Antwort auf: Ornette Coleman

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gypsy-tail-wind
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Nächster Stopp: Song X, das Album, das Ornette Coleman und Pat Metheny im Dezember 1985 in der Power Station in New York aufgenommen haben. Das Album war Methenys erstes für sein neues Label Geffen. Als Tonmeister agierte Jan-Erik Kongshaug, 2005 gab es eine Twentieth Anniversary-Ausgabe mit einem neuen Mix (wärmer, voller – wenn ich mich richtig erinnere klang die alte CD dünn und scharf) und nicht ganz 20 Minuten Bonusmaterial, das an den Anfang des Albums gestellt wurde (#1-6 der 14 Tracks der CD). Mit Charlie Haden ist das Bindeglied: Mitglied im originalen Coleman Quartet aber auch regelmässiger Metheny-Sideman, was auch für Drummer Jack DeJohnette gilt, der soweit mir bekannt sonst leider nie mit Coleman spielte. Aus Colemans Band ist natürlich Denardo dabei, der wieder seine elektronischen Drums dabei hat. Wo ich gerade so richtig in all diesen Aufnahmen drinstecke, frage ich mich auch hier wieder, warum ich dieses Album nicht mehr geschätzt habe bisher – denn heute finde ich das auf Anhieb, schon im öffnenden Bonussegment, richtig toll. Coleman und Metheny solieren parallel, gehen aber immer wieder in den Dialog, tauschen Phrasen aus, während der andere jeweils pausiert. Haden ist natürlich immer noch ein fabelhafter Bassist für Coleman (die Reunion des Quartetts stand ja auch unmittelbar bevor … war das hier der Auslöser?) und DeJohnette natürlich ein toller Drummer, der mit den komplexen Rhythmen der Stücke Colemans überhaupt keine Mühe bekundet und mit Denardo bestens zusammenfindet. Das Bonusmaterial stammt von Coleman (u.a. „Compute“, „A Word from Bird“, „the Veil“), bis auf „Police People“ und „The Good Life“, wo Metheny zu Ornettes Stück die „improv form“ beigesteuert hat.

Auf dem Album finden sich dann vier weitere Coleman-Stücke sowie vier Kollaborationen der beiden Co-Leader. Wenn es im Album gleich wieder unglaublich dicht mit dem Titelstück losgeht, so folgt mit „Mob Job“ wieder in die neu entdeckte lyrische Richtung. Ornette ist hier zum einzigen Mal auch an der Violine zu hören, spielt aber zunächst eine längere wunderbare Altsax-Passage über eine halbakustische (?) Gitarre. Abgesehen vom 13minütigen „Endangered Species“ (der ersten Coleman/Metheny-Kollaboration – die scheinbare Violinenspur hier kommt vom Gitarrensynthesizer) sind die meisten Stücke um die vier oder fünf Minuten kurz gehalten. Funk gibt es keinen – aber die dichteren Passagen und Stücke sind dennoch nicht sehr weit vom Prime Time-Konzept entfernt, einfach ohne den dauersolierenden Bass, weil das halt nicht ist, was Haden getan hat. Metheny bringt aber auch neue Aspekte rein, lässt seine Gitarre im sehr dichten und freien „Engangered Species“ auch jaulen und aufheulen, wie das bei Prime Time nicht zu hören ist. Und auf anderen Tracks klingt das dann eher wie ein Revival der klassischen Coleman-Musik um 1959-1961 herum – doch mit härteren Drums und dem Störfaktor Metheny, der über den locker pulsierenden Groove von „Video Games“ mit seinem Gitarrensynthesizer einiges Durcheinander anrichtet. Wenn Coleman in „Trigonometry“ lange allein mit der Rhythmusgruppe spielt, ist das so toll, dass ich mich keine Sekunde wundere, dass es bald ein Revival des Quartetts gab, eine Rückkehr zu Bands ohne elektrische Instrumente – auch wenn diese noch längere Zeit weiter Teil von Colemans Musik blieben. Auch toll das „Song X Duo“ an zweitletzter Stelle: Altsax und Gitarre im stetig dichter werdenden Dialog. Ein facettenreiches Album, in dem Coleman wie auch Metheny die Breite ihres Könnens zeigen – und das funktioniert wirklich gut.

As it happens, with this opportunity to look at things again two decades later, it seems upon review that although I did pick the right takes of the tunes that were on the original version of the release, there were in fact major improvements to be made in the mixing and mastering of the record. And, at the time, in 1985, the CD was still a new medium that was thought of as kind of an adjunct to the LP, with its maximum playing time of around 48 minutes. it is now possible to include six pieces that were not able to fit on the original recording due to space restrictions of the medium of the era.

The exciting thing for me is to discover how these six new pieces–which are included at the beginning of this new release–really complete the recording. They include two pieces („Police People“ and „The Good Life“) where I contributed some more conventional blowing changes for us to play on for the improvised sections to go with Ornette’s great melodies–how rare and beautiful to hear Ornette play on structures like that–and three tunes that send the band into areas that were largely unrepresented in the original recording („Word from Bird“, „The Veil,“ and „Compute.“ The piece „All of Us“ functions mostly as a link).

At the time of our collaboration on this project, Ornette and I sent a lot of time discussing our goals for what we wanted to accomplish in it. One theme that kept coming up was to try to make a record that was unlike anything that had been done before. Even at the time, it seemed like it was a record that stood apart. This twentieth-anniversary edition of the record feels like an improvement and reveals a more complete picture of our efforts.

~ Pat Metheny, May 2005 (Liner Notes, den ersten Abschnitt liess ich weg)

Hier ist das Aufnahmedatum ja für einmal gesichert … bei „Opening at The Caravan of Dreams“ liest man auch 1985 (das VÖ-Jahr), aber die Eröffnung war halt 1983 … all die Jahreszahlen in den Posts gerade also bitte mit Vorsicht geniessen, erst recht bei den YT-Livemitschnitten (den Auftritt aus Rom mit Ulmer gibt es dort z.B. auch als von 1984 und 1985). Vielleicht hätte „Song X“ also vor „Opening…“ und „Prime Design/Time Design“ gehört, wer weiss … auch 1985 wirkte Coleman nochmal bei einem Tacuma-Album mit, „So Tranquilizin'“, wie es scheint mit eher geringem Jazzanteil und grosser Besetzung mit viel Synthesizern, Moog-Bass, Drum-Programming, Gesang, Ronnie Drayton oder Anton Fier im Line-Up. Vom Opener und Titeltrack des Albums gibt es auch ein Musikvideo (aber das ist hier off topic, Coleman ist nicht zu hören):

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