Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism, PC & Cancel Culture

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  • #11199799  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    latho

    gypsy-tail-wind
    […]
    Wenn dann die schnellen Handwischbewegungen („Grossmaul“*) kommen, interessiert mich das eher nicht und vertreibt mich aus der Diskussion, weil eben: frustrierend (auch wenn vielleicht in der Sache nicht falsch, aber das kann man ja auch mal ausdiskutieren, weil eben: Unbehagen, keine Aktien im Spiel).
    […]

    Das bezog sich auf Twitter, also nicht spezifisch auf Jon Silpayamanant und beleibe nicht auf dich. Diente nur zur Illustration, dass ich auf Twitter als Argumentationsplattform nicht viel gebe (da sind mir zB Foren lieber). Silpayamanants Argumentation (sofern ich sie erkennen kann) bleibt mir trotzdem fremd und unklar.

    Hatte es nicht auf mich bezogen, aber danke für die Erklärung! Ich nutze seine Tweets als Hinweise, als Baustelle für weiteren „Stoff“ – und so finde ich sie sehr hilfreich. Dabei muss ich seine Argumentation (sofern die überhaupt stringent ist) nicht unbedingt erkennen. Als Anregung finde ich das gerade sehr wertvoll, wie ich oben ja schon verdeutlichte.

    latho

    gypsy-tail-wind
    Das muss ich noch sacken lassen … keine „bewussten Absichten“? Echt jetzt? Was denn sonst? Zufall? Unfall? Nachahmung aus reiner Verehrung? Erklär es mir!

    Beispiel: Glaubst du, dass Elvis und seine Produzenten, zB Phillips da saßen und sich dachten, „hmm, welchen erfolgreichen Song eines schwarzen Künstlers nehmen wir denn jetzt, um ordentlich Kohle zu verdienen, in dem wir keine Tantiemen zahlen?“ Das funktionierte doch ganz anders, vor allem bei Phillips, der ja auch schwarze Künstler förderte. Zumal Elvis mit der „schwarz beeinflussten“ Musik durchaus seine Probleme hatte. Erst nach der Army galt er im weißen Amerika als stubenrein. „Unbewusster Klau“ ist eine Projektion Nachgeborener. Klar gab es das auch, dass man sich dachte, „billig, weil die Schwarzen bezahlen wir einfach nicht“, aber es ging ja um ganze Musikstile, die „geraubt“ wurden. Und das sehe ich nicht.
    Nochmal: Mir ist der Begriff CA zu allgemein, projeziert „rassische“ Verhaltensweisen (bei den Weißen) und ist sowieso schon benannt. Ein Modebegriff, wenn man so will, den zukünftige Generationen nicht mehr verwenden werden (auch wenn das Problem des Tantiemenbetrugs oder des Nichtwissens um musikalische Zusammenhänge weiterhin bestehen werden).

    Hm, okay – danke auch hier für die Erläuterung … aber ob ich damit einverstanden sein kann, weiss ich gerade nicht. Da spielen ja schon diverse Faktoren rein. Einerseits die Erkenntnis, dass da was zu holen war (also: gute Musik, an die man sich anlehnen kann – das könnte ja unter anderen Umständen, in einem Land ohne Apartheid, vielleicht auch respektvoll geschehen, in den USA aber damals eher nicht … und das setzt ja auch schon früher ein, spätestens in der Swing-Ära, als die zweitklassige Musik von Goodman oder die drittklassige von Miller zum gigantischen Erfolg wurde, während die wirklich guten Orchester die „Rassen“schranke nicht durchbrechen konnten/durften (Basie, Ellington, Lunceford) … später gab es dann auch richtig gute weisse Bands (Woody Herman, Stan Kenton), und Goodman war auch ein Pionier, was „integrated“ Bands anging: Lionel Hampton, Teddy Wilson, Charlie Christian sind ein paar der wichtigen Leute, die bei ihm spielten, Gene Krupa holte sich Roy Eldridge, der dann auch mal bei Artie Shaw dabei war … aber daran, dass das grundsätzlich weisse Bands waren und blieben, änderte das dann doch wenig … die afro-amerikanischen Musiker durften nicht in denselben Hotels übernachten, nicht in denselben Diners was essen, nur durch den Dienstboteneingang auf die Bühne etc.

