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SONNY MEETS HAWK!
rollins, hawkins, bley, cranshaw, grimes, mccurdy, avakian, pomeroy (15.&18.7.1963)
mit ausrufezeichen im titel war man zu dieser zeit nicht sparsam, aber diese wunderbar bekloppten aufnahmen haben es verdient – nicht wegen des aufmerksamkeitserregenden intergenerationalen gipfeltreffens (father vs. boss of the tenor), sondern schlicht wegen dem, was sie hier tun. und das hat auch nichts mit den (vielen!) schiefen tönen zu tun, die hier produziert werden, sondern mit dem lässigen umgang mit dem freigeist, wir hören eine lehrstunde im aushalten von ambivalenzen, und dazu kann man ja auch „jazz“ sagen. rollins und hawkins und bley und grimes (und cranshaw und mccurdy, denen man wohl eher bescheinigt, dass sie hier einen guten job machen) setzen den zug erstmal neben die gleise und schauen, ob er rein findet. und wenn er läuft (wie im closer „at mckies'“), dann übefahren sie die weichen, schlagen mit dem notfallhammer die scheiben ein, pflücken bei voller fahrt blumen und betrachten von der schiefen bahn aus den sonnenuntergang. ich sehe jedesmal den schwitzenden produzenten vor mir, der eigentlich eine klassische produzenten-idee hatte (das schiefe newport-zusammentreffen der beiden nochmal unter ordentlichen bedingungen zu veredeln) und sich plötzlich einer noch experimentelleren situation im studio gegenüber sah, der nur mit eingriffen und montage beizukommen war – menschen, die die gesamten sessionbänder gehört haben, berichten ja, dass coleman hawkins auf den nicht-veröffentlichten momenten noch wilder und schiefer spielt.
also was passiert hier? in der heiligen trias der jazzballaden (yesterdays, summertime und loverman) rasseln die sounds aneinander, in den swingnummern kommt ein störrisches klavier dazu, zwischen den statements pausen – weil nicht klar ist, wer weitermacht, aber für uns sind das heute die momente, in denen wir einmal kurz verdauen können, mit den ohren schlackern und whatthefuck sagen. viel wird über das ende von „lover man“ geschrieben, die falsettbewegung von rollins an die grenze des hörbaren, zu der hawkins ein gänsehautklassisches thema wiederholt – aber ich mag tatsächlich „at mckies'“ gerade nochmehr, wo auch der drummer mccurdy den swing in etwas offen halsbrecherisches überführt, hawkins abstrakter soliert als rollins, bley dazwischen eine weitere weiche überfährt und grimes so trocken walkingbass spielt, dass man ihn quasi nur noch ironisch wahrnehmen kann. die fallen alle nicht aus der rolle (auch hawkins nicht, wie man bei roach & lincoln weiterverfolgen kann), sondern bleiben bei sich. lieblingsalbum.
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