Rezeptionsverhalten und -möglichkeiten in den 1960er und frühen 70er Jahren

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  • #3940037  | PERMALINK

    norbert

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 2,169

    Viele der angeblichen Kultbands aus den 60ern sind damals auch an mir vorbeigegangen. The Seeds, The 13th Floor Elevators und die meisten „Nugget-Bands“ habe ich erst ab Mitte der 70er – Anfang der 80er Jahre registriert. Ich glaube, viele Songs die mir heute gefallen, hätten mir im Alter von 16 oder 17 Jahren nicht gefallen.
    Des weiteren glaube ich, dass ich mit dem Material zufrieden war, das mich über die einschlägigen Sendungen oder durch Mund zu Mund Propaganda erreichte. Tonträger von diesen Gruppen zu besitzen, schien mir erstrebenswert. Es blieben jedoch für eine lange Zeit nur Wunschträume. Vielleicht hätte ich sogar die Möglichkeit gehabt mir umfassendere Informationen zu beschaffen. Evtl. wollte ich unbewusst einen „Information Overload“ vermeiden.
    Heute nutzen sich neuere Songs bei mir schneller ab. Das ist so eine Art „Juicy-Fruit-Effekt“. Der Kaugummi ist auch schnell ausgeknautscht. Ich muss heute einach schneller neue Tonträger nachschieben. Da ich heute auch erkenne, was ich früher versäumt habe, gibt es da eine „Angst“ wichtige Veröffentlichungen zu verpassen.

    In den frühen Siebziger Jahren gründeten sich meine Kaufanregungen dann aus dem, was gerade in meiner Stamm-Disco gespielt wurde. So ab 1972 war ich dann Sounds-Leser. Hier machten mich die Rezensionen und Artikel über Interpreten dann neugierig. Die so ausgewählten Platten habe ich dann in den Plattenläden zur Probe gehört.

    Dylan war mir natürlich auch seit den 60ern bekannt. Seine Musik hat mich aber damals nicht berührt. Texte waren für mich nicht so wichtig wie vordergründige Soundeffekte. Natürlich fand ich Texte gut, in denen ich einen Bezug zu meinem damaligen Leben finden konnte ( Powerplay – Steppenwolf, Morning Sun – Taste, Sinner Boy – Rory Gallagher, Love In Vain…) – das funktionierte aber nur, wenn mir auch die Musik dazu gefiel.

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    Blog: http://noirberts-artige-fotos.com Fotoalbum: Reggaekonzerte im Berlin der frühen 80er Jahre http://forum.rollingstone.de/album.php?albumid=755
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    #3940039  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    Norbert, ich glaube wenn wir uns mal wieder zufällig auf einem Konzert oder im Plattenladen treffen, sollten wir mal ein Bier zusammen trinken und uns unterhalten. Vieles aus Deinem letzten Post kann ich gut nachvollziehen. Zum Teil ging es mir ähnlich.
    Und, Imposter, klar ZIP war auch für mich der Nummer Eins Plattenladen damals. Vielen Empfehlungen von Tommy und Ehres bin ich gefolgt. Allerdings gab es bei mir auch immer so Schübe. Manchmal hab ich mich monatelang nicht um neue Platten gekümmert. Und ich hab z.T. auch per Mail Order gekauft. Von Sundown z.B. und später von Groover’s Paradise.

