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gypsy-tail-wind
redbeansandrice
ich find das Beispiel mit „ich mag eigentlich alle Musik“ wirklich ziemlich schlecht… wenn ich persoenlich das sage, meine ich damit primaer, dass ich es eigentlich immer gut finde, wenn ich irgendwie hinkomme, und es wird Musik gespielt… Jazz waere am besten, aber von Klassik bis Schlager ist wirklich vieles fuer mich besser als Stille… und da kann es jetzt natuerlich sein, dass es da draussen irgendeine Kultur gibt, deren mir unbekannte Musik in meinen Ohren so graesslich klingt, dass ich sie nun wirklich nicht hoeren will… aber ich find es voellig akzeptabel, wenn man das nicht explizit dazusagt, waere ja auch nicht besonders nett, und vielleicht braucht man ja auch einen Moment um reinzukommen…
dazu kommt, dass es ja immer einen Kontext gibt, und dass man in der normalen Sprache (anders als etwa in der Mathematik) nicht immer alle Qualifikationen und Einschraenkungen explizit macht… wenn ich nach Hause fahre, und meine Mutter fragt, was ich gerne essen will, dann kann es gut sein, dass ich „ich find alles lecker“ sage… und da ist dann implizit mit drin, dass ich damit die Sachen meine, die es zu Hause normalerweise so zu essen gibt, dass ich nicht nochmal explizit alles aufliste, was mir zu Hause nicht schmeckt (weiss sie eh – und wenn ich den Heringsauflauf von 1996 nochmal auspacke, freut sie sich auch nicht), und ja, ich erwaehne auch nicht explizit die Kuechen aller Kulturen, die uns beiden fremd sind… ukrainischen Weisswurstpudding wird es schon nicht geben… und wenn doch, dann ist es halt so… Kommunikation ist auch nie perfekt, im Alltag ist „alles“ beinah nie woertlich gemeint…
das heisst nicht, dass man nicht vor rassistischen Denkmustern auf der Hut sein sollte, dass „ich mag alle Arten von Musik“ auch mal ausschliessend sein kann … man kann eigentlich fuer jeden Satz eine Situation konstruieren, in der er voellig unangemessen ist…Der Relativmus des letzten Satzes im Zitat führt uns natürlich keine Centimeter weiter, aber egal. Ich dachte auc nicht an Leute, die keinen Bezug zu Musik haben oder tatsächlich, wie Du es bist, für sehr vieles offen. Es gibt ordentlich Leute, die z.B. Klassik, Rock aller Spielarten, Blues, Jazz, Elektro usw. hören, aber z.B. Hip Hop (und gerne auch Country) als Schund und Schrott diffamieren. Und die meinen, mit ihren Interessen eben „alles“ abgedeckt zu haben. Und @latho hat ja das Begriffsdurcheinander in den Punkten, die ich referierte, aufgelöst (danke – war kein bewusster Fehler, ich hatte schlichtweg keine Zeit, das alles nochmal in Ruhe zu lesen bzw. überhaupt zu suchen), aber ich denke halt trotzdem, dass da unerkannte Denkmuster mit Dünkel und Überlegenheitskomplexen dahinter stecken können. Das Beispiel von @nicht_vom_forum ist ja sehr passend:
nicht_vom_forum
Eine ehemalige Mitschülerin, die nach dem Abitur Gesang studierte, teilte mir beim fünfjährigen Jahrgangstreffen während der Unterhaltung mit, sie würde „alles singen: Oper und Lied“…—
aber der Absolutismus des Ausgangsstatements zu „ich mag jede Musik“ fuehrt halt auch nicht weiter… wenn der Aenderungsschneider an der Ecke ein Schild mit „Wir reparieren alles“ im Fenster hat, bring ich da trotzdem nicht mein kaputtes Fahrrad hin, nur um ihn zu belehren… und man kann nicht_vom_forums Kollegin ja schon auch irgendwie verstehen, was anderes als die zwei Sachen wird sie nicht gelernt haben… einerseits… und andererseits muss man (schreibst du ja auch) nicht bis nach Persien gucken, um Sachen zu finden, die in der Liste fehlen…
und die Rolle von klassischer Musik in der Welt – das ist eine spannende Frage, die mE nur indirekt in diesen Thread gehoert… Man hat das ja als Kind in der Schule und so gelernt, dass die allergroessten Musiker oesterreichische Musik des 18. und fruehen 19. Jahrhunderts mehr oder weniger eins-zu-eins nachspielen und dass sie den Leuten, die „normale Musik machen“ (so nannten wir das damals) geistig haushoch ueberlegen sind… diese Sorge, dass demnaechst nur noch Koreaner in unseren Orchestern spielen, kam im Musikunterricht glaub ich auch irgendwann dran… ich fand das alles schon als Kind ein bisschen dubios… das einzige, was es rettet, ist, dass die Musik wirklich ganz gut ist…
Wenn ich mir diese Passage angucke, die latho herausgesucht hat, das Gespraech, das der Autor so gerne fuehren wuerde
Q: What kind of music do you like?
A: Everything except rap and country.
Q: Oh, so you listen to Luk Krung? Pon Pirome is probably my favorite artist.
dann denk ich: hier will jemand seine kulturelle Ueberlegenheit mal genauso ausleben, wie das jahrelang ihm gegenueber getan wurde… und ich kann sehen, dass Jahrzehnte von bitteren Erfahrungen sowas mit einem machen… aber dadurch wird es trotzdem nicht super
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