von Miles nach 1975 und Tutu hatte ich bislang noch nie komplett gehört. Irgendwie kommt es mir aber trotzdem bekannt vor. Ich glaube das hörte man damals irgendwo in Bars oder Läden, vielleicht sogar im Radio, ohne dass ich mir dessen bewusst war.
    Wenn ich mir ein 80er Jahre Miles Davis-Pop Album wünschen dürfte: Liebe KI, erschaffe mir ein Miles Davis-Album, produziert von Rick Rubin, instrumentiert nur mit beats, bass, Metal-Gitarre und natürlich Miles‘ Trompete. Und bitte noch ein weiteres Album, produziert von Trevor Horn, nur mit Fairlight-Synthesizer und Miles‘ Trompete. So wie Trevor Horn das mit Grace Jones gemacht hat. „Ladies and Gentleman: Mister Miles Davis!“

    Das Comeback-Album „The Man with the Horn“ dürfte interessant für Dich sein. Zur Gitarre: „Fat Time“ ist ein Statement, das geblieben ist. Ich mag auch „Back Seat Betty“. Sind da nicht auch „In a Silent Way“-Zitate zu hören?

    Und zu „Ella Fitzgerald sings the Cole Porter Song Book“ – „Love for Sale“ war danach *ihr* Song, nicht mehr Cole Porters. So wie Bob Dylan über das ganz richtig über „All Along The Watchtower“ sagte. Es war Jimis Stück geworden.

    zuletzt geändert von kingberzerk

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    Tout en haut d'une forteresse, offerte aux vents les plus clairs, totalement soumise au soleil, aveuglée par la lumière et jamais dans les coins d'ombre, j'écoute.
    #12497925  | PERMALINK

    vorgarten

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    62



    AFRICA/ BRASS

    coltrane, little, hubbard, woodman, corrado, northern, swisshelm, watkins, bowman, buffington, greenlee, priester, barber, dolphy, bushell, patrick, tyner, workman, davis, jones, taylor, van gelder (23.5. & 7.6.1961)

    ich höre hier natürlich nur das originalalbum, africa, greensleeves, blues minor. die grundessenz des minimalistischen coltrane. wenige akkorde, ein ostinato aus zwei bässen, die quartalvoicings (die hier in den bläsersatz verlängert werden), die rollende quasi-latinfigur über beckenrand, toms und ridebeckenzentrum. dazwischen bewegt sich coltrane im kontrollierten kippen und verschmieren von melodielinien, die ihm nie wegrutschen, aber das wegrutschen durchweg ansteuern. in der folksongbearbeitung dazu wieder der effektvolle wechsel von dur und moll. da ist kein afrika, keine englische renaissance, vielleicht noch nicht mal blues. das ist jazz-minimalismus aus vielen ikonischen elementen, individuell und kollektiv entwickelt und dann beim neuen label abgesetzt. heute ein wohlfühlsound, man entdeckt nichts neues mehr, man hört es immer wieder gleich, aber man ist sofort eingehüllt und aufgewärmt. wie frisch das damals klang, kann ich nicht mehr rekonstruieren, ich kann es mir nur vorstellen. heute ist das ein museum, das man mindestens ein mal im jahr besucht.

    --

    #12498189  | PERMALINK

    vorgarten

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    61


    SONNY MEETS HAWK!

    rollins, hawkins, bley, cranshaw, grimes, mccurdy, avakian, pomeroy (15.&18.7.1963)

    mit ausrufezeichen im titel war man zu dieser zeit nicht sparsam, aber diese wunderbar bekloppten aufnahmen haben es verdient – nicht wegen des aufmerksamkeitserregenden intergenerationalen gipfeltreffens (father vs. boss of the tenor), sondern schlicht wegen dem, was sie hier tun. und das hat auch nichts mit den (vielen!) schiefen tönen zu tun, die hier produziert werden, sondern mit dem lässigen umgang mit dem freigeist, wir hören eine lehrstunde im aushalten von ambivalenzen, und dazu kann man ja auch „jazz“ sagen. rollins und hawkins und bley und grimes (und cranshaw und mccurdy, denen man wohl eher bescheinigt, dass sie hier einen guten job machen) setzen den zug erstmal neben die gleise und schauen, ob er rein findet. und wenn er läuft (wie im closer „at mckies'“), dann übefahren sie die weichen, schlagen mit dem notfallhammer die scheiben ein, pflücken bei voller fahrt blumen und betrachten von der schiefen bahn aus den sonnenuntergang. ich sehe jedesmal den schwitzenden produzenten vor mir, der eigentlich eine klassische produzenten-idee hatte (das schiefe newport-zusammentreffen der beiden nochmal unter ordentlichen bedingungen zu veredeln) und sich plötzlich einer noch experimentelleren situation im studio gegenüber sah, der nur mit eingriffen und montage beizukommen war – menschen, die die gesamten sessionbänder gehört haben, berichten ja, dass coleman hawkins auf den nicht-veröffentlichten momenten noch wilder und schiefer spielt.

    also was passiert hier? in der heiligen trias der jazzballaden (yesterdays, summertime und loverman) rasseln die sounds aneinander, in den swingnummern kommt ein störrisches klavier dazu, zwischen den statements pausen – weil nicht klar ist, wer weitermacht, aber für uns sind das heute die momente, in denen wir einmal kurz verdauen können, mit den ohren schlackern und whatthefuck sagen. viel wird über das ende von „lover man“ geschrieben, die falsettbewegung von rollins an die grenze des hörbaren, zu der hawkins ein gänsehautklassisches thema wiederholt – aber ich mag tatsächlich „at mckies'“ gerade nochmehr, wo auch der drummer mccurdy den swing in etwas offen halsbrecherisches überführt, hawkins abstrakter soliert als rollins, bley dazwischen eine weitere weiche überfährt und grimes so trocken walkingbass spielt, dass man ihn quasi nur noch ironisch wahrnehmen kann. die fallen alle nicht aus der rolle (auch hawkins nicht, wie man bei roach & lincoln weiterverfolgen kann), sondern bleiben bei sich. lieblingsalbum.