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    #3940041  | PERMALINK

    wolfen

    Registriert seit: 01.10.2004

    Beiträge: 1,716

    Teenagerjahre in den 70ern. Die 60er waren immer noch sehr präsent. Die Radiolandschaft meist in Mono und sehr übersichtlich. SWF3 ging da irgendwann an den Start und Frank Laufenberg war Gott. Ich saß vor dem Nordmende aus 1964 mit 2 Lautsprechern vorne, 2 in der Seite und vielen Knökpes. Samstag Abend und Sonntag war regelmäßig Aufnahmesession mit Cassettenrecorder und DIN-Würfelstecker (ja, der Nordmende hatte sowas. Da musste man nicht mehr ein Micro vor die Lautsprecher hängen)
    Man wartete und wartete auf ABBA und Dancing Queen, auf Suzie Allrad und „In Zaire“ von Mr. Wakelin.
    Karl Douglas zelebrierte sein Kung Fu und Mungo Jerry jagte Lady Rose In The Summertime.
    Dazwischen wurden fleißig K-Tel Platten getauscht, man kaufte sich vom letzten Taschengeld einen 5er Packen Cassetten oder eine Tonbandspule von BASF.
    Fast alle aus unseren diversen „Cliquen“ hatten in ihren Elternhäusern viele Kellerräume. Eigentlich nichts besonderes, aber besonders war, was wir aus vielen Kellerräumen machten. Das gefiehl wiederum unseren Eltern oft überhaupt nicht. Mutter konnte keine Wäsche mehr aufhängen, weil die Wände mit Postern tapeziert waren und die sich bei der Feuchtigkeit wellten und kaputt gingen. Es war schwierig, sowas Mutter beizubringen. Vor allem, weil sie die Beatles immer noch für Rebellen hielt und beim Anblick von Gary Glitter schon Schüttelfrost bekam.
    Auf dem platten Land war es damals sehr schwierig, in die Gefilde einzutauchen, die man heute als „Indie“ oder „Underground“ bezeichnen mag. Also blieb es weitestgehend bei den gängigen Sachen und damit hatten wir eigentlich auch mehr als genug zu tun. Das Taschengeld war knapp und die schwarzen Scheiben auch schon verdammt teuer. Das Internet lag in weiter Zukunft und wir wünschten uns von Frank Laufenberg Songs per Postkarte an SWF3.
    Hannes Wader (unser damaliger Lieblingsbürgerschreck) wurde im Radio boykottiert und unsere Eltern wurden beim „Tankerkönig“ rasend. Wir verstanden kaum English und Gott sei Dank unsere Eltern noch weniger, sonst wäre Alice Cooper im Mülleimer gelandet und wir hätten Kellerverbot bekommen.
    Dann, gegen Ende der 70er, ging es rasend schnell. Die BeeGees und ein gewisser Herr Travolta mischten bei uns alles auf. Zu dieser Zeit hörte ich Deep Purple, Rainbow, Saxon und ähnliches Zeug. Aber insbesondere alle Mädels standen wie blöde auf diesen pomadigen Travolta und tanzten plötzlich anstatt das zu machen, was man heute als „Headbanging“ bezeichnet. Das war ein Schock, weil wir Buben zwar headbangen konnten, aber tanzen war absolut uncool. Die Mädels forderten, daß wir in die Disco gingen. Wir wollten aber nicht in die Disco und schwul rumtanzen und den Travolta machen. Wir wollten in die Keller, Apfelkorn und Cola-Cognac trinken, qualmen, knutschen und Jethro Tull und die frühen Genesis hören. Wir hatten ein riesiges Problem. Cliquen lösten sich auf, es wurde miteinander „Schluss gemacht“, die letzten Räucherstäbchen brannten runter und die Keller verwaisten. Die Bravo-Starschnitte wurden entfernt, die Wände waren wieder weiß (bzw. gelb und fleckig) und Mutter konnte endlich wieder Wäsche aufhängen.
    Das waren so ganz grob meine musikalischen 70er, schön waren sie und ich bin auch kein bisschen darüber traurig, daß ich weder die Sex Pistols noch die sonstigen Punk-Anfänge wirklich erlebte. Dafür waren Disco, Travolta, BeeGees, Donna Summer, Isaac Hayes und ein paar andere einfach zu mächtig. Man gewöhnte sich sogar daran, vor allem, weil man es sich ja nicht komplett mit den Mädels versauen wollte.

    --

    [kicks sagt:] ( schon alleine dass da keine Nüsse drin sind zeigt dass es ein allgemeiner check is )
    #3940043  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 87,234

    Wolfenund beim Anblick von Gary Glitter schon Schüttelfrost bekam.