    Ich denke, das muss man auch im Hinterkopf haben, wenn man sich die Situation im frühen Rock’n’Roll anschaut. Also, dass weisse Musiker einen gigantischen Vorteil hatten, ganz egal bei was. Und dass das dann, früher oder später, auch einen massiven Unterschied machte. Und dann ist da natürlich noch die Sache mit dem Fernsehen, wo man plötzlich die Gesichter sah (da gibt es im Jazz auch eine krasse Story, das Red Norvo Trio mit Charles Mingus am Bass … ich glaube, der Leader wollte Mingus zwar spielen lassen, aber einen weissen Bassisten im Bild haben, worauf Mingus dann natürlich gekündigt hat).

    Da sind wir halt wieder bei den „strukturellen“ Ungleichheit, die sehr tief sass (und sitzt). Vielleicht gab es im Einzelfall keine Absicht oder keinen Plan, aber den brauchte es halt auch gar nicht?

    Falls ich hier auf dem Holzweg bin, bin ich gerne bereit, zuzuhören … ich schätze ja die Diskussionskultur, die wir hier insgesamt haben. Es gibt aber schon immer wieder auch Momente, die ziemlich entmutigend sind.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #152: Enja Records 1971-1973 – 14.05., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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    #11199821  | PERMALINK

    nicht_vom_forum

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    go1

    lathoWann ist ein Stil kopiert, wann nur entlehnt?

    Wenn es um Kunst geht, ist vieles subjektiv und individuell, aber nicht alles. Da spielen Traditionen eine Rolle und ein Wissen, das die Musiker – und auch Musiker und Hörer – gemeinsam haben, in verschiedenen Graden.
    […]
    Es hätte halt eine andere Gesellschaft und eine andere Musikindustrie gebraucht, die nach anderen Prinzipien funktionieren. „There has been a long history of people pushing black creators to the margins while making millions of dollars off their work. If the music business hadn’t been riddled with racism, and if the measure of financial success was “whether a person (of any race) had created something original and good” rather than “whether a white person could copy and repackage an unknown black song for a white audience more concerned with color than content,” there would be no injustice.“

    Leider geht es aber nicht nur um „more concerned with color than content“. So richtig und wichtig diese Punkte sind, gibt es aber eben immer noch ein (Mainstream-)Publikum, dass zunächst mal bei den Hörgewohnheiten abgeholt werden muss, die es hat. Das heißt dann eben, um die USA mal zu verlassen, Fanta 4 statt Public Enemy.

    gypsy-tail-wind
    und das setzt ja auch schon früher ein, spätestens in der Swing-Ära, als die zweitklassige Musik von Goodman oder die drittklassige von Miller zum gigantischen Erfolg wurde, während die wirklich guten Orchester die „Rassen“schranke nicht durchbrechen konnten/durften (Basie, Ellington, Lunceford)

    Die genannten weißen Bands waren aber (und das meine ich oben) nicht nur schlechtere Kopien von schwarzen Bands, sondern, gerade Miller, auch für einen anderen Kontext gedacht: Tanz- und Unterhaltungsmusik – Komplexität ist da gar nicht gewollt. Bei Miller würde ich die Frage stellen, ob das überhaupt Jazz ist – oder Pop.