    --

    #12498193  | PERMALINK

    atom
    Moderator

    Registriert seit: 10.09.2003

    Beiträge: 21,881

    Oh, großartig – Sonny Meets Hawk! ist mir bisher irgendwie durchgerutscht. Jetzt bin ich umso neugieriger darauf.

    --

    Hey man, why don't we make a tune... just playin' the melody, not play the solos...
    #12498257  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,716

    es gibt so momente, wo ich denke, jetzt ist das echt übers ziel hinaus geschossen. aber ich find auch toll, dass es mich jedes Mal wieder überfordert.

    --

    #12498519  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 5,160

    wahr

    vorgarten

    das weißt du vielleicht mehr über den mythos als ich, mir war LANQUIDITY zu einer zeit begegnet, als ich einfach alles von sun ra aufgesogen habe, ohne tipps oder hintergrundwissen, und es ist bis heute mein lieblingsalbum geblieben, das ich auch unbedingt für diese liste nominiert hätte. mit den teuren erstpressungen ist das ja bei sun ra eine spezielle sache, hier z.b hat man schnell irgendwas für den verkauf beim nächsten konzert gepresst, in minderwertiger qualität, davon gibt es heute nur noch wenige, deshalb überteuerte exemplare, aber wenn es einem um die musik geht, braucht man die nachpressung oder ein remaster, das mit ruhe und geld nochmal mehr aus den originalbändern herausholt als die schnellschüsse von damals.
    weshalb mir – und vielleicht anderen auch – dieses album so gut gefällt, hat weniger mit den funk- oder elektronik-anteilen zu tun (da war sun ra ja immer schon sehr weit, hier beschränkt er sich ja fast ausschließlich auf ein 1978 nicht sonderlich spektakuläres e-piano, das er aber eigenwillig einsetzt), als mit der produktion, dem aufgeräumten klangbild, der album-haftigkeit (kein live-dokument, kein happening): irgendwie ist alles da, was das besondere, außerweltliche an seinem musikkonzept ausmacht, aber es kommt hier in der form einer traum-haften atmosphäre, mit etwas groove, ein paar hamonischen texturen und sehr schönen kurzen soli (…). alles nicht sehr spektakulär, aber am ende ein album wie kein anderes.

    Als Freund langsamer Musik kann ich vorgarten nur zustimmen. Die Stimmung auf Lanquidity ist erhaben und von großer Gelassenheit. Ich kannte vom Album lange Zeit nur ein einziges Stück, nämlich das hypnotische „Where Pathways Meet“ (vom Sampler Brotherhood auf Luv’N’Haight) und war dann sehr erfreut über ein CD-Reissue von Lanquidity. Eines der Alben, wie etwa auch Lonnie Listen Smiths Expansions, die mir meine Furcht vor Fusion nahmen. Insofern für mich auch etwas sehr Besonderes.

    Niemand hat die Absicht, Lanquidity schlecht zu machen oder jemandem die Freude daran zu nehmen! ;-)

    Ich habe Lanquidity schon lange, aber auch lange nicht mehr gehört. Anlässlich der Erwähnung hier habe ich mal ein bisschen recherchiert und festgestellt, dass das Album oft nicht nur hoch gelobt, sondern im gleichen Atemzug teilweise irreführend beschrieben wird. „Meilenstein des Fusion“ oder eben „Funk from outer space“. Das liest sich spektakulär, die Musik ist aber gar nicht so spektakulär. Da passen in meinen Ohren Zuschreibungen und Hörerlebnis nicht so recht zusammen. Dass Lanquidity ultra rare ist bzw. war, wird auch ganz gerne mal betont – obwohl das tatsächlich für viele Sun Ra-Aufnahmen gilt. Das irritiert und gegen so einen Hype hat es jede Musik schwer. Aber das alles mindert natürlich nicht die Qualität von Lanquidity, die aber nicht im Sensationellen und Spektakulären liegt sondern eher in der „Erhabenheit und Gelassenheit“.

    Man kann danach übrigens sehr schön gelassen mit Sun Ras Sleeping Beauty von 1979 weiterhören.

    Furcht vor Fusion ist oft unbegründet, wahr. Wobei ich Lanquidity aber auch nur bedingt dort einordnen würde.

    --

    “There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)
    #12498523  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 14,067

    Ich hab mir Lanquidity heute morgen auch angehört, es ist einzigartig, es ist super, und es ist ohne Funk und Fusion undenkbar, aber… 99.99% aller Fusion und Funk Alben wurden ohne Lanquidity exakt genauso klingen… Und ja, die Langsamkeit und Müdigkeit sind ziemlich einzigartig… Insofern ist vorgartens Text sicher näher an der Sache als „Meilenstein des Funk“

    --

    .
    #12498525  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,712

    vorgarten@gypsy-tail-wind: danke, die irritation teile ich natürlich. 63
    […]

    Solltest du nicht. Ich lese hier als absoluter Jazz-Analphabet sehr gerne mit und lerne kräftig dazu. Die mir bekannten Alben werden wohl naturgemäß erst später dran kommen, aber bin von Gedanken, Informationen und Meinungen zu den bisherigen Alben schwer begeistert, großartige Texte!

    --

    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
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