Antwort auf: 100 beste Jazzalben des Rolling Stone, kommentiert

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friedrich

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vorgarten68


LANQUIDITY

sun ra, gale, ray, gilmore, thompson, omoe, allen, jacson, pressley, disco kid, williams, williams, ali, anderson, artaukatune, atakatun odun, tyson, sun ra, blank (17.7.1978)

Neil Young hat im Cover seiner famosen 3 LP-Retrospektive Decade von 1976 jeden Song kurz handschriftlich kommentiert. Zu dem schleppend langsamen Helpless von 1970 scheibt er: „Recorded in San Francisco about 4 AM when everybody got tired enough to play at my speed.“

Ich kannte bisher weder die Entstehungsgeschichte von Lanquidity noch die Bedeutung des Titels. Ich mag das Album recht gern. Entspannt, schleppend groovend, mit den Gitarren und dem E-Piano in den 70ern angekommen, wenn auch 1978 ziemlich spät. Manchmal wird Lanquidity als Sun Ras Funk Album bezeichnet und mit Miles’ 70er Aufnahmen verglichen. Funky ist es aber doch eher unterschwellig, am ehesten noch auf dem Stück Where Pathways Meet und es ähnelt am ehesten noch Miles’ schwermütigem 30 Minuten Duke Ellington-Requiem He Loved Him Madly.

Als ich Lanquidity heute gehört habe, habe ich diese Langsamkeit erstmals mit der Aufnahmesituation weit nach Mitternacht in Zusammenhang gebracht. Die Musiker schleppen sich träge durch das Programm und bremsen alles auf Zeitlupe runter. War diese Aufnahmesituation tatsächlich ungeplant und ungewollt? In den liner notes meiner CD schreibt executive producer Tom Buchler, dass das zeitlich eigentlich so verabredet war. Über den Tagesrhythmus und die Schlafgewohnheiten des Arkestras ist mir nichts bekannt. Angeblich herrschte dort auch ein Drogenverbot, aber wie weit das durchgesetzt wurde …

Ist dieser Entschleunigungseffekt also gewollt oder ungewollt? Manchmal finde ich das reizvoll, da hat das eine Wirkung wie Seconal („beruhigend, angstlösend, krampflösend, atmungsdepressiv und blutdrucksenkend“). Wie im Halbschlaf und das Geflüster von Other Worlds wirkt wie in einem Traum. Manchmal bin ich mir aber auch nicht sicher, ob das so gut ist und habe den Eindruck, gleich schläft ein Musiker nach dem anderen über seinem Instrument ein, hört auf zu spielen und am Ende hört man, wie dem drummer die Stöcke aus den Händen fallen. Aber das Tonband läuft weiter und erst am nächsten Tag hört man verwundert, was man da in der letzten Nacht gespielt hat und fragt sich: Ist das gut oder ist das schlecht?

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“There are legends of people born with the gift of making music so true it can pierce the veil between life and death. Conjuring spirits from the past and the future. This gift can bring healing—but it can also attract demons.”                                                                                                                                          (From the movie Sinners by Ryan Coogler)