    Nach nochmaligem Nachdenken: Ich werde den Verdacht nicht los, dass das Thema „Cultural Appropriation“ in zugespitzter Form schon wieder ein US-Thema ist, das sich auf andere historisch/kulturelle Kontexte mal mehr und mal weniger, aber auf gar keinen Fall einfach übertragen lässt.

    zuletzt geändert von nicht_vom_forum

    --

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    #11199829  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    nicht_vom_forum

    gypsy-tail-wind
    und das setzt ja auch schon früher ein, spätestens in der Swing-Ära, als die zweitklassige Musik von Goodman oder die drittklassige von Miller zum gigantischen Erfolg wurde, während die wirklich guten Orchester die „Rassen“schranke nicht durchbrechen konnten/durften (Basie, Ellington, Lunceford) … später gab es dann auch richtig gute weisse Bands (Woody Herman, Stan Kenton),

    Die genannten Bands waren aber (und das meine ich oben) nicht nur schlechtere Kopien von schwarzen Bands, sondern, gerade Miller, auch für einen anderen Kontext gedacht: Tanz- und Unterhaltungsmusik – Komplexität ist da gar nicht gewollt.

    Dasselbe taten Basie, Lunceford und Ellington auch … bei letzterem ist ja auch interessant, dass die berühmte „Cotton Club“-Band mit ihren primitiven jungle Sounds (um die drei Wörter kann ich gar nicht genügend Anführungszeichen setzen) ja für ein exklusiv weisses Publikum aufspielte … dabei quasi schwarzen Primitivismus mimte – wobei Musik entstand, die zu Ellingtons schönster und wichtigster zu rechnen ist (und es war genau der Teil von Ellington, der später in der niederländischen Free Jazz/Impro-Szene, v.a. beim ICP Orchestra, aufgegriffen wurde). Die Vielschichtigkeiten gab es wohl schon immer, aber in den Haupt-Erzählsträngen ist davon wenig übriggeblieben.

    nicht_vom_forum
    Nach nochmaligem Nachdenken: Ich werde den Verdacht nicht los, dass das Thema „Cultural Appropriation“ in zugespitzter Form schon wieder ein US-Thema ist, das sich auf andere historisch/kulturelle Kontexte mal mehr und mal weniger, aber auf gar keinen Fall einfach übertragen lässt.

    Gut möglich – aber als kulturell Kolonialisierte betrifft uns das halt auch ;-)

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    #11199843  | PERMALINK

    latho
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    gypsy-tail-windHm, okay – danke auch hier für die Erläuterung … aber ob ich damit einverstanden sein kann, weiss ich gerade nicht. Da spielen ja schon diverse Faktoren rein. Einerseits die Erkenntnis, dass da was zu holen war (also: gute Musik, an die man sich anlehnen kann – das könnte ja unter anderen Umständen, in einem Land ohne Apartheid, vielleicht auch respektvoll geschehen, in den USA aber damals eher nicht … und das setzt ja auch schon früher ein, spätestens in der Swing-Ära, als die zweitklassige Musik von Goodman oder die drittklassige von Miller zum gigantischen Erfolg wurde, während die wirklich guten Orchester die „Rassen“schranke nicht durchbrechen konnten/durften (Basie, Ellington, Lunceford) …
    […]
    Ich denke, das muss man auch im Hinterkopf haben, wenn man sich die Situation im frühen Rock’n’Roll anschaut. Also, dass weisse Musiker einen gigantischen Vorteil hatten, ganz egal bei was. Und dass das dann, früher oder später, auch einen massiven Unterschied machte. Und dann ist da natürlich noch die Sache mit dem Fernsehen, wo man plötzlich die Gesichter sah (da gibt es im Jazz auch eine krasse Story, das Red Norvo Trio mit Charles Mingus am Bass … ich glaube, der Leader wollte Mingus zwar spielen lassen, aber einen weissen Bassisten im Bild haben, worauf Mingus dann natürlich gekündigt hat).
    Da sind wir halt wieder bei den „strukturellen“ Ungleichheit, die sehr tief sass (und sitzt). Vielleicht gab es im Einzelfall keine Absicht oder keinen Plan, aber den brauchte es halt auch gar nicht?
    Falls ich hier auf dem Holzweg bin, bin ich gerne bereit, zuzuhören … ich schätze ja die Diskussionskultur, die wir hier insgesamt haben. Es gibt aber schon immer wieder auch Momente, die ziemlich entmutigend sind.

