Ornette Coleman

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  • #10361309  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Genau, Haden, sorry! Mit dem Album konnte ich mich nicht umgehend anfreunden, aber ich hörte es wohl auch einfach etwas zu früh in meiner Hörbiographie, wenn das Sinn ergibt.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    #11852757  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Charlie Haden (der heute 85. geworden wäre) zum Auftritt mit Ornette Coleman in Portugal – inkl. Aufnahme des relevanten Ausschnitts vom Konzert selbst:

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    #11852797  | PERMALINK

    soulpope
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    gypsy-tail-wind Charlie Haden (der heute 85. geworden wäre) zum Auftritt mit Ornette Coleman in Portugal – inkl. Aufnahme des relevanten Ausschnitts vom Konzert selbst ….

    Dank fürs Teilen ….

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      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #11852813  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    soulpope

    gypsy-tail-wind Charlie Haden (der heute 85. geworden wäre) zum Auftritt mit Ornette Coleman in Portugal – inkl. Aufnahme des relevanten Ausschnitts vom Konzert selbst ….

    Dank fürs Teilen ….

    Das mit dem Anruf von Dexter Gordon ist ja toll! Ich kann mich nicht erinnern, jemals etwas auch nur am Rand Politisches von bzw. zu ihm gelesen zu haben.

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    #12343675  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Ich setze nach James Blood Ulmer mal hier an … die meisten Prime Time-Alben liegen bereit (nur nicht „Of Human Feelings“, das ist auf CD zu teuer die Tage). „Skies of America“ lief schon lange nicht mehr. In seinen Liner Notes erklärt Coleman die Musik ganz gut:


    Wer mehr lesen will, findet hier auch Scans vom Text, den John Litweiler fürs CD-Reissue 2000 geschrieben hat:
    https://www.discogs.com/release/2071083-Ornette-Coleman-Skies-Of-America

    Darin ist auch nachzulesen, dass für „Skies of America“ die Form eines concerto grosso – also ein Orchesterwerk mit mehreren Solo-Stimmen, die vom Ornette Coleman Quartet übernommen worden wären – geplant gewesen ist. Aber die berüchtigten englischen Musikergewerkschaften machten einen Strich durch die Rechnung, das Quartett durfte nicht auftreten, das Werk musste entsprechend umgearbeitet werden. Nur Colemans Altsax ist in mehreren Passagen zu hören, von denen auch noch einige gestrichen werden mussten, weil sich das einteilige Werk (CDs haben Vorteile ;-) ) als zu lang für eine LP erwies.

    Die 21 Tracks gibt es nur, weil die Anzüge bei Columbia entschieden, die Platte als Jazzalbum zu vermarkten und die Musik portioniert wurde. Coleman erfand dann halt 21 Titel dazu, denen man gemäss Litweiler nicht zu viel Bedeutung beimessen solle. Es tauchen allerdings in vier der 21 Segmente existierende Songs auf – die Namen der Stücke auf Skies und in Klammern die der ursprünglichen Stücke: „The Good Life“ [School Work], „Holiday for Heroes“ [Forgotten Songs], „All of My Life“ [All My Life] und „The Soul within Woman“ [Street Woman]. Erst nachdem all das (und sechs weitere Teile) durch sind, ist Ornette im elften Segment, am Ende der ersten LP-Seite und mit dem Titel „The Artist in America“ versehen, zum ersten Mal zu hören. In der Passage fällt der Einsatz des Schlagwerks besonders auf. Nicht nur gibt es eine Art Jazz-Beat sondern auch Trommel-Patterns. Gemäss Litweiler spielte zwei Schlagzeuger mit, einer an einem herkömmlichen Drum-Kit, der andere an Kesselpauken (von denen einzelne recht hoch gestimmt sind). Im zweiten Teil ist Coleman dann oft präsent, tauscht sich mit dem Orchester aus, das in Sachen Klangfarben sehr viel zu bieten hat … wie gesagt: lange nicht angehört. Und gerade sehr positiv davon überrascht!

    Litweiler erzählt am Ende auch noch, wie das Stück weiterlebte: 1972 führte Coleman es mit dem Quartett beim Newport in New York Festival auf, die Kürzungen rückgängig gemacht und die Form wie eigentlich geplant, aber bei der Aufnahme in England eben nicht umsetzbar. Für eine Aufführung 1983 in Fort Worth richtete der Dirigent John Giordano eine neue Orchestrierung ein, und bei späteren Aufführungen wirkte nicht mehr das Quartet sondern Prime Time mit … spannende Vorstellung, wenn es ein Box-Set mit all diesen Versionen gäbe – aber da gibt es wohl keine Aufnahmen oder nichts davon wurde geleakt.

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    #12343791  | PERMALINK

    jimmydean

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    vielleicht auch interessant das „the good life“ auf „dancing in your head“ als „variations of a symphony“ noch einmal „variiert“ wurde…

    --

    i don't care about the girls, i don't wanna see the world, i don't care if i'm all alone, as long as i can listen to the Ramones (the dubrovniks)
    #12343805  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Gestern lief u.a. auch noch das einzige RCA-Album, das Ornette Coleman 1967 machte, The Music Of Ornette Coleman – es fehlt in den meisten Diskographien oder Karriere-Überblicken, weil es noch mehr als „Skies of America“ ein „klassisches“ Album ist. Das Philadelphia Woodwind Quintet sowie das Chamber Symphony of Philadelphia Quartet spielen drei Stücke von Coleman. Im ersten, „Forms and Sounds“, das die ganz erste LP-Seite einnimmt, spielt Coleman improvisierte Trompetenintermezzi zwischen dem notierten Material für das Bläserquintett (Oboe, Flöte, Klarinette, Fagott und Horn), das wiederum allen Stimmen regelmässig offen lässt, in welchem Register sie spielen wollen und daher auch die komponierten Teile eine gewisse Variabilität zulassen. An der Trompete tritt Coleman – in neun Intermezzi zwischen den zehn notierten Teilen – in einen Dialog mit dem Ensemble, das sonst nach zweiter Wiener Schule klingt. Das ist alles ziemlich toll! In der zweiten Hälfte dann Musik für Streichquartett, wobei auch hier das erste Stück schon LP-seitenfüllend wäre, „Saints and Soldiers“, es dauert fast 20 Minuten und ist von einem Tag in Rom inspiriert, an dem Coleman viele Kirchen besuchte und überall die Gräber von Heiligen wie auch von Kriegern sah. Als Coda folgt dann noch das kurze „Space Flight“. Die beiden Ensembles sind off shoots des damals schon berühmten Philadelphia Orchestra, das zu den „big five“ gehörte, wie man wohl ab den Fünfzigern sagte (New York Philharmonic, Boston Symphony Orchestra, Chicago Symphony Orchestra, Philadelphia Orchestra und Cleveland Orchestra).

