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Teenagerjahre in den 70ern. Die 60er waren immer noch sehr präsent. Die Radiolandschaft meist in Mono und sehr übersichtlich. SWF3 ging da irgendwann an den Start und Frank Laufenberg war Gott. Ich saß vor dem Nordmende aus 1964 mit 2 Lautsprechern vorne, 2 in der Seite und vielen Knökpes. Samstag Abend und Sonntag war regelmäßig Aufnahmesession mit Cassettenrecorder und DIN-Würfelstecker (ja, der Nordmende hatte sowas. Da musste man nicht mehr ein Micro vor die Lautsprecher hängen)
Man wartete und wartete auf ABBA und Dancing Queen, auf Suzie Allrad und „In Zaire“ von Mr. Wakelin.
Karl Douglas zelebrierte sein Kung Fu und Mungo Jerry jagte Lady Rose In The Summertime.
Dazwischen wurden fleißig K-Tel Platten getauscht, man kaufte sich vom letzten Taschengeld einen 5er Packen Cassetten oder eine Tonbandspule von BASF.
Fast alle aus unseren diversen „Cliquen“ hatten in ihren Elternhäusern viele Kellerräume. Eigentlich nichts besonderes, aber besonders war, was wir aus vielen Kellerräumen machten. Das gefiehl wiederum unseren Eltern oft überhaupt nicht. Mutter konnte keine Wäsche mehr aufhängen, weil die Wände mit Postern tapeziert waren und die sich bei der Feuchtigkeit wellten und kaputt gingen. Es war schwierig, sowas Mutter beizubringen. Vor allem, weil sie die Beatles immer noch für Rebellen hielt und beim Anblick von Gary Glitter schon Schüttelfrost bekam.
Auf dem platten Land war es damals sehr schwierig, in die Gefilde einzutauchen, die man heute als „Indie“ oder „Underground“ bezeichnen mag. Also blieb es weitestgehend bei den gängigen Sachen und damit hatten wir eigentlich auch mehr als genug zu tun. Das Taschengeld war knapp und die schwarzen Scheiben auch schon verdammt teuer. Das Internet lag in weiter Zukunft und wir wünschten uns von Frank Laufenberg Songs per Postkarte an SWF3.
Hannes Wader (unser damaliger Lieblingsbürgerschreck) wurde im Radio boykottiert und unsere Eltern wurden beim „Tankerkönig“ rasend. Wir verstanden kaum English und Gott sei Dank unsere Eltern noch weniger, sonst wäre Alice Cooper im Mülleimer gelandet und wir hätten Kellerverbot bekommen.
Dann, gegen Ende der 70er, ging es rasend schnell. Die BeeGees und ein gewisser Herr Travolta mischten bei uns alles auf. Zu dieser Zeit hörte ich Deep Purple, Rainbow, Saxon und ähnliches Zeug. Aber insbesondere alle Mädels standen wie blöde auf diesen pomadigen Travolta und tanzten plötzlich anstatt das zu machen, was man heute als „Headbanging“ bezeichnet. Das war ein Schock, weil wir Buben zwar headbangen konnten, aber tanzen war absolut uncool. Die Mädels forderten, daß wir in die Disco gingen. Wir wollten aber nicht in die Disco und schwul rumtanzen und den Travolta machen. Wir wollten in die Keller, Apfelkorn und Cola-Cognac trinken, qualmen, knutschen und Jethro Tull und die frühen Genesis hören. Wir hatten ein riesiges Problem. Cliquen lösten sich auf, es wurde miteinander „Schluss gemacht“, die letzten Räucherstäbchen brannten runter und die Keller verwaisten. Die Bravo-Starschnitte wurden entfernt, die Wände waren wieder weiß (bzw. gelb und fleckig) und Mutter konnte endlich wieder Wäsche aufhängen.
Das waren so ganz grob meine musikalischen 70er, schön waren sie und ich bin auch kein bisschen darüber traurig, daß ich weder die Sex Pistols noch die sonstigen Punk-Anfänge wirklich erlebte. Dafür waren Disco, Travolta, BeeGees, Donna Summer, Isaac Hayes und ein paar andere einfach zu mächtig. Man gewöhnte sich sogar daran, vor allem, weil man es sich ja nicht komplett mit den Mädels versauen wollte.
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[kicks sagt:] ( schon alleine dass da keine Nüsse drin sind zeigt dass es ein allgemeiner check is )