    (hatte eine längere Antwort geschrieben, aber diese Drecksforumssoftware hat sie wohl geschluckt)

    Es gibt ja keinen Zweifel an Rassismus, der ist latent, weit verbreitet (nicht nur bei „Weißen“), wissenschaftlich nachgewiesen (Gegenmaßnahmen sind schon schieriger). Genauso wenig kann man an der Diskriminierung schwarzer Musiker (ein manchen Fällen bis heute) zweifeln, da gibt es genug Beispiele. Aber diese Dinge sind bekannt und benannt. Vielleicht haben sich damals (30er oder 50er) weniger weiße Musiker darum geschert, aber auch da gibt’s Gegenbeispiele; Frank Sinatra, sonst ja ein rechtes Arschloch, hat sich oft vor seine schwarzen Mitmusiker gestellt, Faron Young einen rassistischen DJ mit Boykott gedroht, bis dieser Platten seines Freundes Charlie Pride spielte. Will sagen: Es braucht in meinen Augen keinen zusätzlichen Ausdruck dafür, der zumindest impliziert, dass das Problem damals nicht bekannt gewesen wäre. Und dass es jetzt nur einen aus der Generation X braucht, der feststellt, dass es damals Rassimus auch in der Kulturindustrie gab (und Unmengen der Generation Smartphone, die mit dem Begriff als Begründung Leute online mobben).

    --

    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #11199851  | PERMALINK

    pfingstluemmel
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    Come with uncle and hear all proper! Hear angel trumpets and devil trombones. You are invited.
    #11199857  | PERMALINK

    bullitt

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    gypsy-tail-wind
    Das mit dem Unbehagen geht mir sehr ähnlich. Ich habe in dieser Diskussion bisher keine Aktien im Spiel (und bin auch über die bissigen Angriffe von @bullitt etwas irritiert – das hat mit Eurozentrismus zu tun, dass … schon mal vom Kolonialismus gehört? Schon mal den Wohlstand des „Westens“ kritisch hinterfragt? Die Ausbeutungsmechanismen, die immer noch weiterlaufen? Klar, ist ja auch bequemer, den Kopf in den Sand zu stecken). …

    Nun, ich finde es zunächst mal irritierend, dass du in einem Thread vermeintlich ideologisch konnotierte „Kampfbegriffe“ kategorisch ablehnst, dich aber in einem anderen munter solcher für deine eigene Agenda bedienst. Ob die nun passen oder nicht.  Die Bezeichnung „Eurozentrismus“ auf  banale Alltagsformulierungen anzuwenden und daraus Rassismus zu konstruieren, halte ich für  nicht weniger irritierend. Demnach dürfte man schon die Frage nach dem Wetter nicht mehr mit gut oder schlecht beantworten, weil man sich als Mitteleuropäer dabei nur auf das Wetter in Mitteleuropa bezieht. Wie gesagt, sich im Alltag auch sprachlich auf seinen eigenen unmittelbaren Kulturraum zu fokussieren ist das normalste der Welt und das hat rein gar nichts mit Kolonialismus und Ausbeutungsmechanismen zu tun. Möchte das an dieser Stelle auch gar nicht weiter virtuell diskutieren. Mir fällt es nur schwer, sowas unkommentiert stehen zu lasen.

    zuletzt geändert von bullitt

    --

    #11199873  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    bullitt

    gypsy-tail-wind Das mit dem Unbehagen geht mir sehr ähnlich. Ich habe in dieser Diskussion bisher keine Aktien im Spiel (und bin auch über die bissigen Angriffe von @bullitt etwas irritiert – das hat mit Eurozentrismus zu tun, dass … schon mal vom Kolonialismus gehört? Schon mal den Wohlstand des „Westens“ kritisch hinterfragt? Die Ausbeutungsmechanismen, die immer noch weiterlaufen? Klar, ist ja auch bequemer, den Kopf in den Sand zu stecken). …