    „Forms and Sounds“ war übrigens das Stück, das Coleman in England (beim Konzert in Croydon vom 29. August 1965, das auf „An Evening with Ornette Coleman“, „Ornette Coleman in Europe“ oder „The Great London Concert“ dokumentiert ist) im Gepäck hatte, damit er auch mit seinem Trio (David Izenzon und Charles Moffett) auftreten durfte (er umging so eine der Einschränkungen/Regelungen der britischen Musikergewerkschaft). Damals wurde es vom englischen Virtuoso Ensemble gespielt und enthielt noch keine Trompeten-Intermezzi. Da fehlt mir ja immer noch die alte Doppel-CD, auf der das auch komplett drauf ist, überall sonst scheint „Forms and Sounds“ um ca. zehn Minuten gekürzt, auch bei der Ausgabe von 2010, die Angaben bei Discogs sind falsch, die CD ist nämlich hier und ansonsten auch sehr schmuck).

    Gestern guckte ich dann noch etwas nach Ornette Coleman in der Tube … die Zeit um 1970 herum ist ja spannender, als die damaligen Platten glauben lassen. Die ganzen Science Fiction-Sessions, gebündelt auf der Doppel-CD von Columbia/Legacy, bieten viel tolle Musik, die so vermutlich besser funktioniert als auf den damals gestückelten LPs („Broken Shadows“ war die zweite). Von der Tour im Herbst 1971 mit Dewey Redman (leider ohne Bobby Bradford oder Don Cherry) gibt es ein paar Mitschnitte (Belgrad, Berlin, Paris) … und irgendwo in den Zeitraum fällt das Jazz Anthology-Bootleg Stating the Case, vermutlich am 22. September 1972 im Artists House, Prince Street, NYC aufgenommen, mit Ornette Coleman (as), Don Cherry (t), Dewey Redman (ts), Charlie Haden (b) und Ed Blackwell (d). Auf der Platte stehen nur die Fantasietitel „Ornette’s Suite“ Parts I und II, es gibt wenigstens zwei Digitalisate auf YT, das obige klingt etwas dumpfer, das andere hat viel zu viele Höhen und man hört vom Bass noch viel weniger. Eine Tracklist bietet es auch an:

    1. The World Became Music
    2. Uncnown Races
    3. Love Eyes
    4. The Good Live
    5. Skies of America
    6. Stand by for the News

    Beide Transfers hat dieselbe Person eingestellt, und auf einen Nörgelkommentar, dass der Transfer nicht komplett sei (die LP dauert ca. 55 Minuten), so geantwortet: „Side two is identical to side one, minus one piece.“ – haha, Qualitätsarbeit halt, wie bei so einem Label nicht anders zu erwarten. Die Musik ist jedenfalls toll – für mich grad quasi die Heranführung ans Jahr 1973, als sich alles änderte.

    EDIT: Datum und Trackliste kommen von der anderen Ausgabe dieses Materials („J for Jazz Presents Ornette Coleman Broadcasts„, sieht wie ein Boris Rose-Bootleg aus – aber da weiss man ja nie, ob immer Rose dahinter steckt oder andere, die ihre Platten ähnlich aufgemacht haben) – denke ich … ich kenne das alles ja nicht wirklich und eine richtig seriöse Diskographie scheint es bisher nicht zu geben (nicht jazzdisco.org, sondern eine, bei der jemand auch alles in den Händen gehalten und selbst überprüft hat, so wie bei Fitzgerald oder Evensmo oder solchen Leuten.

    Noch eine Heranführung ist Ornette Colemans Solo-Auftritt beim Jazzfest Berlin am 4. November 1972 – er spielt erstmal Klavier, bevor er ans Altsax wechselt – das ist richtig schön! Die obige Version wird auch digital von einem shady „Label“ zum Kauf angeboten, das wohl den ziemlich gut klingenden Transfer (von wo auch immer … SFB-Ausstrahlung oder jemand machte mal heimlich eine Kopie aus dem Archiv?). Es gibt davon auch eine kürzere Fassung mit Bewegtbild:

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    #12343821  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Dancing in Your Head | Ich springe mal schnell ins Barclay Studio in Paris am 28. Dezember 1975 – ich nehme an, dieselben Sessions, bei denen „Body Meta“ entstanden ist? 27 Minuten dauern die zwei Teile von „Theme from a Symphony“, und wie @jimmydean oben erwähnt hat, ist das einmal mehr „School Work“, das Coleman auch bei den gerade erwähnten Columbia-Sessions Anfang der Siebziger („Science Fiction“, „Broken Shadows“) eingespielt hatte. Hier ist alles anders, statt Charlie Haden, Ed Blackwell und ein oder zwei anderen Bläsern hören wir Coleman mit Charles Ellerbee und Bern Nix an den Gitarren, Jamaaladeen Tacuma an der Bassgitarre und Ronald Shannon Jackson am Schlagzeug. Dazu kommt eine Overdub-Spur mit Percussion von Coleman, Jackson und Bob Burford, die teils etwas aufdringlich ist (es gibt hier ein langes Triangel-Solo, wenn man Ornette beim Wort nimmt). Ein supertighter Groove, der sich zu dem Zeitpunkt noch ziemlich deutlich in Solist und Begleitung aufteilt. Die Gitarren spielen nervöse Akkorde, Tacuma ist zwar sehr melodisch unterwegs, verzahnt sich immer wieder mit dem oft recht tief und schwer klingenden Ornette Coleman, tritt in den Dialog – aber nimmt eben dennoch auch immer die Bass-Funktion wahr … oft im mittleren oder hohen Register allerdings. Coleman schreibt dazu in seinen kurzen Liner Notes, das „Theme“ „was written and arranged by means of a musical concept I call harmolodic. This means the rhythms, harmonies, and tempos are all equal in relationship and independet melodies at the same time. To read or write or play without reading or writing; to execute our ideas on an instrument; isn’t that the result of us all in making musical sounds that we feel and think for those who love music?“ – Ich finde das jedenfalls gerade mal wieder sehr toll … und total zugänglich, da ist diese kinderliedartige Riff-Melodie, litaneiartig wiederholt, immer wieder präsent, dazu der Groove der Band, die nicht so hart aufspielt wie später bei Ulmer, das wirkt alles noch recht jazzig, beweglich, flexibel. Überhaupt: Alles ist dehnbar – die Töne, die Zeit, die Metren … und das gehört zum Faszinosum unbedingt dazu.

    Ganz anders der kurze Closer, „Midnight Sunrise“, von dem es auf der obigen CD von 2000 noch einen Alternate Take gibt. Aufgenommen im Januar 1973 in Jajouka, Marokko, mit den Master Musicians of Jajouka, die uns heute von Randy Weston und diversen anderen Projekten recht vertraut geworden sind. Robert Palmer ist neben Coleman (as) an der Klarinette dabei, die Masters spielen „ghaita, stringed instruments und percussion“

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    #12343875  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    In der Diskographie gehört dazwischen dieser Mitschnitt – 4. Mai 1974 in Padua anscheinend (oder auch Valenza, s.u.), teils mit Fantasietiteln (der Opener ist wieder „School Work“) – und mit einem Line-Up, das es leider nirgendwo auf offiziellen Veröffentlichungen gibt: Ornette Coleman (as, t, v), James Blood Ulmer (g), Norris „Sirone“ Jones (b) und Billy Higgins (d). Von der Gitarre kriegt man leider oft wirklich kaum zu hören (sie setzt aber auch mal ganz aus), wie schon im entsprechenden Post von @vorgarten aus dem Ulmer-Thread steht – ich hole den sehr informativen Text einfach mal hier rüber:

    1974: pre-prime-time mit ornette coleman

    Ulmer soon moved into Coleman’s loft and studied „harmolodic“ theory. Harmolodics is Coleman’s term for an ensemble style that combines harmony, movement, and melody. As Down Beat’s Safane put it, „Each instrument … is both a melody and a rhythm instrument; players abandon their traditional role and, for example, instruments such as bass and drums that ordinarily accompany now share as lead voices in musical creation.“

    Harmolodics jibed with Ulmer’s atonal explorations in Detroit, where he was seeking a new expressive range for the jazz guitar. Indeed, Ulmer was integral to Coleman’s harmolodic theory, as he taught the saxophonist the potential for guitar in an electrified, free jazz setting. Their work in the decade was marked by appearances at the Ann Arbor Jazz and Blues Festival in 1974, at New York’s Five Spot in 1975, and at the Newport Jazz Festival in 1977. Ulmer also spent time in the studio with Coleman’s band Prime Time, recording a set of then-unreleased performances.

    ob es tatsächlich studio-aufnahmen gibt, wüsste ich gerne, bislang ist da noch nichts aufgetaucht.

    im interview mit jason gross schildert ulmer die zusammenarbeit sehr wertschätzend:

    PSF: Since we’re talking about harmolodics, could you talk about your work with Ornette and how you each may have influenced each others‘ music?

    JBU: Well, when you’re working with someone close, like the way me and Coleman was, the thought is never what you’re doing for each other. The thought is what what you’re doing for what you’re trying to do. Coleman always worked on something specifically and tried to take it to the highest level there is. So when you get through doing that, you ain’t got time to be thinking about influencing somebody. You’re trying to finish that piece of work.

    One time I was writing the music to this play and he was into just directing it. He wanted to know every beat on the whole score. He puts everything to music and it was just incredible because (it was like) going through a needle and thread without leaving the hole. Just knitting it. It was amazing! Working with a person like that is just so amazing so you really don’t think about who’s influencing who. You’re just thinking ‚let’s find out a way to get this.‘ He’s definitely made me aware of harmolodic by making me aware of certain things. The coolest thing he told me (was) that I was a natural harmolodic player. He was one of the persons who could make you feel like what you were doing was so important. That’s another thing that I got from Coleman- it’s like someone who makes you feel that what you do is good. That’s what he done.

    in einem späteren interview (2017) mit peter margasak kritisiert ulmer die abhängigkeit colemans von klassischen akkorden und skalen, kontextualisiert seine neu gefundene gitarrenstimmung als befreiung von diesem system (und auch von dem, was ein klavier anbieten kann):

    That motherfucker would rehearse me for eight hours a day, and all he did was take his horn and call out chords: ‘Blood, play B flat, Blood, play E flat, go to F, F sharp, F minor, go to diminished,’ go to everywhere in the world, and I would spend my days tracking whatever he said. He wore me out with that shit. He was trying to find out how the guitar went for his own music. After six months of that, I had this dream about this tuning, where I tuned all of the strings to the same note. I tuned to E, but the gauge of the strings made them sound different. I went to Coleman’s room—he was sleeping—and I said, ‘Wake up, listen to this.’ I started playing, and he got his horn and started playing. He said, ‘Give me C,’ and I said, ‘I ain’t got no C, I ain’t got no F, I ain’t got no G, I ain’t got none of them chords—I can’t make chords because I ain’t got but one note, really.’ That tuning freed me. Odyssey was the first record I made with that tuning. That freed my life. I could play without following or copying anybody. It was great. I knew how to play in a regular tuning, but that tuning was freedom. Ornette loved the way my guitar sounded then. He knew I was free. We played one song on Tales of Captain Black in that tuning, it was called ‘Woman Coming.’