    … und wie recht Mutter Wolfen in diesem Fall hatte :zitter:.
    Sehr schöner Bericht und ein nachträgliches Lob an Eure Mädels, die Euch weggelotst haben zur besseren und relevanteren Musik der 70er – jedenfalls im Vergleich zu dieser Rockmucke, die Jungs damals bevorzugten. Punk haben „wir“, also die um 1970 Geborenen, ja alle erst nachträglich mitbekommen und im Nachhinein passen Punk und Disco auch prima zusammen.

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    #3940045  | PERMALINK

    wolfen

    Registriert seit: 01.10.2004

    Beiträge: 1,716

    Herr Rossi: alles ist relativ und die Rockmucke, die die meisten Jungens damals hörten, war einfach in unseren Ohren saugut.
    Was in dieser Zeit (zumindest in der Provinz) auch feststellbar war: sehr vieles kam zum Teil mit gut 1 Jahr verspätet in den „Cliquen“ an. Die Zeit damals war wesentlich weniger schnelllebig und ne Menge Musik aus so ab Mitte der 60er wurde überhaupt nicht als „alt“ oder als Oldie-Musik angesehen. Zum Beispiel „The Who Sell Out“ oder „Beggars Banquet“ waren auch in den 70ern immer noch frisch, obwohl sie da schon ein paar Jährchen auf dem Buckel hatten.
    Was ich so im Rückblick noch feststellen kann: die Möglichkeiten der Information über vieles an Musik abseits des Mainstream war nur sporadisch vorhanden, jedenfalls in meinen damaligen Kreisen. Die Discos und Musikschuppen in den Städtchen machten zu dieser Zeit wenig bis keine Experimente. Vieles, was man vielleicht aus heutiger Sicht dem damaligen Mainstream zuordnen möchte, empfanden wir in dieser Zeit wirklich als „indie“. Die gesamte Musiklandschaft war überschaubarer, der Kommerz gegenüber heute betrachtet steckte eigentlich in den Kinderschuhen. In unserer Stammdisco z.B. wurden die Sex Pistols oder andere Punk-Music praktisch gar nicht gespielt, sie hatten gegen die Saturday-Night-Welle einfach keine Chance. Das Kontrastprogramm zu Travolta und Co. bestand meist aus Toto, John Myles, Genesis, Jethro Tull oder damaligem Heavy Metal-Zeug wie (immer noch) Deep Purple, Saxon, Whitesnake oder den frühen SAGA.
    Es mag auch wiederum in größeren Städten mit wesentlich umfangreicherem musikalischen Background oder gewissen Subkulturen ganz anderes gewesen sein. Das vermag ich auch im Rückblick kaum zu beurteilen, weil ich -wie gesagt- in dieser Zeit ein Provinzei war. ;-)
    Die (musikalische) Welt war einfach kleiner und kaum jemand konnte es sich mit 16 oder 17 Jahren auch leisten, zu Konzerten nach Frankfurt, Düsseldorf, Köln oder wohin auch immer zu fahren bzw. in den größeren musikalischen Kulturzentren „Underground“ zu schnuppern. Wir waren wesentlich weniger mobil als gerade in der heutigen Zeit. Alleine von daher war unser musikalischer Horizont in den Dörfchen und Städtchen in aller Regel schon ziemlich eingeschränkt.

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    [kicks sagt:] ( schon alleine dass da keine Nüsse drin sind zeigt dass es ein allgemeiner check is )
    #3940047  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 87,234

    WolfenHerr Rossi: alles ist relativ und die Rockmucke, die die meisten Jungens damals hörten, war einfach in unseren Ohren saugut.

    Klar, das eine oder andere davon mag ich ja auch und mochte es auch damals schon, aber in Realschulzeiten standen mein bester Freund und ich mit unserer „Spasti“-Musik („Spasti“ war damals das Schimpfwort überhaupt) der Rock-Fraktion allein gegenüber, das prägt halt.