    Nun, ich finde es zunächst mal irritierend, dass du in einem Thread vermeintlich ideologisch konnotierte „Kampfbegriffe“ kategorisch ablehnst, dich aber in einem anderen munter solcher für deine eigene Agenda bedienst. Ob die nun passen oder nicht. Die Bezeichnung „Eurozentrismus“ auf banale Alltagsformulierungen anzuwenden und daraus Rassismus zu konstruieren, halte ich für nicht weniger irritierend. Demnach dürfte man schon die Frage nach dem Wetter nicht mehr mit gut oder schlecht beantworten, weil man sich als Mitteleuropäer dabei nur auf das Wetter in Mitteleuropa bezieht. Wie gesagt, sich im Alltag auch sprachlich auf seinen eigenen unmittelbaren Kulturraum zu fokussieren ist das normalste der Welt und das hat rein gar nichts mit Kolonialismus und Ausbeutungsmechanismen zu tun. Möchte das an dieser Stelle auch gar nicht weiter virtuell diskutieren. Mir fällt es nur schwer, sowas unkommentiert stehen zu lasen.

    Die andere Diskussion war ja so unwillkommen, dass ich sie nicht forführen mochte (Teil dessen, was Leute vom Forum vertreiben könnte, meine ich – was dann drüber wieder on topic wäre). Ich lehne den „Kampfbegriff“ der „cancel culture“ ja nicht ab sondern versuchte, ihn anders zu kontextualisieren (und ich bin es echt leid, dass der andere Kampfbegriff, „PC“, sich dermassen durchgesetzt hat, dass viele längst denken, seine Herkunft sei egal oder sogar unproblematisch, der Begriff ist jedenfalls überhaupt nicht „vermeintlich ideologisch konnotiert“ sondern wurde als idelogische Konstrukt von der Rechten durchgesetzt – da werde ich mich nie damit abfinden). Damit mag ich vollkommen auf dem Holzweg sein, aber auch darüber könnte doch diskutiert werden? Ich habe jedenfalls ein noch viel ausgeprägteres Unbehagen, was „cancel culture“ angeht, denn was „cultural appropriation“ betrifft.

    --

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    #11199885  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

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    gypsy-tail-wind

    redbeansandrice
    ich find das Beispiel mit „ich mag eigentlich alle Musik“ wirklich ziemlich schlecht… wenn ich persoenlich das sage, meine ich damit primaer, dass ich es eigentlich immer gut finde, wenn ich irgendwie hinkomme, und es wird Musik gespielt… Jazz waere am besten, aber von Klassik bis Schlager ist wirklich vieles fuer mich besser als Stille… und da kann es jetzt natuerlich sein, dass es da draussen irgendeine Kultur gibt, deren mir unbekannte Musik in meinen Ohren so graesslich klingt, dass ich sie nun wirklich nicht hoeren will… aber ich find es voellig akzeptabel, wenn man das nicht explizit dazusagt, waere ja auch nicht besonders nett, und vielleicht braucht man ja auch einen Moment um reinzukommen…
    dazu kommt, dass es ja immer einen Kontext gibt, und dass man in der normalen Sprache (anders als etwa in der Mathematik) nicht immer alle Qualifikationen und Einschraenkungen explizit macht… wenn ich nach Hause fahre, und meine Mutter fragt, was ich gerne essen will, dann kann es gut sein, dass ich „ich find alles lecker“ sage… und da ist dann implizit mit drin, dass ich damit die Sachen meine, die es zu Hause normalerweise so zu essen gibt, dass ich nicht nochmal explizit alles aufliste, was mir zu Hause nicht schmeckt (weiss sie eh – und wenn ich den Heringsauflauf von 1996 nochmal auspacke, freut sie sich auch nicht), und ja, ich erwaehne auch nicht explizit die Kuechen aller Kulturen, die uns beiden fremd sind… ukrainischen Weisswurstpudding wird es schon nicht geben… und wenn doch, dann ist es halt so… Kommunikation ist auch nie perfekt, im Alltag ist „alles“ beinah nie woertlich gemeint…
    das heisst nicht, dass man nicht vor rassistischen Denkmustern auf der Hut sein sollte, dass „ich mag alle Arten von Musik“ auch mal ausschliessend sein kann … man kann eigentlich fuer jeden Satz eine Situation konstruieren, in der er voellig unangemessen ist…