    also: wenn man alle gitarrenseiten (die ja durch die verschiedene dicke, z.t. auch durch verschiedenes material andere sounds produzieren) auf den gleichen ton stimmt, ergibt sich ein völlig anderer klang, eine wand, wenn man sie durchstreicht, verschiedene qualitäten des einzeltons, im wesentlichen aber eine völlig andere philosophie, denn man muss ja quasi alles im spiel neu denken. ulmer gehört ja – wie sharrock – zu den gitarrenskeptischen gitarristen, wollte eigentlich saxofon spielen, mag die rolle der klassischen begleitung im westlichen harmoniekonzept nicht. andererseits bleibt er ja bei klassischen spieltechniken, die auf wes montgomery referieren (kein plektron, gleichberechtigung von akkord- und einzeltonspiel, das eine schält sich aus dem anderen oder führt wieder hinein). und: auch die skordatur bleibt ja auf die klassische stimmung bezogen, im zusammenspiel mit anderen, im wissen, dass es sie gibt und das man dagegen arbeitet.

    die dokumente der zusammenarbeit mit coleman sind problematisch. es gibt den bootleg ORNETTE COLEMAN IN CONCERT, darauf befinden sich konzertaufnahmen aus valenza (mai 1974), auf denen ulmer im mix quasi gar nicht zu hören ist.

    und ein tv-mitschnitt des auftritts in rom (gleiche tour, auch mit sirone und billy higgins), auf dem ulmer viel zu laut zu hören (und selten im bild zu sehen) ist:

    ich persönlich finde, dass das nicht so toll zusammengeht. coleman geht überhaupt nicht auf die gitarre ein (anders als die bläser im ali quintet), spielt darüber hinweg, während higgins vergleichbar autark seinen recht klassischen swing durchspielt (sirones vermittlungsarbeit lässt sich leider auch nur erahnen). und 1978, als ulmer & coleman TALES OF CAPTAIN BLACK aufnehmen, ist das konzept (und auch das material) schon völlig anders.

    Darüber hinwegspielen ist ja meines Erachtens schon auch irgendwie Teil des harmolodischen Konzepts – da funktioniert das „alle solieren ständig“-Konzept von Ornette Coleman für meine Ohren irgendwie anders als das von Ulmers Bands, wo vielleicht auch mehr ausgearbeitet wurde (z.B. was für einen Beat es in welchem Stück gibt, welche Eckpunkte der Bass zu beachten hat, wann das Sax im Ensemble, wann als Solostimme auftritt … sowas kann man ja besprechen, ohne dass das zu relevanten Einschränkungen in der Freiheit der Performance führen muss). Ich finde das stellenweise richtig super, auch wo es eher in den Free abdriftet, sich alles öffnet auch dafür ist Higgins nicht die optimale Besetzung, aber Blackwell hatte grad um die Zeit herum lebensbedrohliche gesundheitliche Probleme und stand für eine Tour sicherlich nicht zur Verfügung. Es scheint Schnitte zu geben, ein paar technische Probleme beim Transfer, aber alles in allem finde ich das hörbar – und echt hörenswert. Ich komme allerdings jetzt nicht von Ulmer her sondern von Coleman (der in meinem Olymp schon viel länger eine bedeutsame Rolle einnimmt) – und denke, man kriegt von diesem hier eine Facette zu hören, die trotz suboptimalen Sounds und Drummers eine wirklich gute und wichtige Ergänzung zur offiziellen Diskographie ist. Es mag etwas seltsam klingen, aber so frei – und in so langen Stücken – kriegt man Ornette selten zu hören.

    Im September 1974 wurde die Band im Keystone Korner erneut dokumentiert, jetzt mit David B. Williams am Bass, etwas dumpfem, aber ziemlich gutem Sound – man hört die Gitarre und es gibt auch ordentlich Bassfrequenzen. Die Verzahnung von Gitarre und Bass ist recht gut, Higgins klingt auch etwas offener, zumindest streckenweise. Lustigerweise ist hier der unnatürliche Basssound, über den ich mich anderswo ärgern würde, dem ganzen Bandsound dienlich. Musikalisch würd ich das alles irgendwie als Übergangsphase zur Prime Time-Musik, wie sie ab 1975 zu hören ist, betrachten – freier, offener, variabler … dieser Keystone Korner-Mitschnitt gefällt mir jedenfalls richtig gut!