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    #3940049  | PERMALINK

    allman

    Registriert seit: 10.10.2005

    Beiträge: 2,343

    naja – alles war auchnicht gold was glänzt
    ich kann mich schon an manche konzerte erinnern die schlecht waren
    der soundcheck stimmte hinten und vorne nicht oder die musiker waren grade schlecht drauf
    die Stones in der O-halle z.b. da hatte ich danach zwar magenschmerzen weil die bässe so übersteuert waren dass einem die leber geschwollen ist
    aber sonst war nich viel – da musste man und konnte es noch – über die absperrungen hüpfen um sich genau den platz zu suchen – wo der sound gut kam
    da ist heute die technik schon sehrviel besser

    --

    #3940051  | PERMALINK

    thomlahn

    Registriert seit: 11.11.2003

    Beiträge: 8,143

    Herr Rossi… und im Nachhinein passen Punk und Disco auch prima zusammen.

    Das musst Du aber bitte nochmal näher erläutern.

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    ?
    #3940053  | PERMALINK

    krautathaus

    Registriert seit: 18.09.2004

    Beiträge: 26,166

    Herr Rossi und im Nachhinein passen Punk und Disco auch prima zusammen.

    Das mußt Du vor allem Marcus erklären.:lach:

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    “It's much harder to be a liberal than a conservative. Why? Because it is easier to give someone the finger than a helping hand.” — Mike Royko
    #3940055  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 87,234

    thomlahnDas musst Du aber bitte nochmal näher erläutern.

    Für mich sind das die beiden Strömungen, die in der zweiten Hälfte der 70er den Pop gerettet haben, als der jugendliche Musikhörer vor allem dinosaurierhaften Rockbands huldigte, die auf Live- und Konzept-Alben vor allem ihre musikalische Kunstfertigkeit zur Vorführung brachten. Das ist jetzt sehr holzschnittartig, aber so ungefähr stimmt es. Damals haben Punk-Fans Disco-Musik verachtet, das ist klar. Vor allem Blondie haben aber schon damals gezeigt, das beide Richtungen tatsächlich hervorragend zusammenpassen. Im Pop der 80er ist dann beides aufgegangen.

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    #3940057  | PERMALINK

    wolfen

    Registriert seit: 01.10.2004

    Beiträge: 1,716

    Herr RossiFür mich sind das die beiden Strömungen, die in der zweiten Hälfte der 70er den Pop gerettet haben, als der jugendliche Musikhörer vor allem dinosaurierhaften Rockbands huldigte, die auf Live- und Konzept-Alben vor allem ihre musikalische Kunstfertigkeit zur Vorführung brachten. Das ist jetzt sehr holzschnittartig, aber so ungefähr stimmt es. Damals haben Punk-Fans Disco-Musik verachtet, das ist klar. Vor allem Blondie haben aber schon damals gezeigt, das beide Richtungen tatsächlich hervorragend zusammenpassen. Im Pop der 80er ist dann beides aufgegangen.

    Stimmt, Punker haben Discogänger und deren Musik verachtet und umgekehrt genauso. Ich erinnere mich, daß in der Stammdisco meines damaligen Heimatstädtchens eine Punkergemeinde Fuß fassen wollte. Ging nicht und es kam sogar ab und an zu gewissen Handgreiflichkeiten. Einige von denen kamen sogar mit den damals berühmten Ratten auf den Schultern in die Disco, wollten Velvet Underground und The Ramones hören. Wir versuchten, diese „Müllgestalten“ zu ignorieren, das funktionierte aber nicht, sie waren ziemlich penetrant.
    Was folgte, war die einzige kurze Subkultur im Städtchen, sie okkupierten ein 2 Strassen weiter gelegenes Jugendzentrum und bauten es zu einem Rotz- und Protestversammlungsort gegen alles und jeden aus, hielten sich an keine Sperrstunde und machten „friedliche Bürger“ an. Der öffentliche Träger des Jugendzentrums machte dem Spuk jedoch nach einem knappen Jahr ein Ende, und die Renovierungskosten waren wohl ziemlich horrend. ;-)
    Wir Disco-Fritzen (die ja eigentlich fast nur der Mädels wegen und auch wegen des gewissen Kontrastprogrammes in der Disco waren) empfanden Punk-Music als Krach und akustische Umweltverschmutzung. Und wir konnten mit dem oft agressiven Protestgehabe der Punks gar nix anfangen und umgingen das Jugendzentrum in der Regel weiträumig.
    Aber ob diese punkigen Jungs und Mädels jemals Blondie hörten, wage ich zu bezweifeln. ;-) Debbie Harry war für die sicher kein Thema.