    Der Relativmus des letzten Satzes im Zitat führt uns natürlich keine Centimeter weiter, aber egal. Ich dachte auc nicht an Leute, die keinen Bezug zu Musik haben oder tatsächlich, wie Du es bist, für sehr vieles offen. Es gibt ordentlich Leute, die z.B. Klassik, Rock aller Spielarten, Blues, Jazz, Elektro usw. hören, aber z.B. Hip Hop (und gerne auch Country) als Schund und Schrott diffamieren. Und die meinen, mit ihren Interessen eben „alles“ abgedeckt zu haben. Und @latho hat ja das Begriffsdurcheinander in den Punkten, die ich referierte, aufgelöst (danke – war kein bewusster Fehler, ich hatte schlichtweg keine Zeit, das alles nochmal in Ruhe zu lesen bzw. überhaupt zu suchen), aber ich denke halt trotzdem, dass da unerkannte Denkmuster mit Dünkel und Überlegenheitskomplexen dahinter stecken können. Das Beispiel von @nicht_vom_forum ist ja sehr passend:

    nicht_vom_forum
    Eine ehemalige Mitschülerin, die nach dem Abitur Gesang studierte, teilte mir beim fünfjährigen Jahrgangstreffen während der Unterhaltung mit, sie würde „alles singen: Oper und Lied“…

    aber der Absolutismus des Ausgangsstatements zu „ich mag jede Musik“ fuehrt halt auch nicht weiter… wenn der Aenderungsschneider an der Ecke ein Schild mit „Wir reparieren alles“ im Fenster hat, bring ich da trotzdem nicht mein kaputtes Fahrrad hin, nur um ihn zu belehren… und man kann nicht_vom_forums Kollegin ja schon auch irgendwie verstehen, was anderes als die zwei Sachen wird sie nicht gelernt haben… einerseits… und andererseits muss man (schreibst du ja auch) nicht bis nach Persien gucken, um Sachen zu finden, die in der Liste fehlen…

    und die Rolle von klassischer Musik in der Welt – das ist eine spannende Frage, die mE nur indirekt in diesen Thread gehoert… Man hat das ja als Kind in der Schule und so gelernt, dass die allergroessten Musiker oesterreichische Musik des 18. und fruehen 19. Jahrhunderts mehr oder weniger eins-zu-eins nachspielen und dass sie den Leuten, die „normale Musik machen“ (so nannten wir das damals) geistig haushoch ueberlegen sind… diese Sorge, dass demnaechst nur noch Koreaner in unseren Orchestern spielen, kam im Musikunterricht glaub ich auch irgendwann dran… ich fand das alles schon als Kind ein bisschen dubios… das einzige, was es rettet, ist, dass die Musik wirklich ganz gut ist…

    Wenn ich mir diese Passage angucke, die latho herausgesucht hat, das Gespraech, das der Autor so gerne fuehren wuerde

    Q: What kind of music do you like?

    A: Everything except rap and country.

    Q: Oh, so you listen to Luk Krung? Pon Pirome is probably my favorite artist.

    dann denk ich: hier will jemand seine kulturelle Ueberlegenheit mal genauso ausleben, wie das jahrelang ihm gegenueber getan wurde… und ich kann sehen, dass Jahrzehnte von bitteren Erfahrungen sowas mit einem machen… aber dadurch wird es trotzdem nicht super

    --

    .
    #11199907  | PERMALINK

    nicht_vom_forum

    Registriert seit: 18.01.2009

    Beiträge: 5,913

    gypsy-tail-wind

    nicht_vom_forum Nach nochmaligem Nachdenken: Ich werde den Verdacht nicht los, dass das Thema „Cultural Appropriation“ in zugespitzter Form schon wieder ein US-Thema ist, das sich auf andere historisch/kulturelle Kontexte mal mehr und mal weniger, aber auf gar keinen Fall einfach übertragen lässt.