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    gypsy-tail-wind
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    Body Meta entstand wie der Grossteil von „Dancing in Your Head“ im Barclay Studio in Paris mit demselben Line-Up: Ornette Coleman (as). Bern Nix und Charlie Ellerbee (g), Jamaaladeen Tacuma (elb) und Ronald Shannon Jackson (d). In seiner Liner Notes schreibt Coleman auch: „The Dancing in Your Head release came from the same sessions“ (im LP-Inlay steht allerdings „December 1976“, in der CD-Ausgabe von „Dancing“ 28. Dezember 1975 – komplette Scans der LP inkl. der weiteren abgebildeten Kunstwerke bei Discogs). Und er erläutert den neuen Bandnamen: „The name Prime Time was given because every rehearsal was done in such a will it be or not be manner (because of the difficulty of scheduling everybody for rehearsals). When it did happen, it was Prime Time.“ Neben Jackson stiess auch Denardo Coleman als zweiter Drummer („one rhythm, one ‚tempo‘ time“) dazu – und es ist wichtig, sich nochmal dran zu erinnern: „after finishing college“ – er war auch Mitte der Siebziger noch sehr jung. Gemäss den üblichen Diskographien ist hier nur Jackson zu hören, aber manchmal (in „Home Grown“ etwa) frage ich mich, ob das stimmt? Die meiste Zeit wird nicht mehr gespielt, als ein Drummer es tun kann, aber irgendwie wirkt das auf mich doch auch anderswo, als könnten es gut zwei sein. In den Liner Notes wird Denardo zudem genau gleich wie die anderen erwähnt, vielleicht war das auch ein Fehler beim Setzen der Texte fürs Foldout-Cover der ersten Artists House-Veröffentlichung? Erschienen ist diese erst 1978, die Liner Notes von Coleman sind auf den 10. April 1978 datiert – Dezember 1976 ist also genau so gut möglich wie Dezember 1975 … völlig unklar für mich, ich hab auch keine Möglichkeiten, dazu mehr rauszukriegen (Golia ist an solchen Dingen ja weniger interessiert, meine alte Ausgabe von Bruyninckx schreibt lapidar („1975/76“) für „Body Meta“ und ordnet das ganze Material von „Dancing“ im Januar 1973 ein, was natürlich falsch ist. Wie Coleman auch schreibt, wären auch zwei Bässe und zudem ein Klavier vorgesehen gewesen – aber die zwei Posten konnte er zumindest in dieser Phase nicht besetzen (auf Platte glaub ich auch sonnst nie). Was das Klavier (er schreibt „grand piano“, aber vielleicht wäre man ja doch noch auf ein Rhodes oder sowas als passendere Lösung gekommen?) betrifft bin ich darüber echt nicht unglücklich, denn die Transparenz im Klangbild hätte darunter bestimmt gelitten.

    In der Tube findet sich zur weiteren Verwirrung noch ein Stück mit Redman, Haden und Blackwell, das angeblich 1976 in Montreux aufgenommen wurde:

    Die Montreux Database, die allerdings mglw. teils kaputt gemacht wurde durch Webseiten-Umbauten (ich hab schon Dinge nicht gefunden, von denen ich weiss, dass es sie gibt), listet nur einen Auftritt von Coleman 2006 (und auf der Heimreise wurde ihm am Flughafen in Mailand das Saxophon gestohlen). Beim obigen Track (dessen korrekter Titel „Street Woman“ ist) stellt sich die Frage, ob das nicht einfach der aus Paris ist (vgl. The Paris Concert, Trio 2 LP – leider keine Zeitangaben bei Discogs – es gibt noch eine Einzel-CD, die ich irgendwo habe und die vermutlich vom selben Konzert stammt … echt blöd, dass es keine vernünftige Diskographie gibt!)

    Aber nochmal zu „Body Meta“ – ich finde das gerade total zugängliche Musik, die viel Freude bereitet. Tacumas sehr beweglicher Bass und die ziemlich freien und ungewöhnlich gespielten Drums sind tatsächlich sowas wie gleichberechtigte Akteure, die parallel zu Coleman dauersolieren. Die Rolle der Gitarren kann ich weniger gut greifen (und sie erst recht nicht auseinanderhalten), aber mich dünkt zumindest, dass ich den Ulmer-Einfluss hören kann in der Art, wie halbe Akkorde, Rifffragmente oder Melodiefetzen angespielt werden, wie eine Art Flow entsteht, der sich aus diesen Fragmenten zusammensetzt. Wie gesagt: ich höre das gerade total gerne, finde es sehr attraktiv. Ich habe aber „Body Meta“ allerdings schon lange als mein Highlight aus dem ganzen Prime Time-Schaffen abgelegt. Mal schauen, ob es dabei bleibt, oder sich jetzt unterm Eindruck des Ulmer-Hörens was verschieben wird.

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    #12343983  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    1976 und 1977 nahm Coleman auch die Duos mit Charlie Haden auf (1976 je ein Stück der zwei Haden Duo-LPs „Closeness“ und „The Golden Number“, 1977 das Album „Soapsuds, Soapsuds“). 1978 folgte das Debut von James Blood Ulmer, „Tales of Captain Black„. Und irgendwann 1978 war Prime Time in Europa unterwegs und wurde im Schloss Ansbach mitgeschnitten – schlechtes Bild, aber erträgliche Soundqualität (gibt’s bei diversen Prime-Anbietern, aber bei denen bin ich nicht – man findet in der Tube verschiedene Ausschnitte mit besserem Bild, z.B. hier):

    Ornette Coleman (as, t, v), James Blood Ulmer & Bern Nix (g), Fred Williams (elb), Ronald Shannon Jackson & Denardo Coleman (d, perc)

    Trotz dem schlechten Bild ist es ganz interessant, zu sehen, wie Nix konventionell Akkorde greift, Ulmer aber eine andere Grifftechnik entwickelt hat … wirkt auf mich Laien etwas, als würde er übers Griffbrett mehr wischen, als dass er wirklich Griffe einsetzt – am schönsten in der Gitarren-Duo-Passage ca. von Minute 24 an. Ein Highlight für mich dann das darauf folgende Stück (beginnt etwas vor 28 Minuten), in dem ein sehr schräger langsamer Groove entsteht.

    Wenn man sich die Etappen 1974 (Keystone Korner), 1976 (Body Meta) und dann hier 1978 vor Augen oder Ohren hält, verändert sich die Musik schon ordentlich. Aus dem Free der frühen Siebzigern („Stating the Case“ oben und im Geist auch noch 1974, aber mehr beim italienischen Doppelalbum als im Korner) wird 1976 eine tighte Groove-Organisation, die sich 1978 so verdichtet hat, dass der Groove irgendwie wieder rausgefallen ist, die parallelen Linien mit den inzwischen tatsächlich auch soliernden Gitarren zu einem Geflecht führen, das so vielschichtig ist, dass es wiederum ziemlich frei klingt, zumindest in harmonischer Hinsicht.