    --

    [kicks sagt:] ( schon alleine dass da keine Nüsse drin sind zeigt dass es ein allgemeiner check is )
    #3940059  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,711

    Für mich schon, immer. Immer noch.
    Aber damit war ich in meiner Clique die Ausnahme. Vieles von dem,was Wolfen erzählt, kommt mir bekannt vor – nächster Faktor, der in die musikalische Sozialisation hineinspielt: Großstadt oder Provinz.
    Aber ich finde das auch logisch. In den 70er Jahren (spätestens mit Punk) spaltet sich die Jugend auf in verschiedene Subkulturen (und das werden in den 80ern noch mehr) – wenn man nicht in der Großstadt lebt, ist es doch eher schwer, in andere Gruppen hineinzukommen. Man schließt sich also den vorhandenen Mehrheiten an, auch bei mir war das Hard Rock (Purple und Epigonen vor allem, weniger Led Zep, oder eben „Radio“ [=Disco]).

    Um das mal versuchsweise auf eine theoretische Basis zu stellen: in der Wahlforschung gibt es Gegensatzpaare, an denen entlang sich Wahlentscheidungen festmachen lassen, Hauptreligion < -> Nebenreligion, Kapital < -> Arbeit etc
    Kann man sowas auch für die musikalische Sozialisation finden?
    Interesse an Musik < -> Kein Interesse (das „Finden“ von Bands)
    Jugend vor 1970 < -> Nach 1970 (Jugend- und Subkulturen)
    Mediendichte < -> Piratensender
    und eben:
    Großstadt < -> Provinz

    Weitere fallen mir jetzt erstmal nicht ein…

    --

    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #3940061  | PERMALINK

    wolfen

    Registriert seit: 01.10.2004

    Beiträge: 1,716

    Zum Thema Großstadt / Provinz:
    Ich bleibe einfach bei den 70ern, weil ich in den 60ern zeitweilig noch in die Windeln machte und ich dieses Jahrzehnt musikalisch nicht oder mit gewisser Verzögerung erlebte.
    In „meiner“ Provinz gab es praktisch keine Amateurbands oder eine Art von halbprofessionellen Bands im Bereich Rock-Pop-Punk. Ab irgendwann Mitte der 80er bis heute ist das ganz anders. Es tummeln sich Hunderte solcher Bands in Hunderten von Clubs.
    Das damals maßgebliche und von uns gekaufte Musikblatt BRAVO behandelte „Indie“-Themen sehr stiefmütterlich. Ausnahmen (z.B. gerade die Sex Pistols) bestätigten diese Regel. An andere „intelligentere“ Blätter kamen wir größtenteils entweder nicht heran, oder sie interessierten nicht. Subkulturen führten in der Provinz ein totales Nischendasein, was sicherlich auch mit viel kleinbürgerlich-provinzieller Lebensart vieler Jugendlicher einher ging. Musik hatte nach meiner persönlichen Wahrnehmung einen anderen Stellenwert: sie war oft schlicht Mittel zum Zweck, um dazu zu gehören, Partys zu feiern oder Eindruck zu schinden. Man beschäftigte sich damals im Alter zwischen vielleicht 15 und 20 Jahren in überwiegender Masse nicht in der Art und Weise mit Musik, wie es sehr oft bei Gleichaltrigen heute der Fall ist. Tiefschürfendere Diskussionen wie z.B. in der heutigen Zeit und mit den Möglichkeiten im Internet fanden praktisch kaum statt.
    Bis Mitte der 70er war ich ein einziges Mal in einer Großstadt (Köln). Und das war eine simple Klassenfahrt. Das gleiche galt praktisch für meine gesamte damalige „Clique“ bzw. meinen heimischen Jahrgang in der Schule. Und ich wage zu behaupten, daß es in den Nachbarorten oder -städtchen nicht wesentlich anders war. Es sei denn, man hatte gut betuchte Eltern, die gleichzeitig noch die in den 70ern nicht gerade verbreitete Toleranz aufbrachten, ihre Sprösslinge auch einmal etwas abseitige Wege gehen zu lassen.