    Gut möglich – aber als kulturell Kolonialisierte betrifft uns das halt auch

     
    „Betreffen“ ist schon wieder so ein schwieriges Wort, das irgendwas zwischen alles und nichts bedeuten kann.
    Wenn zwei das Gleiche tun, ist es eben noch lange nicht dasselbe. Europäischen Kindern im Karneval „Blackfacing“ vorzuwerfen, ist eben einfach nicht zutreffend – ohne einen Kontext von Minstrel Shows, Jim Crow etc. Ist der „Geburtstag des Großmoguls Aureng-Zeb“ jetzt CA oder respektvolle Referenz auf einen Herrscher mit noch mehr Geld und Macht als der starke August?

    --

    Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away.  Reality denied comes back to haunt. Philip K. Dick
    #11200039  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,291

    Ja, vermutlich geht es nie, ohne Betrachtung des einzelnen Falles, von dessen Kontext usw. Oper und Theater haben da ja auch „Probleme“ inzwischen („Othello“), für die es keine ganz einfache Antworten gibt … vielleicht gäbe es die ja sogar („alles kein Problem“), wenn nicht gerade die Welt der Hochkultur so ostentativ farbenblind (aka weiss) wäre.

    Und klar, „betreffen“, „erfahren“, „verstehen“ – müsste man genau genommen auch jedes Mal aushandeln. Aber dann kommt die Frage nach der Praktizier-/Umsetzbarkeit und zuviele Leute winken doch wieder nur ganz schnell ab und wollen nichts mehr hören.

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    #11200505  | PERMALINK

    tezuka
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    Beiträge: 1,679

    herr-rossi

    Es geht da ja auch um Fragen wie: Darf ein weißer Mann einen Roman aus der Ichperspektive einer schwarzen Frau erzählen? Meine Antwort: selbstverständlich, verdammt nochmal! Ob dabei Kunst rauskommt oder nur ein Puzzle aus Klischees, muss die Literaturkritik bzw die Lektüregemeinschaft entscheiden, nicht der kulturelle Sittenwaechter.

    Wiederum „framing“: Hier Kritik und Lektüregemeinschaft, dort der „kulturelle Sittenwächter“. Wer entscheidet, wer nur „kultureller Sittenwächter“ ist und wer zur legitimen Kritiker- und Lektüregemeinschaft zählen darf? Versteh mich richtig: Ich unterstelle Dir nicht, das alles genauso intendiert zu haben. Ich will nur verdeutlichen, warum ich wiederum problematisch finde, was Du geschrieben hast.

    Ich verstehe wiederum überhaupt nicht warum du problematisch findest was Bullschütz geschrieben hat…Und die Trennlinie zwischen Kultureller Sittenwächter/Kritik und Lektüregemeinschaft ist doch klar: Die einen schreiben einem Autor generall das Recht ab über bestimmte Themen zu schreiben (nicht im juristischen Sinne natürlich!), die anderen lesen sein Werk nur – und können es dann immer noch grottenschlecht finden oder verreissen.

     

    herr-rossiIst halt offensichtlich alles ganz einfach, wenn man nur die richtigen Scheuklappen aufhat. Diskussion erledigt, weitermachen.

    Ich finde das Pfingstlümmel nur zwei Posts unter dir in wenigen Sätzen ganz gut ausgeführt hat was an deiner Argumentation bezüglich der Beatles kritikwürdig ist.

     

    zuletzt geändert von tezuka

    --

    #11200511  | PERMALINK

    reino

    Registriert seit: 20.06.2008

    Beiträge: 5,699

    bullschuetz
    Es geht da ja auch um Fragen wie: Darf ein weißer Mann einen Roman aus der Ichperspektive einer schwarzen Frau erzählen?