    Die gleiche Band (vermutlich) gibt’s dann vom 4. Juli 1978 (ich geniesse solche Angaben mit grösster Vorsicht) auch noch aus dem Quartier Latin in Berlin – fast doppelt so lang, ohne Bild, dafür in ziemlich gutem Sound:

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #158 – Piano Jazz 2024 - 19.12.2024 – 20:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    gypsy-tail-wind
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    Of Human Feelings ist das nächste Album von Ornette Coleman mit Prime Time – 1982 bei Antilles erschienen, mit Ornette Coleman (as), Charlie Ellerbee und Bern Nix (g), Jamaaladeen Tacuma (elb) Calvin Weston & Denardo Coleman (d). Das Album wurde am 25. April 1979 in New York aufgenommen, seine acht kurzen Stücke in weniger als 40 Minuten sind nach den ausufernden Live-Gigs eine ziemliche Umstellung. Der Funk-Anteil ist seit „Body Meta“ gewachsen, Tacuma wird im Mix stark nach vorn gepusht und noch vor den Gitarren die zweite Stimme im Geflecht, verwebt sich mit Colemans Linien. Die Gitarren mischen sich mal mit Melodiekürzeln oder Wah-Wah-Akkorden ein, fallen dann wieder raus, um sich anderswo auch richtig ins Geschehen einzumischen, die Riege der Dauer-Solisten zu erweitern. Die Drums sind hart, meistens recht karg und immer auf den Punkt. Das ist sehr dicht, in der Härte der frühen Digitalaufnahme nicht sehr klangschön, aber nicht kalt und sehr transparent, es hat Biss, was wiederum super zur Musik passt (Tonmeister war Ron Saint Germain, produziert hat Coleman selbst). Es braucht für mich in diesem Setting den kreativen Flow von Colemans Saxophon über allem, um das Interesse auf Albumlänge aufrechtzuerhalten.

    Hier ist Prime Time um Al McDowell (elb) zum Septett erweitert 1980 in Mailand zu sehen – eine halbe Stunde, die auch wegen der Einblicke ins Bandgeschehen lohnenswert ist (leider ist keine Kamera auf Denardo gerichtet) … und mir den Gedanken einer weiteren Fortentwicklung des Konzepts viel mehr aufdrängt als die Antilles-LP: das ist nochmal dichter geworden, die einzelnen Stimmen dabei aber noch unabhängiger, solistischer. Und es fasziniert mich wirklich sehr … bin ja selbst überrascht, dass ich das Zeug grad so intensiv anhören mag, zumal ich bisher eher ein Album aufs Mal und dann wochen- oder monatelang nichts davon angehört habe – aber umso schöner!

    (Der Tierarzttermin, der zu bis zu 3 Stunden Lesezeit geführt hätte, wofür ich das Buch von Golia bereitgelegt hatte, fiel aus, weil die Katze – als hätte sie es geahnt – sich verkrümelt hat … aber in dem Buch möchte ich die Tage definitiv etwas lesen, spätestens halt, wenn ich nächste Woche den nächsten Anlauf in Sachen Tierarzt unternehme.)

    Als Opener der zweiten Seite von Jamaaladeen Tacumas Antilles-Album „Renaissance Man“ ist die nächste Aufnahme zu finden – eine neue Version von Dancing in Your Head, das einzige Stück auf dem Album, bei dem Coleman mitwirkt. Charles Ellerbee (g) ist auch dabei, zudem Ron Howerton (perc, el-perc) und Drum-Programming von Tacuma und Greg Mann. Die Aufnahme entstand 1984 im Grammavision Studio in New York, Mann agierte als Tonmeister. Ein wenig frage ich mich hier, ob die Sax- und die Bassspur gleichzeitig eingespielt wurden … treibt Tacuma es hier mit dem Dauersolieren einfach noch etwas weiter, oder ist das irgendwie für einmal leicht „out of sync“? Der digitale Eighties-Sound ist mit den digitalen Drums natürlich nochmal arg verstärkt, aber das ist dennoch sehr reizvoll. Während auf der ersten Hälfte des Albums Cornell Rochester zu hören ist, gibt es auf der zweiten vier Stücke in jeweils unterschiedlichen Besetzungen – einmal gibt es Streicher, im Closer dann Gastauftritte von David Murray und Vernon Reid. Die Abzweigung muss ich auch noch nehmen die Tage (das ist mein einziges Tacuma-Album aus der Zeit, aber „Barbeque Dog“, mein einziges von Ronald Shannon Jackson, auf dem Reid auch zu hören ist, kommt dann auch noch an die Reihe).

    Zum Abschluss (nächste Runde ist „Opening The Caravan of Dreams“, das freundlicherweise auch in der Tube steht) nochmal eine Version von „Dancing in Your Head“, 1986 in Japan mit etwas verändertem Line-Up (am Anfang eingeblendet) und anfangs deutlich aufgeräumterem Sound (viel wärmer auch), was für meine Ohren im Vergleich zum Gig aus Mailand oben die Faszination etwas mindert. Andererseits sind die Drums (Denardo spielt einige elektronische Teile) hier teils geradezu grotesk asynchron und Temposchwankungen gibt es auch noch … da wird das halt doch wieder super. Und Coleman spielt sich in der ersten Hälfte am Sax echt ins Feuer. Danach greift er die Violine und wir kriegen ein paar Close-Ups. Ein paar Schweisstropfen kullern, wenn Coleman die Trompete greift – und sich dann irgendwie skeptisch zur Band umdreht. Die durchs Publikum schwenkende Kamera fängt auch ein paar tolle Momente ein. Knapp acht Minuten sind das, aber eine irre musikalische Weltreise, die am Ende irre verdichtet wird.