    Und jetzt wäre es interessant zu erfahren, wie und in welcher Art ein in den 60ern oder 70ern aufgewachsener Großstadtmensch (oder besser: Großstadtteenager) die musikalische Welt sah und / oder erlebte.

    --

    [kicks sagt:] ( schon alleine dass da keine Nüsse drin sind zeigt dass es ein allgemeiner check is )
    #3940063  | PERMALINK

    mikko
    Moderator
    Moderator / Juontaja

    Registriert seit: 15.02.2004

    Beiträge: 34,399

    @latho

    Deine Gegensatzpaare Jugend vor 1970 <> Jugend nach 1970 und Mediendichte <> Piratensender verstehe ich nicht so recht.

    @wolfen

    Das was Du für die Provinz in den 70ern beschreibst traf ja doch für die meisten Jugendlichen auch in den Großstädten zu. Das Radio war ja zunächst mal überall gleich gut zu empfangen. Klar, von speziellen Sendungen oder Sendern musste man erstmal erfahren. Aber ich behaupte mal, grundsätzlich war der Unterschied gar nicht so groß zwischen Großstadt und Provinz. Denn auch in der Großstadt musste man schon ein stärkeres Interesse und einen gewissen Forscherdrang mitbringen, um mehr als die üblichen Chart Hits und das, was in der Bravo stand, kennenzulernen.
    Wie ich bereits mehrfach sagte, die jeweilige Clique bzw. Peer Group spielte eine wichtige Rolle. An mir sind bestimmte Bands und Künstler auch zunächst fast komplett vorbeigegangen. Einfach weil sie in meinem Freundeskreis keine Fürsprecher hatten. Ich glaube schon, dass es unabhängig vom Ort des Heranwachsens, auch eine Rolle spielt, wie stark man sich selbst für die jeweilige Musik interessiert. Ich habe alles mögliche kennengelernt und „ausprobiert“ in den Jahren von 1969 bis zum Ende der 70er. Und das Schönste ist, ich lerne immer noch ständig neue Sachen kennen. Gerade auch alte für mich neue.

    --

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    #3940065  | PERMALINK

    wolfen

    Registriert seit: 01.10.2004

    Beiträge: 1,716

    Mikko: so ganz will ich dir in Sachen Unterschiede von Provinz zu Großstadt nicht folgen.
    Klar, die Radiosender und öffentlich zugängliche Informationsquellen waren die gleichen, aber in den (größeren) Städten gabs auch damals schon eine wesentlich größere Club-Szene (oder wie immer man es nennen will)
    Wenn ich als Teenager z.B. nach Hamburg gekommen wäre, ich glaube, mir hätten nur so die Ohren geschlackert.
    Selbst in dem gegenüber Hamburg sehr kuscheligen Saarbrücken stromerte ich als Schüler ab und zu herum, obwohl meine Schule ganz woanders lag. :thetwins:
    Und wunderte mich, daß es dort gut ein halbes Dutzend „Rock-Kaschemmen“ neben den üblichen Discos gab, in die ich mich kaum reingetraut habe. Da wurde (glaubte man den Plakaten) irgendwelches psychedelisches Zeugs live und von der Konserve musiziert. „Avantgarde-Musik“ nannte man das damals wohl. Abwechselnd auch französische Chansoniers, Jazz, sogar Bluesgeschichten, die ich nun absolut überhaupt nicht kannte und die mir (auch mangels nötigem Kleingeld) verwehrt und fremd blieben.
    Die Stadtjungens und -mädels in meinem Alter (so sie denn wollten) hatten da die wesentlich besseren Karten und Möglichkeiten. Ich musste dafür 40 KM mit der Bimmelbahn fahren. Und meine Monatskarte reichte eigentlich nur für die Hälfte der Strecke. :-)

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