    Zwar nur die Ichperspektive eines schwarzen Mannes, aber lesenswert:
    https://www.spiegel.de/kultur/literatur/skandalautor-boris-vian-l-eclat-c-est-moi-a-422198.html

    Wenn Boris Vian damals kulturelle Aneignung vorgeworfen wurde (wahrscheinlich ja), dann ging das in der allgemeinen Aufregung unter.

    zuletzt geändert von reino

    --

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    #11200515  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,134

    @reino Toller Hinweis! Ich hab von Vian früher mal einiges gelesen, aber das nicht.

    Ich gehe aber nicht davon aus, dass Vian damals kulturelle Aneignung vorgeworfen wurde, sondern eher, dass er mit grellen Kolportagemitteln (sex&crime) weißen Rassismus aufgriff. Ich gehe davon aus, dass 1946 selbst unter Pariser Intellektuellen kaum jemand das CA-Konzept auch nur verstanden hätte. Die Anprangerung von CA ist ja gewissermaßen ein Luxusproblem, das erst in den Blick geraten kann, wenn ganz grundsätzliche und weitreichende Formen von offensichtlichem Holzhammer-Rassismus gesellschaftlich eindeutig geächtet sind.

    --

    #11200517  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Beiträge: 67,291

    tezuka
    Sag doch mal was die Pilzköpfe hätten tun können damit eine Aneignung oder Integration von indischen Klängen in ihre Musik nicht problematisch sein könnte…Und wenn du jetzt sagst dass du das nieeee behauptet hättest dass das problematisch sein könnte muss ich dich leider mit einem Pudding den man an eine Wand nageln möchte vergleichen…

    Ein Teil des Problems bei Diskussion heute, in den sozialen Medien, und ja, leider auch immer wieder hier, dünkt mich, dass es kaum noch toleriert wird, wenn jemand seine Meinung ändert oder weiterentwickelt in dem Mass, wie eine Diskussion sich entwickelt. „nieeee“, aber „jetzt sag doch mal“ du „Pudding“ … sorry, aber nein danke.

    Entschuldige, dass ich Dich da rauspicke @tezuka. Es ist ja auch nicht so, dass solche Posts von überall her kommen, aber sie kommen in praktisch jeder Diskussion, und das ist enorm anstrengend. Eine Diskussion dient ja der Formulierung von Standpunkten und dann im Austausch darüber. Dass sich dabei auch mal etwas entwickelt, ist doch eigentlich gerade der Sinn der Sache? Aber klar, wir begreifen heutzutage zu weiten Teilen ja auch nicht (mehr? war das wirklich mal anders?), dass Wissenschaft auf Experimenten und Konsolidierung und weiteren Experimenten und Revisionen und bestenfalls auch mal noch im grundsätzlichen Hinterfragen des Ausgangspunktes besteht. Aber gerade so sollte doch auch ein Gespräch funktionieren?

    --

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    #11200519  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    bullschuetz@reino Toller Hinweis! Ich hab von Vian früher mal einiges gelesen, aber das nicht.
    Ich gehe aber nicht davon aus, dass Vian damals kulturelle Aneignung vorgeworfen wurde, sondern eher, dass er mit grellen Kolportagemitteln (sex&crime) weißen Rassismus aufgriff. Ich gehe davon aus, dass 1946 selbst unter Pariser Intellektuellen kaum jemand das CA-Konzept auch nur verstanden hätte. Die Anprangerung von CA ist ja gewissermaßen ein Luxusproblem, das erst in den Blick geraten kann, wenn ganz grundsätzliche und weitreichende Formen von offensichtlichem Holzhammer-Rassismus gesellschaftlich eindeutig geächtet sind.

    Die herzerreissende Geschichte der, wie es scheint, grossen Liebe von Miles Davis und Juliette Greco, bei ihrer Beegegnung in Paris 1949, kennst Du?
    https://www.kcrw.com/music/articles/miles-davis-juliette-greco-romance-ruined-by-racism

    Zu einem ähnlichen Thema gibt es auch noch einen guten Spielfilm von Melvin Van Peebles, nicht ganz 20 Jahre später:
    https://www.filmpodium.ch/film/169728/la-permission

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #152: Enja Records 1971-1973 – 14.05., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
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