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    gypsy-tail-wind
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    In Fort Worth wurde im Herbst 1983 ein neues Kulturzentrum eröffnet, Opening The Caravan of Dreams, „…a meeting place appealing to audiences who enjoy the creation of new forms of music, theater, dance, poetry and film“, wie man sagte (via Wikipedia). Bei der Eröffnung spielte Ornette Coleman mit Prime Time und der Fort Worth Symphony, Brion Gysin und William S. Borroughs fanden sich unter den Gästen. 1985 erschien eine LP mit Musik vom Set mit Prime Time, siebenköpfig und mit demselben Line-Up, zu dem ich gestern mit dem Track aus Japan schon vorgesprungen war: Ornette Coleman (as, t, v), Bern Nix und Charles Ellerbee (g), Albert MacDowell und Jamaaladeen Tacuma (elb), Denardo Coleman und Sabir Kamal (d). Es gibt hier an zweiter Stelle ein Stück namens „Harmolodic Bebop“, aber schon im Opener davor zitiert Coleman eins von Charlie Parkers bekanntesten Stücken. Die Musik ist wieder irre dicht, das Konzept der Band ist inzwischen ausgereift, gut geprobt, alle Mitwirkenden scheinen es völlig im Griff zu haben – auch wenn es ständig danach klingt, als fliege gleich alle auseinander, stets irre Fliehkräfte am Werk sind. Toll! Statt Funk wie im Studio davor höre ich hier oft etwas anderes, eine Art Härte, die durchaus federt, aber mehr an einen Flow interessiert ist, der durchaus wieder mehr in Richtung Jazz tendiert. Es gibt auch ständig kleine Sound-Effekte, die vermutlich von den elektronischen Drum-Pads kommen, die Denardo (siehe Video aus Japan oben) wohl hier schon in sein Kit integriert hat. Und was hier recht neu ist: es gibt auch wieder introspektive, lyrische Momente – oft nur kurz, aber auffällig genug. Die Ruhe als Gestaltungsmoment kehrt in die Musik Colemans zurück. Der lange Closer des Albums, „Compute“, geht durch mehrere Teile mit unterschiedlichen Tempi und Stimmungen, Ornette ist hier auch an Violine und Trompete zu hören, es gibt Übergänge, auch sowas wie Features für andere als den Leader, wenn einer der Bässe (bestimmt Tacuma, sicher Tacuma, diese lockere Phrasierung, die manchmal fast über den Beat hinwegzusehen scheint) quasi zum Co-Solisten der Violine und danach der Trompete wird. Toll!

    Ein Gedanke, der mir seitdem ich hier angefangen habe, ständig im Kopf rumspukt: schon sehr schade, dass Coleman so schlecht auf das Musikbusiness zu sprechen war, aber zugleich nicht selbst Abhilfe geschaffen hat … ich bin sicher, dass es noch viel mehr Aufnahmen gäbe, die für eine Veröffentlichung in Frage kämen. Eine Sammlung mit ein paar Live-Gigs von Prime Time wäre fein, ein ordentliches (erweitertes?) Reissue hiervon ein Fest! (Und klar, das betrifft auch andere Phasen seines Werkes … von den ersten paar Jahren und einer zweiten Phase Ende der Sechziger/Anfang der Siebziger abgesehen ist er ja eigentlich ziemlich dürftig dokumentiert.)

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    gypsy-tail-wind
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    1986 erscheint – wie das Live-Album von der Eröffnung auch auf dem Caravan of Dreams eigenen Label – ein neues „klassisches“ Album von Ornette Coleman, 1985 ebendort live aufgenommen. Auf dem Dach des Gebäudekomplexes gab (gibt?) es eine Glaskuppel von Buckminster Fuller, und von diesem, dem „Buckminster Fuller Desert Dome“, wurde Coleman zur Komposition von Prime Design/Time Design angeregt. Beim YT-Link unten finden sich netterweise auch Colemans Liner Notes:

    When I first met Buckminster Fuller in 1982, he impressed me with a spirited demonstration of his model of the tetrahedron, a geometric figure at the basis of the structural design of the universe. He manipulated the model, turned it inside out, made it dance — but the corners never touched. I said to myself „that’s just like my music!“ And at that moment I was inspired to write a piece of music based on Fuller’s mathematics, dedicated to this man and his shining being, investigating the universe like an ancient child.

    This piece is designed for five soloists. At different points in the piece, each musician plays in different time signatures: 2/4, 1/4, 2/3, 4/4, 7/4, 9/4 and 12/4.

    The second violin introduces the theme which is then played by viola, the cello, and the first violin. After completing the theme, each musician plays his part as a solo, performed „ensemble.“ Each soloist will end at a different place. Second violin finishes first, then the viola, the cello and lastly the first violin.

    The audience is invited to contemplate the total sound produced from multi-directional components.

    Es spielen das Gregory Gelman Ensemble mit Gregory Gelman (v I), Larissa Blitz (v II), Alex Deych (vla) und Matthew Meister (vc) sowie Denardo Coleman (perc). Die Drums finde ich nicht unbedingt nötig, sie sind etwas zu dominant und lenken vom Geflecht der Streicher ab, bei denen ich wirklich den Eindruck kriege, dass Coleman das „alle solieren ständig“-Konzept quasi in geschriebene Musik überführt hat – und das ist vielleicht auf die Dauer von 40 Minuten etwas überfordernd bzw. wird auch mal etwas gleichförmig, wenn die Aufmerksamkeit abschweift … aber wenn man halbwegs konzentriert zuhört, ist das eben doch faszinierend und in der Art auch mit nichts zu vergleichen, was mir bisher bekannt ist (ich muss allerdings anfügen, dass ich keineswegs ein grosser Kenner des Streichquartett-Repertoires im 20. Jahrhundert bin).

