Antwort auf: Ornette Coleman

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Of Human Feelings ist das nächste Album von Ornette Coleman mit Prime Time – 1982 bei Antilles erschienen, mit Ornette Coleman (as), Charlie Ellerbee und Bern Nix (g), Jamaaladeen Tacuma (elb) Calvin Weston & Denardo Coleman (d). Das Album wurde am 25. April 1979 in New York aufgenommen, seine acht kurzen Stücke in weniger als 40 Minuten sind nach den ausufernden Live-Gigs eine ziemliche Umstellung. Der Funk-Anteil ist seit „Body Meta“ gewachsen, Tacuma wird im Mix stark nach vorn gepusht und noch vor den Gitarren die zweite Stimme im Geflecht, verwebt sich mit Colemans Linien. Die Gitarren mischen sich mal mit Melodiekürzeln oder Wah-Wah-Akkorden ein, fallen dann wieder raus, um sich anderswo auch richtig ins Geschehen einzumischen, die Riege der Dauer-Solisten zu erweitern. Die Drums sind hart, meistens recht karg und immer auf den Punkt. Das ist sehr dicht, in der Härte der frühen Digitalaufnahme nicht sehr klangschön, aber nicht kalt und sehr transparent, es hat Biss, was wiederum super zur Musik passt (Tonmeister war Ron Saint Germain, produziert hat Coleman selbst). Es braucht für mich in diesem Setting den kreativen Flow von Colemans Saxophon über allem, um das Interesse auf Albumlänge aufrechtzuerhalten.

Hier ist Prime Time um Al McDowell (elb) zum Septett erweitert 1980 in Mailand zu sehen – eine halbe Stunde, die auch wegen der Einblicke ins Bandgeschehen lohnenswert ist (leider ist keine Kamera auf Denardo gerichtet) … und mir den Gedanken einer weiteren Fortentwicklung des Konzepts viel mehr aufdrängt als die Antilles-LP: das ist nochmal dichter geworden, die einzelnen Stimmen dabei aber noch unabhängiger, solistischer. Und es fasziniert mich wirklich sehr … bin ja selbst überrascht, dass ich das Zeug grad so intensiv anhören mag, zumal ich bisher eher ein Album aufs Mal und dann wochen- oder monatelang nichts davon angehört habe – aber umso schöner!

(Der Tierarzttermin, der zu bis zu 3 Stunden Lesezeit geführt hätte, wofür ich das Buch von Golia bereitgelegt hatte, fiel aus, weil die Katze – als hätte sie es geahnt – sich verkrümelt hat … aber in dem Buch möchte ich die Tage definitiv etwas lesen, spätestens halt, wenn ich nächste Woche den nächsten Anlauf in Sachen Tierarzt unternehme.)

Als Opener der zweiten Seite von Jamaaladeen Tacumas Antilles-Album „Renaissance Man“ ist die nächste Aufnahme zu finden – eine neue Version von Dancing in Your Head, das einzige Stück auf dem Album, bei dem Coleman mitwirkt. Charles Ellerbee (g) ist auch dabei, zudem Ron Howerton (perc, el-perc) und Drum-Programming von Tacuma und Greg Mann. Die Aufnahme entstand 1984 im Grammavision Studio in New York, Mann agierte als Tonmeister. Ein wenig frage ich mich hier, ob die Sax- und die Bassspur gleichzeitig eingespielt wurden … treibt Tacuma es hier mit dem Dauersolieren einfach noch etwas weiter, oder ist das irgendwie für einmal leicht „out of sync“? Der digitale Eighties-Sound ist mit den digitalen Drums natürlich nochmal arg verstärkt, aber das ist dennoch sehr reizvoll. Während auf der ersten Hälfte des Albums Cornell Rochester zu hören ist, gibt es auf der zweiten vier Stücke in jeweils unterschiedlichen Besetzungen – einmal gibt es Streicher, im Closer dann Gastauftritte von David Murray und Vernon Reid. Die Abzweigung muss ich auch noch nehmen die Tage (das ist mein einziges Tacuma-Album aus der Zeit, aber „Barbeque Dog“, mein einziges von Ronald Shannon Jackson, auf dem Reid auch zu hören ist, kommt dann auch noch an die Reihe).

Zum Abschluss (nächste Runde ist „Opening The Caravan of Dreams“, das freundlicherweise auch in der Tube steht) nochmal eine Version von „Dancing in Your Head“, 1986 in Japan mit etwas verändertem Line-Up (am Anfang eingeblendet) und anfangs deutlich aufgeräumterem Sound (viel wärmer auch), was für meine Ohren im Vergleich zum Gig aus Mailand oben die Faszination etwas mindert. Andererseits sind die Drums (Denardo spielt einige elektronische Teile) hier teils geradezu grotesk asynchron und Temposchwankungen gibt es auch noch … da wird das halt doch wieder super. Und Coleman spielt sich in der ersten Hälfte am Sax echt ins Feuer. Danach greift er die Violine und wir kriegen ein paar Close-Ups. Ein paar Schweisstropfen kullern, wenn Coleman die Trompete greift – und sich dann irgendwie skeptisch zur Band umdreht. Die durchs Publikum schwenkende Kamera fängt auch ein paar tolle Momente ein. Knapp acht Minuten sind das, aber eine irre musikalische Weltreise, die am Ende irre verdichtet wird.

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