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    Nächster Stopp: Song X, das Album, das Ornette Coleman und Pat Metheny im Dezember 1985 in der Power Station in New York aufgenommen haben. Das Album war Methenys erstes für sein neues Label Geffen. Als Tonmeister agierte Jan-Erik Kongshaug, 2005 gab es eine Twentieth Anniversary-Ausgabe mit einem neuen Mix (wärmer, voller – wenn ich mich richtig erinnere klang die alte CD dünn und scharf) und nicht ganz 20 Minuten Bonusmaterial, das an den Anfang des Albums gestellt wurde (#1-6 der 14 Tracks der CD). Mit Charlie Haden ist das Bindeglied: Mitglied im originalen Coleman Quartet aber auch regelmässiger Metheny-Sideman, was auch für Drummer Jack DeJohnette gilt, der soweit mir bekannt sonst leider nie mit Coleman spielte. Aus Colemans Band ist natürlich Denardo dabei, der wieder seine elektronischen Drums dabei hat. Wo ich gerade so richtig in all diesen Aufnahmen drinstecke, frage ich mich auch hier wieder, warum ich dieses Album nicht mehr geschätzt habe bisher – denn heute finde ich das auf Anhieb, schon im öffnenden Bonussegment, richtig toll. Coleman und Metheny solieren parallel, gehen aber immer wieder in den Dialog, tauschen Phrasen aus, während der andere jeweils pausiert. Haden ist natürlich immer noch ein fabelhafter Bassist für Coleman (die Reunion des Quartetts stand ja auch unmittelbar bevor … war das hier der Auslöser?) und DeJohnette natürlich ein toller Drummer, der mit den komplexen Rhythmen der Stücke Colemans überhaupt keine Mühe bekundet und mit Denardo bestens zusammenfindet. Das Bonusmaterial stammt von Coleman (u.a. „Compute“, „A Word from Bird“, „the Veil“), bis auf „Police People“ und „The Good Life“, wo Metheny zu Ornettes Stück die „improv form“ beigesteuert hat.

    Auf dem Album finden sich dann vier weitere Coleman-Stücke sowie vier Kollaborationen der beiden Co-Leader. Wenn es im Album gleich wieder unglaublich dicht mit dem Titelstück losgeht, so folgt mit „Mob Job“ wieder in die neu entdeckte lyrische Richtung. Ornette ist hier zum einzigen Mal auch an der Violine zu hören, spielt aber zunächst eine längere wunderbare Altsax-Passage über eine halbakustische (?) Gitarre. Abgesehen vom 13minütigen „Endangered Species“ (der ersten Coleman/Metheny-Kollaboration – die scheinbare Violinenspur hier kommt vom Gitarrensynthesizer) sind die meisten Stücke um die vier oder fünf Minuten kurz gehalten. Funk gibt es keinen – aber die dichteren Passagen und Stücke sind dennoch nicht sehr weit vom Prime Time-Konzept entfernt, einfach ohne den dauersolierenden Bass, weil das halt nicht ist, was Haden getan hat. Metheny bringt aber auch neue Aspekte rein, lässt seine Gitarre im sehr dichten und freien „Engangered Species“ auch jaulen und aufheulen, wie das bei Prime Time nicht zu hören ist. Und auf anderen Tracks klingt das dann eher wie ein Revival der klassischen Coleman-Musik um 1959-1961 herum – doch mit härteren Drums und dem Störfaktor Metheny, der über den locker pulsierenden Groove von „Video Games“ mit seinem Gitarrensynthesizer einiges Durcheinander anrichtet. Wenn Coleman in „Trigonometry“ lange allein mit der Rhythmusgruppe spielt, ist das so toll, dass ich mich keine Sekunde wundere, dass es bald ein Revival des Quartetts gab, eine Rückkehr zu Bands ohne elektrische Instrumente – auch wenn diese noch längere Zeit weiter Teil von Colemans Musik blieben. Auch toll das „Song X Duo“ an zweitletzter Stelle: Altsax und Gitarre im stetig dichter werdenden Dialog. Ein facettenreiches Album, in dem Coleman wie auch Metheny die Breite ihres Könnens zeigen – und das funktioniert wirklich gut.

    As it happens, with this opportunity to look at things again two decades later, it seems upon review that although I did pick the right takes of the tunes that were on the original version of the release, there were in fact major improvements to be made in the mixing and mastering of the record. And, at the time, in 1985, the CD was still a new medium that was thought of as kind of an adjunct to the LP, with its maximum playing time of around 48 minutes. it is now possible to include six pieces that were not able to fit on the original recording due to space restrictions of the medium of the era.

    The exciting thing for me is to discover how these six new pieces–which are included at the beginning of this new release–really complete the recording. They include two pieces („Police People“ and „The Good Life“) where I contributed some more conventional blowing changes for us to play on for the improvised sections to go with Ornette’s great melodies–how rare and beautiful to hear Ornette play on structures like that–and three tunes that send the band into areas that were largely unrepresented in the original recording („Word from Bird“, „The Veil,“ and „Compute.“ The piece „All of Us“ functions mostly as a link).

    At the time of our collaboration on this project, Ornette and I sent a lot of time discussing our goals for what we wanted to accomplish in it. One theme that kept coming up was to try to make a record that was unlike anything that had been done before. Even at the time, it seemed like it was a record that stood apart. This twentieth-anniversary edition of the record feels like an improvement and reveals a more complete picture of our efforts.

    ~ Pat Metheny, May 2005 (Liner Notes, den ersten Abschnitt liess ich weg)

    Hier ist das Aufnahmedatum ja für einmal gesichert … bei „Opening at The Caravan of Dreams“ liest man auch 1985 (das VÖ-Jahr), aber die Eröffnung war halt 1983 … all die Jahreszahlen in den Posts gerade also bitte mit Vorsicht geniessen, erst recht bei den YT-Livemitschnitten (den Auftritt aus Rom mit Ulmer gibt es dort z.B. auch als von 1984 und 1985). Vielleicht hätte „Song X“ also vor „Opening…“ und „Prime Design/Time Design“ gehört, wer weiss … auch 1985 wirkte Coleman nochmal bei einem Tacuma-Album mit, „So Tranquilizin'“, wie es scheint mit eher geringem Jazzanteil und grosser Besetzung mit viel Synthesizern, Moog-Bass, Drum-Programming, Gesang, Ronnie Drayton oder Anton Fier im Line-Up. Vom Opener und Titeltrack des Albums gibt es auch ein Musikvideo (aber das ist hier off topic, Coleman ist nicht zu hören):

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